Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Dr. Fritz R***-LE B***, geboren 1. April 1949, Jurist, Neufeld an der Leitha, Ludwig-Leserstraße 16 A, infolge Revisionsrekurses des Betroffenen, vertreten durch den Sachwalter Dr. Emil S***, Rechtsanwalt in Eisenstadt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Eisenstadt als Rekursgerichtes vom 30. Oktober 1987, GZ R 350/87-47, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom 31. Juli 1987, GZ SW 5/86-35, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mag. Monika R***-LE B*** hat gegen den Betroffenen, ihren Gatten, die Klage auf Scheidung eingebracht (2 Cg 627/85 des Landesgerichtes Eisenstadt). Der Betroffene lehnt jede Beteiligung an diesem Zivilprozeß ab. Da der Erstrichter den zahlreichen bei ihm laufend einlangenden Schreiben des Betroffenen Anzeichen dafür entnahm, daß die Voraussetzungen des § 273 ABGB vorlägen, verständigte er das Erst- als Pflegschaftsgericht. Dieses leitete das Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters ein. Der Erstrichter lud zunächst den Betroffenen vor. Als dieser schriftlich mitteilte, daß er der Einladung nicht folgen werde (ON 2), wollte ihn der Erstrichter persönlich aufsuchen. Er traf zwar den Betroffenen an; dieser verweigerte ihm aber den Einlaß und meinte, in einem Zivilverfahren könne gegen ihn keine Zwangsmaßnahme ergriffen werden (ON 3). In der Folge lehnte es der Betroffene strikt ab, sich von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. Heinz P*** untersuchen zu lassen (ON 27), und blieb auch der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 1987 fern (ON 29). Der Betroffene ist von Beruf Jurist, derzeit aber arbeitslos, weil er wegen mangelnder Belastbarkeit keiner geregelten Beschäftigung nachgehen kann. Er befand sich vom 14. Jänner bis 28. Februar 1986 im Niederösterreichischen Landeskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Mauer bei Amstetten und wurde mit der Diagnose Neurose entlassen. In das Krankenhaus war er wegen des Verdachtes auf eine schoziode Psychose aufgenommen worden, nachdem er Aggressionshandlungen begangen und mit Mord gedroht hatte. In der Krankengeschichte wird berichtet, daß der Betroffene in den ersten Tagen recht aggressiv und unkooperativ gewesen sei; er habe gegenüber seiner die Ehescheidung anstrebenden Ehegattin eine unrealistische Grundhaltung, völlige Uneinsichtigkeit und Selbstmitleid gezeigt. Insgesamt habe er den Eindruck einer neurotischen Persönlichkeitsstruktur mit teilweiser paranoider Erlebnisverarbeitung gemacht.
Nach dem "Aktengutachten" des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Heinz P*** seien die damaligen Äußerungen und Handlungsweisen des Betroffenen mit der Scheidung im Zusammenhang gestanden. In seinen zahlreichen dem Erstrichter zugemittelten Briefen habe er eine sehr fixierte und anscheinend nicht korrigierbare Haltung gegenüber dem Scheidungswunsch seiner Gattin gezeigt. Beim Betroffenen liege eine erhöhte Selbst- und Ichbezogenheit vor, aus der sich eine verminderte Kritikfähigkeit und Störung der Realitätserfassung ergebe. Daneben bestehe eine paranoide Erlebnisverarbeitung, die als Ausdruck eines Schuldgefühles zu interpretieren sei. Da der Betroffene im Scheidungsverfahren diese paranoide Erlebnisbereitschaft auch auf die Verfahrensbeteiligten beziehe, sei eine Beeinträchtigung des psychischen Istzustandes in bezug auf das Verfahren anzunehmen.
Der Erstrichter bestellte den Rechtsanwalt Dr. Emil S*** zum Sachwalter des Betroffenen und betraute ihn nach § 273 Abs 3 Z 1 ABGB mit der Vertretung des Betroffenen in dem beim Landesgericht Eisenstadt zu 2 Cg 627/85 anhängigen Verfahren. Auf Grund des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes meinte er rechtlich, daß die Voraussetzungen des § 273 ABGB vorlägen; der Betroffene bedürfe zur Führung des Ehescheidungsverfahrens vor dem Landesgericht Eisenstadt eines Sachwalters.
Das Gericht zweiter Instanz gab den dagegen vom
Betroffenen - sowohl persönlich (ON 37) als auch durch den Sachwalter (ON 38) - erhobenen Rekursen nicht Folge. Bei einer "psychischen Krankheit" oder "geistigen Behinderung" im Sinne des § 273 ABGB handle es sich um einen psychischen Zustand, der die davon betroffene Person hindere, ein ihr zustehendes Recht so auszuüben, wie dies von einer unbestimmten Anzahl erwachsener Menschen üblicherweise getan werde. Der psychische Zustand des Betroffenen müsse Einfluß auf die Einsichts- und Urteilskraft haben, sich so zu verhalten, wie dies in der Gesellschaft, der der Betroffene angehört, üblich sei. Der Betroffene müsse in seiner Fähigkeit beeinträchtigt sein, einerseits die Folgen einer Rechtsausübung zu erkennen und andererseits sein Verhalten danach einzurichten. Wer nicht nur Prozesse aus überbetonter Rechthaberei und Streitsucht führe, sondern auch immer wieder dem Drang, unbegründete Anzeigen und Beschwerden zu erstatten und Beschuldigungen zu erheben, unterliege und sich infolge herabgesetzter Kritikfähigkeit massiv querulatorisch verhalte, sei zur Durchsetzung oder Abwehr eines Anspruches (§ 273 Abs 3 Z 1 ABGB) allein nicht in der Lage. Für solche Personen sei ein Sachwalter zu bestellen.
Gegen diesen Beschluß wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des durch den Sachwalter vertretenen Betroffenen. (Die vom Betroffenen selbst verfaßten Schreiben vom 20. November 1987 - ON 49 und Eingabe im R-Akt - sind nach ihrem Inhalt nicht als Rechtsmittel, sondern als Ankündigung des vom Sachwalter verfaßten Rechtsmittels aufzufassen.)
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist unzulässig.
Wie der Rechtsmittelwerber richtig erkennt, findet § 16 AußStrG auch hier Anwendung, weil § 249 AußStrG das Rechtsmittelverfahren in Sachwalterschaftssachen nicht abschließend regelt, sondern nur einzelne Ausnahmen von der allgemeinen Regelung der §§ 9 bis 16 AußStrG festlegt (NotZ 1986, 71; 6 Ob 660/86 uva).
Nach § 16 Abs 1 AußStrG können bestätigende Entscheidungen des Rekursgerichtes nur wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit, wegen Aktenwidrigkeit und wegen Nichtigkeit angefochten werden; die Geltendmachung anderer Beschwerdegründe, insbesondere der unrichtigen Beweiswürdigung oder einfacher (nicht die Schwere einer Nichtigkeit erreichender) Verfahrensmängel, ist hingegen ausgeschlossen (EFSlg. 39.783 uva). Soweit der Rechtsmittelwerber rügt, daß die Feststellungen der Vorinstanzen über seinen psychischen Zustand auf einem Gutachten beruhen, das der Sachverständige Dr. P*** auf Grund einer Ferndiagnose und ohne persönliche Kontaktnahme und Untersuchung erstellt habe, und meint, diese Vorgangsweise sei offenbar gesetzwidrig, weil die essentiellen Verfahrensregeln nicht eingehalten worden seien, macht er damit dem Sinne nach eine Nichtigkeit geltend; diese liegt indes nicht vor. Der Erstrichter hat zunächst im Bemühen, sich vom Betroffenen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen und ihn über Grund und Zweck des Verfahrens zu unterrichten und darüber zu hören (§ 237 Abs 1 AußStrG), den Betroffenen geladen; als dieser der Ladung nicht Folge leistete, hat der Erstrichter ihn aufzusuchen versucht (§ 237 Abs 3 AußStrG). Er hat ihn auch vergeblich zur mündlichen Verhandlung (§§ 239, 240 AußStrG) geladen. Der Betroffene ist auch der Einladung des Sachverständigen, zur Untersuchung zu erscheinen, nicht nachgekommen. Daß eine persönliche Befragung des Betroffenen durch Richter und Sachverständigen unterblieben ist, ist daher nicht auf eine Verletzung grundlegender Verfahrensvorschriften durch das Erstgericht, sondern allein auf das Verhalten des Betroffenen zurückzuführen. Darüber, daß der Erstrichter seine Vorführung (§ 237 Abs 2 AußStrG) nicht angeordnet hat, beschwert sich der Rechtsmittelwerber nicht; eine solche Rüge stünde auch im Widerspruch zu seiner Ankündigung, auch im Fall einer Vorführung die Aussage zu verweigern (vgl. ON 5).
Auf Grund der für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen ist der Betroffene psychisch krank. Zu prüfen bleibt somit nur noch die Frage, ob die Auffassung des Rekursgerichtes, der Erstrichter habe dem Betroffenen zu Recht wegen dieser psychischen Krankheit einen Sachwalter zur Vertretung im Scheidungsverfahren bestellt (§ 273 Abs 1, Abs 3 Z 1 ABGB), offenbar gesetzwidrig ist. Dies ist zu verneinen. Offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird; nicht jede unrichtige rechtliche Beurteilung bildet daher eine offenbare Gesetzwidrigkeit (JBl 1975, 661 uva). § 273 Abs 2 ABGB verdeutlicht zwar, daß eine psychische Erkrankung oder geistige Behinderung die Bestellung eines Sachwalters nur dann rechtfertigt, wenn der psychisch Kranke (geistig Behinderte) außerstande ist, alle oder einzelne seiner Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen; unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall dann die Bestellung eines Sachwalters geboten und mit welchen der in § 273 Abs 3 Z 1 bis 3 ABGB nur ganz allgemein umschriebenen Agenden dieser zu betrauen ist, ist aber im Gesetz im einzelnen nicht geregelt (6 Ob 660/81 ua). Dies gilt insbesondere für die - im Revisionsrekurs angeschnittene - Frage, wie weit die Bestellung eines Sachwalters erforderlich ist, um einen psychisch Kranken in einem Prozeß vor Nachteilen zu bewahren. Es kann daher nicht gesagt werden, daß im vorliegenden Fall an der Absicht des Gesetzgebers nicht gezweifelt werden kann und trotzdem anders entschieden wurde; eine offenbare Gesetzwidrigkeit (§ 16 Abs 1 AußStrG) ist somit nicht zu erkennen.
Der Revisionsrekurs war deshalb zurückzuweisen.
Anmerkung
E12781European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00611.87.0112.000Dokumentnummer
JJT_19880112_OGH0002_0040OB00611_8700000_000