TE OGH 1988/1/12 10Ob530/87

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.01.1988
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier, Dr. Angst, Dr. Bauer und Dr. Kellner als weitere Richter in der Vormundschaftssache des am 16. Oktober 1984 geborenen unehelichen Kindes Natalie R***, 1190 Wien, Baaderwiese 3, infolge Revisionsrekurses der zum Vormund bestellten Mutter, Brigitte S***-R***, Volksschullehrerin, ebendort, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 15. Oktober 1987, GZ 47 R 822/87-25, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling, vom 28. August 1987, GZ 3 P 189/84-22, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß und der dadurch bestätigte stattgebende Teil des erstgerichtlichen Beschlusses werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird aufgetragen, insoweit über die Regelung der Ausübung bzw. die gänzliche Untersagung des Rechtes des Vaters, mit seinem Kind Natalie R*** persönlich zu verkehren, nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden.

Text

Begründung:

Natalie R*** wurde am 16. Oktober 1984 von Brigitte S*** geboren und befindet sich seither in Pflege und Erziehung der Mutter, die auch ihr Vormund ist. Walter S*** ist der festgestellte Vater. Die Eltern waren miteinander vom 11. Juni 1980 bis 8. Mai 1981 verheiratet. Aus dieser Ehe stammt der am 4. November 1980 geborene Nikolaus S***, der sich ebenfalls in Pflege und Erziehung der Mutter befindet.

Am 16. Jänner 1987 beantragte der Vater, sein Recht, mit seinen beiden Kindern zu verkehren, so zu regeln, daß er sie jeden Sonntag von 9.00 bis 19.00 Uhr bei sich haben könne und ihm auch an den Geburts- und Namenstagen sowie an einem Tag zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten ein Besuchsrecht einzuräumen.

Die Mutter sprach sich gegen ein Besuchsrecht des Vaters aus. Sie behauptete schon vor dem Erstgericht, Natalie sei übersensibel. Es habe mit ihr schon nach der Geburt Schwierigkeiten gegeben, sie habe nichts gegessen und nichts getrunken und sei nicht gewachsen. Die Mutter führte dies darauf zurück, daß das Kind unter dem zwischen den Eltern herrschenden Haß gelitten habe. Seit sie mit der Mutter, deren Lebensgefährten und dem Bruder in einer glücklichen Familie lebe, sei sie ein normales, fröhliches Kind geworden. Die Mutter befürchtete, daß Natalie bei einem Kontakt mit dem Vater wieder in den früheren Zustand zurückfallen könnte. Bei der letzten Begegnung etwa zu Weihnachten 1986 sei der Vater auf Natalie so zugegangen, daß es für diese ein fürchterlicher Schock gewesen sei. Als Beweismittel führte die Mutter die behandelnde Kinderärztin, Dr. Ursula L***, an.

Das Bezirksjugendamt für den 19. Bezirk in Wien befürwortete ein eingeschränktes väterliches Besuchsrecht an einem Sonntag im Monat, während eines Halbtages an den Geburts- und Namenstagen sowie zu Weihnachten und zu Ostern. Voraussetzung dafür wäre aber das Einverständnis der Mutter. Nach dem der Äußerung des Jugendamtes angeschlossenen Befund und Gutachten des Psychologischen Dienstes der MA 11 wirkte Natalie am 22. Mai 1987 gut entwickelt, war aber noch zu klein, um sich über den Vater zu äußern.

Das Erstgericht regelte die Ausübung des Besuchsrechtes des Vaters in diesem Vormundschaftsakt hinsichtlich Natalies und im Pflegschaftsakt 1 P 73/82 hinsichtlich Nikolaus' dahin, daß der Vater jeden 1. und 3. Sonntag im Monat sowie am 26. Dezember und am Ostermontag die Zeit von 9.00 bis 15.00 Uhr mit den beiden Kindern verbringen kann. Eine weitergehende Ausübung dieses Rechtes lehnte es ebenso ab wie die von der Mutter beantragte gänzliche Untersagung.

Das Erstgericht stellt im wesentlichen fest:

Die Eltern der beiden Kinder lebten auch nach der Scheidung ihrer Ehe mit Unterbrechungen bis Juli 1986 zusammen. Die Mutter, die am 8. September 1986 ein weiteres Kind geboren hat, dessen Vater nicht Walter S*** ist, lebt mit den drei Kindern und einem Lebensgefährten. Der Vater lebt mit einer Lebensgefährtin und deren 11jähriger Tochter. Solange der Vater mit der Mutter und den beiden Kindern zusammenlebte, kümmerte er sich recht liebevoll um die Kinder, insbesondere um Nikolaus. Dann konnte er beide Kinder bis Ende 1986 regelmäßig besuchen; Nikolaus war etwa einen Tag pro Woche bei ihm. Die häufigen Spannungen zwischen den Eltern während ihres Zusammenlebens führten bei Nikolaus zu einem auffälligen Verhalten, während Natalie "nicht essen, trinken und wachsen wollte". Mittlerweile haben sie sich jedoch zu normalen Kindern entwickelt. Die heftigen Spannungen zwischen den Eltern bestehen noch immer. Dem wegen schweren und gewerbsmäßigen Betruges zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilten Vater ist wegen Vollzugsuntauglichkeit ein Aufschub des Strafvollzuges gewährt worden.

In der rechtlichen Beurteilung betonte das Erstgericht, daß der Vater nicht nur ein gesetzliches Recht zum persönlichen Verkehr mit seinen Kindern habe, sondern daß auch die Ausübung dieses Rechtes im verfügten Umfang dem Wohl der Kinder diene.

In ihrem gegen den Natalie betreffenden Beschluß gerichteten Rekurs verwies die Mutter auch auf ihr Rechtsmittel gegen den Nikolaus betreffenden Besuchsrechtsregelungsbeschluß. Darin bekämpfte sie ua. die erstgerichtliche Feststellung, daß sich der Vater liebevoll um die beiden Kinder gekümmert habe. Sie betonte neuerlich die kränkliche Natur und das sensible, verletzliche Wesen Natalies. Sie habe dem Jugendamt eine Beschreibung der Krankengeschichte und einen Bericht der Kinderärztin Dr. L*** übergeben, die Natalie seinerzeit behandelt habe. Das Mädchen habe beim letzten Zusammentreffen mit dem Vater in der Wohnung der Urgroßmutter mütterlicherseits große Furcht gezeigt, sich hinter der Mutter versteckt und mit dem Vater weder sprechen noch von ihm berührt werden wollen. Wäre sie gezwungen, die väterlichen Besuche zu erleiden, würde das zu schweren körperlichen und seelischen Störungen führen, und es könnte wieder zu Nahrungsverweigerungen kommen. Die Mutter habe Natalie seit der Geburt niemandem überlassen, weil das stets verheerende Folgen gehabt habe. Natalie sei bei ihr daheim und besuche noch nicht den Kindergarten, weil sie so überdurchschnittlich zart sei. Sie zu zwingen, die Mutter zu verlassen und mit einer ihr fremden Person zu gehen, wäre das Schlimmste, was man ihr antun könnte. Sie würde es nicht verstehen, wenn sie von der Mutter wegmüßte, sich dagegen zur Wehr setzen, den Schock nicht überwinden und seelischen und körperlichen Schaden nehmen.

In dem in diesem Verfahren erhobenen Rechtsmittel berichtete die Mutter Einzelheiten über den sehr schlechten Gesundheitszustand und die gestörte Entwicklung Natalies während der ersten beiden Lebensjahre, in denen das Kind ständig krank gewesen sei, weder essen noch trinken wollte und dem Tod nahe gewesen sei. Weiters behauptete die Mutter, daß Natalie den Vater seit Jänner 1987 nicht mehr gesehen habe, sich an ihn nicht mehr erinnere und ihn auch auf Fotos nicht mehr erkenne. Die Rekurswerberin wiederholte ihre Befürchtung, ein persönlicher Kontakt zum Vater könne zu einem gesundheitlichen Rückfall der Tochter führen.

Das Rekursgericht gab dem erkennbar auf gänzliche Untersagung der Ausübung des väterlichen Besuchsrechtes gerichteten Rekurs der Mutter nicht Folge.

Zu dem die Erkrankungen Natalies betreffenden Vorbringen der Mutter führte das Rekursgericht aus, daß diese selbst dann, wenn sie psychische Ursachen gehabt hätten, nicht gegen die väterlichen Besuchskontakte sprächen, weil diese gesundheitlichen Probleme nach dem Vorbringen der Mutter nach Beendigung der Lebensgemeinschaft der Eltern aus der Welt geschafft worden seien und die Tochter sich dann normal entwickelt habe, obwohl sie noch bis Jänner 1987 Besuchskontakte mit dem Vater gehabt habe. Auch wenn man den Ausführungen der Mutter folge, sei daher davon auszugehen, daß ein periodischer Besuchskontakt zwischen Vater und Tochter keinerlei nachteiligen Wirkungen auf deren physische und psychische Entwicklung habe, sondern daß lediglich die häuslichen Zwistigkeiten während der Lebensgemeinschaft der Eltern ein psychogenes Leiden des Kindes hervorgerufen hätten. Die Behauptung, daß Natalie keine Erinnerung an den Vater mehr hätte und ihn auch auf Fotos nicht mehr erkenne, sei völlig unglaubwürdig. Sollte sie aber zutreffen, wäre dies ein Argument für Besuchskontakte, für die sich auch das psychologische Gutachten der MA 11 ausgesprochen habe. Dagegen richtet sich der als "Einspruch gegen die Rekursabweisung" bezeichnete außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter. Darin erklärt sie hinsichtlich Natalies, wenn das Gericht von ihr verlange, ihre zarte, sensible Tochter zwei Sonntage pro Monat von ihr wegzugeben, dann fordere sie die beschlußfassenden Richter auf, bei diesem Ereignis der Kindesübergabe als Augenzeugen anwesend zu sein. Sie würden einen Akt unmenschlicher Grausamkeit und Brutalität miterleben, den sie sonst nur von TV-Berichten aus Südamerika kannten, wo Menschenverschleppungen leider keine Ausnahme seien. Als Mutter wisse sie genauestens, was für ihre Tochter das Beste sei, und sie könne deshalb nicht - nicht einmal wenn sie wollte - erlauben, daß "Herr S***" ihre Tochter - und sei es bloß für eine Stunde - von ihr fortnehme.

Rechtliche Beurteilung

Weil das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß (im Umfang der Anfechtung) bestätigt hat, ist nach § 16 Abs. 1 AußStrG der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität statthaft.

Nach § 148 Abs. 1 ABGB hat ein Elternteil, dem nicht die Pflege und Erziehung des minderjährigen Kindes zustehen, doch das Recht, mit dem Kind persönlich zu verkehren. Das Gericht hat auf Antrag, ....., die Ausübung dieses Rechtes in einer dem Wohl des Kindes gemäßen Weise zu regeln oder nötigenfalls, besonders wenn die Beziehungen des Kindes zu dem Elternteil, bei dem es aufwächst, unerträglich gestört würden, ganz zu untersagen. Nach § 178 a ABGB sind bei der Beurteilung des Kindeswohls die Persönlichkeit des Kindes und seine Bedürfnisse, besonders seine Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten, sowie die Lebensverhältnisse der Eltern entsprechend zu berücksichtigen. Ein Beschluß, der die Ausübung des Rechtes eines Elternteiles, mit seinem Kind persönlich zu verkehren regelt, ist jedenfalls dann nicht nur rechtlich unrichtig, sondern offenbar gesetzwidrig, wenn für die Beurteilung des Kindeswohles wesentliche Umstände so wenig berücksichtigt wurden, daß eine verläßliche Beurteilung, ob die Regelung dem Wohl des Kindes gemäß ist, nicht mehr möglich ist (ähnlich EFSlg. 47.216).

In diesem Sinne ist der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter aufzufassen, statthaft und auch berechtigt.

Beide Vorinstanzen haben nicht ausreichend geprüft, wie die knapp drei Jahre alte Natalie, die nach den erstgerichtlichen Feststellungen während ihrer ersten beiden Lebensjahre "nicht essen, trinken und wachsen wollte" und nach den detaillierten Behauptungen der Mutter in den Rechtsmitteln dauernd schwer krank war und nach wie vor überdurchschnittlich zart und sensibel sein soll, auf die - in dieser Intensität und ohne Einverständnis mit der Mutter auch von der Bezirksverwaltungsbehörde nicht

befürworteten - Kontakte mit dem seit längerer Zeit nicht mehr zum Lebenskreis des Kindes gehörenden, von der Mutter heftigst abgelehnten Vater reagieren würde und ob nicht wegen der erwähnten schweren gesundheitlichen Störungen Natalies deren Entwicklung erheblich beeinträchtigt werden könnte, aber auch deren offenbar sehr enge Beziehungen zur Mutter unerträglich gestört werden könnten. Die ersteres verneinenden, letzteres nicht erwähnenden Ausführungen des Rekursgerichtes vermögen insbesondere mangels ausreichender Feststellungen über die bisherige körperliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes und seine zu erwartenden Reaktionen, die wahrscheinlich nur mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen getroffen werden können, aber auch mangels ausreichender Feststellungen über die Umstände der bis Jänner 1987 vorhandenen fallweisen Kontakte zwischen Natalie und dem Vater nicht zu überzeugen.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluß des Rekursgerichtes und der dadurch bestätigte stattgebende Teil des erstgerichtlichen Beschlusses waren aufzuheben, dem Erstgericht war aufzutragen, insoweit über die Regelung der Ausübung bzw. die gänzliche Untersagung des Rechtes des Vaters, mit seinem Kind Natalie R*** persönlich zu verkehren, nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden.

Anmerkung

E13066

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0100OB00530.87.0112.000

Dokumentnummer

JJT_19880112_OGH0002_0100OB00530_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten