Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon-.Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreise der Arbeitgeber Dr. Carl Hennrich und Dr. Pipin Henzl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei August K***, Gresten, Wieselburger Straße 28, vertreten durch Dr. Peter Z***, Referent der Handelskammer Niederösterreich, dieser vertreten durch Dr. Leander Schüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U***, Wien 20., Adalbert
Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. März 1987, GZ 31 Rs 64/87-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien vom 26. November 1986, GZ 9 C 123/86-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der als Kfz-Mechaniker und Landmaschinenbauer gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG versicherte Kläger geriet am 25. Mai 1985 in eine Kreissäge, wobei er einen Teilverlust des rechten Zeige- und Mittelfingers im Mittelglied sowie Rißquetschwunden am Ring- und Kleinfinger mit Durchtrennung der Beugesehne und der Fingernerven erlitt.
Mit Bescheid vom 11. Juni 1986 wurde anstelle der bisher gewährten vorläufigen Versehrtenrente von 30 v.H. der Vollrente ab 1. August 1986 die Dauerrente mit 20 v.H. der Vollrente festgesetzt. Das Erstgericht sprach dem Kläger ab 1. August 1986 eine Dauerrente von 20 v.H. der Vollrente zu und wies das Mehrbegehren auf Gewährung einer Dauerrente von insgesamt 30 v.H. der Vollrente ab, wobei es seiner Entscheidung nachstehenden Sachverhalt zugrunde legte:
Der Grobgriff der rechten Hand weist eine deutliche Behinderung auf. Durch das Nähen der Beugesehnen wurde deren Funktion nicht wiederhergestellt, sodaß die Finger 4 und 5 in den Zwischengliedergelenken nicht gebeugt werden können. Die rechte Hand wird aber, soweit es geht, wieder gebraucht. Insoweit ist eine Besserung durch Anpassung und Gewöhnung eingetreten. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, beträgt ab 1. August 1986 20 v.H. Daraus folgerte das Erstgericht, daß dem Kläger eine Dauerrente von 20 v.H. der Vollrente zustehe.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsansicht, daß nicht die Ausbildung und der vom Versehrten ausgeübte Beruf, sondern die Beeinträchtigung der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit entscheidend sei. Dieser Beeinträchtigung werde mit der an der einschlägigen Judikatur orientierten medizinischen Einschätzung Rechnung getragen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Begriff der für die Bemessung der Versehrtenrente in der Unfallversicherung maßgeblichen "Minderung der Erwerbsfähigkeit" wird in den einschlägigen Vorschriften, insbesondere in den §§ 203 ff ASVG, nicht definiert. Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 2. Dezember 1987, 9 Ob S 23/87, mit ausführlicher Begründung dargelegt hat, kommen die Bestimmungen über den Berufsschutz im Bereich der Unfallversicherung nicht zur Anwendung. Auch kann die abstrakte Erwerbsfähigkeit eines Menschen vor der Schädigung nicht an seiner momentanen konkreten Einkommenshöhe gemessen werden. Mit dem Begriff der Erwerbsfähigkeit wird die Fähigkeit eines Menschen, sich auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens einen Verdienst zu verschaffen, umschrieben, wobei grundsätzlich der allgemeine Arbeitsmarkt das Verweisungsfeld auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung bildet. Grundlage für die Ermittlung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist dabei regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Unfallfolgen und deren Auswirkungen, wobei der Gutachter auch über seine Meinung zum Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu befragen ist. Ausgangspunkt dieser Einschätzung sind die in Jahrzehnten entwickelten und angewendeten Richtlinien über die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit der Unfallverletzten, wie sie etwa in den Tabellen von Mollowitz, Der Unfallmann10, für Österreich in Krösl-Zrubecky, Die Unfallrente3, enthalten sind. Der Einwand, daß damit bloß der Grad der Versehrtheit beurteilt und über die Erwerbsfähigkeit keine Aussagen getroffen werden, geht fehl, weil bei Erstellung dieser Richtlinien den Veränderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes und damit der an den arbeitenden Menschen gestellten Anforderungen Rechnung getragen wird. Die ärztliche Einschätzung, die unter Berücksichtigung dieser Komponenten erfolgt, bildet aber nicht die alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung. Zu prüfen bleibt, ob im Hinblick auf die besondere Situation im Einzelfall die Ausbildung und die bisherigen Berufe des Unfallverletzten zur Vermeidung unbilliger Härten zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung, ob ein derartiger Härtefall vorliegt, der ein Abweichen von der ärztlichen Einschätzung geboten erscheinen läßt, und in welchem Umfang dem bei Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit Rechnung getragen werden muß, ist Gegenstand der rechtlichen Beurteilung.
Nach den Klagsbehauptungen ist der Kläger weiterhin als selbständiger Kraftfahrzeugmechaniker tätig. Allein dieser Umstand spricht dagegen, daß ein Härtefall vorliegt, der ein Abgehen von der medizinischen Einschätzung rechtfertigen würde.
Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; Umstände, die einen Kostenersatzsanspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurde weder geltend gemacht noch sind solche Gründe aus dem Akt ersichtlich.
Anmerkung
E13065European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBS00017.87.0113.000Dokumentnummer
JJT_19880113_OGH0002_009OBS00017_8700000_000