Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Albine H***, im Haushalt, Wien 6., Linke Wienzeile 118/14, vertreten durch Dr. Peter Bock, Rechtsanwalt in Wien, als Sachwalter, wider die beklagte Partei Dr. Karl H***, Facharzt für Innere Medizin, Wien 6., Linke Wienzeile 118/14, vertreten durch Dr. Herbert Klinner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtigerklärung der im Verfahren über die Ehescheidungsklage des Nichtigkeitsbeklagten zu 11 Cg 63/84 des Landesgerichtes für ZRS Wien gefällten Urteile, nämlich des erstinstanzlichen Urteiles vom 17. März 1986 (ON 97), des Berufungsurteiles des Oberlandesgerichtes Wien vom 28.November 1986, 13 R 154/86 (ON 106) und des Revisionsurteiles vom 26.Februar 1987, 6 Ob 530/87 (ON 113) in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
1. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
2. Die Nichtigkeitsklage wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Streitteile hatten am 30.Januar 1960 die Ehe geschlossen. Am 22. Oktober 1980 hatte der Ehemann eine auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage angebracht. Als Scheidungsgrund hatte er einen nicht beherrschten Drang zum übermäßigen Alkoholkonsum und darauf zurückzuführende Exzesse seiner Frau geltend gemacht. Zur Zeit der Einbringung der Scheidungsklage war die Ehefrau in einer Heilanstalt angehalten. Ein in Ansehung ihrer Person anhängig gemachtes Entmündigungsverfahren war mit Beschluß vom 3.Februar 1981 eingestellt worden. Am 25.Februar 1981 (die Datierung auf dem Rückschein ist offenkundig unrichtig) war der Ehefrau die Klagsgleichschrift samt Ladung für 5.März 1981 zugestellt worden. Die Ehefrau hatte sich im Gegensatz zu ihrem Prozeßgegner im Scheidungsverfahren zunächst keines anwaltlichen Prozeßbevollmächtigten bedient. Die Tagsatzungen zur mündlichen Streitverhandlung vom 11.Juni, 1.Oktober und 23.Dezember 1981 hatte sie ungeachtet ordnungsgemäß ausgewiesener Ladungen unbesucht gelassen. Der vom Prozeßgericht zum Sachverständigen bestellte Facharzt für Psychiatrie und Neurologie hatte die Ehefrau am 20. September 1982 in ihrer Wohnung untersucht und ein schriftliches Gutachten erstattet.
Der Ehemann hatte eine Erörterung des Sachverständigengutachtens in der mündlichen Verhandlung beantragt und ausdrücklich um gutächtliche Stellungnahme des Sachverständigen zur Prozeßfähigkeit seiner Prozeßgegnerin ersucht. Eine Gleichschrift dieses Antrages war der Ehefrau vor der anberaumten Tagsatzung zugestellt worden. Auch der am 21.Januar 1983 abgehaltenen Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung war die Ehefrau ungeachtet ausgewiesener Ladung ferngeblieben. In dieser Tagsatzung führte der Sachverständige aus, die Ehefrau sei zur Zeit seiner Untersuchung prozeßfähig gewesen. Das Prozeßgericht schloß seine Verhandlung in der erwähnten Tagsatzung und behielt seine Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vor. Dieses am 18.Juli 1983 mit dem Datum vom 8.Juli 1983 abgefertigte Urteil enthielt in seinen Entscheidungsgründen die wörtliche Ausführung: "Die Beklagte ist prozeßfähig (S.161)." Das Zitat bezieht sich auf das Protokoll über die mündliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens in der Tagsatzung vom 21.Januar 1983. Am 16.August 1983 hatte die Ehefrau einen Protokollarantrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigabe eines Rechtsanwaltes zur Verfassung der Berufungsschrift gestellt. Dem Antrag war stattgegeben worden. Der der Ehefrau beigegebene Rechtsanwalt hatte in ihrem Namen eine Berufung erhoben. Das Berufungsgericht hatte einen Aufhebungsbeschluß gefaßt. Im ergänzenden Verfahren des zweiten Rechtsganges war die Ehefrau bis in die dritte Instanz durch den ihr im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt vertreten geblieben. Der Sachverständige hatte im zweiten Rechtsgang ein ergänzendes Gutachten erstattet, die Frage der Prozeßfähigkeit der Ehefrau war kein Gegenstand neuerlicher Erörterungen. Das Prozeßgericht hatte auch im zweiten Rechtsgang dem Scheidungsbegehren des Mannes antragsgemäß stattgegeben. Berufung und Revision der Ehefrau waren erfolglos geblieben. Eine Ausfertigung des Revisionsurteiles war der Ehefrau zu Handen des ihr beigegebenen Rechtsanwaltes am 21.April 1987 zugestellt worden. Aus Anlaß eines Verfahrens zur nachehelichen Aufteilung leitete das Pflegschaftsgericht im Juli 1987 ein Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters für die geschiedene Ehefrau ein und bestellte schließlich mit dem Beschluß vom 13.Oktober 1987 einen Rechtsanwalt gemäß § 273 ABGB zum Sachwalter; nach dem Bestellungsbeschluß fällt die Vertretung der Betroffenen in Verfahren und vor Behörden in den Wirkungskreis des Sachwalters. Es ist nicht aktenkundig, daß dem Sachwalter Ausfertigungen eines im Scheidungsverfahren gefällten Urteiles zugestellt worden wären.
Rechtliche Beurteilung
Am 9.Dezember 1987 langte beim Obersten Gerichtshof als dem Revisionsgericht im früheren Ehescheidungsverfahren (§ 532 Abs.1 ZPO) die auf § 529 Abs.1 Z 2 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage ein. Das Sachwalterschaftsgericht hat diese Prozeßführung genehmigt. In der Hauptsache begehrt die Nichtigkeitsklägerin die Abweisung des Scheidungsbegehrens, hilfsweise den Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Mannes, mit einem weiteren Hilfsantrag eine Scheidung ohne Verschuldensausspruch.
Die Nichtigkeitsklägerin stützt ihr Begehren ausdrücklich darauf, daß sie nach Aufhebung des im ersten Rechtsgang gefällten Scheidungsurteiles durch den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß vom 27.Januar 1984 prozeßunfähig gewesen wäre und nach wie vor prozeßunfähig sei.
Die Nichtigkeitsklägerin hatte im Scheidungsverfahren während des Laufes der Berufungsfrist einen Verfahrenshilfeantrag gestellt und war von der Einbringung der Berufung an, also schon während des Rechtsmittelverfahrens im ersten Rechtsgang und dann während des gesamten zweiten Rechtsganges durch den ihr im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt vertreten. Verfahrenshilfeantrag und Bestellung des Rechtsanwaltes erfolgten noch vor dem in der Nichtigkeitsklage bezeichneten Zeitpunkt des berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschlusses vom 27.Januar 1984. Das Vorliegen der Prozeßfähigkeit bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz im ersten Rechtsgang des Scheidungsverfahrens hatte das Prozeßgericht aufgrund einer gutächtlichen Äußerung des Sachverständigen in der mündlichen Streitverhandlung ausdrücklich bejaht. Die Erörterung und Prüfung der Prozeßfähigkeit in der mündlichen Streitverhandlung war aufgrund einer vom Prozeßgegner mit vorbereitendem Schriftsatz angekündigten Anregung erfolgt. Ein Antrag auf Nichtigerklärung des Verfahrens durch die von den Zweifeln an der Prozeßfähigkeit betroffene Prozeßpartei lag nicht vor. Das Prozeßgericht unterzog sich vielmehr aufgrund einer Anregung des Prozeßgegners einer amtswegigen Prüfung und bejahte die zweifelhaft gewordene Prozeßfähigkeit ausdrücklich in der Begründung seiner Sachentscheidung.
Daß gerade in der nach dem Sachverständigengutachten für die krankhafte Entwicklung der Nichtigkeitsklägerin verhältnismäßig kurze Zeitspanne zwischen dem Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz im ersten Rechtsgang des Scheidungsverfahrens und dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe aus Anlaß der Erhebung der Berufung eine faßbare Verähderung im Zustand der betroffenen Prozeßpartei eingetreten wäre, die im Gegensatz zur urteilsmäßig bejahten Prozeßfähigkeit zur Annahme der Prozeßunfähigkeit hätte führen müssen, ist nach den vorliegenden Gutachten nicht nur kaum zeitlich einzuordnen und gewichtsmäßig zu fassen, sondern auch nach dem Klagsvorbringen gar nicht zu untersuchen.
Nichtigkeitsklagegrund ist eine angeblich im zweiten Rechtsgang des Scheidungsverfahrens vorgelegene Prozeßunfähigkeit der Nichtigkeitsklägerin. In diesem Verfahrensabschnitt war die Nichtigkeitsklägerin aber aufgrund eines vom geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht betroffenen Bestellungsvorganges durch einen ihr im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt vertreten. In dieser Hinsicht ist zwischen einer rechtsgeschäftlichen Prozeßbevollmächtigung und einer gerichtlichen Bestellung im Rahmen der Verfahrenshilfe kein Unterschied zu machen. Selbst wenn das Klagevorbringen in tatsächlicher Hinsicht zuträfe, wäre damit der Nichtigkeitsklagegrund nach dem § 529 Abs.1 Z 2 ZPO infolge der Vertretung durch den im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt nicht erfüllt. Die Nichtigkeitsklage war aus dieser Erwägung gemäß § 538 Abs.1 ZPO zurückzuweisen.
Die Klagsführung erscheint also aussichtslos, der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe war daher gemäß § 63 Abs.1 ZPO abzuweisen.
Die erforderlichen Zustellungen wird das Landesgericht für ZRS Wien als das im früheren Verfahren in erster Instanz eingeschrittene Gericht zu veranlassen haben.
Anmerkung
E13012European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0060OB00729.87.0114.000Dokumentnummer
JJT_19880114_OGH0002_0060OB00729_8700000_000