Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26.Jänner 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Plachy als Schriftführerin in der Strafsache gegen Kurt I*** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha vom 8.April 1987, GZ U 645/83-32, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen Kurt I*** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs 1 StGB, AZ U 645/83 des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha, ist dadurch, daß die mündliche Verhandlung und die Urteilsfällung über den Antrag des öffentlichen Anklägers auf nachträgliche Straffestsetzung (§ 46 Abs 4 JGG) in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführt wurden, das Gesetz in der Bestimmung des § 36 Abs 1 JGG mit Beziehung auf § 459 zweiter und dritter Satz StPO verletzt worden.
Das Urteil dieses Gerichtes vom 8.April 1987, ON 32, wird aufgehoben: dem Bezirksgericht Bruck an der Leitha wird die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens über den zuvor bezeichneten Antrag aufgetragen.
Text
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Im oben angeführten Strafverfahren wurde der am 21.November 1967 geborene Kurt I***, damals noch Jugendlicher (§ 1 Z 2 JGG), mit (in Rechtskraft erwachsenem) Urteil vom 16.Mai 1984 (ON 5) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs 1 StGB schuldig erkannt; gemäß § 13 (Abs 1) JGG wurde "vom Ausspruch" einer wegen dieser Jugendstraftat (§ 1 Z 3 JGG) über ihn zu verhängenden Strafe "abgesehen" und ihm eine Probezeit von drei Jahren "eingeräumt" (richtig: wurde der Ausspruch ... für eine Probezeit ... vorläufig aufgeschoben). Auf Grund zweier neuerlicher Verurteilungen des Genannten stellte der Bezirksanwalt in der Folge (gemäß § 46 Abs 4 JGG) den Antrag (ON 13 und 15) auf nachträgliche Straffestsetzung (§ 13 Abs 2 JGG). Darüber entschied das Bezirksgericht nach einer am 8.April 1987 in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführten "Hauptverhandlung" (ON 31) dahin, daß es ihn (wegen derselben Tat) abermals des Diebstahls schuldig erkannte und zufolge Bedachtnahme auf die beiden Zwischenverurteilungen "gemäß § 31 Abs 1 StGB von der Festsetzung einer Strafe absah" (ON 32). Auch diese Entscheidung ist (nach der Zustellung einer Urteilsausfertigung an Kurt I***) rechtskräftig geworden, doch standen die Urteilsfällung und die Durchführung der ihr vorausgegangenen Verhandlung mit dem Gesetz nicht im Einklang. Denn unbeschadet dessen, daß der Beschuldigte am 8.April 1987 das 18.Lebensjahr schon vollendet hatte, stellten sich diese Verhandlung und die Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Straffestsetzung als Fortsetzung jenes (auf Grund der bloß vorläufigen Aufschiebung des Strafausspruchs gemäß § 13 Abs 1 JGG weiterhin anhängig verbliebenen) Verfahrens dar, welches noch vor diesem Stichtag gegen ihn eingeleitet worden war
(vgl Mayerhofer/Rieder, Nebenstrafrecht2, ENr 3 zu § 13 JGG, ENr 9-12 zu § 46 JGG ua). Gemäß § 36 Abs 1 JGG waren daher in dieser Jugendstrafsache (§ 1 Z 4 JGG) die Bestimmungen des § 459 zweiter und dritter Satz StPO über die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Beschuldigten nicht anzuwenden; das trotz dessen Ausbleiben gefällte Urteil war darnach nichtig.
Demgemäß waren die insoweit aufgezeigten Gesetzesverletzungen in Stattgebung der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde wie im Spruch festzustellen und, weil sie dem Verurteilten - schon wegen der durch den urteilsmäßigen Ausspruch gemäß § 31 StGB im Vergleich zu einem späteren endgültigen Absehen von der Verhängung einer Strafe gemäß § 46 Abs 6 JGG, welches ansonsten weiterhin möglich geblieben wäre, ausgelösten Verzögerung einer künftigen Tilgung der Verurteilung (§ 2 Abs 2 TilgG) - zum Nachteil gereichten, nach § 292 letzter Satz StPO zu beheben. Im Hinblick auf die bereits deswegen vorgelegene Notwendigkeit einer Aufhebung des bekämpften Urteils hat sich die Generalprokuratur in Ansehung eines weiteren prozessualen Fehlers, der dem Bezirksgericht Bruck an der Leitha insofern unterlief, als es die Verhandlung und das Urteil über den Antrag nach § 46 Abs 4 JGG dem dritten Satz dieser Verfahrensbestimmung zuwider nicht auf die Straffrage beschränkte, sondern neuerlich einen Schuldspruch fällte, mit einem bloßen Hinweis auf die Gesetzwidrigkeit begnügt.
Bei der nochmaligen Entscheidung über den in Rede stehenden Antrag wird das Bezirksgericht zum einen auf die gesetzliche Befristung einer nachträglichen Straffestsetzung (§ 13 Abs 2 JGG) und zum anderen (gegebenenfalls) auf das Verschlimmerungsverbot (§§ 293 Abs 3, 290 Abs 2 StPO) zu achten haben.
Anmerkung
E13483European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0150OS00181.87.0126.000Dokumentnummer
JJT_19880126_OGH0002_0150OS00181_8700000_000