Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Müller und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alfred O***, Werksarbeiter, Thörl, Fölz 181, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei P***-W*** KG, Steirische Kettenfabriken, Kapfenberg, Mariazellerstraße 143, vertreten durch Dr. Heinz Kallan, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 2.001 brutto sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. August 1987, GZ 7 Ra 1056/87-13, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Graz vom 17. September 1986, GZ 2 Cr 149/86-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.332,32 (darin S 121,12 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit 7. Juli 1965 als Werksarbeiter beim Beklagten beschäftigt. Auf dieses Arbeitsverhältnis findet der Kollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie (im folgenden kurz KV) Anwendung. Der in Thörl wohnhafte Kläger hatte den Auftrag, am 10. Februar 1986 um
5.30 Uhr mit einem Klein-LKW der Beklagten von seinem Wohnort wegzufahren, den Arbeitskollegen Johann Gassner beim Werk Hansenhütte in Kapfenberg abzuholen und mit diesem weiter nach Wr. Neustadt zu fahren, um dort Kettenüberprüfungen vorzunehmen. Infolge außergewöhnlich ergiebiger Schneefälle und Lawinenabgänge war die Straße von Thörl nach Kapfenberg am 10. Februar 1986 nicht befahrbar und bis etwa 18.00 Uhr des folgenden Tages behördlich gesperrt. Es war an diesem Tag auch nicht möglich, über eine andere Straßenverbindung aus dem Raum Thörl-Aflenz nach Wr. Neustadt zu gelangen. Der Kläger hielt einige Male Rücksprache mit der Unternehmungsleitung der Beklagten und teilte mit, daß er die Dienstreise nicht antreten könne; er wolle zuwarten, bis ein Hinausfahren aus dem Raum Thörl möglich sei. Die Beklagte nahm dies zur Kenntnis.
Als sich am nächsten Tag die Gelegenheit bot, auf dem Umweg über den Prethalsattel hinauszufahren, ersuchte der Kläger einen in Graben wohnhaften Arbeitskollegen, ihn zu begleiten und trat die Dienstreise nach Einholung der Zustimmung der Beklagten um 14.00 Uhr an. Durch diese Verzögerung hatte der Kläger einen Entgeltausfall von S 2.001 brutto.
Abschnitt XVI KV enthält folgende die Entgeltfortzahlung bei
Arbeitsverhinderung betreffenden Bestimmungen:
"Andere Entgeltfälle (§ 1154 b ABGB)
Nach einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von 4 Wochen hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung des Verdienstes, wenn er durch folgende Fälle an der Leistung seiner Dienste gehindert wird:
6. bis 10. ... (diese Punkte beinhalten Fälle der Arbeitsverhinderung wegen familiärer Pflichten und wegen Teilnahme an Begräbnissen).
Bis zum Höchstausmaß von 40 Stunden innerhalb eines Dienstjahres hat der Arbeitnehmer auch Anspruch auf Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung des Verdienstes, wenn er durch andere wichtige, seine Person betreffende Gründe ohne sein Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Leistung seiner Dienste gehindert wird. Dies gilt insbesondere für nachstehende Fälle:
11. bis 15. ... (Aufzählung weiterer familiärer und persönlicher Hinderungsgründe).
Entgeltansprüche aus Gründen, die nicht vom Arbeitnehmer zu vertreten sind (§ 1155 ABGB):
16. Wird durch Umstände, die weder in der Person des Arbeitnehmers liegen noch von ihm zu vertreten sind, die gänzliche oder teilweise Stillegung des Betriebes, einzelner Abteilungen oder einzelner Arbeitsplätze notwendig und ist der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung bereit, so hat er bis zur Höchstdauer von 21 Tagen Anspruch auf 75 % seines Lohnes (Akkord-, Prämiendurchschnittsverdienst).
17. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsleistung durch Witterungseinflüsse nicht erbracht werden kann und diese Tatsache einvernehmlich zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat festgestellt wird.
18. Der Arbeitnehmer ist jedoch verpflichtet, bei Vorliegen der Voraussetzungen der Punkte 16. und 17. bei vollem Verdienstanspruch auch andere als seinem Arbeitsvertrag entsprechende, jedoch zumutbare Arbeiten zu verrichten.
19. Bei länger andauernden Arbeitsausfällen entfällt nach 21 Tagen jede Verdienstfortzahlung durch den Arbeitgeber.
20. Ansprüche im Sinne der Punkte 16. und 17. entstehen nicht, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung durch Elementarereignisse (höhere Gewalt) unmöglich wird."
Unter Hinweis auf Artikel XVI Z 10 KV (Generalklausel) begehrt der Kläger die Zahlung des der Höhe nach unbestrittenen Entgeltausfalls für den 10. und 11. Februar 1986.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei arbeitsbereit gewesen und habe seine Arbeitsleistung infolge äußerer Witterungseinflüsse nicht erbringen können. Sein Entgeltanspruch sei daher kein Problem des § 1154 b ABGB bzw. des Artikel XVI Z 10 KV, sondern allenfalls des § 1155 ABGB. Diese abdingbare Regelung habe in Artikel XVI Z 16 bis 20 KV eine nähere Ausgestaltung erfahren. Da die "Jahrhundertschneefälle" die Gesamtheit einer Region bzw. fast eines ganzen Bundeslandes betroffen hätten, handle es sich dabei um in Z 20 des Kollektivvertrags erwähnte Elementarereignisse (höhere Gewalt), so daß dem Kläger für die Zeit der Arbeitsbehinderung keine Entgeltansprüche zustünden.
Das Erstgericht sprach dem Kläger 75 % des Entgeltausfalls, das sind S 1.500,75 brutto sA zu und wies das Mehrbegehren von S 500,25 sA ab. § 1155 ABGB stehe dem Sachverhalt wesentlich näher als § 1154 b ABGB, der ebenso wie die Bestimmungen des Abschnittes XVI Z 6 bis 15 KV durchwegs Fälle betreffe, in denen der Arbeitnehmer durch ausschließlich seine Person betreffende Gründe an der Arbeitsleistung gehindert werde. Eine Hinderung durch außergewöhnliche Schneefälle falle nicht unter diese Bestimmungen. Gemäß Abschnitt XVI Z 16 und 17 KV gebühre dem Kläger aber 75 % seines Lohns, weil er die Arbeitsleistung wegen der Witterungseinflüsse nicht habe erbringen können. Eine einvernehmliche Feststellung dieser Tatsache durch Arbeitgeber und Betriebsrat erscheine entbehrlich, da die Behinderung durch die Straßensperren auf der Hand gelegen sei. Ein Elementarereignis, das gemäß Abschnitt XVI Z 20 KV auch diesen Anspruch ausschließe, sei nicht anzunehmen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht, wohl aber jener des Klägers Folge, sprach diesem denaeingeklagten Betrag von S 2.001 brutto sA zu und sprach weiters aus, daß die Revision gemäß § 46 Abs 2 Z 1 ASGG nicht zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger jederzeit den in seinem Wohnort abgestellten LKW erreichen und in Betrieb nehmen hätte können. Der Kläger sei daher nicht gehindert gewesen, sich an jener Stelle einzufinden, wo er arbeitsbereit zu sein hatte. Er sei der Beklagten zur Arbeitleistung zur Verfügung gestanden. An sich hätten vom Kläger zu vertretende Gründe im Sinne des § 1155 ABGB nicht vorgelegen. Der Kläger habe zwar auf seinen Einsatz warten müssen, doch habe die Beklagte seine Dienste entgegengenommen. Daraus folge, daß die Zeit, während der der Kläger die Dienstreise durchzuführen gehabt hätte, als Arbeitszeit im Sinne des § 2 AZG anzusehen sei und der Kläger seinen Anspruch auf Entgeltleistung unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag ableiten könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung behauptet, als Revisionsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil die Frage,
a) ob ein Elementarereignis, das den Arbeitnehmer hindert, eine aufgetragene Dienstreise anzutreten, ein Hinderungsgrund im Sinne des § 1154 b Abs 1 Satz 2 ABGB oder des § 1155 Abs 1 Satz 1 ABGB ist, und
b) ob ein über die Arbeitgebersphäre hinaus die Allgemeinheit in vergleichbarer Weise treffendes Elementarereignis die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach § 1154 b ABGB ausschließt, Rechtsfragen des materiellen Rechts von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG sind, zu denen eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt
(Kuderna ASGG § 46 Erl. 7 und 8 mwH).
Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Der Revisionswerberin ist lediglich darin beizupflichten, daß allein aus der Tatsache, daß der zur Dienstreise benötigte LKW im Wohnort des Klägers stand, keineswegs folgt, daß der Kläger seine Arbeitsleistung in Form der Arbeitsbereitschaft erbracht und die Beklagte diese entgegengenommen habe. Nach den Feststellungen war der Raum Thörl-Aflenz am 10. Februar 1986 von der Umwelt praktisch abgeschnitten. Bis 14.00 Uhr des folgenden Tages konnte der Kläger weder allein noch in Begleitung eines anderen Arbeitskollegen die ihm aufgetragene Dienstfahrt nach Wr. Neustadt antreten. Sein Auftrag erschöpfte sich nicht darin, den LKW in Betrieb zu nehmen - dies wäre ohne Fahrmöglichkeit sinnlos gewesen -, sondern bestand darin, mit den Prüfgeräten nach Wr. Neustadt zu fahren und dort eine Kettenüberprüfung durchzuführen. Der Durchführung dieses Auftrages standen die Witterungsverhältnisse entgegen. Dies traf auch auf andere Arbeitskollegen des Klägers zu, die nicht zum Unternehmen der Beklagten gelangen konnten.
Es stellt sich daher auch hier wie in den anderen die Beklagte betreffenden Fällen die Frage, ob die Generalklausel des Abschnittes XVI Z 10 KV, die sich mit der gesetzlichen Regelung des § 1154 Abs 1 Satz 2 ABGB deckt, zur Anwendung zu kommen hat. Wie der Oberste Gerichtshof in einer bisher noch nicht veröffentlichten Entscheidung bereits eingehend dargelegt hat (9 Ob A 202/87 mwH), sind "andere" wichtige Gründe im Sinne des § 1154 b Abs 1 Satz 2 ABGB, welche die Person des Arbeitnehmers betreffen, nicht nur solche, die in seiner Person entstanden sind, sondern auch Gründe, die seine Person "betreffend", also ihn angehen und ihn entweder durch ihre unmittelbare Einwirkung an der Arbeitsleistung hindern oder nach Recht, Sitte, oder Herkommen wichtig genug erscheinen, um ihn davon abzuhalten (Krejci in Rummel, ABGB § 1154 b Rz 10; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht 265; Rabofsky, ABGB und Arbeitsvertragsrecht4 217). In diesem Sinne ist ein Hinderungsgrund, der den Arbeitnehmer wegen unmittelbarer Einwirkung faktisch daran hindert, Arbeit zu verrichten, ebenfalls als wichtiger Grund anzuerkennen. So wurde etwa die vorübergehende Einstellung des zur Erreichung der Arbeitsstätte erforderlichen Massenverkehrsmittels (Arb. 4.990) oder ein Eisenbahnerstreik (Arb. 8.097; Krejci aaO Rz 13; Martinek-Schwarz, AngG6 254) als Hinderungsgrund im Sinne des § 1154 b Abs 1 Satz 2 ABGB gewertet. Da es nur auf die unmittelbare Einwirkung des Ereignisses auf den Arbeitnehmer ankommt und nicht auf das Entstehen des Ereignisses in seiner Person, ist es auch belanglos, ob ein derartiger Grund als Massenerscheinung, der auch andere Arbeitnehmer betrifft, auftritt (Krejci aaO Rz 13; 9 Ob A 202/87 mwH). Da der Kläger infolge der außergewöhnlichen Schneefälle nicht in der Lage war, die aufgetragene Dienstreise anzutreten, war er ohne sein Verschulden daran gehindert, die ihm aufgetragene Arbeitsleistung zu erbringen. Er ist daher entgegen der Ansicht der Revisionswerberin berechtigt, einen Hinderungsgrund im Sinne des § 1154 b ABGB für sich in Anspruch zu nehmen.
Wie der Obersten Gerichtshof in seiner Entscheidung 9 Ob A 202/87 weiters ausführte, haben die Elementarereignisse, welche den Kläger hinderten, den Arbeitsauftrag durchzuführen, im konkreten Fall nicht jenes Ausmaß erreicht, daß man von einer nicht mehr der Sphäre der Arbeitsvertragsparteien zuzurechnenden ausgedehnten "höheren Gewalt" sprechen könnte. Erst wenn ein Ereignis oder ein Umstand zwar auch auf Seite des Arbeitnehmers eintritt, jedoch in seinen Auswirkungen über die Arbeitgebersphäre hinaus in vergleichbarer Weise die Allgemeinheit trifft, ist es gerechtfertigt, von einer Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers abzusehen. Das ist etwa bei umfassenden Elementarereignissen, aber auch bei Seuchen, Krieg, Revolution und Terror, der sich nicht nur gegen das Unternehmen richtet, der Fall (Krejci in Rummel aaO Rz 18 zu § 1155; 9 Ob 202/87 mwH). Die witterungsbedingte Unmöglichkeit, die Dienstreise anzutreten, fiel daher noch in das betriebsspezifische Risiko der Beklagten, deren Betrieb in einem Gebirgstal der oberen Steiermark liegt, wo im Winter erfahrungsgemäß häufig mit starkem Schneefall gerechnet werden muß. Die auf § 1155 ABGB bezugnehmenden Regelungen des Abschnittes XVI Z 16, 17 und 20 KV beziehen sich nicht auf den gegenständlichen Fall, da diese Bestimmungen in Übereinstimmung mit § 1155 ABGB die Arbeitsbereitschaft (Verfügbarkeit) des Arbeitnehmers voraussetzen. Da der Kläger aber während des ihn betreffenden Hinderungszeitraumes überhaupt keine Möglichkeit eines allfälligen Arbeitseinsatzes hatte (vgl. Grillberger AZG § 2 Erl. 2.2.1 f; Cerny Arbeitszeitrecht2 AZG § 2 Erl. 1), kann seine Untätigkeit hinsichtlich des Übernommenen Arbeitsauftrages nicht als ein Zustand der Arbeitsbereitschaft angesehen werden. Die Unterlassung der Arbeitsleistung ist der Sphäre des Klägers und jener der Beklagten zuzurechnen, so daß ein Wegfall oder eine Minderung des Entgeltfortzahlungsanspruches im Sinne des § 1155 ABGB oder der darauf beruhenden Z 16 und 17 KV schon aus diesen Gründen nicht in Betracht kommt. Entscheidend ist die Verhinderung des Klägers an der Arbeitsleistung durch einen wichtigen, seine Person betreffenden Grund und damit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1154 b Abs 1 Satz 2 ABGB.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.
Anmerkung
E13381European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00027.88.0127.000Dokumentnummer
JJT_19880127_OGH0002_009OBA00027_8800000_000