Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johann Herbst und Reinhold Ludwig in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johanna H***, Pensionistin, 4311 Schwertberg, Furt 25, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei
P*** DER A***, 1092 Wien, Roßauer
Lände 3 (Landesstelle Linz), diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschuß, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. August 1987, GZ 13 Rs 1074/87-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14. Mai 1987, GZ 12 Cgs 23/87-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab 17. November 1985 den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:
Die Klägerin kann auf Grund ihres - im einzelnen
beschriebenen - körperlichen und geistigen Zustandes allein essen und trinken und sich einfache Mahlzeiten selbst zubereiten oder aufwärmen. Sie könnte unter Benützung eines Stockes auch einen mit einem Liter Wasser gefüllten Kochtopf mit einer Hand tragen und auch Geschirr abwaschen. Sie kann sich die Hände und das Gesicht allein waschen und sich allein frisieren. Beim Waschen erreicht sie auch die unteren Körperpartien, den linken Fuß jedoch nur unter Zuhilfenahme einer Stielbürste; dies ist ihr wegen der freien Beweglichkeit der Hände zuzumuten. Beim Duschen und beim Besteigen und Verlassen einer Sitzbadewanne benötigt sie eine Hilfsperson. Sie kann alleine auf das Klosett gehen und sich mit etwas vermehrtem Zeitaufwand unter Zuhilfenahme eines orthopädischen Hilfsinstrumentes allein aus- und anziehen. Einen zu Boden gefallenen Gegenstand könnte sie aus sitzender Haltung aufheben. Mit vermehrtem Zeitaufwand könnte sie auch leichte Aufräumearbeiten durchführen. Dabei sollte sie sich allerdings einer Standschaufel bedienen, damit sie sich hierauf beim Zusammenkehren des Kehrrichts mit einer Hand stützen kann. Sie kann ferner den Feuerbrand in einem Holz- oder Kohleofen allein unterhalten und einen solchen Ofen allein entaschen. Die kleine Wäsche könnte sie in einem Waschgefäß selbst waschen. Zum Waschen der Großwäsche, zum Herbeischaffen des Brennmaterials aus dem Vorratsraum und zum Tragen eines mit Wasser gefüllten Kübels benötigt sie ständig fremde Hilfe. Den täglichen Einkaufsweg zum nächsten Kaufmann, der sich in einer Entfernung von mehreren Kilometern befindet, könnte sie nicht mehr unternehmen. Die benötigten Grundnahrungsmittel besorgt ihre Schwester. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß die Klägerin nicht hilflos im Sinn des § 105 a ASVG sei, weil zwischen den erforderlichen Hilfeleistungen zeitlich größere Zeiträume lägen. Der Bedarf nach ständiger Beiziehung einer dritten Person sei daher nicht gegeben. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es sei zwar richtig, daß das tägliche Baden oder Duschen besonders in der warmen Jahreszeit dem modernen hygienischen Standard entspreche. Dies bedeute aber nicht, daß ein Pensionist, der an sich zur Ganzkörperreinigung imstande sei, dem Verkommen preisgegeben wäre, wenn er sich nur fallweise duscht oder nur fallweise ein Vollbad nimmt. Diese Verrichtungen seien auf kürzere Zeit durchaus aufschiebbar, weshalb der hiefür bestehende Bedarf nach Hilfe nicht ständig im Sinn des § 105 a ASVG sei. Dasselbe gelte für die Notwendigkeit einer gründlichen Reinigung des Zwischenraumes zwischen den Zehen. Alle jene Verrichtungen, welche die Klägerin alleine nicht vornehmen könne, ließen demnach einen gewissen Aufschub zu, weshalb eine Betreuungsperson nicht ständig vorhanden sein müsse. Ein Anspruch auf Gewähren des Hilflosenzuschusses bestehe daher nicht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben (richtig: das angefochtene Urteil abzuändern) und dem Klagebegehren stattzugeben. Hilfsweise wird beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an die Vorinstanzen zurückzuverweisen. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs
(JBl 1988, 64 uva) liegt Hilflosigkeit im Sinn des für die Klägerin maßgebenden § 105 a ASVG dann vor, wenn der Rentner oder Pensionist nicht in der Lage ist, auch nur einzelne dauernd wiederkehrende, lebenswichtige Verrichtungen selbst auszuführen. Aus der Höhe und dem Zweck des Hilflosenzuschusses ergebe sich allerdings, daß ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur dann angenommen werden könne, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Leistungsbeziehers üblicherweise aufzuwendenden und daher nicht bis ins einzelne, sondern nur überschlagsmäßig (vgl. § 273 ZPO) festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch wie der begehrte Zuschuß seien. Bei der Frage, ob es sich um notwendige Dienstleistungen handelt, müßten die dem Hilfsbedürftigen tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel berücksichtigt werden. Da auch von einem Hilflosen erwartet werden müsse, daß er einen Standard halte, der unter nicht hilflosen Beziehern gleich hoher Einkommen im selben Lebenskreis üblich sei, sei bei der Schätzung des Aufwandes für notwendige Dienstleistungen mindestens dieser Standard zugrundezulegen.
Das Berufungsgericht erkannte richtig, daß auch die Unfähigkeit, lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen, nur in dem Umfang Hilflosigkeit begründet, als der Ausfall der erforderlichen Wartung und Hilfe dazu führen würde, daß der Rentner oder Pensionist in absehbarer Zeit sterben oder verkommen oder gesundheitliche Schäden erleiden würde (ähnlich schon JBl 1988, 64 ua). Es kann deshalb unerörtert bleiben, ob das Baden oder Duschen durch eine auf eine andere Weise vorgenommene gründliche Reinigung des gesamten Körpers ersetzt werden kann und deshalb bei der Beurteilung der Frage, ob der Rentner oder Pensionist hilflos ist, als nicht lebensnotwendige Verrichtung überhaupt außer Betracht bleiben muß. Jedenfalls kann beides nur insoweit berücksichtigt werden, als der Rentner oder Pensionist sonst der Gefahr von gesundheitlichen Schäden ausgesetzt wäre. In diesem Sinn ist dem Berufungsgericht durchaus darin beizupflichten, daß für den Anspruch auf
Hilflosenzuschuß - abgesehen von einer medizinischen Notwendigkeit, für die hier kein Anhaltspunkt vorliegt - nicht davon ausgegangen werden kann, der Rentner oder Pensionist müsse täglich baden oder duschen. Der in der Revision unternommene Versuch, dem mit dem Hinweis auf den internationalen und auch in Österreich wünschenswerten Standard der Hygiene zu begegnen, überzeugt nicht, weil für den Hilflosenzuschuß, Hilflosigkeit nur insoweit berücksichtigt werden darf, als beim Unterbleiben der notwendigen Wartung und Hilfe gesundheitliche Schäden zu befürchten wären. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen gehören zu den für die Beurteilung der Hilflosigkeit allenfalls in Betracht kommenden Verrichtungen, welche die Klägerin nicht selbst ausführen kann, das Duschen oder Baden, das Waschen der Großwäsche, das Herbeischaffen des Brennmaterials aus dem Vorratsraum und das Einkaufen von Lebensmitteln. Alle diese Verrichtungen, ausgenommen das Herbeischaffen des Brennmaterials aus der Vorratskammer, sind nur in - mehr oder weniger großen - Zeitabständen notwendig. Dies gilt nicht nur, wie dargelegt, für das Baden oder Duschen, sondern wegen der heute üblichen Ausstattung der Haushalte mit Kühlschränken auch für die Besorgung von Lebensmitteln. Brennmaterial wiederum muß nur in der Heizperiode herbeigeschafft werden. Berücksichtigt man all dies und bedenkt man, daß die Mindesthöhe des Hilflosenzuschusses einschließlich der Sonderzahlungen in den Jahren 1985 bis 1987 im Durchschnitt monatlich etwa zwischen 2.600 S und 2.800 S betragen hätte, so ist auszuschließen, daß die Kosten, die der Klägerin entstanden wären, wenn sie sich bei den angeführten Verrichtungen einer Hilfskraft bedient hätte, den Betrag des begehrten Hilflosenzuschusses erreicht hätten. Im Sinne der angeführten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs waren daher nach den für die Entscheidung maßgebenden Verhältnissen zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses nicht erfüllt. Auf die in der Revision zur Kostenentscheidung des Berufungsgerichtes enthaltenen Ausführungen ist nicht einzugehen, weil diese Entscheidung nicht bekämpft werden kann (§ 2 Abs 1 ASGG iVm § 528 Abs 1 Z 2 ZPO).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Jedenfalls im Revisionsverfahren sind keine Umstände, insbesondere auch nicht rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens, hervorgekommen, die aus Gründen der Billigkeit den Zuspruch von Kosten an die Klägerin rechtfertigen könnten.
Anmerkung
E13423European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00146.87.0209.000Dokumentnummer
JJT_19880209_OGH0002_010OBS00146_8700000_000