Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Werner R***, Autolackierer, An-der-Lan-Straße 52, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Martin Stoll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien
1.) Oskar H***, Krankenpfleger, Am Bahnhof 11, D-8951 Ruderatshofen, Bundesrepublik Deutschland, und 2.) VERBAND DER V*** Ö***, Schwarzenbergplatz 7, 1040 Wien, beide vertreten durch Dr. Hans Peter Ullmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Zuerkennung einer Rente sA (Streitwert 100.800 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 6. Oktober 1987, GZ 1 R 261/87-13, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 26. August 1987, GZ 9 Cg 54/87-9, berichtigte Urteil desselben Gerichtes vom 7. August 1987, GZ 9 Cg 54/87-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Beklagten haften dem Kläger zur ungeteilten Hand für alle Schäden, die dieser aufgrund des Verkehrsunfalles vom 5. September 1983 erlitten hat und in Zukunft noch erleiden wird (Urteil des Landesgerichtes Innsbruck 9 Cg 359/84). Bei diesem Unfall erlitt der Kläger eine schwere Schädelhirnverletzung sowie eine schwere offene Verletzung des Handgelenks. Als Dauerfolge verblieb ein Verlust des Geruchssinns sowie eine Wesensveränderung im Sinne eines organischen Psychosyndroms. Weiters verblieb dem Kläger eine verminderte Beweglichkeit und Belastbarkeit des verletzten Handgelenks. Es liegt bei ihm eine 40 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit vor. Der Kläger, von Beruf Autolackierermeister, war zur Unfallszeit bei der "Firma" B***, wo er erst kurz vor dem Unfall zu arbeiten begonnen hatte, beschäftigt. Ab Wiedererlangung seiner (begrenzten) Arbeitsfähigkeit war er bei der "Firma" S*** beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und S*** wurde auf Wunsch des Dienstgebers (im beiderseitigen Einvernehmen) aufgelöst. Hauptursächlich dafür war die sich im Laufe des Dienstverhältnisses zwar bessernde, aber bis zuletzt weiter bestehende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Klägers durch die verminderte Beweglichkeit seines Handgelenks, insbesondere aber auch seine Aggressivität, die dazu führte, daß er immer wieder in Konfliktsituationen mit seinem Arbeitgeber kam. Diese Aggressivität des Klägers ist auf seine unfallkausale Affektlabilität zurückzuführen. Vor dem Unfall wies der Kläger zumindest nicht ein so aggressives Wesen auf, daß es immer wieder zu Schwierigkeiten an seinem Arbeitsplatz geführt hätte. In der Folge arbeitete der Kläger bei der "Firma" M*** in Innsbruck, wo er auf Grund seines aggressiven Verhaltens gegenüber seinem Arbeitgeber und nachdem er sich geweigert hatte, einen dienstlichen Auftrag auszuführen, entlassen wurde. Seit Juli 1986 ist der Kläger bei der P*** I*** GesmbH in Innsbruck beschäftigt. Bei diesem Dienstgeber war zum Zeitpunkt der Anstellung des Klägers dessen Behinderung des rechten Handgelenkes bekannt. Diese Behinderung wirkt sich so aus, daß der Kläger bei längeren Lackierarbeiten schon wegen des Gewichtes der Lackierpistole, die in gefülltem Zustand ca. 1 kg wiegt, und die mit dem gestreckten Arm gehalten werden muß, Beschwerden hat, so daß er immer wieder, um die rechte Hand zu entlasten, verstärkt die linke Hand einsetzen muß. Der Kläger ist Rechtshänder und daher mit der linken Hand nicht so geübt. Er kann bestimmte Drehbewegungen mit dem rechten Handgelenk nicht ausführen und muß daher immer wieder einen Kollegen beiziehen. Die interne Arbeitseinteilung bei der P*** I*** GesmbH ist so, daß der Kläger abwechselnd zu Lackiererarbeiten und zu Schleifarbeiten herangezogen wird. Insbesondere bei Schleifarbeiten wirkt sich seine verminderte Belastungsfähigkeit aus; er leidet immer wieder an Schmerzen an der rechten Hand; häufig hat er am Abend geschwollene Finger und muß diese mit Kamillenbädern behandeln. Von Seiten des Herstellerwerks sind bestimmte Arbeitszeiten für die einzelnen Lackierarbeiten vorgegeben. Da der Kläger zwischendurch immer wieder wegen Schmerzen oder Ermüdung seiner Hand Pausen einlegen muß, kommt es bei größeren Schleif- oder Lackierarbeiten immer wieder vor, daß er mit der vorgegebenen Zeit nicht auskommt. Von seinem Vorgesetzten wurde dem Kläger noch nie bedeutet, daß sich seine Arbeitsleistung bessern müsse, ansonsten er mit seiner Kündigung rechnen müßte. Ihm wurde aber zu verstehen gegeben, daß eine Verschlechterung seiner Arbeitsleistung nicht hingenommen werde. Der Kläger, der nun bei seinem Dienstgeber Leiter der Lackiererei ist, muß sich somit vermehrt anstrengen, um seine Beeinträchtigung einigermaßen auszugleichen. So lange die Auftragslage bei der P*** I*** GesmbH gleichbleibend gut ist und sich das wirtschaftliche Gesamtergebnis der Lackierarbeit nicht verschlechtert und so lange die Minderleistung des Klägers durch besonders gute Leistungen seiner Mitarbeiter ausgeglichen wird, besteht seitens des Dienstgebers des Klägers keine Absicht, diesen zu kündigen. Würde sich aber die Auftragslage der P*** I*** GesmbH oder das Gesamtergebnis der Lackierabteilung verschlechtern, so wäre der Kläger derjenige, der als erster mit einer Kündigung zu rechnen hätte, zumal bei Beanstandungen des Arbeitsergebnisses der Lackierabteilung die Mitarbeiter des Klägers immer wieder darauf hinweisen, daß er derjenige sei, der keine volle Arbeitsleistung erbringe. In der Lackierabteilung der P*** I*** GesmbH ist der Kläger der einzige Lackierermeister; außer ihm gibt es noch einen Gesellen. Der monatliche Bruttoverdienst des Klägers beträgt
20.500 S, was einem monatlichen Nettoeinkommen von 13.314 S und unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen einem Durchschnittseinkommen von 15.985 S entspricht.
Mit der am 17. Februar 1987 erhobenen Klage begehrte Werner R*** von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Bezahlung einer (abstrakten) Rente in der Höhe von 2.800 S monatlich. Bei ihm liege eine 40 %ige Minderung der Erwerbstätigkeit vor. Nach Erlangung der Arbeitsfähigkeit habe er bei mehreren Unternehmen gearbeitet. Auf Grund seiner Behinderungen, insbesondere auch seiner Affektlabilität, sei er entlassen worden bzw. seien die Arbeitsverhältnisse beendet worden. Wegen seiner verbliebenen Behinderung sei seine Arbeitsleistung sehr eingeschränkt. Er könne dies nur teilweise durch besonderen Fleiß und besondere Mühe wettmachen, jedoch nicht allen Arbeitserfordernissen nachkommen. Infolge seiner Affektlabilität sei er für seine Mitarbeiter eine große Belastung, er müsse auch mehr Arbeitskraft und Arbeitszeit aufwenden und verbrauche sich daher wesentlich rascher. Da er nicht in der Lage sei, eine gesunde Arbeitskraft vollständig zu ersetzen, wäre sein Arbeitsplatz auch derzeit im Rahmen seiner Beschäftigung als erster gefährdet. Er müsse damit Vorsorge treffen, falls er seinen Arbeitsplatz in Zukunft verliere; es werde dann für ihn schwer oder aussichtslos sein, eine andere Arbeitsstelle zu finden. Die Beklagten anerkannten ihre Haftung dem Grunde nach, beantragten jedoch die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Voraussetzungen für den Zuspruch einer abstrakten Rente nicht gegeben seien. Eine Einkommensminderung sei bei dem Kläger in Zukunft nicht wahrscheinlich. Die verbliebenen Behinderungen seien geringgradig, der Kläger habe sich auch problemlos in den Arbeitsprozeß wieder eingliedern lassen können; er bekleide jetzt sogar eine bessere Stellung als vor dem Unfall.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt. Es erachtete die Voraussetzungen für die Gewährung einer abstrakten Rente als gegeben. Der Kläger müsse sich einerseits im Vergleich zu seinem Einsatz vor dem Unfall vermehrt anstrengen; anderseits sei er aufgrund seiner Behinderung bei der Arbeitsplatzsuche gegenüber gesunden Mitbewerbern benachteiligt und drohe ihm im Falle eines Arbeitsmangels eher die Gefahr, seine Stellung zu verlieren, als dies bei einem körperlich gesunden Arbeitnehmer der Fall sei. Es lägen daher die von der Judikatur geforderten konkreten Umstände vor, die den Verlust des Arbeitsplatzes und eine damit verbundene Einkommenseinbuße als wahrscheinlich erscheinen ließen. Der Kläger sei nicht nur körperlich behindert; darüberhinaus lägen bei ihm auch psychische Dauerfolgen vor, die bereits zweimal zum Verlust eines Arbeitsplatzes geführt hätten. Der Kläger müßte zweifellos nicht nur dann, wenn sich seine Arbeitsleistung weiter verringern würde, mit einer Kündigung rechnen, es drohe ihm vielmehr auch aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigung eine solche in Zukunft. Der Umstand, daß der Kläger einen derzeitigen Mangelberuf innehabe, hätte ihn wohl schon bisher nicht davor bewahrt, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Die Ausübung eines Mangelberufes sei damit kein Argument gegen die Annahme der Gefahr eines abermaligen Verlustes des Arbeitsplatzes. Es sei beim Kläger nicht nur eine theoretische, sondern eine konkret gegebene Wahrscheinlichkeit, daß er aus unfallskausalen Gründen seinen Arbeitsplatz wieder verlieren und nicht sofort einen neuen finde werde.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Parteien Folge, änderte die erstgerichtliche Entscheidung im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab und ließ die Revision zu. In Erledigung der allein erhobenen Rechtsrüge der Beklagten ging das Berufungsgericht unter Hinweis auf die in ZVR 1977/300 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes aus, daß die abstrakte Rente nicht nur eine Ausgleichsfunktion, sondern auch eine Sicherungsfunktion habe und nur dann gebühre, wenn beide Voraussetzungen für den nach Schluß der Verhandlung erster Instanz liegenden Zeitraum bejaht werden könnten. Für den Zuspruch der Rente genüge daher nicht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin oder eine bloße Erschwernis der Arbeit, wie dies beim Kläger wohl gegeben sei, es müsse vielmehr auch eine Einkommensminderung wegen der unfallsbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch zumindest wahrscheinlich sein (ZVR 1985/11, 1984/325, 1977/232 und 300, RZ 1982/9 uva). An einer konkreten Gefährdung des Arbeitsplatzes fehle es derzeit, sodaß die abstrakte Rente nicht zuerkannt werden könne. Sollte der Kläger wegen seiner Verletzungsfolgen in Zukunft einmal - derzeit noch nicht konkret vorhersehbar - seinen Arbeitsplatz verlieren und einen unfallsbedingten tatsächlichen Verdienstentgang erleiden, könnte er diesen immer noch aufgrund der festgestellten Haftung der Beklagten geltend machen.
Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß der festgestellte Sachverhalt wohl an die Grenze der Erfüllung der Voraussetzungen für die Gewährung einer abstrakten Rente heranreiche, diese Grenze aber eben noch nicht überschreite. Es erscheine aber im vorliegenden Fall gerechtfertigt, dem Obersten Gerichtshof aufgrund seiner Leitfunktion für eine einheitliche Rechtsprechung die letzte Entscheidung in dieser Rechtssache zu überlassen.
Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne der Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung in erster Linie die Zurückweisung der Revision, andernfalls ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht zulässig.
Der Oberste Gerichtshof hat auch bei der Entscheidung über eine ordentliche Revision - im Zulassungsbereich gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO - zunächst zu prüfen, ob die Revision nach dieser Bestimmung überhaupt zulässig ist. Das Revisionsgericht ist hiebei nicht an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 3 ZPO gebunden (§ 508 a Abs 1 ZPO).
Von entscheidender Bedeutung für den vorliegenden Rechtsstreit ist vor allem der Umstand, daß das Berufungsgericht die von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entwickelten Grundsätze für die Gewährung einer abstrakten Rente richtig wiedergegeben hat und der Revisionswerber lediglich die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes bekämpft, im vorliegenden Fall fehle es an der Sicherungsfunktion. Das Berufungsgericht hat indes zutreffend erkannt, daß die Sicherungsfunktion der Rente nur dann als gegeben angenommen werden kann, wenn für den nach Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz liegenden Zeitraum eine Einkommensminderung wegen der unfallsbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch wahrscheinlich ist (über die vom Berufungsgericht angeführte Rechtsprechung hinaus weiters ZVR 1985/48; 8 Ob 25/87; 8 Ob 52/87; 2 Ob 6/87), mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt zusammenhängende konjunkturbedingte Umstände daher außer Betracht zu bleiben haben. Hängt die Beurteilung einer im Zulassungsbereich liegenden Rechtssache - so wie im vorliegenden Fall - von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab, so kann es keine einheitliche und gesicherte Rechtsprechung dazu geben, und hat die Zulässigkeit der Revision zur Voraussetzung, daß im Einzelfall dargetan wird, aus welchen Gründen der Entscheidung über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung zukommt. Dies wurde im vorliegenden Fall aber nicht dargetan. Der vom Berufungsgericht für die Zulassung der Revision angeführten und vom Revisionswerber auch relevierten Frage, ob die für den Zuspruch der abstrakten Rente erforderlichen Voraussetzungen hier nicht doch noch gerade als erfüllt angesehen werden können, kommt eine solche beispielgebende Bedeutung nicht zu. Schließlich kann auch nicht gesagt werden, daß die Zulassung der Revision aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit erforderlich wäre, weil doch nicht übersehen werden darf, daß die Zuerkennung einer abstrakten Rente ohne konkreten Entgang rechtsvergleichend ohne Beispiel ist, sodaß eine eher restriktive Handhabung angezeigt erscheint (1 Ob 575/87), einer Tendenz, zu der die Rechtsprechung in jüngster Zeit neigt und in deren Rahmen sich auch die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz hält.
Damit zeigt sich aber, daß die Revision vom Berufungsgericht gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zuzulassen gewesen wäre und sie daher als unzulässig zurückgewiesen werden muß.
Kosten für die Revisionsbeantwortung wurden nicht verzeichnet.
Anmerkung
E13368European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0080OB00088.87.0209.000Dokumentnummer
JJT_19880209_OGH0002_0080OB00088_8700000_000