Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Vormundschaftssache der mj. Carmen S***, geboren am 9. Oktober 1985, infolge Revisionsrekurses der Mutter und Vormünderin Eva S***, Angestellte, Innsbruck, Leopoldstraße 46, vertreten durch Dr. Gertraud Kapferer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 20. November 1987, GZ 2 b R 179/87-40, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 5. Oktober 1987, GZ 2 P 3/87-33, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die mj. Carmen S*** ist das außer der Ehe geborene Kind der Eva S*** und des Mag. Klaus S***. Die Mutter, in deren Pflege sich das Kind befindet, wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 27. März 1986 (ON 3) zur Vormünderin bestellt (§ 198 Abs. 2 ABGB). Der Vater begehrte, sein Recht auf persönlichen Verkehr mit der Minderjährigen in der Weise gerichtlich zu regeln, daß er das Kind an jedem ersten Samstag und an jedem dritten Sonntag im Monat jeweils in der Zeit von 12.00 Uhr bis 18.00 Uhr zu sich nehmen und an jedem Donnerstag in der Zeit von 17.00 Uhr bis 20.00 Uhr im Haushalt der Mutter besuchen könne (ON 4). Die Mutter stellt demgegenüber den Antrag, das Besuchsrecht des Vaters für mindestens 3 Jahre zu untersagen oder es doch dahin einzuschränken, daß er dieses Recht nur in ihrer Wohnung und in ihrer Gegenwart an jedem ersten Freitag eines Monats zwischen 15.00 Uhr und 17.00 Uhr ausüben dürfe (ON 6).
Mit Beschluß vom 19. März 1987 (ON 19) räumte das Erstgericht dem Kindesvater das Recht auf einen wöchentlichen Besuch der Minderjährigen an jedem Samstag in der Zeit von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr ein; es sprach aus, daß der Vater berechtigt sei, das Kind jeweils zu Beginn der Besuchszeit von der Wohnung der Mutter abzuholen, und verpflichtet sei, es jeweils zum festgesetzten Ende der Besuchszeit dorthin zurückzubringen; die Mutter wiederum sei verpflichtet, das Kind jeweils am Beginn der Besuchstermine ausgehbereit zu halten und es dem Vater so zu übergeben; sollte der Besuchsberechtigte sein Recht nicht binnen einer Stunde ab Besuchsbeginn ausüben, so werde angenommen, daß er für diesen Tag darauf ersatzlos verzichte. Der Antrag des Vaters auf ein weitergehendes Besuchsrecht und jener der Mutter, dem Vater das Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind gänzlich zu entziehen, wurden abgewiesen.
Infolge Rekurses der Mutter, die verschiedene Neuerungen vorgebracht hatte, hob das Gericht zweiter Instanz diesen - in seinem das Mehrbegehren des Vaters abweisenden Ausspruch unbekämpft gebliebenen - Beschluß auf und verwies die Sache an das Erstgericht mit dem Auftrag zurück, die Vorwürfe der Rechtsmittelwerberin, der Vater habe an der Minderjährigen unzüchtige Handlungen vorgenommen, zu prüfen (ON 24).
Mit Beschluß vom 5. Oktober 1987 (ON 33) regelte das Erstgericht das Besuchsrecht des Vaters in derselben Weise wie im Beschluß ON 19. Es traf folgende Feststellungen:
Der Vater Klaus S*** ist kaufmännischer Angestellter bei der T*** A*** und verdient netto cirka S 17.500. Er wohnt in Innsbruck, Mandelsbergerstraße 8, und kommt seiner Unterhaltsverpflichtung regelmäßig und pünktlich nach. Er lebte mit der Mutter der Minderjährigen bis zum 25. November 1986 in Lebensgemeinschaft zusammen. Zu seiner Tochter, der mj. Carmen S***, hatte er normalen familiären Kontakt; er war mit der Kinderpflege vertraut und hat sich mit der Minderjährigen viel und liebevoll beschäftigt. Am 25. November 1986 zog die Mutter mit ihrem Kind zur mütterlichen Großmutter nach Innsbruck, Leopoldstraße 46;
daraufhin verwehrte sie dem Vater zwar nicht zur Gänze den Besuch des Kindes, gestattete ihm aber nicht, das Kind zu sich zu nehmen. Die Mutter war Sekretärin bei der T*** G***;
sie hat derzeit ihre Arbeit aufgegeben, um sich voll und ganz dem Kind widmen zu können. Die Minderjährige lebt jetzt mit der Mutter bei der Großmutter. Sie ist psychisch und physisch gesund und hat eine gute Beziehung zu ihrem Vater. Es besteht ein positives Potential einer hinreichend fortgesetzten Vater-Kind-Beziehung nach Auflösung der Lebensgemeinschaft der Eltern. Die Unterbindung des Kontaktes der nun zwei Jahre alten Carmen S*** zu ihrem Vater treffe als Leidtragende das Kind. Durch die Besuche beim Vater wird der Minderjährigen nicht mehr zugemutet, als sie verarbeiten kann, aber auch nicht weniger an sie herangetragen, als sie für ihre weitere emotionale Entwicklung braucht. Dem Kind soll erspart bleiben, ohne Vaterbild aufzuwachsen; dies kann nur der ständige Kontakt zum Vater auch nach Auflösung der Familie gewährleisten. Die Bedeutung, die das kindliche Bedürfnis nach Dauerzuständen und Beziehungskontinuität zum leiblichen Vater für seine weitere tiefe soziale Entwicklung hat, ist unbestritten. Weder das Gefühlsleben noch das Verständnis des Kleinkindes reichen aus, um eine längerfristige Abwesenheit des Vaters erträglich zu machen. Die Pflege der vorhandenen Zuneigung zu ihm ist dem Charakter des Kindes förderlich und von großem ideellem Vorteil. Der Minderjährigen soll das sichere Wissen um die Liebe und Fürsorge beider Eltern gegeben werden; sie soll die Chance bekommen, sich in und mit ihrer Beziehung zu beiden Elternteilen zu entwickeln. Trotz der Veränderung, die die elterliche Trennung mit sich brachte, sollte möglichst umfassend an der bisherigen Erfahrungs- und Lebenswelt des Mädchens angeknüpft werden. Um einer Entfremdung zwischen Vater und Tochter entgegenzuwirken, ist es wichtig, die natürliche Verbindung alsbald durch Besuche, die ihrer Art und Dauer nach hiezu geeignet sind, herzustellen. Die Sicherung der Aufrechterhaltung der an sich guten, gemüthaften Vater-Tochter-Beziehung durch häufige, kürzere, d. h. wöchentliche, Kontakte an jedem Samstagnachmittag für etwa vier Stunden entspricht sowohl der Berücksichtigung sämtlicher psychischer Realitäten als auch der Bewahrung der Vater-Kind-Einheit. Eine solche Besuchsregelung hätte günstige Auswirkungen auf die tiefe soziale Entwicklung des Kindes in seiner momentanen Entwicklungsphase und auch für die nächsten zwei bis drei Jahre.
Der Vater, der mit dem Kind seit dessen Geburt vertraut ist, ist in der Lage, den Anforderungen, die an eine Betreuungsperson eines Mädchens im Alter der Minderjährigen gestellt werden, nachzukommen. Wird ihm das Kind ordnungsgemäß versorgt übergeben, dann kann er innerhalb der nächsten vier Stunden auch möglicherweise auftretenden Bedürfnissen des Kindes in sachgerechter Weise nachkommen. Die väterliche Besuchsausübung ist somit keineswegs an die Anwesenheit der Mutter gebunden. Um das Kleinkind nicht psychisch und physisch zu überfordern, ist derzeit lediglich eine Trennung des Kindes von der Mutter für wenige Stunden gerechtfertigt. In dieser Zeit besteht eine ausreichende Möglichkeit des Vaters zu gemeinsamen Unternehmungen mit seinem Kind.
Der Vater hängt sehr an seinem Kind und leidet darunter, daß er seine Tochter nicht sehen kann, weil ihm Besuche von der Mutter des Kindes verwehrt werden. Er ist sich der Verantwortung für sein Kind, für dessen Sorge und für seine Entwicklung durch regelmäßige Kontakte mit ihm, bewußt. In der Vergangenheit traten beim Kontakt Vater-Tochter keinerlei Unzulänglichkeiten von Gewicht zutage; solche sind auch für die Zukunft nicht zu besorgen. Insbesondere hat sich der Vater nie unsittlich an seiner Tochter vergangen. Er weist keinerlei gestörtes sexuelles Verhalten und daher auch kein in dieser Hinsicht beeinträchtigtes Verhältnis zu seiner mj. Tochter auf.
Rechtlich meinte das Erstgericht, daß eine gänzliche Untersagung des Besuchsrechtes nach § 148 Abs. 1, letzter Halbsatz, ABGB nur unter besonders schwerwiegenden Umständen in Betracht käme, und zwar ua. dann, wenn ernstlich die Gefahr bestünde, daß das Kind durch solche Besuche seelischen Schaden erleiden oder körperlich gefährdet würde. Derartige Gründe lägen nicht vor; die getroffene Besuchsrechtsregelung entspreche vielmehr dem Wohl des Kindes. Das Rekursgericht bestätigte - nach einer von ihm veranlaßten Ergänzung des Beweisverfahrens durch das Erstgericht (ON 38 und 39) - diesen Beschluß. Auch nach der ergänzenden Beweisaufnahme ergebe sich keinerlei Anlaß, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzugehen. Die Ausübung des Besuchsrechtes diene in erster Linie dem Kindeswohl und der Aufrechterhaltung der auf Blutsverwandtschaft beruhenden Beziehungen; demgegenüber hätten die Eigeninteressen der Eltern zurückzutreten. Aufgabe des erziehungsberechtigten Elternteils sei es unter anderem, die Besuchsrechtsausübung zu ermöglichen; die Rekursausführungen der Mutter, sie würde durch die getroffene Besuchsrechtsregelung in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt, seien daher unbeachtlich. Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter der Minderjährigen wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit und Nullität.
Nach Meinung der Rekurswerberin stehe die angefochtene Entscheidung mit den Grundprinzipien des Rechtes im Widerspruch, werde doch von ihr das Wohl des Kindes ganz außer acht gelassen.
§ 148 Abs. 1 ABGB ordne eindeutig an, daß die Ausübung des Besuchsrechtes ganz zu untersagen sei, wenn die Beziehungen des Kindes zu dem Elternteil, bei dem es aufwachse, unerträglich gestört würden. Eine solche Untersagung könne auch dann erfolgen, wenn die psychische oder physische Integrität des Kindes bedroht sei oder sonst das Wohl des Kindes eine solche Maßnahme unumgänglich mache. Sowohl aus dem Vormundschaftsakt als auch aus den diesem angeschlossenen Strafakten gehe aber hervor, daß sich die Spannungen zwischen den Elternteilen auch in Anwesenheit des Kindes entlüden und "strafgerichtliche Konsequenzen" nach sich zögen. Strafgerichtliche Verurteilungen müßten nicht vorliegen, um das Besuchsrecht zu versagen; vielmehr genügten schon die "mehrfach beschriebenen, wohl schwerwiegenden Vorfälle".
Mit diesen Ausführungen zeigt die Rechtsmittelwerberin keine offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 AußStrG auf. Dieser Anfechtungsgrund liegt nur dann vor, wenn die für die Entscheidung maßgebliche Frage im Gesetz ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß die Absicht des Gesetzgebers nicht bezweifelt werden kann, und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde; der Begriff der offenbaren Gesetzwidrigkeit ist daher insbesondere nicht mit dem der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gleichzusetzen (SZ 39/103 uva). Ein Beschluß, mit dem das Recht des Elternteils, dem nicht die Pflege und Erziehung des minderjährigen Kindes zusteht, mit dem Kind persönlich zu verkehren, ohne Rücksicht auf das Wohl des Kindes gefaßt würde, wäre zwar im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 148 Abs. 1 ABGB offenbar gesetzwidrig; davon kann aber hier keine Rede sein. Beide Vorinstanzen haben ihre Entscheidung damit begründet, daß die getroffene Besuchsrechtsregelung dem Wohl des Kindes entspreche. Sie stützen sich dabei auf die - für den Obersten Gerichshof
bindenden - Feststellungen, wonach die Aufrechterhaltung der Verbindung zum Vater für die Entwicklung der Minderjährigen von Vorteil sei und beim Kontakt zwischen Vater und Tochter keine irgendwie erheblichen Unzulänglichkeiten zutage getreten seien; insbesondere habe sich der Vater nie unsittlich an seiner Tochter vergangen, und er weise überhaupt kein gestörtes sexuelles Verhalten auf. Soweit sich die Rechtsmittelausführungen von diesem festgestellten Sachverhalt entfernen, ist auf sie nicht einzugehen. Daß durch die Besuche des Vaters die Beziehungen der Minderjährigen zur Mutter unerträglich gestört würden - etwa durch negative Beeinflussung ("Verhetzung") des Kindes durch den Vater (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 148 ABGB) -, ist nicht hervorgekommen. Auch die Auffassung, daß das schlechte Verhältnis zwischen den Eltern, das insbesondere in Vorwürfen der Mutter gegen den Vater, er habe sich strafbarer Handlungen gegen das Kind schuldig gemacht, ihren Ausdruck findet, keinen Grund bildet, dem Vater die Ausübung seines Besuchsrechtes zu untersagen, steht nicht im Widerspruch zu einer klaren gesetzlichen Regelung. Dasselbe gilt für die Rechtsmeinung des Rekursgerichtes, der Einwand der Mutter, sie würde durch die getroffene Besuchsrechtsregelung in ihrer "Freizügigkeit" beeinträchtigt, sei unbeachtlich, weil die persönlichen Interessen des erziehungsberechtigten Elternteils gegenüber dem Besuchsrecht des Vaters und dem Wohl des Kindes zurückzutreten hätten. Als Nichtigkeit macht die Mutter geltend, daß der Beschluß, mit dem das Erstgericht ein psychiatrisches Gutachten angeordnet habe, weder begründet noch den Parteien zugestellt worden sei. Da sie einer psychiatrischen Befragung unterzogen worden sei, habe sie sicher ein Recht darauf zu erfahren, warum ein solcher Eingriff in ihre persönliche Integrität geschehe. Auch eine mündliche Verhandlung sei unterblieben. Die dem Erstrichter vom Gericht zweiter Instanz aufgetragene Vernehmung der Mutter sei durch einen Rechtspraktikanten vorgenommen worden. Damit werde der Rekurswerberin weiterhin verwehrt, mit dem Vormundschaftsrichter in Kontakt zu treten, während dies dem Vater jederzeit ermöglicht werde. Dem kann nicht gefolgt werden:
Rechtliche Beurteilung
Nur Verfahrensverstöße von einschneidender Bedeutung begründen Nichtigkeit im Sinne des § 16 Abs. 1 AußStrG; dazu gehört, wie sich aus Art. 6 Abs. 1 MRK und aus § 477 Abs. 1 Z 4 ZPO ergibt, insbesondere die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Gericht hat daher den Parteien Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekanntzugeben und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dazu Stellung zu nehmen; die Entscheidung darf sich nur auf solche Tatsachen stützen, zu denen die Parteien Stellung nehmen konnten (EvBl. 1982/120 mwN). Das Recht der Mutter auf rechtliches Gehör ist jedoch hier nicht verletzt worden: Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war nicht geboten. Daß ihr der Sachverständigenbestellungsbeschluß ON 30 nicht zugestellt wurde, hat ihr nicht die Möglichkeit genommen, sich zum Ergebnis des Gutachtens zu äußern; insbesondere hatte sie im Rekurs, für den kein Neuerungsverbot gilt (§ 10 AußStrG), Gelegenheit dazu (EFSlg. 37.153 uva). Sie ist schließlich auf Anordnung des Rekursgerichtes auch persönlich vernommen worden (ON 38). Für die Verwertbarkeit ihrer Aussage durch das Rekursgericht kann es keinen Unterschied machen, ob der Erstrichter selbst oder ein Rechtspraktikant unter seiner Anleitung die einzelnen Fragen an die Mutter gestellt und ihre Antworten protokolliert hat. Das Rekursgericht hat bei seiner Entscheidung auf diese Aussage Bedacht genommen; ihm ist daher keine Nichtigkeit unterlaufen. Der von der Rechtsmittelwerberin zitierten Entscheidung EvBl. 1982/120 lag ein anderer Sachverhalt zugrunde; dort hatte das Rekursgericht wesentliche zusätzliche Feststellungen auf Grund von Erhebungen des zuständigen Jugendamtes getroffen, ohne daß es der hiedurch belasteten Partei möglich gewesen wäre, jemals dazu Stellung zu nehmen.
Da somit keiner der in § 16 Abs. 1 AußStrG aufgezählten Anfechtungsgründe vorliegt, war der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.
Anmerkung
E13193European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00510.88.0209.000Dokumentnummer
JJT_19880209_OGH0002_0040OB00510_8800000_000