TE OGH 1988/2/10 9ObS42/87

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.02.1988
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Theodor Zeh und Franz Breit als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl P***, Neukirchen, Gmundnerberg 153 (im Revisionsverfahren nicht vertreten), wider die beklagte Parei A***

U***, Wien 20, Adalbert Stifter-Straße 65,

vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. September 1987, GZ 12 Rs 1097/87-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14. April 1987, GZ 25 Cgs 13/87-9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Kläger arbeitete im März 1986 im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses auf einer Baustelle in Salzburg. Es war jedem Dienstnehmer überlassen, ob er von den jeweiligen Baustellen nach Hause fahren oder in der Nähe der Baustelle in einem gemieteten Zimmer nächtigen wollte. Der Kläger hatte ein Zimmer in Salzburg und fuhr in der Regel nur an den Wochenenden nach Hause. Seine Arbeitskollegen Manfred H*** und Werner S*** hatten mit dem Arbeitskollegen A*** eine Fahrgemeinschaft gebildet. A*** wohnte in Vöcklabruck, H*** in St. Georgen. Die Fahrgemeinschaft wurde so gestaltet, daß an einem Tag A*** seinen Arbeitskollegen H*** in St. Georgen abholte und mit dem Auto nach Salzburg mitnahm; am nächsten Tag fuhr A*** mit seinem Auto zu H*** nach St. Georgen und die Weiterfahrt erfolgte dann mit dem Auto des H*** bis Salzburg. Am 10. März 1986 nahm erstmals auch Werner S*** an dieser Fahrgemeinschaft teil, der ebenfalls von Vöcklabruck aus mit A*** mitfuhr. An diesem Tag wurde dem Fahrer A*** während der Arbeit übel und er verließ vorzeitig die Baustelle, sodaß H*** und S*** an diesem Tag nicht mit ihm nach Hause fahren konnten. Da sie erfuhren, daß der Kläger in Neukirchen bei Altmünster wohnhaft war, ersuchten sie ihn, nach Hause zu fahren. Der Kläger erklärte sich hiezu bereit. Sie vereinbarten, daß der Kläger seine Arbeitskollegen S*** und H*** am nächsten Morgen wieder abholen und zur Baustelle nach Salzburg bringen sollte. Es wurde nichts darüber gesprochen, wie lange der Kläger als Fahrer für seine Kollegen einspringen sollte. Allen Beteiligten war jedoch klar, daß nach der Gesundung A*** dieser wieder anstelle des Klägers fahren sollte. Am 10. März 1986 wäre der Kläger nicht nach Hause gefahren, wenn A*** nicht erkrankt wäre und ihn H*** und S*** nicht ersucht hätten, sie nach Hause zu bringen.

Wenn der Kläger an Wochenenden nach Hause fuhr, wählte er hiezu die Strecke über die Autobahn, fuhr in Regau ab und dann weiter über Pinsdorf nach Neukirchen. Am 10. März 1986 verließ der Kläger bei St. Georgen die Autobahn, setzte H*** in der Ortschaft St. Georgen ab und wollte dann weiter nach Vöcklabruck fahren, um Werner S*** dort aussteigen zu lassen. Nachdem er H*** abgesetzt hatte, kam es noch im Ortsgebiet von St. Georgen zu einem Zusammenstoß des PKW des Klägers mit einem Triebwagen der Attergau Lokalbahn, wobei der Kläger eine Gehirnerschütterung, einen Trümmerbruch des rechten Oberarmes sowie Rißquetschwunden an der linken Ohrmuschel und an der Stirn erlitt.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 30 v.H. der Vollrente gerichtete Begehren des Klägers ab. Dem Begriff der Fahrgemeinschaft wohne eine gewisse Dauerhaftigkeit inne. Für deren Annahme sei wesentlich, daß sie für einen längeren Zeitraum gedacht sei. Im vorliegenden Fall habe aber keinerlei Vereinbarung über die Fortsetzung der Fahrgemeinschaft über den Zeitpunkt der Gesundung A*** hinaus bestanden. Das Einspringen des Klägers erweise sich daher nur als eine dem Versicherungsschutz nicht unterliegende Gefälligkeit. Da der Unfall daher nicht dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung unterliege, erübrige sich eine Klärung der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Folgen des Unfalls eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers bedingen.

Das Berufungsgericht hob über Berufung des Klägers diese Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt auf. Dem Erstgericht sei wohl zuzustimmen, daß Fahrgemeinschaften im Regelfall auf eine gewisse Dauer ausgerichtet seien. Die schließe aber nicht aus, daß sie auch ad hoc für eine bestimmte Dienstreise, einen Fortbildungskurs etc. gebildet werden. Auch Zusammenschlüsse dieser Art würden im Berufsleben als Fahrgemeinschaft angesehen und könnten daher mangels gesetzlicher Definition dem Begriff der Fahrgemeinschaft im Sinn des § 175 Abs 2 Z 9 ASVG unterstellt werden. Im übrigen könne auch das Einspringen in eine an sich zwischen anderen Personen bestehende Fahrgemeinschaft den Versicherungsschutz nach der genannten Gesetzesstelle begründen. Entscheidend sei nach der Zielsetzung des Gesetzes, daß durch den Zusammenschluß mehrerer Arbeitnehmer zu einer einzigen Fahrt das Risiko für die Teilnahme am allgemeinen Verkehr verringert und durch die damit verbundene Verringerung des Fahrzeugverkehrs auch die Umweltbelastung vermindert werde. Der Kläger sei ad hoc in eine zwischen Betriebsangehörigen bestehende Fahrgemeinschaft eingestiegen, sodaß keine sachliche Rechtfertigung bestehe, den Unfall nicht als Wegunfall nach der zitierten Gesetzesstelle zu beurteilen. Es werde daher die beim Kläger als Folge des Unfalls bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit zu prüfen sein. Gegen diesen Beschluß richtet sich der (als Revision bezeichnete) Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß das Begehren des Klägers abgewiesen werde.

Der Kläger hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

In den Mittelpunkt ihrer Ausführungen stellt die beklagte Partei die Auffassung, daß der Kläger die Fahrt nur aus Entgegenkommen gegenüber den von ihm beförderten Personen unternommen habe. Alleiniges Ziel der Fahrt sei für den Kläger gewesen, seine Arbeitskollegen nach Hause zu bringen, nicht aber der Wunsch, seinen Wohnort zu erreichen. Der Kläger habe nicht im Rahmen einer Fahrgemeinschaft nach Hause fahren, sondern lediglich aus kameradschaftlichen Motiven beabsichtigt, seine Arbeitskollegen nach Hause zu befördern. Schon aus diesem Grund bestehe kein Versicherungsschutz.

Diesen Ausführungen kann nicht beigetreten werden. Gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen; hat der Versicherte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeits-(Ausbildungs-)stätte auf dieser oder in deren Nähe eine Unterkunft, so wird der Versicherungsschutz des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen. Auf die Beweggründe für das Aufsuchen des ständigen Aufenthaltsorts kommt es nicht an. Steht dem Versicherten am Arbeitsort oder in dessen Nähe ein Quartier zur Verfügung, benützt er dieses jedoch nicht und sucht seinen ständigen Aufenthaltsort auf, so steht dieser Weg ohne Rücksicht auf das Motiv, das ihn hiezu veranlaßt, unter Versicherungsschutz. Daß sich der Kläger an dem Tag, an dem sich der Unfall ereignete, entschlossen hatte, nicht sein Quartier in Salzburg zu benützen, sondern seinen ständigen Aufenthaltsort aufzusuchen, steht fest. Daß er diesen Entschluß erst über Ersuchen seiner Arbeitskollegen faßte, vermag den Versicherungsschutz nicht zu beeinträchtigen.

Auch die Voraussetzungen des § 175 Abs 2 Z 9 ASVG sind erfüllt. Nach dieser Gesetzesstelle sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen, wenn dieser Weg im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG im Rahmen einer Fahrgemeinschaft von Betriebsangehörigen oder Versicherten zurückgelegt wird. Weder aus dem Text des Gesetzes noch aus den Gesetzesmaterialien (181 BlgNR 14, 70 f) läßt sich zur Auslegung des Begriffes der Fahrgemeinschaft im Sinn dieser Bestimmung ein Anhaltspunkt gewinnen. Eine Fahrgemeinschaft wird vorliegen, wenn der Versicherte gemeinsam mit anderen Berufstätigen oder versicherten Personen ein Fahrzeug auf dem Weg nach oder vom Ort der Tätigkeit benützt. Auch wenn der Versicherte vom unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil er mit anderen Berufstätigen oder Versicherten auf dem Weg zur Arbeitsstätte gemeinsam ein Fahrzeug benützt, soll dies keine Unterbrechung des Versicherungsschutzes bewirken. Selbst wenn im Zeitpunkt der Erlassung dieser Bestimmung der Gedanke einer ständig eingerichteten Fahrgemeinschaft im Vordergrund gestanden sein sollte, läßt sich doch eine derartige Einschränkung dem Gesetz nicht entnehmen. Die Versicherten oder Berufstätigen im Sinn des § 175 Abs 2 Z 9 ASVG müssen sich nicht zu einer regelmäßigen Fahrgemeinschaft zusammengeschlossen haben. Der Gesetzeswortlaut schließt die Annahme des Versicherungsschutzes für eine ad hoc gegründete Fahrgemeinschaft nicht aus. Auch wenn nur gelegentlich ein anderer Berufstätiger oder Versicherter im Fahrzeug mitgenommen wird, liegt für diesen Fall eine Fahrgemeinschaft vor, die den Versicherungsschutz für den mit dem Transport dieser mitfahrenden Person verbundenen Umweg begründet (in diesem Sinn auch zu der im wesentlichen gleichen Rechtslage Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 60. Nachtrag 486 t). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Feststellungen, daß der Kläger sich auf dem Weg zu seinem ständigen Aufenthaltsort befunden hat und sich über Ersuchen seiner Arbeitskollegen bereit erklärt hat, diese nach Hause zu bringen und sie am nächsten Tag wieder abzuholen und zur Arbeitsstätte zu fahren. Damit liegen alle Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Versicherungsschutzes auch auf den Umwegen, die mit dem Heimbringen der Arbeitskollegen verbunden waren, vor. Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

Anmerkung

E13394

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBS00042.87.0210.000

Dokumentnummer

JJT_19880210_OGH0002_009OBS00042_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten