TE OGH 1988/2/10 9ObS44/87

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Veröffentlicht am 10.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichthofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreise der Arbeitgeber Dr. Theodor Zeh und Dr. Martin Meches als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermann B***, Möderbrugg, Bretsteingraben 17, vertreten durch Dr. Helfried Rainer und Dr. Josef Gailhofer, Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft in der Steiermark, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER BAUERN, Wien 3,

Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unfallheilbehandlung und Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. August 1987, GZ 7 Rs 1083/87-30, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26. März 1987, GZ 22 Cgs 4/87-21, teils bestätigt und teils aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Einleitung des Verfahrens beim Landeshauptmann für Kärnten zur Entscheidung über die Frage der Versicherungszuständigkeit wird angeregt.

Das Verfahren wird bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Versicherungszuständigkeit unterbrochen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist Landwirt in der Gemeinde Bretstein. Die Tochter des Klägers, Elisabeth L***, hat am 20. Oktober 1984 ihren Mann Gerhard geheiratet, welcher mit ihr seit 1982 am Hof des Klägers und dessen Frau lebt. Der Schwiegersohn des Klägers und seine Tochter mußten weder Wohn- noch Verpflegskosten an den Kläger zahlen. Auch nach der Verehelichung waren Elisabeth L*** und ihr Mann in ihrer Freizeit im Betrieb des Klägers tätig. Gerhard L*** half bei Heuarbeiten, Erntearbeiten und wenn er sonst noch gebraucht wurde, während die Tochter des Klägers beim Einbringen der Ernte, bei Stall- und Feldarbeiten half, die Wäsche besorgte und im Betrieb der klagenden Partei Putzarbeiten verrichtete. Auch während der Ferien - Elisabeth L*** ist Lehrerin - war die Tochter im Betrieb ihres Vaters tätig. Der Wert der von ihr und ihrem Mann erbrachten Leistungen lag über dem Wert der ihnen gewährten freien Station. Elisabeth L*** kaufte von der Gemeinde ein Grundstück, das zirka 7 km vom Wohnhaus des Klägers entfernt liegt, auf welchem im Mai 1985 mit dem Bau eines Einfamilienhauses begonnen wurde. Die Tochter des Klägers sollte als Teilerbentfertigung - vorgesehen ist die Hofübernahme durch den Sohn des Klägers - die Finanzierung des Rohbaues auf ihrem Grundstück von ihrem Vater erhalten. Der Kläger fixierte zu diesem Zweck die Höhe des Betrages, den seine Tochter bekommen sollte, und es wurde vereinbart, daß sie hiefür den Rohbau bezahlt erhält. Vor dem Hausbau wurde auch vereinbart, daß der Kläger seiner Tochter und seinem Schwiegersohn als Gegenleistung für deren Hilfe im landwirtschaftlichen Betrieb beim Hausbau behilflich ist. Nach dem Ausbau des Dachgeschoßes besteht auch die Möglichkeit, daß der Kläger und seine Frau bei ihrer Tochter wohnen. In der ersten Oktoberwoche 1985 hatte der Zimmermeister Anton P***, welcher beauftragt war, alle Zimmermeisterarbeiten durchzuführen, mit der Aufstellung des Dachstuhles begonnen und am 7. Oktober 1985 wurde die Verschalungen in Angriff genommen. Der Kläger wirkte bei allen diesen Tätigkeiten mit. Am 8. Oktober 1985 arbeitete er mit seiner Tochter Elisabeth an der Verschalung allein. Sie reichte ihm die Bretter zu, welche er am Dachstuhl befestigen sollte. Als ein Brett brach kam es zu einem Sturz aus 8 m Höhe vom Dach, wobei der Kläger auf einer Betondecke aufschlug und schwer verletzt wurde.

Der Kläger begehrte die beklagte Partei zur Leistung der Kosten der Unfallheilbehandlung für die Folge des Unfalles, vom 8. Oktober 1985, soweit diese nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckt werden, sowie zur Leistung einer Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente zu verpflichten. Es liege ein Arbeitsunfall im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft vor; die Mithilfe beim Hausbau seiner Tochter sei eine Gegenleistung für die Mithilfe der Tochter und des Schwiegersohnes im landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers gewesen und habe daher der Verbesserung der Organisation des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes gedient. Ergänzend brachte der Kläger vor, die Ehegatten Elisabeth und Gerhard L*** hätten einen gewerblichen Unternehmer, und zwar den Zimmermeister Anton P***, mit der Aufstellung des Dachstuhles beauftragt. Der Kläger habe bei diesen Arbeiten mitgeholfen. Seine Tätigkeit sei daher auch im Sinn der Bestimmung des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG unter Versicherungsschutz gestanden. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Unfall des Klägers sei vom Versicherungsschutz nicht umfaßt gewesen. Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers teilweise statt, verpflichtete die beklagte Partei zum Ersatz der Kosten der Unfallheilbehandlung, soweit diese nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt werden, sowie zur Leistung einer Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente samt Zusatzrente für die Zeit vom 8. Dezember 1985 bis 23. Dezember 1985, einer Versehrtenrente im Ausmaß von 40 v.H. der Vollrente für die Zeit vom 24. Dezember 1985 bis 23. Mai 1986 sowie zu einer solchen im Ausmaß von 30 v.H. der Vollrente ab 24. Mai 1986; im Urteil trug es der beklagten Partei eine vorläufige Leistung von S 650,-- monatlich auf. In der Land- und Forstwirtschaft sei jede Verrichtung geschützt, die der Erhaltung oder Verbesserung der Organisation des Betriebes diene. Tochter und Schwiegersohn des Klägers hätten in dessen landwirtschaftlichen Betrieb Arbeitsleistungen erbracht, die den Wert der freien Station überstiegen hätten, wobei zumindest konkludent vereinbart worden sei, daß ihnen der Kläger bei der Errichtung des Wohnhauses helfe. Damit hab die Hilfe des Klägers beim Hausbau der Tochter auch seinem Betrieb gedient und sei unter dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz als Landwirt gestanden. Das - abgewiesene - Mehrbegehren bestehe nicht zu Recht, da die festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit eine höhere Rentenleistung nicht rechtfertige.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes zu dem entsprechend der in der mündlichen Berufungsverhandlung präzisierten Anfechtungserklärung noch strittigen klageabweisenden Teil auf und wies die Sache in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Der Berufung der beklagten Partei gab es hingegen nicht Folge und bestätigte das Urteil des Erstgerichtes, wobei es diese Bestätigung auch hinsichtlich der Auferlegung der vorläufigen Leistung aussprach. Die Wirksamkeit der Verpflichtung zur Erbringung der vorläufigen Leistung ist daher nach § 91 Abs 1 ASGG zu beurteilen. Das Berufungsgericht führte aus, daß nach dem auch auf die Unfallversicherung der Bauern anzuwendenden § 175 Abs 1 ASVG Arbeitsunfälle Unfälle seien, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. In der Landwirtschaft stehe dabei jede (auch nicht direkt landwirtschaftliche) Tätigkeit in diesem erwähnten Zusammenhang, soferne sie der Erhaltung oder Verbesserung der Organisation des Betriebes diene, also von der Absicht und dem Entschluß getragen sei, die unter dem gesetzlichen Versicherungsschutz stehende Tätigkeit, sofern sie üblicherweise vom Landwirt selbst durchgeführt werde, unmittelbar oder mittelbar zu fördern. Der Schutz ende erst dann, wenn bei der nicht direkten landwirtschaftlichen Tätigkeit bereits die Förderung eines anderen Wirtschaftsbetriebes als eines landwirtschaftlichen oder die Förderung eigenwirtschaftlicher Interessen in den Vordergrund treten. Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Tätigkeit des Klägers beim Wohnbau seiner Tochter unter dem Versicherungsschutz der landwirtschafltichen Erwerbstätigkeit gestanden.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klageabweisung abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revisionswerberin wiederholt in ihrem Rechtsmittel im wesentlichen ihren während des gesamten Verfahrens vertretenen Standpunkt, daß die Mithilfe des Klägers beim Hausbau seiner Tochter und seines Schwiegersohnes von dem durch die landwirtschaftliche Tätigkeit begründeten Versicherungsschutz nicht umfaßt gewesen sei. Seine Tätigkeit sei mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb nicht mehr in Verbindung gestanden, sondern habe bereits dem Aufgabenbereich eines Zimmereibetriebes entsprochen. Der Kläger habe nach den Verfahrensergebnissen im Rahmen der Organisation des mit der Errichtung des Dachstuhles beauftragten Zimmereibetriebes laufend mitgearbeitet und sei in diesen Betrieb eingegliedert gewesen. Ob ein hieraus allenfalls resultierender Versicherungsschutz bestehe, sei allerdings nicht wesentlich, weil eine Versicherung hiefür nicht im Bereich der beklagten Partei, sondern bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt bestünde. Mit den zuletzt dargestellten Ausführungen releviert die beklagte Partei die Frage der Versicherungszuständigkeit. Der Kläger hat sein Begehren auf zwei Anspruchsgründe gestützt. Er führte aus, daß Versicherungsschutz deshalb bestehe, weil die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet habe, seinem landwirtschaftlichen Betrieb zuzurechnen sei. Zur Durchführung der Unfallversicherung im Rahmen von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben ist gemäß § 28 Z 2 ASVG die beklagte Partei sachlich zuständig. Mit seinem ergänzenden Vorbringen stützt der Kläger sein Begehren auch auf das Bestehen des Versicherungsschutzes gemäß § 176 Abs 1 Z 6 ASVG. Zur Durchführung der Versicherung nach dieser Bestimmung ist aber an sich die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt sachlich zuständig. Aus einem identischen Sachverhalt leitet der Kläger zwei Anspruchsgründe ab, die nebeneinander geltend gemacht werden. Die Durchführung der Versicherung nach den beiden Anspruchsgründen ist vom Gesetz verschiedenen Versicherungsträgern zugewiesen. Es ist daher die Frage zu prüfen, welcher der beiden Versicherungsträger zur Durchführung der Versicherung im vorliegenden Fall zuständig ist. Die Entscheidung dieser Frage ist aber den Gerichten auch im Vorfragenbereich entzogen (§ 413 Abs 4 ASVG, § 65 Abs 1 Z 1 ASGG; siehe dazu Kuderna, ASGG, § 65 Anm 4 und § 96 Anm 13-17). Gemäß § 413 Abs 4 ASVG war daher die Einleitung des Verfahrens beim Landeshauptmann anzuregen und das vorliegende Verfahren bis zur Rechtskraft der über diese Frage zu fällenden Entscheidung zu unterbrechen. Zufolge des untrennbaren Sachzusammenhanges erstrecken sich die Wirkungen der Unterbrechung auf das gesamte Verfahren; auch die Fortsetzung des Verfahrens vor dem Erstgericht hinsichtlich des vom Berufungsgericht aufgehobenen Teiles des Begehrens wird erst nach Vorliegen der Entscheidung über die Versicherungszuständigkeit zu erfolgen haben. Die Durchführung der Anregung beim Landeshauptmann für Kärnten obliegt dem Erstgericht.

Anmerkung

E13045

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBS00044.87.0210.000

Dokumentnummer

JJT_19880210_OGH0002_009OBS00044_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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