Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Irmgard G***, derzeit ohne Beruf, Hochbergstraße 18/I/8, 2380 Perchtoldsdorf, vertreten durch Dr. Gerhard Millauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E*** A*** Versicherungs-AG, Brandstätte 7-9, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Manfred Roland, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 829.619,-- s.A. und Feststellung (Revisionsstreitwert S 764.619,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20. August 1987, GZ 18 R 151/87-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Februar 1987, GZ 2 Cg 737/85-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 16.529,70 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 1.502,70, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 12. November 1982 ereignete sich in Perchtoldsdorf im Bereich der Kreuzung Marktplatz - Elisabethstraße ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Halterin und Lenkerin des PKW mit dem Kennzeichen W 21.314 und Ing. Friedrich Hulesch als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen W 11.555 beteiligt waren. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeuges. Die Klägerin wurde bei diesem Unfall verletzt. Die Ersatzpflicht der Beklagten ist dem Grunde nach unbestritten.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 829.619,-- s.A.; überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Unfallschäden im Rahmen des den PKW mit dem Kennzeichen W 11.555 betreffenden Haftpflichtversicherungsvertrages gerichtetes Feststellungsbegehren.
Das Leistungsbegehren der Klägerin umfaßt (unter Berücksichtigung einer von der Beklagten aus dem Rechtsgrund des Schmerzengeldes geleisteten Teilzahlung von S 35.000,--) ein restliches Schmerzengeld von S 215.000,--, einen Betrag von S 495.000,-- an Verdienstentgang (monatlich S 15.000,-- von Dezember 1982 bis zur Pensionierung der Klägerin; insgesamt 33 Monate) und einen Betrag von S 119.619,-- als Ersatz für Aufwendungen der Klägerin für Befunde, Behandlungen und Kuren. Die Klägerin stützte ihr Leistungsbegehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß sie bei dem Unfall mehrfache Prellungen der Wirbelsäule, insbesondere aber Verletzungen an der Halswirbelsäule erlitten habe. Sie leide seit dem Unfall insbesondere an Schmerzen im Nacken, im Kopf und in den Extremitäten, an Konzentrationsschwierigkeiten, Drehschwindel, Gefühllosigkeit in Händen und Füßen, an krampfartigem Auftreten von Schmerzen in den Extremitäten, Übelkeit und Brechreiz. Die vom Rücken auslaufenden Schmerzen strahlten in Augen und Ohren aus. Die unfallsbedingten Verletzungsfolgen rechtfertigten die Bemessung des der Klägerin zustehenden Schmerzengeldes mit insgesamt S 250.000,--. Die Klägerin sei unfallsbedingt nicht mehr in der Lage gewesen, ihr Gewebe als Damenschneiderin auszuüben. Es sei ihr daher der entstandene Verdienstentgang zu ersetzen. Infolge der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen habe sie für Befunde, Behandlungen und Kuren Aufwendungen gehabt, die sie im Betrag von S 119.619,-- ersetzt verlange. Im Hinblick darauf, daß die Beschwerden der Klägerin andauerten und nicht abzusehen sei, ob und in welchem Ausmaß sie abklingen würden, sei auch ihr Feststellungsbegehren gerechtfertigt. Die Beklagte wendete im wesentlichen ein, die von der Klägerin behaupteten Ansprüche seien zum Teil nicht unfallskausal, zum Teil überhöht. Die Klägerin habe lediglich ein Peitschenschlagsyndrom ohne nachweisbare Nervenläsion erlitten. Dauerschäden seien nicht eingetreten. Der Klägerin sei kein unfallsbedingter Verdienstentgang entstanden; ihre behaupteten Aufwendungen für Behandlungen und Kuren seien nicht durch die beim Unfall erlittenen Verletzungen notwendig geworden.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von S 65.000,-- s.A. an die Klägerin und wies das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 764.619,-- s.A. gerichtete Leistungsmehrbegehren ebenso ab wie das Feststellungsbegehren. Den Entscheidungsgründen des Urteiles des Erstgerichtes lassen sich im wesentlichen folgende Feststellungen entnehmen:
Die (am 23. Juli 1931 geborene) Klägerin litt bereits vor dem Unfall an chronischer Sinusitis rechts, Alterssichtigkeit beider Augen, dyspeptischen Beschwerden nach einer Gallenoperation, Spondylarthrose der gesamten Wirbelsäule und an beginnender Coxarthrose beiderseits. Im Hinblick auf diese Erkrankungen der Klägerin wurde mit Bescheid des Landesinvalidenamtes Wien vom 27. Juli 1982 festgestellt, daß bei ihr eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 50 % bestand.
Bei dem Unfall vom 12. November 1982 erlitt die Klägerin eine Distorsion der Halswirbelsäule (Peitschenschlagverletzung), vielleicht auch eine Contusion der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule. Diese Verletzungen führten zusammengerafft zu 3 Tagen starken, 21 Tagen mittleren und 55 Tagen leichten Schmerzen; sie sind folgenlos abgeheilt. Darüber hinausgehende Beschwerden der Klägerin haben ihre Ursache nicht in den bei dem Unfall vom 12. November 1982 zugefügten Verletzungen; sie sind auf den bereits vor dem Unfall beeinträchtigten Gesundheitszustand der Klägerin zurückzuführen. Durch die unfallsbedingten Verletzungen der Klägerin sind keine Dauerfolgen eingetreten; eine unfallsbedingte Wiedererkrankung ist auszuschließen.
Die Klägerin war als selbständige Schneiderin berufstätig. Ihr Gewerbebetrieb in Perchtoldsdorf wurde mit 1. April 1985 stillgelegt. Seit 1986 bezieht sie eine Pension. Eine auf die Unfallsfolgen zurückzuführende Verminderung ihres Einkommens aus ihrer Erwerbstätigkeit ist nicht erwiesen.
Die Klägerin hatte bereits vor dem Unfall vom 12. November 1982 zur Linderung ihrer Leiden jährlich zwei Kuren von ca 3 Wochen Dauer mitgemacht. Eine intensivere Kurbehandlung nach dem Unfall erfolgte nicht. Auf Unfallsfolgen zurückzuführende Auslagen der Klägerin für Befunde, Behandlungen und Kuren sind nicht erwiesen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Klägerin zur Abgeltung der unfallsbedingten Verletzungsfolgen ein Schmerzengeld von S 100.000,-- gebühre; da sie von der Beklagten aus diesem Rechtsgrund bereits S 35.000,-- erhalten habe, sei ihr noch ein Betrag von S 65.000,-- zuzusprechen. Der von der Klägerin behauptete Verdienstentgang sei ebensowenig erwiesen wie ihre behaupteten Auslagen für Befunde, Behandlungen und Kuren.
Diese Entscheidung des Erstgerichtes wurde von beiden Streitteilen mit Berufung bekämpft.
Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil beiden Berufungen keine Folge.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, "daß der Berufung der Klägerin gegen den abweislichen Teil des erstgerichtlichen Urteiles Folge gegeben und dieses im klagsstattgebenden Sinn abgeändert wird". Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, ob zwischen einem bestimmten Ereignis und später aufgetretenen Folgen der natürliche Kausalzusammenhang gegeben ist, eine reine Tatsachenfrage, deren Lösung durch die Vorinstanzen im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft werden kann (SZ 51/66 mit weiteren Literatur- und Judikaturhinweisen uva; zuletzt ZVR 1987/36; 8 Ob 89/87). Die Klägerin versucht mit ihren Revisionsausführungen darzutun, daß ihre Verletzung beim Unfall vom 12. November 1982 zu schwerwiegenderen Folgen geführt habe, als sie von den Vorinstanzen festgestellt wurden. Damit bejaht sie die natürliche Kausalität ihrer beim Unfall erlittenen Verletzungen für spätere Folgen, die von den Vorinstanzen verneint wurde. Die Klägerin zeigt somit mit ihren Revisionsausführungen nicht etwa einen dem Berufungsgericht unterlaufenen dem Gebiet der rechtlichen Beurteilung zuzuordnenden Feststellungsmangel auf, sondern versucht in Wahrheit nur, in im Revisionsverfahren unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen.
Geht man aber von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, dann kann sich die Klägerin im Hinblick auf die verhältnismäßig geringfügigen Verletzungsfolgen durch die Ausmessung des ihr zustehenden Schmerzengeldes mit insgesamt S 100.000,-- keinesfalls für beschwert erachten. Der Zuspruch von Beträgen an die Klägerin aus dem Titel des Verdienstentganges oder des Ersatzes von Heilungskosten kommt nicht in Betracht, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen weder ein unfallsbedingter Verdienstentgang der Klägerin noch ein ihr unfallsbedingt entstandener Schaden aus der Aufwendung von Heilungskosten erwiesen ist. Dem Feststellungsbegehren der Klägerin kann nicht stattgegeben werden, weil ihre beim Unfall erlittenen Verletzungen folgenlos abgeheilt sind und eine unfallsbedingte Wiedererkrankung auszuschließen ist. Der Revision der Klägerin muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E13626European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0080OB00082.87.0216.000Dokumentnummer
JJT_19880216_OGH0002_0080OB00082_8700000_000