TE OGH 1988/2/16 15Os189/87

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Veröffentlicht am 16.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Februar 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Plachy als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rudolf N*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3.September 1987, GZ 9 b Vr 14.225/86-72, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, des Angeklagten Rudolf N*** und seines Verteidigers Dr. Adelsberger zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 290 Abs 1 StPO wird das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB (Punkt 3 des Urteilssatzes), soweit dieser auch den Zeitraum vom 18.Mai 1986 bis zum 13.Juni 1986 erfaßt, sowie demgemäß auch im Strafausspruch (mit Ausnahme des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben; gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO wird im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Rudolf N*** wird von der Anklage, er habe in Wien auch vom 18. Mai 1986 bis zum 13.Juni 1986 seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber seinem am 31.Oktober 1976 geborenen ehelichen Sohn Robert N*** gröblich verletzt, indem er keinerlei Alimentationszahlungen leistete, und dadurch bewirkt, daß der Unterhalt des Unterhaltsberechtigten gefährdet wurde oder ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruchs weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (Punkt 1), das Vergehen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (Punkt 2) sowie das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht (begangen in der Zeit vom 10.November 1985 bis zum 31.Dezember 1985, vom 1.März 1986 bis zum 17.Mai 1986 und vom 14.Juni 1986 bis zum 13. Dezember 1986) nach § 198 Abs 1 StGB (Punkt 3 im verbliebenen Umfang) wird Rudolf N*** nach §§ 28 Abs 1, 87 Abs 2 zweiter Strafsatz StGB zu 7 (sieben) Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rudolf N*** (zu Punkt 1 des Urteilssatzes) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB sowie der Vergehen (zu Punkt 2) der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und (zu Punkt 3) der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er in Wien

1. am 13.Dezember 1986 dem Friedrich H*** durch einen Messerstich in die Brust eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt, wobei die Tat den Tod des Geschädigten zur Folge hatte;

2. zwischen dem 14. und dem 23.Mai 1984 die ihm als Kunde der C***-B*** durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über deren, sohin fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich mißbraucht und dem genannten Kreditinstitut dadurch einen Vermögensnachteil zugefügt, wobei der Schaden 31.212 S betrug, indem er (unter Verwendung seiner gültigen Scheckkarte insgesamt 16) Schecks ausstellte, obwohl er wußte, daß sein Konto nicht gedeckt war;

3. vom 10.November 1985 bis zum 31.Dezember 1985 und vom 1. März 1986 bis zum 13.Dezember 1986 seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber seinem am 31.Oktober 1976 geborenen ehelichen Sohn Robert N*** gröblich verletzt, indem er keinerlei Alimentationszahlungen leistete, und dadurch bewirkt, daß der Unterhalt des Unterhaltsberechtigten (im Tenor irrig: gefährdet wurde oder) ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Nur den Schuldspruch wegen Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 5, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt. Der gegen jene Wendungen, wonach der Angeklagte "plötzlich ein Messer zog" (US 5) und "das Messer erst dann ins Spiel kam" (US 9), erhobene Vorwurf einer Undeutlichkeit (Z 5) dahin, daß die gerügten Formulierungen nicht erkennen ließen, welche Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite (ersichtlich gemeint:

insbesondere zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Notwehr) damit getroffen werden sollten, geht fehl, weil er auf zwei völlig aus dem Kontext gelöste Urteilspassagen abstellt, ein formeller Begründungsmangel aber stets nur mit Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung des sich daraus ergebenden gedanklichen Zusammenhanges nachgewiesen werden kann.

Darnach hat das Schöffengericht auf Grund der Aussage des einzigen unmittelbaren Tatzeugen Otto S*** festgestellt, daß es zwischen dem Beschwerdeführer und Friedrich H*** nach anfänglichen Beschimpfungen zu gegenseitigen kleineren Stößen gekommen ist. "Plötzlich zog der Angeklagte ein Messer", was seinen Gegner vorerst zu der Äußerung "Was, du Hund, ein Messer hast auch!" und anschließend dazu veranlaßte, mit einer mitgeführten Tasche auf ihn einzuschlagen. Daraufhin führte er in der Absicht, den Friedrich H*** schwer zu verletzen, den tödlichen Messerstich (US 5/6). Die "offensichtlich" (US 8; vgl aber S 300, 334) in Richtung Notwehr oder Putativnotwehr gehende Verantwortung des Beschwerdeführers hingegen, wonach "das Messer erst dann ins Spiel kam", als H*** ihn bereits mit der Tasche auf den Kopf geschlagen gehabt habe, erachtete das Erstgericht durch die Aussage des genannten Zeugen als widerlegt (US 8, 9), wobei es erkennbar davon ausging, daß der Angeklagte es war, der den an sich harmlosen Streit durch das Ziehen des Messers von seiner Seite aus zum (zumindest unmittelbar drohenden) rechtswidrigen Angriff gegen ein notwehrfähiges Gut seines Gegners hat ausarten lassen, sich also als Angreifer weder (objektiv) in einer Notwehrsituation gegenüber (dem sich seinerseits durch Schläge mit einer Tasche letztlich zur Wehr setzenden) Friedrich H*** befunden noch (subjektiv) eine solche irrtümlich angenommen hat. Von einer Undeutlichkeit kann demnach insoweit überhaupt keine Rede sein.

In seinen einleitenden Ausführungen zu den materiellrechtlichen Nichtigkeitsgründen (Z 9 lit b und 10), der Sache nach allerdings abermals einen Begründungsmangel (Z 5) reklamierend, bezeichnet der Beschwerdeführer die soeben erörterte Argumentation des Schöffengerichts als "unschlüssig und rechtlich verfehlt", weil das bloße Ziehen des Messers einem Angriff im Sinne des § 3 StGB nicht gleichzusetzen sei. Statt der Annahme einer vom Angeklagten gewollten sofortigen Messerattacke sei aus den Urteilsfeststellungen vielmehr der Schluß abzuleiten, daß er "die Waffe bloß zur Einschüchterung seines Gegners einsetzte, um die Auseinandersetzung zu beenden".

Aus einer solchen (feststellungswidrigen) Tatvariante würden sich aber keine für den Beschwerdeführer günstigeren rechtlichen Konsequenzen ableiten lassen, weil diesfalls sein wuchtiger Messerstich in die Herzgegend seines Gegners fraglos nicht als ein Akt notwendiger Verteidigung im Sinn des § 3 Abs 1 StGB gegen einen bloßen Schlag mit einer Tasche beurteilt werden könnte, sodaß er im Hinblick darauf, daß ihm das Erstgericht mit der Konstatierung seiner Absicht, H*** schwer zu verletzen, nach Lage des Falles ersichtlich sthenische Motive unterstellte, auch darnach keinesfalls wegen Notwehr gerechtfertigt, sondern für das ihm angelastete Vorsatzdelikt verantwortlich wäre. Die nunmehr in Rede stehende Mängelrüge betrifft daher keine im Sinn des (inhaltlich) geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Z 5) entscheidende Tatsache. Die unter den erwähnten Nichtigkeitsgründen erhobene Behauptung von "Feststellungsmängeln" über die Dauer und die Gefährlichkeit der "Angriffshandlung" des Friedrich H*** sowie über die Notwendigkeit der dagegen ausgeübten "Verteidigung" des Angeklagten und über jene Gründe, aus welchen er deren Grenzen allenfalls überschritten hat, sind nicht stichhältig. Denn von einer Gleichzeitigkeit der beiderseitigen Aktionen und von einer sthenischen Motivation des Beschwerdeführers ist das Schöffengericht wie gesagt ohnehin ausgegangen; das Fehlen von Erläuterungen zur im Ergebnis richtigen Lösung einer Rechtsfrage (hier: nach dem gerechtfertigten Maß einer allfälligen "Verteidigung" des Angeklagten) aber zieht weder aus materiell- noch aus formellrechtlichen Gründen eine Urteilsnichtigkeit nach sich. Nicht gesetzmäßig ausgeführt schließlich ist die weitere Rechtsrüge (Z 10), die für das Verbrechen nach § 87 StGB deliktsspezifische Vorsatzform (§ 5 Abs 2 StGB) sei bloß mit dem nicht näher substantiierten Gesetzesbegriff "Absicht" festgestellt worden und vermöge deshalb den Schuldspruch nicht zu tragen; denn dabei übergeht der Beschwerdeführer die weitere Konstatierung (US 10), daß es ihm darauf angekommen ist, seinem Gegner eine schwere Verletzung zuzufügen.

Daß die Tatrichter diese Feststellung aus der großen Wucht und der Zielrichtung der Stichführung (gegen die Brust) mit einem Messer (von 15 cm Klingenlänge) erschlossen haben (US 10), war - dem insoweit der Sache nach letztlich erhobenen Einwand (Z 5) zuwider - keineswegs unzulässig; wird doch auch in der vom Beschwerdeführer dazu zitierten Judikatur und Literatur (SSt 47/11; Leukauf-Steininger, Komm2, § 87 RN 5, Kienapfel BT I2 § 87 RN 6, Burgstaller im WK § 87 Rz 8) nur zum Ausdruck gebracht, daß die Annahme einer im § 84 Abs 2 Z 1 StGB beschriebenen Begehungsart, also eines lebensbedrohenden Angriffes mit einer tödlichen Waffe, für sich allein das Gericht noch nicht - gleichsam nach Art einer unwiderleglichen Rechtsvermutung - der Verpflichtung enthebt, das spezielle Vorsatzerfordernis des § 87 StGB jeweils besonders zu prüfen, weil eine Schlußfolgerung von einer Begehungsart auf diese Vorsatzart an sich nicht zwingend ist. Hat aber das Erstgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles aus der Art des Angriffes und des dazu verwendeten Mittels in concreto auf eine Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) des Täters, einen anderen schwer zu verletzen, geschlossen und diese Feststellung solcherart logisch und empirisch einwandfrei begründet, so liegt darin ein Akt mängelfreier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO), der mit dem bloßen Einwand, daß die betreffende Schlußfolgerung nicht zwingend sei und aus den vorliegenden Umständen auch andere Schlüsse gezogen werden könnten, im Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden nicht angefochten werden kann (Mayerhofer-Rieder, StPO2, E 145 ff zu § 281 Abs 1 Z 5). Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Aus deren Anlaß hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon überzeugt, daß das Urteil im Punkt 3 des Schuldspruches insoweit mit einer nicht gerügten, dem Angeklagten zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) behaftet ist, als der Deliktszeitraum auch eine Haftzeit des Angeklagten vom 18.Mai 1986 bis zum 13.Juni 1986 (Strafvollzugsbericht ON 27 im Beiakt 3 U 189/85 des Strafbezirksgerichtes Wien) erfaßt, für die ihm wegen seiner dadurch bedingten Einkommenslosigkeit eine gröbliche Verletzung der Unterhaltspflicht nicht angelastet werden kann (SSt 51/27 ua). Daß der Angeklagte etwa über entsprechendes Vermögen verfügt hätte, aus dem ihm trotzdem eine Erfüllung seiner Unterhaltspflicht möglich gewesen wäre, ist den Akten nicht zu entnehmen.

Gemäß § 290 Abs 1 StPO war daher insoweit der Schuldspruch aufzuheben und der Angeklagte freizusprechen.

Bei der hiedurch erforderlich gewordenen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen verschiedener Art, daß der Angeklagte schon wegen (in jeder der hier in Betracht kommenden Richtungen hin) auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Taten (zum Teil mehrfach) verurteilt worden und daß er nach Verbüßung der letzten Strafe wegen eines Gewaltdelikts rasch rückfällig geworden ist; mildernd war hingegen, daß er in Ansehung der ihm angelasteten Vergehen (Punkt 2 und 3 des Schuldspruchs) ein reumütiges Geständnis abgelegt hat.

Ausgehend von dem anzuwendenden zweiten Strafsatz des § 87 Abs 2 StGB, der eine Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf bis zu zehn Jahren vorsieht, erschien auch dem Obersten Gerichtshof eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von sieben Jahren nach der unrechts- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Angeklagten (§ 32 StGB) als angemessen. Dessen Berufungsvorbringen, mit dem er eine Strafherabsetzung anstrebt, erweist sich als nicht zielführend. Schlägt doch die tataktuelle Alkoholisierung bei der Vorwurfsabwägung gemäß § 35 StGB ebensowenig zu seinem Vorteil aus wie seine durch Alkoholismus bedingte "soziale Destabilisierung" (vgl S 301, 303). Von Tatumständen aber, die im "Grenzbereich eines Rechtfertigungsgrundes" liegen oder von einem "Mitverschulden" des Getöteten (gemeint wohl: von einer diesem vorzuwerfenden Provokation), kann bei einem absichtlich folgenschweren Messerangriff im Zuge eines aus welchen Gründen immer ausgelösten Wortstreites keinesfalls die Rede sein. Auch der ergangene Teilfreispruch schließlich vermochte eine Reduktion des Strafausmaßes im Verhältnis zum erstinstanzlichen Strafausspruch nicht herbeizuführen, weil das Gewicht des von ihm erfaßten Anklagevorwurfs in Relation zum verbleibenden Schuldspruch faktisch nicht von Bedeutung ist.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E13102

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0150OS00189.87.0216.000

Dokumentnummer

JJT_19880216_OGH0002_0150OS00189_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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