TE OGH 1988/2/24 1Ob527/88

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Veröffentlicht am 24.02.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Vormundschaftssache des mj. Michael Sieghard R***, geboren am 19. Oktober 1983, vertreten durch die Mutter Dr. Elke R***, Ärztin, Kitzbühel, Reitherstraße 16, vertreten durch Dr. Anke Reisch, Rechtsanwalt in Wien, infolge Revisionsrekurses der Mutter gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 11. Dezember 1987, GZ. 3 b R 183/87-92, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 28. Oktober 1987, GZ. P 147/85-82, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der mj. Michael Sieghard R*** ist das uneheliche Kind der Dr. Elke R***. Reinhold M*** hat die Vaterschaft zum Kind am 10.11.1983 vor dem Stadtjugendamt Innsbruck anerkannt. Das Kind befindet sich in Pflege und Erziehung der Mutter. Dem Vater steht auf Grund des Beschlusses des Landesgerichtes Innsbruck vom 7.2.1986 (ON 15) an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat in der Zeit von 14 bis 17 Uhr ein Besuchsrecht zu. Mit Schriftsatz vom 3.6.1987 (ON 54) beantragte die Mutter, das Besuchsrecht des Vaters auszusetzen, weil es dem Wohl des Kindes abträglich sei. Das Erstgericht setzte das Besuchsrecht des Vaters für die Dauer eines Jahres aus. Es stellte fest, der Minderjährige befinde sich seit 29.3.1987 in Pflege bei der Familie B***, die einen Bergbauernhof in Going bewirtschaftet. Michael habe sich gut eingelebt, doch seien bei ihm drei Monate nach der Unterbringung in der Pflegefamilie Aggressionstendenzen aufgetreten, insbesondere nach der Ausübung des Besuchsrechts durch den Vater. Die Pflegemutter habe deshalb erwogen, das Kind, das an sich an ihr hänge, nicht mehr zu behalten. Der Minderjährige werde dem Willen der Mutter entsprechend streng erzogen und erhalte gelegentlich auch einen "Tatsch", wenn er sich nicht ordentlich verhalte. Der Minderjährige habe der Pflegemutter mit der Faust gedroht, wenn sie ihm noch einmal etwas tue, komme sein Vater und haue sie; es seien auch Ausdrücke wie "Schau mich nicht so blöd an" gefallen. Die Mutter, die als Turnusärztin an der Innsbrucker Universitätsklinik tätig sei, habe den Minderjährigen zu den Wochenenden zu sich genommen, das Kind habe dann auch bei ihr genächtigt. Wegen des aggressiven Verhaltens des Minderjährigen habe sich die Mutter entschlossen, das Kind nur an einem Tag bei sich übernachten zu lassen, um es nicht zu sehr aus der für den Minderjährigen gewohnten Umgebung herauszureißen. Bis zum 11.6.1987 habe auch die mütterliche Großmutter den Minderjährigen zwei- bis dreimal wöchentlich besucht. Vor der Unterbringung bei der Pflegefamilie habe sich das Kind bei den mütterlichen Großeltern bzw. der mütterlichen Urgroßmutter befunden. Der Vater habe trotz längerer Unterredung mit der gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. Maria H*** nicht einsehen wollen, daß die Aussetzung des Besuchsrechtes sinnvoll sei; die Mutter habe erklärt, derzeit nicht imstande zu sein, spannungsfrei mit dem Vater umzugehen. Der psychische Zustand des Kindes beginne sich zu harmonisieren; dieser Prozeß sollte möglichst unterstützt werden, was aber vorausetze, daß das Kind in der nächsten Zeit keinen zusätzlichen Aufgaben gegenübergestellt werde. Im derzeitigen Stadium könne der Minderjährige solche neue Aufgaben nicht bewältigen. Schon daß er über das Wochenende bei der Mutter sei, erfordere sehr viel Kraft von ihm. Dazu komme, daß er die Spannungen der Eltern, die bei Ausübung des Besuchsrechts durch den Vater entstehen, unmittelbar miterlebe.

In rechtlicher Hinsicht führte der Erstrichter aus, die Ausübung des Besuchsrechtes sei mit einer erheblichen Irritation des Minderjährigen verbunden, so daß die Kontakte des Vaters mit dem Kind derzeit dem Wohl des Kindes abträglich seien. Demnach sei die Aussetzung des Besuchsrechtes gerechtfertigt.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und wies den Antrag der Mutter ab. Oberster Grundsatz jeder Besuchsrechtsregelung im Sinne der §§ 148, 166 ABGB sei das Wohl des Kindes. Zweck des Besuchsrechtes sei es, eine auf Blutsverwandtschaft beruhende Bindung zwischen Eltern und Kind aufrechtzuerhalten, eine gegenseitige Entfremdung zu verhindern und dem nicht erziehungsberechtigten Elternteil die Möglichkeit zu geben, sich von der Erziehung und dem Gesundheitszustand des Kindes zu überzeugen. Eine Entziehung oder Einschränkung des Besuchsrechtes könne grundsätzlich nur aus solchen Gründen erfolgen, die eine Bedrohung der psychischen oder physischen Integrität des Kindes darstellten. Eine gänzliche Versagung des Besuchsrechtes sei nur ausnahmsweise aus besonders schwerwiegenden Gründen dann zulässig, wenn das Wohl des Kindes eine solche Maßnahme unumgänglich erfordere. Sei mit der Ausübung des Besuchsrechtes eine erhebliche seelische Irritation des Kindes verbunden, müsse dem Vater das Besuchsrecht verweigert werden. Sei diese Irritation allerdings allein auf Spannungen zurückzuführen, wie sie häufig nach der Zerstörung einer Ehe oder Lebensgemeinschaft zu beobachten seien, sei es Pflicht und Aufgabe der Eltern, Liebe und Zuneigung der Kinder zu beiden Elternteilen zu fördern. Die Anwendung dieser Grundsätze lasse den Antrag der Mutter nicht gerechtfertigt erscheinen. Nach den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens seien die Verhaltensschwierigkeiten und die aggressive Phase in der Entwicklung des Kindes nicht ursächlich auf die Ausübung des Besuchsrechtes durch den Vater zurückzuführen. Es werde vielmehr vom Minderjährigen als belastend erlebt, daß in der jüngeren Vergangenheit die Bezugspersonen häufig gewechselt hätten. Der Minderjährige sei teilweise von der mütterlichen Großmutter und Urgroßmutter betreut worden, teilweise habe er sich in einem krankenhauseigenen Kindergarten befunden, seit 29.3.1987 befinde er sich bei einer Pflegefamilie, aus der er von der Mutter anfänglich über das gesamte Wochenende (von Freitag bis Sonntag) herausgerissen worden sei. Dieser häufige Wechsel der Bezugspersonen innerhalb kürzester Zeit habe zu einer Verhaltensänderung des Minderjährigen geführt, der aufsässig und aggressiv reagiert habe. Auch die strenge Erziehung durch die Pflegemutter sei für das Kind neu und ungewohnt gewesen. Bei einem Besuchsrecht an zwei Wochenenden im Ausmaß von jeweils drei Stunden könne nicht von einem Herausreißen aus der gewohnten Umgebung gesprochen werden, weil der Zeitraum hiefür zu kurz sei. Die zugestandenen Besuchszeiten seien vielmehr erforderlich, um einer Entfremdung in der Vater-Kind-Beziehung entgegenzuwirken. Dem Kindeswohl wäre am besten gedient, wenn der Minderjährige ausreichend und gewissenhaft auf die jeweiligen Besuchstage vorbereitet und darauf geachtet würde, daß das Abholen des Kindes durch den Vater reibungslos vonstatten gehe.

Rechtliche Beurteilung

Dem gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobenen Revisionsrekurs der Mutter kommt Berechtigung nicht zu. Das Rekursgericht ging zutreffend davon aus, daß es der Zweck des Besuchsrechtes ist, die auf der Blutsverwandtschaft beruhende Bindung zwischen Eltern und Kind aufrechtzuerhalten, eine gegenseitige Entfremdung zu verhindern und dem nicht erziehungsberechtigten Elternteil die Möglichkeit zu geben, sich von der Erziehung und den Gesundheitszustand des Kindes zu überzeugen. Das Besuchsrecht stellt ein Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung dar; es kann demnach nur aus besonders schwerwiegenden Gründen eingeschränkt oder entzogen werden (EFSlg. 48.344, 48.343, 48.278, 48.275, 45.770, 45.767, 45.716), so insbesondere wenn mit der Ausübung des Besuchsrechtes eine erhebliche seelische Irritation des Kindes verbunden ist (EFSlg. 48.345). Es ist dem Rekursgericht darin beizupflichten, daß nach den getroffenen Feststellungen die Ausübung des Besuchsrechtes durch den Vater nicht eine solche Beeinträchtigung des seelischen Wohls des Minderjährigen verursacht, die die auch nur zeitweise Entziehung des Besuchsrechtes rechtfertigen würde. Die beim Minderjährigen aufgetretenen Verhaltensstörungen sind (jedenfalls auch) auf Belastungen zurückzuführen, wie sie sich aus dem Wechsel der Bezugspersonen und insbesondere dem Umstand ergeben, daß der Minderjährige, der bei einer Pflegefamilie untergebracht ist, die Wochenenden bei der Mutter verbrachte und bei ihr übernachtete. Auch die zeitweise Betreuung durch die mütterliche Großmutter bzw. Urgroßmutter mag hiezu beigetragen haben. Das Besuchsrecht steht, wie das Rekursgericht zutreffend hervorhob, dem Vater ohnehin nur an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat in der Dauer von je drei Stunden zu, so daß von einem Herausreißen aus der gewohnten Umgebung nicht gesprochen werden kann. Bei dieser Sachlage gelangte das Rekursgericht mit Recht zum Ergebnis, daß zwingende Gründe des Kindeswohls der Ausübung des Besuchsrechts durch den Vater nicht entgegenstehen. Demzufolge ist dem Revisionsrekurs der Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E13128

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00527.88.0224.000

Dokumentnummer

JJT_19880224_OGH0002_0010OB00527_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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