TE OGH 1988/2/25 7Ob510/88

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Veröffentlicht am 25.02.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Philipp H***, vertreten durch seine Mutter Johanna Hütter, beide Ankerstraße 7, 8054 Graz, diese vertreten durch Dr. H. Werderitsch, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Reinhard J***, Sozialarbeiter, Graz, Fischer v. Erlachgasse 2/III, vertreten durch Dr. Harold Schmid und Dr. Kurt Klein, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 1 Mio. s.A. und Feststellung (Streitwert S 5.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 24. November 1987, GZ 3 R 217/87-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 13. Juli 1987, GZ 17 Cg 2/87-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es insgesamt zu lauten hat:

"Es wird festgestellt, daß der Beklagte dem Kläger für alle Folgeschäden aus dem Vorfall vom 17. Februar 1983 haftet. Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger den Betrag von S 800.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 35.000,-- vom 21. Jänner 1986 bis 13. Februar 1987 und aus S 800.000,-- ab 14. Februar 1987 sowie die mit S 19.715,13 (darin S 1.781,38 an Umsatzsteuer und S 120,-- an Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten 1. Instanz und die mit S 13.784,52 (darin S 1.253,14 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, der Beklagte sei schuldig, dem Kläger einen weiteren Betrag von S 200.000,-- samt 4 % Zinsen seit 14. Februar 1987 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 16.530,53 (darin S 1.502,78 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte hat am 17. Februar 1983 dem damals knapp ein Jahr alten Kläger durch Abbrausen mittels eines zu hoch temperierten Wasserstrahls schwere Verbrühung am Unterkörper zugefügt. Er wurde deshalb nach § 88 Abs 4 StGB rechtskräftig verurteilt. Mit der am 10. Jänner 1986 eingebrachten Klage begehrte der Kläger vorerst ein Schmerzengeld von S 35.000,-- s.A. sowie die Feststellung, daß der Beklagte für alle Folgeschäden aus dem Vorfall vom 17. Februar 1983 zu haften habe. Mit Schriftsatz vom 30. Jänner 1987 - vorgetragen in der Tagsatzung vom 30. April 1987 - dehnte der Kläger das Schmerzengeldbegehren auf S 1 Mio. s.A. aus.

Der Beklagte anerkannte den Schmerzengeldanspruch dem Grunde nach. Er bestritt das Feststellungsbegehren, da Dauerfolgen nicht zu erwarten seien und wendete hinsichtlich des ausgedehnten Begehrens Verjährung ein.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es traf folgende

Feststellungen:

Der am 21. Februar 1982 geborene Kläger erlitt am 17. Februar 1983, als er vom Beklagten mit zu heißem Wasser abgebraust wurde, schwere Verbrühungen zwischen den Beinen, vom Gesäß abwärts, und zwar an beiden unteren Extremitäten, im Geschlechtsbereich und am Gesäß, zum Teil auch dritten Grades. Nach seiner Aufnahme in die Universitätskinderklinik Graz kam es zu zahlreichen Komplikationen, unter anderem zu einer Bluthochdruckkrise, einer blutig-eitrigen Blasenentzündung mit zahlreichen, zum Teil steinharten Fibrinbelegen, einer Entzündung, die über die Blasenwand hinaus übergriff, verbunden mit Harnrückstau beidseits. Am 13. Mai 1983 wurden im Rahmen einer Operation die Belege der Blase ausgeräumt und es wurde ein Katheter durch die Bauchdecke angelegt. Wegen Absterbens von Gewebe mußten die verbrühten Teile zum Teil mit Hauttransplantagen gedeckt werden. Am 20. Mai 1983 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen. Im Rahmen ambulanter Kontrollen wurde am 27. Mai 1983 der Katheter entfernt.

Ende Mai, Anfang Juni 1983 fanden sich jedoch pathologische Harnwerte, der Geschlechtsbereich war gerötet, es hatte sich eine Harnfistel gebildet, welche wiederum mittels Katheter durch die Bauchdecke drainiert werden mußte. Trotz laufender Verabreichung von Antibiotika, Blasenspülung usw. kam es in der Folge immer wieder zu Blasenentzündungen. Im Juni 1984 wurde eine Schrumpfblase festgestellt. Es kam zufolge der entzündlichen Veränderung des Harnleiters neuerlich zu Stauungen im oberen Harntrakt. Ab 6. November 1984 war der Kläger stationär im Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz zur Untersuchung und sodann vom 7. Jänner bis 20. März 1985 zur Operation.

Nach zahlreichen Untersuchungen und Messungen wurde am 11. Jänner 1985 im Rahmen einer achtstündigen Operation die Blase entfernt und eine Kunstharnblase eingesetzt. Es folgten weitere Komplikationen. Während eines neuerlichen Krankenhausaufenthaltes vom 26. bis 31. Mai 1986 wurde die Langzeitcystostomie entfernt. Da der Kläger die Beherrschung der Kunstblase erst erlernen mußte, war eine weitere Windelversorgung erforderlich.

Die mehrfachen Narbenbildungen führten zu Narbensträngen, Schrumpfungen und Keloidbildungen. Zur Erhaltung betroffener Gelenke werden auch in Zukunft plastische Operationen erforderlich werden. Insbesondere aber werden die Eingriffe im Blasenbereich (Kunstharnblase) auch in Zukunft Behandlungsnotwendigkeit ergeben. Wie weit solche Eingriffe in Zukunft aus der Sicht von Veränderungen der Haut sowie des Nieren-Blasen-Traktes erforderlich sein werden, ist derzeit noch nicht vorhersehbar.

Der Kläger hat 10 Tage an qualvollen Schmerzen, 30 Tage an starken Schmerzen, 200 Tage an mittelstarken und 290 Tage an leichten Schmerzen - komprimiert - gelitten. Darüber hinaus sind in Zukunft bei günstigem Verlauf der Verletzungsfolgen, somit ohne neuerliche Komplikationen, pro Jahr komprimiert 6 Tage mittelstarke Schmerzen und 24 Tage leichte Schmerzen zu erwarten. Bei der Beurteilung der psychischen Alteration ist vor allem auf die kosmetisch störenden, zum Teil entstellenden sowie funktionell beeinträchtigenden Narbenbildungen Bedacht zu nehmen und auf in gewissem Umfang jedenfalls zu erwartende Beeinträchtigungen des Klägers in seinem Geschlechtsleben.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, die schweren Verletzungen des Klägers, die zahlreichen Komplikationen und die Beeinträchtigungen, unter denen der Kläger zeit seines Lebens zu leiden haben werde, rechtfertigten den Zuspruch des begehrten Schmerzengeldes. Damit seien alle Schmerzzustände für Vergangenheit und Zukunft, ausgenommen weitere Komplikationen in der Zukunft, abgegolten.

Die zweite Instanz bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Die Erhebung eines erfolgreichen Feststellungsbegehrens bewirke, daß einzelne Schadenersatzansprüche selbst dann, wenn sie bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung mit Leistungsklage hätten eingefordert werden können, im anhängigen Prozeß auch nach Ablauf der Verjährungszeit durch Ausdehnung geltend gemacht werden können. Verjährung eines Teils des Schmerzengeldanspruches liege daher nicht vor. Das zugesprochene Schmerzengeld sei den erhobenen Umständen angemessen. Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes, soweit dem Kläger ein Betrag von mehr als S 35.000,-- zugesprochen wurde, mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und beantragt, es dahin abzuändern, daß die Klage im Umfang der Anfechtung abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Der Beklagte macht zunächst neuerlich geltend, das Feststellungsbegehren beziehe sich nur auf künftige, im Zeitpunkt der Klageeinbringung noch nicht feststellbare Schäden. Für einen Zeitraum, für den der Kläger eine Leistungsklage erhoben habe bzw. hätte erheben können, sei eine Feststellung nicht möglich. Hinsichtlich des Schadens bis zum 10. Jänner 1986 sei daher - soweit nicht ein Leistungsbegehren gestellt worden sei - Verjährung eingetreten.

Mit Recht aber haben die Vorinstanzen Verjährung hinsichtlich des ausgedehnten Schmerzengeldbegehrens nicht angenommen. Die Einbringung einer mit einer Leistungsklage verbundenen, in der Folge erfolgreichen Feststellungsklage bewirkt, daß einzelne Schadenersatzansprüche, selbst wenn sie bereits zum selben Zeitpunkt mit Leistungsklage hätten begehrt werden können, auch nach Ablauf der dreijährigen Verjährungszeit im anhängigen Prozeß durch Ausdehnung geltend gemacht werden können (EvBl 1974/110, 1 Ob 586/80, 2 Ob 24/85; Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld5 194; Danzl in ZVR Sonderheft 1987, 30 mwN). Der Kläger war daher zufolge des innerhalb der Verjährungszeit erhobenen, erfolgreichen Feststellungsbegehrens berechtigt, das Schmerzengeldbegehren noch nach Ablauf der Verjährungszeit auszudehnen.

Der Beklagte gesteht sodann zwar zu, daß die Situation für das klagende Kind "nahezu katastrophal" sei, daß der Kläger quallvolle Schmerzen erlitten habe und daß die psychische Alteration gravierend sei, meint jedoch, daß das zugesprochene Schmerzengeld überhöht sei, soweit es den Betrag von S 400.000,-- übersteige.

Dem Beklagten ist darin beizupflichten, daß das von den Vorinstanzen zugesprochene Schmerzengeld ungeachtet der festgestellten schweren, lebenslangen Beeinträchtigungen des Klägers etwas überhöht erscheint. Vom Revisionsgericht wurde ein Schmerzengeld von S 1,000.000,-- etwa zu 2 Ob 4/87 - komplette Querschnittlähmung mit Teillähmung der Arme, kompletter Lähmung der Stammuskulatur von den Brustwarzen abwärts sowie der Beinmuskulatur - und zu 5 Ob 608/84 - dauernder Gehirndefekt (durch ärztlichen Kunstfehler), apallisches Syndrom, weitgehend vegetatives Leben weit unter dem eines intelligenten Tieres, Bewußtseinslage auf primitivster Stufe erhalten, keinerlei Inhalte mit Ausnahme von Wein- und Schreireaktion auf Schmerz- und Berührungsreize - als den Umständen angemessen angesehen. Die in jenen Verfahren festgestellten Beeinträchtigungen und Beschwerden übersteigen jene, die die Verletzungen des Klägers nach der derzeit beurteilbaren Sachlage nach sich gezogen haben. Bei Berücksichtigung der festgestellten Verletzungsfolgen und Bedachtnahme auf in ähnlichen Fällen zugesprochene Beträge erscheint der Zuspruch eines Schmerzengeldes von S 800.000,-- angemessen. Zu beachten ist, daß weitere Komplikationen in der Zukunft - als nicht vorhersehbar - bei der Bemessung ausdrücklich ausgenommen wurden.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach § 43 Abs 2 bzw. nach den §§ 43 Abs 2, 50 ZPO.

Anmerkung

E13226

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00510.88.0225.000

Dokumentnummer

JJT_19880225_OGH0002_0070OB00510_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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