Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schwarz als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Alois D***, technischer Angestellter, Wolkersdorf, Kaiser Josef-Straße 13, 2) Gertrude D***, Hausfrau, ebendort, 3) Franz G***, Beamter, Mariazell, Rasing 22,
4) Hermann O***, Angestellter, Mariazell, Rasing 27, und 5) Herta O***, Hausfrau, ebendort, alle vertreten durch Dr. Harald
W. Jesser ua, Rechtsanwälte in Leoben, wider die beklagte Partei Alois S*** jun, Transportunternehmer und Holzhändler, Mariazell, Theresiengasse 2, vertreten durch Dr. Ferdinand Gross ua, Rechtsanwälte in Kapfenberg, wegen Unterlassung infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 17.Juni 1987, GZ 2 R 122/87-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 2.April 1987, GZ 8 Cg 336/86-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kläger sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen je ein Fünftel der mit 7.781,13 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 707,38 S Umsatzsteuer), das sind je 1.556,23 S, zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte benützt sein Grundstück Nr 255/4 KG Mariazell als Holzlager und Lagerplatz und als Abstellplatz für LKW. Er ist nur im Besitz einer Baubewilligung für die Errichtung einer Kfz-Abstellfläche und einer Bewilligung für die Zufahrt zu dieser Abstellfläche von der angrenzenden Bundesstraße. Das gewerberechtliche Verfahren für die Bewilligung eines Holzlagerplatzes und einer Tankstelle (derzeit ist ein 5.000-Liter-Treibstoff-Tank auf dem Grundstück aufgestellt) ist anhängig.
Die Kläger sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Sie begehren die Unterlassung jeder gewerblichen Tätigkeit auf dem strittigen Grundstück, insbesondere das Lagern von Holz, das Zuführen von Holz und das Abstellen von LKW und die Wartung von LKW. Als Klagsgrund machen die Kläger geltend, der Beklagte verursache durch seine gewerbliche Tätigkeit eine unerträgliche Lärmbelästigung mit Überschreitung der zulässigen Grenzwerte und eine Luftverunreinigung. Es drohten gesundheitliche Schäden. Es bestehe aber auch die Gefahr eines Verfalls der Verkehrswerte ihrer Grundstücke. Die Unterlassungsklage stehe ihnen schon deshalb zu, weil der Beklagte seinen Betrieb ohne Genehmigung betreibe. Die bisher ergangenen Bescheide berücksichtigten nicht, daß es sich um ein Freilandgrundstück handelt, bei dem eine gewerberechtliche Genehmigung gar nicht in Frage komme. Die vom öffentlichen Verkehr der Bundesstraße ausgehenden Immissionen könnten das Klagerecht der Kläger nicht schmälern. Es komme nicht darauf an, ob und welche Immissionen vom Grundstück des Beklagten ausgingen, sondern darauf, daß die Kläger als Nachbarn und Anrainer bis zur Erteilung einer rechtskräftigen gewerbebehördlichen Genehmigung der Betriebsstätte des Beklagten einen zivilrechtlichen klagbaren Unterlassungsanspruch hätten. Der Unterlassungsanspruch stütze sich insbesondere darauf, daß die Kläger einen Anspruch darauf hätten, daß im benachbarten Freiland keine gewerbliche Betriebsstätte errichtet werde. Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten ergebe sich auch daraus, daß gegen den Beklagten ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet worden sei.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, die Kläger seien nicht berechtigt, die Einstellung des Betriebes zu verlangen, es stünden höchstens die Rechte nach § 364 ABGB zu. Unzulässige Immissionen lägen nicht vor. Die strittigen Grundstücke befänden sich in einem Überschwemmungsgebiet und im Nahebereich einer Bundesstraße, sodaß sich durch den Gewerbebetrieb nichts an der Qualität der Grundstücke der Kläger ändere.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt. Es erkannte den Beklagten schuldig, es ab sofort zu unterlassen, auf dem Grundstück 255/4 KG Mariazell Holz zu lagern, dorthin Holz zuzuführen, sowie dort seinen LKW zu warten. Das Mehrbegehren, der Beklagte sei schuldig, jede gewerbliche Tätigkeit, insbesondere auch das Abstellen seiner LKW zu unterlassen, wies es ab. Das Erstgericht stellte im wesentlichen fest, daß die Grundstücke der Kläger und des Beklagten im Nahebereich einer Bundesstraße liegen, etwa 50 bis 150 m entfernt befinde sich auch ein Sägewerk. Auf dem Grundstück des Beklagten komme es fallweise auch in der Nachtzeit zu einer Lärmentwicklung, weil LKW gestartet wurden und jeweils etwa 20 Minuten die Motoren warmliefen. Untertags verursache auch das Umladen von Holz Lärm. Weiters trete auf den Nachbargrundstücken eine Staubentwicklung und durch die LKW-Abgase auch eine Geruchsentwicklung ein.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß diese Einwirkungen das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und die ortsübliche Nutzung der Grundstücke der Kläger wesentlich beeinträchtigten. - Soweit den Beklagten bescheidmäßig das Abstellen von LKW bewilligt worden sei, müsse das Klagebegehren abgewiesen werden. Im übrigen sei es aber berechtigt. Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß der Wert des von der Abänderung betroffenen Wertes des Streitgegenstandes 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige und die Revision zulässig sei.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß den Klägern nach § 364 Abs. 2 ABGB nur das Recht zustehe gewisse Einwirkungen zu untersagen, sie könnten aber nicht die Unterlassung gewerblicher Tätigkeiten begehren. Die Art der Verhinderung weiterer Immissionen müsse dem Beklagten überlassen bleiben. Das Klagebegehren sei daher verfehlt. Eine amtswegige Umformulierung komme nicht in Betracht, weil das gestellte Begehren dem Prozeßstandpunkt der Kläger entspreche.
Die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht mit der erheblichen Bedeutung für die Rechtsentwicklung im Zusammenhang mit dem heute immer mehr in den Vordergrund tretenden Umweltschutzgedanken.
Rechtliche Beurteilung
Da in letzter Zeit verschiedentlich eine großzügigere Handhabung des Immissionenschutzes gefordert wird (zB Jabornegg-Strasser, Nachbarrechtliche Ansprüche als Instrument des Umweltschutzes 22 und 34) erscheint eine Überprüfung der Rechtslage zweckmäßig, auch wenn die Entscheidung des Berufungsgerichtes sich mit der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes deckt. Der somit zulässigen Revision kommt jedoch keine Berechtigung zu. Auszugehen ist zunächst davon, daß die beklagte Partei keine behördlich genehmigte Anlage im Sinne des § 364 a ABGB betreibt; denn es wurde bisher keine gewerbebehördliche Genehmigung erteilt. Die teilweise vorliegende baubehördliche Genehmigung allein genügt hier nicht (SZ 48/45, MietSlg 35.029). Die klagenden Parteien sind daher nicht auf den Ausgleichsanspruch des § 364 a ABGB beschränkt. Sie können daher der beklagten Partei die von deren Grundstück ausgehenden Einwirkungen im Sinne des § 364 Abs. 2 ABGB untersagen. Als eine solche Einwirkung kommen im vorliegenden Fall zunächst die festgestellte Lärm- und Staubentwicklung sowie das Eindringen von Abgasen in Frage. Soweit das Berufungsgericht zu diesem Komplex Stellung nahm, hält sich die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Rahmen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Die klagenden Parteien haben nur das Recht, auf die Unterlassung der Einwirkungen zu dringen, nicht aber können sie die Erwirkung bestimmter Schutzmaßnahmen oder gar die Einstellung einer bestimmten Nutzung des Grundstücks an sich begehren (SZ 52/55 ua). Gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes, die Kläger hätten bewußt kein in diesem Sinne eingeschränktes Klagebegehren gestellt, sodaß auch nicht eine teilweise Klagsstattgebung in Betracht komme, wird in der Revision nichts vorgebracht. Im Gegenteil, die Kläger beharren darauf, daß es für sie nicht ausreiche, bloß die Abwehr von Immissionen zu erreichen und dem Beklagten die Auswahl einer Abhilfe zu überlassen. Abgesehen davon, daß bisher alle Voraussetzungen für die Formulierung eines eingeschränkten Klagebegehrens fehlen, kann den Klägern nicht gegen ihren Willen ein solches Begehren aufgezwungen werden.
Damit ist aber auf die von den Klägern in den Vordergrund gestellte ganz anders geartete Rechtsfrage überzuleiten, ob nämlich den Klägern ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch schon allein deshalb zusteht, weil die beklagte Partei in ihrer Nachbarschaft ohne gewerbebehördliche Genehmigung und entgegen einem Flächenwidmungsplan einen gewerblichen Betrieb führt, der ganz unabhängig von einer physischen Immission im Sinne des § 364 Abs. 2 ABGB wie eine negative oder ideelle Immission zu einer Beeinträchtigung des Eigentumsrechtes der Kläger führt. Nach Ansicht des erkennenden Senates ist ein solcher Unterlassungsanspruch zu verneinen:
Nach dem bürgerlichen Recht ist der Eigentümer eines Grundstückes gemäß den §§ 354 und 362 ABGB grundsätzlich zu jeder möglichen Nutzungsform befugt. Das öffentliche Recht kennt zwar eine Reihe von Vorschriften die gewisse Handlungen überhaupt untersagen, oder sie an die Erteilung einer behördlichen Genehmigung binden. Die Einhaltung dieser Bestimmungen kann aber im allgemeinen nur im Verwaltungswege erzwungen werden. Nur sogenannte Schutzgesetze können im Sinne des § 1311 ABGB eine Schadenersatzpflicht begründen. Es ist nicht erkennbar, inwiefern die Gewerbeordnung, die Raumordnungsgesetze oder die in der Revision angeführten Bestimmungen über den Naturschutz einen solchen Schutzzweck zugunsten der Kläger enthalten. Im Bereich des Zivilrechtes stehen sonst jedoch nur die in den §§ 364, 364 a und 364 b ABGB geregelten Rechtsbehelfe zur Verfügung. Keiner dieser Normen kann entnommen werden, daß einem Liegenschaftseigentümer eine bestimmte Nutzung seiner Grundstücke schon allein deshalb untersagt werden kann, weil diese gegen ein verwaltungsrechtliches Verbot verstoße. Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch ist vielmehr immer, daß das Nachbargrundstück durch eine über das Grundstück des Nachbarn hinauswirkende "Einwirkung" in seiner Benützung wesentlich "beeinträchtigt" wird. Das bloße Vorhandensein eines gewerblichen Betriebes muß hingegen in rein zivilrechtlicher Betrachtungsweise hingenommen werden, mag es sich auch um einen nicht genehmigten Betrieb handeln. Liegt aber eine Einwirkung der im § 364 Abs. 2 ABGB beschriebenen Art vor, dann steht selbst bei großzügigster Auslegung des Begriffes der Immission, also etwa auch bei Anerkennung sogenannter ideeller Immissionen im Sinne der Ausführungen der Revision, wiederum nur der Anspruch zu, vom Gegner zu begehren, daß er derartige Einwirkungen unterlasse, nicht aber, daß er seinen Betrieb stillege. Mit anderen Worten, die Kläger könnten vom Beklagten, was sie mit dem vorliegenden Rechtsstreit noch nicht unternommen haben, nur verlangen, er müsse dafür sorgen, daß im Rahmen der Benützung seiner Liegenschaft kein Lärm entstehe, der eine bestimmte zu benennende Lautstärke überschreite, müßten dafür sorgen, daß es zu keiner das ortsübliche Ausmaß überschreitenden Staubentwicklung komme, müsse etwa verhindern, daß Abgase über einen zu benennenden Grenzwert in die Nachbargrundstücke strömen und dergleichen mehr. Allenfalls, er müsse dafür sorgen, daß das Aussehen der Umgebung durch seinen Betrieb nicht in einer bestimmt zu nennenden Weise nachteilig verändert werde, falls man ideelle Immissionen im Sinne der Revision überhaupt anerkennen will. Da die Klage nur auf die gänzliche Unterlassung des Betriebes schlechthin gerichtet ist, muß jedoch auf die Frage der Erweiterung des Immissionsschutzes auch auf ideelle Immissionen in diesem Rechtsstreit nicht eingegangen werden. Ob ein solcher Rechtsschutz in Verbindung mit dem von den Behörden ausübbaren Druck zur Erzwingung der Einhaltung öffentlich-rechtlicher Bestimmungen ausreichend ist, ist eine Frage der Rechtspolitik. Nur durch Auslegung des geltenden Rechtes ist für den Standpunkt der Kläger nichts zu gewinnen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E13752European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0030OB00578.87.0302.000Dokumentnummer
JJT_19880302_OGH0002_0030OB00578_8700000_000