TE OGH 1988/3/3 6Ob533/88 (6Ob534/88)

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Veröffentlicht am 03.03.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Rudolf und Johann H***, beide geboren am 2. Februar 1987, wegen gerichtlicher Erziehungshilfe, infolge Revisionsrekurses der Eltern Rudolf H***, geboren am 27. Dezember 1940, zuletzt Magazinarbeiter, derzeit beschäftigungslos, und Brigitte H***, geboren am 11. Mai 1956, zuletzt Bedienerin, derzeit beschäftigungslos, beide wohnhaft in Linz, Füchselstraße 15, beide vertreten durch Mag. Peter G***, Konsulent, Klosterneuburg, Wienerstraße 104/22, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 18. Dezember 1987, GZ 18 R 808, 809/87-54, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 1. Juni 1987, GZ 4 P 7/87-22, und vom 20. Oktober 1987, GZ 4 P 7/87-37, Punkt 2, bestätigt wurden, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekus wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die beiden pflegebefohlenen Knaben sind Zwillinge. Sie kamen am 2. Februar 1987 zur Welt. Ihre Eltern hatten am 15. November 1974 geheiratet. Zur Zeit der Geburt der Zwillinge standen die Mutter im 31., der Vater im 47. Lebensjahr. Eine im August 1975 geborene Schwester der Zwillinge wächst in einer Pflegefamilie heran. Die Wohnverhältnisse der Eltern sind überaus beengt. Das Einkommen der Eltern beschränkt sich auf Leistungen des Arbeitsamtes an Notstandshilfe.

Bereits am Tage nach der Geburt der Zwillinge langte der von der Bezirksverwaltungsbehörde als dem gesetzlichen Amtskurator nach § 21 JWG gestellte Antrag auf gerichtliche Erziehungshilfe bei Gericht ein. Der Amtskurator erachtete eine Unterbringung der neugeborenen Zwillinge in einer fremden Familie wegen Erziehungsunfähigkeit der leiblichen Eltern als dringend geboten. Nach dem Antragsvorbringen stehe zu erwarten, daß die Eltern ihre Erziehungspflichten gegenüber den beiden Zwillingen nicht erfüllen werden, weil die Mutter infolge neurologisch-psychischer Erkrankung und der Vater wegen Invalidität hiezu außer Stande wären. Beide Elternteile sprachen sich gegen den Antrag des Amtskurators aus. Die Mutter stellte jede akute krankheitsbedingte Minderung ihrer Eignung zur Erziehung ihrer Kinder in Abrede, der Vater bestritt jeden Alkoholmißbrauch.

Am 11. März 1987 nahmen die Eltern entgegen ärztlichem Rat gegen Revers ohne Zustimmung des Amtskurators und ohne gerichtliche Genehmigung ihre Zwillinge aus der Kinderspitalspflege zu sich. Am folgenden Tag wurden ihnen die Kinder wieder durch den Amtskurator abgenommen. Dieser übergab sie in der Folge einem Pflegeelternpaar in unentgeltliche Pflege. Wegen der Gefahr unberechenbarer Aktionen der Eltern wurde ihnen der Pflegeplatz bisher nicht bekanntgegeben und dieser auch dem Pflegschaftsgericht nicht aufgedeckt. Der Amtskurator setzte das Gericht aber von der getroffenen Erziehungshilfemaßnahme unverzüglich in Kenntnis.

Nach der Vernehmung beider Elternteile machte der Pflegschaftsrichter in einem Vermerk seinen persönlichen Eindruck aktenkundig, daß beide einen ziemlich verwirrten, abgebauten Eindruck hinterlassen hätten.

Mit Beschluß vom 1. Juni 1987 bestellte das Pflegschaftsgericht eine Fachpsychologin zum Sachverständigen und erteilte ihr den Auftrag zur Erstattung eines Gutachtens über die Fähigkeit der Elternteile zur Erziehung ihrer Kinder. Die Zustellung einer Ausfertigung dieses Bestellungsbeschlusses an die beiden Elternteile unterblieb.

Zweimaligen Einladungen des bestellten Sachverständigen zum Gespräch leisteten die Eltern nicht Folge.

Nachdem sie dem Mitglied einer Aktionsgruppe Vertretungsvollmacht erteilt hatten, stellten sie den Antrag, die Zwillinge bis zur Entscheidung des Gerichtes in ihre Obhut zu übergeben.

Das Pflegschaftsgericht wies diesen Antrag ab.

In dem am 20. November 1987 zur Postaufgabe gebrachten Schriftsatz führten sie gegen die Abweisung ihres Antrages auf "einstweilige Verfügung" und ebenso gegen den Sachverständigenbestellungsbeschluß einen Rekurs aus. Das Rekursgericht bestätigte beide Entscheidungen.

Rechtliche Beurteilung

Die Eltern fechten die Rekursentscheidung in beiden bestätigenden Aussprüchen unter Anrufung der Rekursgründe der Aktenwidrigkeit, der Gesetzwidrigkeit und der Nichtigkeit an. Mangels schlüssiger Ausführung eines nach § 16 Abs 1 AußStrG beachtlichen Anfechtungsgrundes ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Soweit nicht das Jugendwohlfahrtsgesetz Sonderregelungen enthält, gelten die Vorschriften über das Verfahren außer Streitsachen. Nach diesen Vorschriften entfällt zwar ein formeller Beweisbeschluß über das Stoffsammlungsprogramm, soweit aber das Gericht in Erfüllung seiner Stoffsammlungsverpflichtung nach § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige für erforderlich erachtet, hat es einen solchen formell zu bestellen. Eine derartige Bestellung berührt jedenfalls die Rechtssphäre jener Verfahrensbeteiligten unmittelbar, die in Ansehung ihrer persönlichen Eigenschaften der Begutachtung unterworfen werden sollen. Soweit ein ausdrücklicher oder analog (etwa zu § 366 ZPO) anzuwendender Rechtsmittelausschluß fehlt, ist auch ein im Außerstreitverfahren gefaßter Sachverständigenbestellungsbeschluß als solcher nicht der Anfechtung entzogen. Die Eltern der vom Antrag des Amtskurators betroffenen Kinder sind als Erziehungsberechtigte im Sinne des § 39 JWG Verfahrensbeteiligte, die durch die Bestellung eines Sachverständigen zwecks Beurteilung ihrer Eignung zur Erziehung ihrer Kinder in ihrer Rechtssphäre unmittelbar berührt werden. Die Eltern haben in ihrem Rekurs gegen den erstinstanzlichen Sachverständigenbestellungsbeschluß geltend gemacht, der bestellten Person fehle nach ihrem beruflichen Fachgebiet die Eignung, die für die Sachentscheidung erheblichen Umstände beurteilen zu können. Davon abgesehen wäre der bestellte Sachverständige befangen. Das Rekursgericht hat die Rechtsmittelwerber zu ihrem Vorbringen über eine Befangenheit des Sachverständigen darauf hingewiesen, daß zur Entscheidung über eine Ablehnungserklärung in (analoger) Anwendung des § 356 ZPO das Pflegschaftsgericht erster Instanz zuständig sei. Damit hat das Rekursgericht seine funktionelle Zuständigkeit zur Entscheidung über einen im Rekursvorbringen enthaltenen Ablehnungsantrag ausgesprochen und der Sache nach einen solchen Antrag dem Gericht erster Instanz überwiesen. Die Rechtsmittelwerber verkennen bei ihren Ausführungen im Revisionsrekurs das Wesen und den Inhalt dieser zweitinstanzlichen Erledigung ebenso wie die derzeitige Verfahrenslage: Das Verfahren erster Instanz über den vom Amtskurator gestellten Antrag ist keineswegs abgeschlossen, das Rekursgericht hat eine Ablehnungserklärung der Eltern durchaus nicht zurückgewiesen. Die Ausführungen der Rechtsmittelwerber vermögen nicht darzulegen, aus welchen Gründen die zweitinstanzliche Entscheidung über ihre funktionelle Unzuständigkeit zur Entscheidung über eine Ablehnung eines vom Gericht erster Instanz bestellten Sachverständigen mit Nichtigkeit behaftet sei, geschweige denn aktenwidrig oder offenbar gesetzwidrig.

Die Rechtsmittelwerber haben aber auch nicht schlüssig darzulegen vermocht, daß die Auffassung der Vorinstanzen, das Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychologie sei geeignet, für die zu fällende Sachentscheidung im Sinne des § 26 JWG verwertbare Sachverhaltsgrundlagen zu liefern, aktenwidrig, offenbar gesetzwidrig oder gar nichtig sein könnte. Die Anfechtung der die Sachverständigenbestellung bestätigenden Rekursentscheidung ist auf keinen gemäß § 16 Abs 1 AußStrG beachtlichen Anfechtungsgrund gestützt.

Das Erstgericht hat im Verfahren über die gerichtliche Genehmigung nach § 26 Abs 2 JWG einen Antrag der Erziehungsberechtigten, bis zur gerichtlichen Entscheidung - in Aussetzung der getroffenen Erziehungshilfemaßnahme - die betroffenen Kinder der elterlichen Obhut zu überantworten, abgewiesen. Das Rekursgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Der Antrag des Amtskurators ist nach der inzwischen getroffenen Maßnahme einer Unterbringung der Kinder in einer fremden Familie als Antrag auf Genehmigung im Sinne des § 26 Abs 2 JWG zu verstehen. Eine solche Maßnahme darf nur bei Gefahr im Verzug sofort getroffen werden. Die Vorinstanzen haben diese Voraussetzung als gegeben angenommen. Das Verfahren zur pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung ist anhängig. Die von den Eltern der Sache nach begehrte Aussetzung der Erziehungshilfemaßnahme bis zu ihrer gerichtlichen Genehmigung ist im Gesetz nicht vorgesehen. Als einstweilige Verfügung im technischen Sinn oder auch als vorläufige Maßnahme des materiellen Fürsorgerechtes geriete die begehrte Aussetzung mit der Grundvoraussetzung in einen unlösbaren Widerspruch, daß im Zuwarten mit dem Vollzug der als erforderlich angesehenen Maßnahme eine Gefahr (für die betroffenen Kinder) verbunden wäre. Ob aber die Antragsvoraussetzung einer Gefahr im Verzug vorliegt, kann vom Amtskurator zunächst nur bescheinigt werden. Was dazu erforderlich ist, ist im Gesetz in keiner Weise näher ausgeführt. Die Beurteilung der Vorinstanzen hiezu kann schon aus diesem Grunde nicht offenbar gesetzwidrig sein. Aktenwidrigkeiten und Verfahrensmängel vom Gewicht einer Nichtigkeit sind insofern nicht schlüssig dargetan, als es bei Bejahung der Gefahr im Verzug als Antragsvoraussetzung für die Frage der begehrten Aussetzung auf die im Revisionsrekurs ausgeführten Bemängelungen nicht mehr ankommen kann.

Auch in Ansehung der bestätigenden Rekursentscheidung über die Abweisung des von den Eltern gestellten Antrages auf "einstweilige Verfügung" fehlt es an einer schlüssigen Ausführung eines nach § 16 Abs 1 AußStrG beachtlichen Anfechtungsgrundes. Der Revisionsrekurs war in beiden Belangen zurückzuweisen.

Anmerkung

E13587

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0060OB00533.88.0303.000

Dokumentnummer

JJT_19880303_OGH0002_0060OB00533_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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