TE OGH 1988/3/15 15Os15/88

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Veröffentlicht am 15.03.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.März 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Takacs als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Rudolf L*** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten, sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 25.November 1987, GZ 16 Vr 326/87-59, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, und des Verteidigers Dr. Jahn, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe (unter Ausschaltung der Anwendung des § 41 StGB) auf 10 (zehn) Jahre erhöht.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen. Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem bekämpften Urteil wurde Rudolf L*** auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen der Verbrechen (I 1 und 2) des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und (III) des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 zweiter Fall StGB sowie der Vergehen (II) des Hausfriedensbruches nach § 109 - irrig (vgl JBl 1978, 160 = RZ 1978/10 = ÖJZ-LSK 1978/73 ua): Abs 1 und - Abs 3 Z 1 und 2 StG, und der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB schuldig erkannt.

Die Geschwornen hatten die an sie gerichteten Hauptfragen, ob der Angeklagte schuldig sei, in der Nacht zum März 1987 in Dornbirn jeweils nachgenannte Personen durch Schüsse aus einer Faustfeuerwaffe vorsätzlich zu töten versucht zu haben, und zwar (Hauptfrage I.) mehrere türkische Staatsangehörige, die sich in der im zweiten Stockwerk des Hauses Langegasse 9 a gelegenen Wohnung der Familie Ö*** aufhielten, sowie (Hauptfrage II.) die Polizeibeamten N***, F***, D*** und B***, die sich im Stiegenhaus des genannten Hauses aufhielten, jeweils bejaht. Die für den Fall der Verneinung dieser Hauptfragen gestellten Eventualfragen (III. und IV.) in Richtung §§ 15, 76 StGB waren folgerichtig unbeantwortet geblieben. Die weiteren Hauptfragen nach Hausfriedensbruch (V.), Widerstand gegen die Staatsgewalt (VI.) sowie Sachbeschädigung (VII.) wurden von den Geschwornen gleichfalls bejaht. Der Angeklagte bekämpft nach dem Inhalt seiner Nichtigkeitsbeschwerde ungeachtet des pauschalen Antrages auf Aufhebung des (gesamten) angefochtenen Urteils der Sache nach lediglich den Schuldspruch wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (I 1 und 2 des Urteils) aus der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO; er moniert das Unterbleiben einer Zusatzfrage (zur Hauptfrage I.) nach dem Strafaufhebungsgrund des freiwilligen Rücktritts vom Mordversuch hinsichtlich der in der Wohnung der Familie Ö*** anwesend gewesenen Türken (Faktum I 1) sowie einer Eventualfrage (zur Hauptfrage II.) in Richtung des "§ 84 Abs 2 Ziff. 1 StGB" in Ansehung der gegen die vier Polizeibeamten abgegebenen Schüsse (Faktum I 2).

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Voraussetzung für die Stellung von Fragen nach §§ 313 oder 314 StPO ist, daß in der Hauptverhandlung konkrete Tatsachen - also nicht bloß Möglichkeiten oder Mutmaßungen - vorgebracht wurden, die, würden sie als erwiesen angenommen, (unter anderem) die Aufhebung der Strafbarkeit oder die Subsumtion unter eine andere, nicht strengere strafgesetzliche Bestimmung als die in der Anklageschrift angeführte zur Folge hätten. Um ein Vorbringen in diesem Sinn handelt es sich nur dann, wenn die im Beweisverfahren hervorgekommenen Umstände die Annahme derartiger Tatsachen als zutreffend in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (vgl Foregger-Serini, StPO3, Erl II zu § 314; Mayerhofer/Rieder, StPO2, E 17 zu § 314). Derartige Verfahrensergebnisse vermag der Beschwerdeführer jedoch in keine dieser beiden Richtungen hin darzutun.

Die Ausführungen zum Urteilsfaktum I 1 beschränken sich im wesentlichen auf die Behauptung, aus der Verantwortung des Angeklagten gehe hervor, daß er nicht in die Wohnung der Türken eingedrungen sei, um dort Gewalt gegen diese auszuüben, sondern freiwillig jenes Vorhaben aufgegeben habe und in seine Wohnung zurückgekehrt sei. Dieser Einwand ist zum Teil nicht stichhältig und im übrigen nicht zielführend.

Denn bei seiner ersten Vernehmung durch die Gendarmerie hat der Beschwerdeführer zwar zugegeben, er habe alle Türken in deren Wohnung umzubringen beabsichtigt, habe deswegen die versperrte Tür aufgeschlossen und sei "dann noch in den Gang der Wohnung gegangen"; seine unmittelbar im Anschluß daran ohne jede Erläuterung vorgebrachte weitere Schilderung aber, er sei hierauf, ohne die Wohnung zu "durchsuchen", wieder in seine eigene Wohnung zurückgegangen, läßt jeglichen Hinweis auf seine dafür maßgebend gewesene Motivation, also auch eine - der Darstellung in der Anklageschrift, wonach der Mordversuch fehlschlug, weil die Türken über den Balkon in die Nachbarwohnung geflüchtet waren, zuwiderlaufende - klare Behauptung dahin, daß er die Ausführung iS § 16 Abs 1 StGB freiwillig aufgegeben habe, vermissen (S 127/I). Dies umso mehr, als er am folgenden Tag nicht einmal mehr zu wissen erklärte, ob er in die Wohnung hineingegangen sei, und sich ab dem Zeitpunkt des Aufspringens der Tür auf "eine Art Filmriß", mithin auf eine Erinnerungslücke, berief (S 141/I). Durch die Verlesung jener Darstellungen war daher eine Zusatzfrage nach freiwilligem Rücktritt vom (dabei zugegebenen) Mordversuch mangels eines dahin gegangenen Tatsachenvorbringens nicht indiziert.

Vor dem Untersuchungsrichter und (noch deutlicher) in der Hauptverhandlung schließlich stellte der Angeklagte überhaupt in Abrede, sich anläßlich seiner insoweit allein aktuellen zweiten Intervention mit Mordvorsatz zum Tatort begeben zu haben (S 457-459, 461/I; 53 f./I; 35-39, 41/II); bei dieser Verantwortung war folgerichtig für die Annahme einer Strafaufhebung wegen Rücktritts von einem Versuch von vornherein bereits deshalb kein Raum, weil er solcherart schon deren primäre Voraussetzung, nämlich eine Tatbestandsmäßigkeit seines vorausgegangenen Verhaltens als (strafbarer) Mordversuch, geleugnet hat; ihr hätten demnach die Gechwornen, falls sie ihr folgen wollten, bereits durch eine Verneinung der Hauptfrage I. Rechnung zu tragen gehabt. Durch die Aussage des Zeugen Ahmet Ö*** (S 54 f./II) hinwieder, auf die sich der Beschwerdeführer ergänzend beruft, war die reklamierte Fragestellung im Hinblick darauf nicht indiziert, daß jener nur über akustische Wahrnehmungen - und zwar von einer Äußerung des Angeklagten ("wie habt ihrs da") und vom Zuschlagen einer Kastentür durch diesen - berichten konnte, aus denen ebenfalls nichts zu entnehmen ist, was auf einen freiwilligen Rücktritt des Täters vom Mordversuch hingedeutet hätte. Gleichermaßen läßt die relevierte Verantwortung des Beschwerdeführers im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung zum Urteilsfaktum I 2 auch jedes konkretes Zugeständnis eines allfälligen (bloßen) Verletzungsvorsatzes seinerseits gegenüber den Polizeibeamten bei seinen Schüssen durch seine geschlossene Wohnungstür ins Stiegenhaus nachdem einer von ihnen angeklopft hatte, vermissen; brachte er doch damit, wie er selbst hervorhebt, ganz im Gegenteil zum Ausdruck, die Schüsse "vermutlich" aus einem Gefühl der Bedrohung "in die Tür" (S 43/II) und um zu verhindern, daß die Beamten in die Wohnung kämen, "ohne Verletzungsabsicht" und "ohne daran zu denken, daß jemand getroffen wird" (S 54/I), abgefeuert zu haben. Ebensowenig vermochten jene Verfahrensergebnisse, wonach zwischen einigen der solcherart angegriffenen Polizeibeamten und ihm eine "gute Bekanntschaft bzw Freundschaft" bestanden habe, das Vorliegen eines bloßen Verletzungsvorsatzes seinerseits zu indizieren. Einer Eventualfrage in Richtung § (§ 83 Abs 1), 84 Abs 2 Z 1 StGB bedurfte es daher gleichfalls nicht.

Aus den angeführten Gründen war somit die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 75 StGB unter Anwendung des § 41 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren.

Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen mehrerer Delikte sowie den Mordversuch gegenüber mehreren Personen als erschwerend, hingegen ein teilweises Geständnis des Angeklagten, seine bisherige Unbescholtenheit, den Umstand, daß "der Mord" beim Versuch geblieben war, die deutliche Einschränkung des Dispositionsvermögens des Angeklagten durch chronische und aktuelle psychogene Umstände und einen mittelgradigen Alkoholeinfluß, die volle Schadensgutmachung und eine Provozierung durch die Türken als mildernd.

Gegen den Strafausspruch richten sich die Berufungen der Staatsanwaltschaft, die eine Erhöhung des Strafmaßes unter Ausschaltung der außerordentlichen Strafmilderung anstrebt, sowie jene des Angeklagten, der eine Herabsetzung begehrt. Nur jener der Anklagebehörde kommt Berechtigung zu. Der Angeklagte vermag in seiner Berufung keine ihm zusätzlich zugutezuhaltenden Milderungsgründe aufzuzeigen.

Die Staatsanwaltschaft hingegen macht mit Recht geltend, daß angesichts des sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Tötungsvorsatzes des Angeklagten, der sich in der Abgabe einer Vielzahl von Schüssen - in zum Teil weiten zeitlichen Abständen - manifestiert, von einem atypisch leichten Fall im Sinn des § 41 StGB nicht gesprochen werden kann. Den Ausführungen im erstgerichtlichen Urteil ist im übrigen auch gar nicht zu entnehmen, aus welchen spezifischen Erwägungen es das Vorliegen der Voraussetzungen der außerordentlichen Strafmilderung für gegeben hielt.

Aus den dargelegten Erwägungen war daher unter Ausschaltung der Anwendung des § 41 StGB das Strafmaß entsprechend zu erhöhen. Angesichts der vorliegenden gewichtigen Milderungsgründe erschien ein Strafmaß an der gesetzlichen Untergrenze vertretbar. Es entspricht dem Unrechtsgehalt der Taten und der Schuld des Täters. Der Berufung der Staatsanwaltschaft war somit Folge zu geben, das Strafmaß auf zehn Jahre zu erhöhen und der Angeklagte mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E13485

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0150OS00015.88.0315.000

Dokumentnummer

JJT_19880315_OGH0002_0150OS00015_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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