Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Uta T***, Pensionistin, Waldschenkenweg 10, 9210 Pörtschach, vertreten durch Dr. Hugo Schally und Dr. Anton Knees, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagten Parteien 1) Robert S***, Angestellter, Moosburgerstraße 18, 9210 Pörtschach, und 2) A*** E***
Versicherungs-AG, Kärntner Ring 12, 1015 Wien, beide vertreten durch Dr. Johann Tischler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 1,300.092,19 s.A. und Zahlung von monatlichen Renten von S 12.440,-- und S 3.807,10, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 23. November 1987, GZ 1 R 160/87-37, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 7. Mai 1987, GZ 24 Cg 393/85-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Akten werden dem Bezirksgericht Klagenfurt als Pflegschaftsgericht mit der Verständigung übermittelt, daß sich bei der klagenden Partei mit Beziehung auf den Rechtsstreit Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben haben. Der Rechtsstreit wird bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes unterbrochen.
Text
Begründung:
Die Klägerin wurde am 17. März 1983 bei einem vom Erstbeklagten verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt. Die Ersatzpflicht der Beklagten ist dem Grunde nach nicht strittig.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Betrages von S 1,300.092,19 s.A. und monatlicher Renten von S 12.440,-- und S 3.807,10.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 1,179.585,--s.A. und monatlicher Renten von S 12.356,-
- vom 1. November bis 31. Dezember 1985, von S 12.264,-- vom 1. Jänner bis 31. Dezember 1986 und von S 12.160,-- ab 1. Jänner 1987 sowie von S 3.699,80 vom 1. November bis 31. Dezember 1985, von S 3.582,20 vom 1. Jänner bis 31. Dezember 1986 und von S 3.450,10 ab 1. Jänner 1987, dies 14mal jährlich bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres der Klägerin. Das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 120.507,20 s.A. gerichtete Mehrbegehren und das Rentenmehrbegehren wies es ab.
Dieses Urteil wurde in seinem klagsstattgebenden Teil von den Beklagten mit Berufung bekämpft.
Das Berufungsgericht gab diesem Rechtsmittel keine Folge. Gegen diese Entscheidunh des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen wegen Nichtigkeit aufzuheben, allenfalls sie im Sinne der vollinhaltlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben. Unter dem Revisionsgrund der Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs. 1 Z 5 ZPO machen die Beklagten geltend, das bisherige Verfahren sei nichtig, weil die Klägerin infolge ihrer körperlichen und geistigen Leiden der Vertretung durch einen Sachwalter bedürfe. Sie habe beim Unfall vom 17. März 1983 eine schwere traumatische Hirnschädigung und eine schwere Gehirnerschütterung erlitten. Es bestehe bei ihr ein anallisches Syndrom mit Tetraplegie und kompletter Amaurose. Die Klägerin sei zumindest bis zum Schluß des Verfahrens erster Instanz gänzlich arbeits- und erwerbsunfähig gewesen und habe ständiger Pflege bedurft. Sie sei im Zeitpunkt der Einbringung der Klage und bis zum Schluß der Verhandlung in erster Instanz einem Kind unter 7 Jahren gleichgestanden und habe daher zur Erhebung der Klage eines Vertreters (Sachwalters) bedurft; überdies wäre die Klagsführung durch das zuständige Pflegschaftsgericht zu genehmigen gewesen. Tatsächlich sei die Klägerin im bisherigen Verfahren nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen und es liege auch keine pflegschaftsbehördliche Genehmigung der Klagsführung vor. Die Klägerin verwies in ihrer Revisionsbeantwortung darauf, es sei den vorliegenden Gutachten nicht zu entnehmen, daß sie psychisch krank oder geistig behindert wäre. Da sie im Zeitpunkt der Klagseinbringung bereits volljährig und weder psychisch krank noch geistie behindert gewesen sei, sei ihre Prozeßfähigkeit, die weder vom Erstgericht noch vom Berufungsgericht in Zweifel gezogen worden sei, von Anfang an gegeben gewesen, sodaß der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z 5 ZPO nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 6a ZPO ist es dem Prozeß- bzw. Rechtsmittelgericht seit dem Inkrafttreten des Sachwaltergesetzes (1. Juli 1984) verwehrt, die Prozeßfähigkeit der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegender Parteien, für die kein Sachwalter bestellt wurde, selbständig zu prüfen (Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 349; EvBl. 1986/162; 8 Ob 700/86; 1 Ob 632/87). Es hat in solchen Fällen vielmehr das Pflegschaftsgericht zu verständigen und ist gemäß § 6a dritter Satz ZPO in derartigen Fällen an die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes gebunden.
Wie sich aus den Gesetzesmaterialien (Rv 742 BlgNR 15. GP 23) eindeutig ergibt, besteht der Zweck der neu geschaffenen Bestimmung des § 6a ZPO darin, die Beurteilung der Prozeßfähigkeit von der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterworfenen geistig behinderten Personen ausschließlich dem Pflegschaftsgericht zuzuweisen.
Es ist daher dem Obersten Gerichtshof verwehrt, zu den Ausführungen der Beklagten zum Revisionsgrund der Nichtigkeit in der Weise Stellung zu nehmen, daß er die Prozeßfähigkeit der Klägerin auf Grund der Aktenlage selbständig beurteilt. Er hat vielmehr, da in diesen Revisionsausführungen der Beklagten behauptet wird, daß bei der Klägerin Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB mit Beziehung auf den vorliegenden Rechtsstreit bestehen, im Sinne der Vorschrift des § 6a ZPO die Akten dem zuständigen Pflegschaftsgericht mit der in dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Verständigung zu übermitteln. Das Pflegschaftsgericht wird, wenn es die Prozeßfähigkeit der Klägerin aus den im § 273 Abs. 1 ABGB normierten Gründen verneinen sollte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um die ordnungsgemäße Vertretung der Klägerin in diesem Rechtsstreit sicherzustellen. Andernfalls wird es einen Einstellungsbeschluß nach § 243 AußStrG zu fassen haben, dem nach § 6a dritter Satz ZPO bei Beurteilung der Frage der Prozeßfähigkeit der Klägerin (nach Eintritt seiner Rechtskraft) Bindungswirkung zukommt (8 Ob 700/86).
Bis zu der das Prozeßgericht und die Rechtsmittelgerichte in dieser Frage bindenden Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes ist das Verfahren auszusetzen (Fasching aaO; Maurer, Sachwalterrecht 100; EvBl. 1986/162; 8 Ob 700/86).
Anmerkung
E13515European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00014.88.0315.000Dokumentnummer
JJT_19880315_OGH0002_0020OB00014_8800000_000