Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosemarie L***, Pensionistin, Kienbergstraße 1, 6330 Kufstein, vertreten durch Dr. Friedrich Krall, Rechtsanwalt in Kufstein, wider die beklagten Parteien 1.) Z*** K*** Versicherungen Aktiengesellschaft, Schwarzenbergplatz 15, 1015 Wien, 2.) Firma Guido S***, Klarenbrunnstraße 97, 6700 Bludenz, 3.) Gerd Kajetan R***, Kraftfahrer, Mossmaatstraße 6, 6850 Dornbirn, alle vertreten durch Dr. Arne Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 898.563,25 und Rente (S 7.964,--), infolge Revision und Rekurses der beklagten Parteien gegen das Urteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 3. September 1987, GZ 2 R 91/87-53, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12. Dezember 1986, GZ 12 Cg 501/82-43, teilweise abgeändert und im übrigen aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
1.) Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es unter Miteinbeziehung des in Rechtskraft erwachsenen Teiles zu lauten hat:
"1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen den Betrag von S 158.911,15 samt 4 % Zinsen seit 1. Juli 1985 zu bezahlen. Das Mehrbegehren in Höhe von S 139.652,10 samt 4 % Zinsen seit 1. Juli 1984 und von 4 % Zinsen aus S 158.911,15 vom 1. Juli 1984 bis 30. Juni 1985 wird abgewiesen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, die erstbeklagte Partei allerdings nur bis zum Erreichen der Versicherungssumme, der Klägerin monatlich im vorhinein ab 1. Jänner 1986 eine Rente in Höhe von S 5.764,-- zu bezahlen, und zwar bis 20. September 2001.
Das Rentenmehrbegehren wird abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten."
2.) Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben; die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 6. Oktober 1980 ereignete sich gegen 23,35 Uhr auf der Bundesstraße 312 im Gemeindegebiet von Söll ein Verkehrsunfall, an welchem der Drittbeklagte als Lenker eines LKW-Zuges, dessen Halter die Zweitbeklagte und dessen Haftpflichtversicherer die Erstbeklagte waren, sowie Christine R*** als Lenkerin des PKWs T 695.194 beteiligt waren. In diesem PKW fuhr die Klägerin mit und wurde bei dem Unfall schwer verletzt. Die grundsätzliche Haftung der drei Beklagten für alle der Klägerin dadurch entstandenen Schäden steht außer Streit.
Die Klägerin begehrte von den Beklagten restlich S 600.000,-- aus dem Titel des Schmerzengeldes und der Verunstaltungsentschädigung. Weiters beantragte sie den Zuspruch von S 206.163,25 an Verdienstentgang für die Zeit vom 1. Juli 1982 bis 31. Dezember 1985. An Haushaltshilfe machte sie für die gleiche Zeit S 92.400,-- geltend. Schließlich begehrte sie nach Abzug von Sozialversicherungsleistungen eine monatliche Verdienstentgangsrente von S 5.764,-- ab 1. Jänner 1986 und stellte ein weiteres Rentenbegehren von S 2.200,-- an vermehrtem Aufwand für Haushaltstätigkeit.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Das Schmerzengeld- und Verunstaltungsbegehren sei bereits mit S 400.000,-- abgegolten worden. An Verdienstentgang stünde höchstens ein Betrag von S 158.911,15 zu. Ein Anspruch auf Ersatz für Haushaltshilfe bestehe nicht. Das auf Verdienstentgang gestützte Rentenbegehren sei überhöht, das auf Ersatz für Haushaltshilfe gegründete Rentenbegehren sei nicht berechtigt.
Das Erstgericht sprach der Klägerin S 851.311,15 s.A. und eine monatlich Rente von S 7.964,-- zu. Ein Mehrbegehren von S 47.252,10 wies es ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es mit Teilurteil der Klägerin an Verdienstentgang und Kosten einer Haushaltshilfe S 251.311,15 und eine monatliche Rente von S 7.964,-- bis 20. September 2001 zusprach. Die Abweisung des Mehrbegehrens von S 47.252,10 blieb als unbekämpft unberührt. Hinsichtlich des Anspruches auf Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung von S 600.000,-- hob es das erstgerichtliche Urteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Das Gericht zweiter Instanz sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, S 300.000,-- übersteigt und fügte seinem Beschluß einen Rechtskraftvorbehalt bei. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richten sich die Revision und der Rekurs der Beklagten. In der Revision stützen sich die Rechtsmittelwerber auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO und beantragen die Abänderung des angefochtenen Urteiles dahin, daß der (an Ersatz für Haushaltshilfe) zugesprochene Betrag von S 92.000,-- (gemeint S 92.400,--) und die diesem entsprechende Rente von monatlich S 2.200,-- abgewiesen werden mögen. Im Rekurs beantragten die Beklagten, daß das Revisionsgericht selbst das Klagebegehren von S 600.000,-- (Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung) abweisen oder mit Aufhebung vorgehen möge.
In der Revisions- und Rekursbeantwortung beantragt die Klägerin, den Rechtsmitteln der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist gerechtfertigt; der Rekurs ist nicht berechtigt. Von den Feststellungen der Vorinstanzen sind hier nur mehr folgende zum Begehren auf Aufwandersatz für Haushaltshilfe sowie zum Schmerzengeld und zur Verunstaltungsentschädigung relevant:
Vor ihrem Unfall war die Klägerin zwischen 8,30 Uhr und 12 Uhr und zwischen 14 Uhr und 18 Uhr im Geschäft des Klaus F*** tätig. Daneben war es ihr weitgehend möglich, den Haushalt selbst zu führen. Allerdings haben sie und ihr Lebensgefährte meistens unter der Woche bei ihrer Mutter Maria R*** gegessen, wofür sie S 30,-- pro Essen bezahlten. Nicht festgestellt werden kann, wer jetzt den Haushalt versorgt und ob dafür bezahlt wird. Die Klägerin würde infolge ihrer Unfallsverletzungen vielleicht nicht täglich eine Hilfe brauchen, aber auf jeden Fall dreimal in der Woche für jeweils 2 bis 3 Stunden. Am Arbeitsmarkt ist sie nicht vermittelbar. Sie erlitt durch den Unfall einen Schlüsselbeinbruch und Serienrippenbrüche sowie einen Darm-, Milzund Leberriß; zudem wurde das Rückgrat verletzt und ein Wirbel gesprengt. Dazu kam ein stumpfes Hals- und Schädeltrauma. Zwar führte der Unfall zunächst zu keiner gravierenden Schädelverletzung, jedoch entwickelte sich eine zunehmende Halbseitensymptomatik rechts aufgrund einer Thrombosierung der linken Halsschlagader. Diese wurde zunächst operiert. In der Folge stellte sich jedoch heraus, daß es auch zu einer Thrombosierung und zu einem Verschluß der rechten Halsschlagader gekommen war. Die Klägerin verblieb zunächst in intensivmedizinischer Pflege, anschließend in stationärer Behandlung an der gefäßchirurgischen Abteilung, sodann an der neurologischen Klinik. In der Folge wurde sie im Rehabilitationszentrum Bad Häring nachbetreut; im Herbst 1982 kam sie für drei Monate in das Rehabilitationszentrum für Schädelverletzte in Meidling. Bei der Klägerin hatte sich eine ausgedehnte Durchblutungsstörung der linken Hirnhälfte mit entsprechender Halbseitenlähmung, Sprachstörungen, psychoorganischen Veränderungen sowie anfänglicher Halbseitenblindheit entwickelt. Die thrombotischen Verschlüsse der Halsschlagadern sind mittelbare Folgen des Halstraumas gewesen. Die neurologische Defektsymptomatik (im einzelnen eine spastische Halbseitenlähmung rechts mit nahezu völliger Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes, schweren Gangbehinderungen, expressiven Sprachstörungen und leichten psychoorganischen Veränderungen) bedingt volle Invalidität. Mit einer Besserung ist nicht mehr zu rechnen. Aus unfallchirurgischer Sicht hatte die Klägerin komprimiert Schmerzen schweren Grades in der Dauer von vier Wochen, mittleren Grades in der Dauer von zehn Wochen und leichten Grades in der Dauer von vier Monaten zu erleiden. Die darüber hinaus weiterhin auftretenden seelischen Beeinträchtigungen, zeitweiligen Kopf- und Extremitätenschmerzen im Rahmen der spastischen Halbseitenlähmung rechts, kommen (komprimiert) pro Jahr mindestens vier Wochen Schmerzen leichten Grades gleich. Eine Obergrenze ist medizinisch schwer festzustellen; beispielsweise drei Monate komprimierte Schmerzen im Jahr wären eine durchaus abschätzbare Zahl. Dabei ist die gesamte Einschränkung des Lebensgefühls mitberücksichtigt. Die Klägerin leidet in erster Linie an seelischen, nich an körperlichen Schmerzen. Sie ist geistig nicht eingeschränkt, d.h., sie erlebt den vorliegenden Defektzustand voll, es besteht volles Sprachverständnis, jedoch ist bei ihr die Formung der Sprache erschwert, sodaß sie einen geistig retardierten Eindruck hinterläßt und davon weiß. Die Klägerin ist fähig, einfache Tätigkeiten zu verrichten, sie kann sich selbst kleiden und versorgen und kann auch leichte Wascharbeiten durchführen. Beim Einkaufen kann sie nur eine Tasche mit höchstens 10 kg tragen. An leichteren Haushaltarbeiten kann sie ein Ei kochen, ein Fensterbrett abstauben oder eine Päckchensuppe zubereiten. Alles, was zwei Hände erfordert, insbesondere das Kochen von komplizierten Speisen, ist für sie unmöglich. Eine Halbseitenlähmung ist mehr als nur der Verlust einer Hand. Dadurch wird nämlich auch die Motorik des Rumpfes und des Beines beeinträchtigt. Bei der Klägerin kommt dazu eine Rechts-links-Störung, eine Rechenschwäche, eine Unorientiertheit; sie ist im Verhalten generell verlangsamt, schwerfälliger und umständlicher als normale Menschen. Würde die Klägerin alleine leben, käme sie spätestens nach drei Tagen in Schwierigkeiten, insbesondere mit der Reinigung der Wohnung und ihrer selbst. Sie ist zwar nicht beim Verrichten der Notdurft, wohl aber beim Aus- und Anziehen sowie beim Reinigen behindert. Ihre sexuelle Appetenz ist vermindert. Während die anfängliche Halbseitenblindheit sich gänzlich legte, besteht eine Behinderung im Lesen und im Hören von Musik (weil das Verbinden von Harmonien gestört ist). Eine Behinderung des Geruchs- und Geschmacksinnes besteht nicht. Der Gleichgewichtssinn ist zwar nicht beeinträchtigt, wohl aber das Halten des Gleichgewichts.
Rechtlich erachtete das Erstgericht einen Aufwandersatz für Haushaltshilfe von S 92.400,-- und eine monatliche Rente von S 2.200,-- für eine Haushaltshilfe (S. 27 des Ersturteiles) für berechtigt. Außerdem erkannte es ein restliches Schmerzengeld von S 400.000,-- (unter Berücksichtigung der Teilzahlung von S 400.000,--) sowie eine Verunstaltungsentschädigung von S 200.000,-- zu. Dazu kamen der hier nicht weiter relevante Verdienstentgang von S 158.911,15 und die diesbezügliche Rente von S 5.764,-- monatlich.
Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, daß der vom Sozialversicherungsträger der Klägerin gewährte Hilflosenzuschuß sachlich kongruent mit der Inanspruchnahme einer Haushaltshilfe sei; demgemäß sei der Anspruch der Klägerin auf Entschädigung für Haushaltshilfe als ein solcher der Vermehrung eigener Bedürfnisse gemäß § 332 Abs 1 ASVG auf den Sozialversicherungsträger übergegangen. Die Klägerin sei daher insoweit nicht aktiv legitimiert. Da sie sich aber den Hilflosenzuschuß auf den (allerdings nicht kongruenten) Verdienstentgangsanspruch anrechnete, solle ihr daraus "kein Nachteil erwachsen" und ihr der an Entschädigung für Haushaltshilfe angesprochene Kapital- und Rentenbetrag dennoch ungekürzt zukommen. Im bisherigen Verfahren sei keine Differenzierung erfolgt, wieviel die Klägerin an Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung tatsächlich beansprucht; das erstgerichtliche Verfahren sei diesbezüglich daher mangelhaft geblieben, weshalb es in diesem Belang aufzuheben war. Demgegenüber verweisen die Beklagten in der Revision zutreffend darauf, daß es dem Berufungsgericht verwehrt war, den aus dem Titel des Verdienstentganges begehrten Betrag bzw. die daraus abgeleitete Rente deshalb zu erhöhen, weil der aus dem Titel des Ersatzes des Aufwandes für Haushaltshilfe begehrte Betrag sich als ungerechtfertigt erwiesen habe. Wird das Begehren auf Schadenersatz in einzelne Posten aufgegliedert, dann muß die Entscheidung auf jeden Anspruch gesondert abgestellt werden; Minderbeträge in einer Richtung können nicht durch Mehrbeträge zugunsten einer anderen Post ausgeglichen werden (ZVR 1960/97; ZVR 1969/24 ua). Auf nichts anderes läuft aber die Ansicht des Berufungsgerichtes hinaus, wenn es der Klägerin einen höheren Verdienstentgang zubilligt, weil der für die Haushaltshilfe geltend gemachte Anspruch infolge Legalzession gemäß § 332 Abs 1 ASVG wegfiel. Die Revision erweist sich daher im vollen Umfang der Bekämpfung des Zuspruches von S 92.400,-- und der darauf beruhenden Rente von monatlich S 2.200,-- als berechtigt, weshalb ihr wie im Spruch Folge zu geben war. Gemäß § 392 Abs 2 ZPO war die Kostenentscheidung dem Endurteil vorzubehalten.
Hingegen erweisen sich die Rekursausführungen der Beklagten als unberechtigt. Das Berufungsgericht hat zutreffend dem Erstgericht aufgetragen, die Klägerin zu veranlassen, darzulegen, wieviel sie an Schmerzengeld und wieviel an Verunstaltungsentschädigung tatsächlich beansprucht. Nach ständiger Rechtsprechung muß jeder von mehreren in einer Klage geltend gemachten Schadenersatzansprüche ziffernmäßig bestimmt und ausreichend individualisiert sein (EvBl 1961/149; 14 Ob 188/86 ua). Jeder der Ansprüche ist für sich zu prüfen; über beide Ansprüche ist urteilsmäßig abzusprechen (1 Ob 710/80 ua). Den Beklagten kann nicht gefolgt werden, daß die Klägerin nur Schmerzengeld geltend gemacht hätte. Sie verweist vielmehr ausdrücklich darauf (vgl. AS 3 und AS 24), daß sie die Absicht hatte, ihren langjährigen Freund Klaus F*** zu heiraten; hiefür bestünde aufgrund der Unfallsfolgen und ihrer Entstellung überhaupt keine Aussicht mehr, weshalb das Klagebegehren auch auf § 1326 ABGB gestützt werde (AS 24). Solange aber noch nicht klargelegt ist, wie hoch die für Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung im einzelnen begehrten Beträge innerhalb des bisher als Globalsumme beanspruchten Betrages sind, kann eine Beurteilung über deren Berechtigung nicht erfolgen. Dem Rekurs war somit der Erfolg zu versagen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.
Anmerkung
E13520European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00006.88.0315.000Dokumentnummer
JJT_19880315_OGH0002_0020OB00006_8800000_000