Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ulrich F***, geboren am 28. Dezember 1949 in Graz, Trafikant, Graz, Metahofgasse 6, vertreten durch Dr. Alois Siegl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Helmtraud F***, geboren am 11. März 1951 in Graz, Angestellte, Graz, Moserhofgasse 47, vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 23. November 1987, GZ 4 R 187/87-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 3. Juni 1987, GZ 11 Cg 114/86-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Streitsache wird zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Prozeßkosten.
Text
Begründung:
Die Streitteile, die österreichische Staatsbürger sind, haben am 14. September 1985 vor dem Standesamt Graz zu
Familienbuch Nr. 867/1985 die Ehe geschlossen; beim Kläger handelt es sich um die zweite und bei der Beklagten um die dritte Ehe. Der Ehe entstammen keine Kinder.
Mit der Behauptung, die Ehe sei zerrüttet, weil die Beklagte zur Trunksucht neige und ihn in betrunkenem Zustand tätlich angreife, beschimpfe und schon mehrmals verletzt habe, begehrt der Kläger die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Dem Kläger sei ihre Trunksucht schon bei der Eheschließung bekannt gewesen; sie sei alkoholkrank, stehe unter ständiger ärztlicher Betreuung und habe Entziehungskuren durchgemacht. Nach Mitteilung der behandelnden Ärzte sei derzeit eine äußerst günstige Zukunftsprognose zu stellen. Sie sei nur einmal - im Februar 1986 - rückfällig geworden und habe den Kläger in alkoholisiertem Zustand beschimpft. Der Vorfall sei dadurch ausgelöst worden, daß sie bei ihren Bemühungen, den Kläger im Geschäft zu unterstützen, überfordert gewesen sei. Das Scheidungsbegehren sei sittlich nicht gerechtfertigt. Der Kläger habe ihr mittlerweile auch verziehen. Da der Kläger sie ungerechtfertigt verlassen habe, stelle sie für den Fall der Scheidung einen Mitschuldantrag.
Der Erstrichter sprach aus, daß die Ehe geschieden werde und das Verschulden die Beklagte treffe. Er stellte fest:
Die Streitteile hätten sich ca. im Herbst 1984 näher kennengelernt. Die Beklagte sei Alkoholikerin. Der Kläger habe versucht, die Beklagte in das Arbeitsleben wieder einzufügen; er habe sie in seiner Trafik angestellt. Das Zusammenleben der Streitteile habe seit etwa Frühjahr 1985 ohne Schwierigkeiten funktioniert. Rund einen Monat nach der Eheschließung habe die Beklagte im Herbst 1985 begonnen, den Kläger insoweit zu belügen, als sie vorgegeben habe, keinen Alkohol getrunken zu haben. In Abwesenheit des Klägers habe sie die Trafik während der Geschäftszeit mehrfach geschlossen gehalten. Der Kläger habe öfters seine Mutter angerufen und ersucht, deshalb im Geschäft auszuhelfen. Einmal habe die Mutter des Klägers die Beklagte derart betrunken im Geschäft vorgefunden, daß sie versucht habe, den Kreislauf der Beklagten mit "Abreibungen" wieder in Gang zu bringen. Im Jänner 1986 habe der Kläger selbst einmal bemerkt, daß auf der Tür der Trafik während der Geschäftszeit das Schild "komme gleich" angebracht gewesen sei. Er habe das Geschäft aufgeschlossen; wartende Kunden hätten ihm mitgeteilt, daß derartiges schon öfters der Fall gewesen sei. Als die Beklagte dann gekommen sei, habe der Kläger nicht feststellen können, ob sie tatsächlich betrunken gewesen sei. Ab Jänner 1986 sei die Beklagte mehrfach in betrunkenem Zustand gegen den Kläger tätlich geworden und habe ihn im Gesicht und an den Armen arg gekratzt. Im Februar 1986 sei die Beklagte von einem Kunden des Klägers am Vormittag ins Geschäft gebracht worden; sie habe darauf begonnen, zu randalieren und den Kläger tätlich anzugreifen. In betrunkenem Zustand entwickle sie starke Kräfte, so daß dritte Personen zur Bändigung benötigt würden. Der Kläger habe deshalb seine Mutter zu Hilfe gerufen. Diese sei wieder gekommen und habe versucht, durch kreislaufbelebende Aktionen den Zustand der Beklagten zu lindern. Bei diesem Vorfall habe die Beklagte den Kläger und seine Mutter tätlich angegriffen und gekratzt. Als die Mutter einmal dem Kläger entgegengegangen sei, habe die Beklagte die kurze Zeitspanne ausgenützt, um eine Flasche Metaxa zu leeren. In einem unbemerkten Augenblick sei sie in der Küche der Mutter des Klägers an den Rum gekommen. Am Abend habe sie erklärt, daß sie nicht mehr bei der Mutter des Klägers bleiben wolle; hierauf habe sie der Kläger wegen ihrer Trunkenheit an der Rückkehr in die Ehewohnung gehindert. Am darauffolgenden Tag habe der Kläger die Beklagte nach Hause gebracht. Wegen des Verhaltens der Beklagten sei der Kläger am 27. Februar 1986 aus der Ehewohnung ausgezogen; er habe auch das Arbeitsverhältnis mit ihr gekündigt. Der letzte Geschlechtsverkehr zwischen den Streitteilen habe im Jänner 1986 stattgefunden; nach dem Auszug des Klägers aus der gemeinsamen Wohnung sei es zu keinem Geschlechtsverkehr mehr gekommen. Der Kläger sei noch einige Male nach dem 27. Februar 1986 in die Wohnung gegangen, um Fahrnisse abzuholen; dabei habe er die Beklagte in betrunkenem Zustand vorgefunden. Als ihr der Kläger einmal medizinisch wegen einer blauen Gesichtshälfte habe helfen wollen, habe die Beklagte dies mit Tätlichkeiten und Handgreiflichkeiten verhindert. Nach dem Auszug des Klägers aus der Ehewohnung sei es zwischen den Streitteilen zu keinen Vereinbarungen und auch zu keiner Verzeihung gekommen. Die Beklagte sei mehrfach unaufgefordert in das Geschäft des Klägers gekommen und habe versucht, dort tätig zu sein. Der Kläger habe sich bemüht, die Beklagte immer auf Distanz zu halten, und habe ihr erklärt, sie müsse zur Kenntnis nehmen, daß es so nicht weitergehe.
Rechtlich meinte der Erstrichter, nach ständiger Rechtsprechung sei übermäßiger Alkoholgenuß, der zu Auseinandersetzungen, Exzessen, Beschimpfungen und Tätlichkeiten führe, als schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG zu qualifizieren. Die Beklagte habe den Kläger mehrfach über ihren Alkoholkonsum belogen, ihre Tätigkeit in seinem Geschäft vernachlässigt, den Kläger in betrunkenem Zustand tätlich angegriffen, mißhandelt und gekratzt. Dieses Verhalten bilde eine schwere Eheverfehlung, die objektiv geeignet sei, die Zerrüttung der Ehe herbeizuführen. Angesichts des Verhaltens der Beklagten könne der Auszug des Klägers aus der Ehewohnung nicht als Eheverfehlung angesehen werden. Daraus, daß er versucht habe, auf die Beklagte beruhigend einzuwirken und sie auf Distanz zu halten, könne nicht auf eine Verzeihung im Sinne des § 56 EheG geschlossen werden. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstrichters als das Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und billigte seine rechtliche Beurteilung. Soweit die Beklagte geltend mache, daß ihre Handlungen auf ihren Alkoholismus, der als geistige Störung zu beurteilen sei, zurückzuführen seien, verstoße sie gegen das Neuerungsverbot; im übrigen werde nur eine solche unwiderstehliche Alkoholsucht als geistige Störung angesehen, die die moralische Kraft des Betroffenen in seiner Willensbildung erheblich beeinträchtige, aber sein Geistesleben nicht so beeinflusse, daß die geistige Gemeinschaft mit dem anderen Ehepartner aufgehoben werde. Der Kläger habe Eheverfehlungen nach § 49 EheG geltend gemacht und sich nicht auf § 50 EheG gestützt; der Beklagten stehe es nicht frei, das Scheidungsbegehren in ein solches nach § 50 EheG umzumünzen und sich daraus prozessuale Vorteile, wie zB die Berufung auf die Härteklausel zu verschaffen. Da die Beklagte keine Eheverfehlung des Klägers nachzuweisen vermocht habe, sei ihr Mitschuldantrag mit Recht nicht beachtet worden.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil von der Beklagten erhobene Revision ist berechtigt.
Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nach Prüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Nach Meinung der Beklagten sei das Scheidungsbegehren nach § 49 EheG verfehlt, weil das ihr vorgeworfene Verhalten auf ihren Alkoholismus zurückzuführen sei, der "letztlich als Krankheit zu qualifizieren" sei; die unwiderstehliche Alkoholsucht sei als geistige Störung zu beurteilen, ein darauf beruhendes Verhalten sei aber nicht schuldhaft. Das allein auf § 49 EheG gestützte Klagebegehren wäre demnach abzuweisen.
Die Beklagte hat schon in erster Instanz geltend gemacht, sie sei alkoholkrank (ON. 8, S. 22); das Scheidungsbegehren sei sittlich nicht gerechtfertigt, weil sie die Auflösung der Ehe im Hinblick auf die Gefahr eines Rückfalles in den Alkoholismus besonders hart träfe (ON 8, S. 23). Dieses Vorbringen läßt immerhin erkennen, daß die Beklagte ihr Verhalten mit ihrem krankhaften Alkoholismus entschuldigen wollte. Ihr kann daher - entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes - nicht entgegengehalten werden, sie habe sich vor dem Erstgericht nicht auf das Vorliegen einer geistigen Störung berufen, deutet doch auch ihr Einwand der besonderen Härte einer Scheidung daraufhin, weil dieser Frage nur in den Fällen der Scheidung ohne Verschulden rechtliche Bedeutung zukommt (§ 54 EheG). Der Erstrichter hätte daher darauf hinzuwirken gehabt, daß die Beklagte ihr Vorbringen klarstellt, ihre nur ungenügenden Angaben über die zur Bekämpfung des Scheidungsbegehrens geltend gemachten Umstände vervollständigt und die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet (§§ 182 Abs 1, 195 ZPO). Die Rechtsmittelbehauptung der Beklagten, sie sei für ihre Alkoholexzesse nicht verantwortlich, kann sohin nicht mit dem Hinweis auf das Neuerungsverbot abgetan werden. Auch aus den Feststellungen ergibt sich nicht, daß bei der Beklagten keine erhebliche Beeinträchtigung der Willensbildung und -kontrolle vorläge, die die subjektive Komponente der geistigen Störung im Sinne des § 50 EheG bildet (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 50 EheG; EFSlg. 48.781 mwN).
Da diese Frage vor dem Erstgericht nicht erörtert wurde, ist der Revision der Beklagten Folge zu geben und mit einer Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen vorzugehen (§ 510 Abs 1 ZPO). Der Erstrichter wird das Verfahren in der aufgezeigten Richtung zu ergänzen haben. Soferne die Beklagte nach Erörterung (§ 182 ZPO) ihren im Rechtsmittelverfahren eingenommenen Standpunkt aufrechterhält, werden die erforderlichen Feststellungen über den psychischen Zustand der Beklagten zu treffen sein. Sollte das Erstgericht auf Grund solcher Feststellungen zum rechtlichen Schluß gelangen, daß eine psychische Störung der Beklagten (§ 50 EheG) vorliege, dann wird es - nach dem derzeitigen Verfahrensstand - das nur auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren abzuweisen haben (SZ 27/23 ua).
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E13489European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00538.88.0316.000Dokumentnummer
JJT_19880316_OGH0002_0010OB00538_8800000_000