TE OGH 1988/3/16 9ObA20/88

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Veröffentlicht am 16.03.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dkfm. Reinhard Keibl und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Hartmann L***, Angestellter, Hall in Tirol,

Kiechlanger 11, vertreten durch Dr. Gerhard Sarlay, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei prot. Firma Hans E***, Wien 21., Floridusgasse 50, vertreten durch Dr. Alexander Milavec, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 500.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juli 1987, GZ 5 Ra 1001/87-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Innsbruck vom 24. Oktober 1986, GZ 1 Cr 196/86-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 15.874,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.443,15 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten als Filialleiter beschäftigt und wurde von dieser am 28. Februar 1986 zum 30. Juni 1986 gekündigt. Mit rechtskräftigem Bescheid des Landesinvalidenamtes für Tirol vom 20. Juni 1986 wurde - auf Antrag des Klägers vom 20. November 1985, dort eingelangt am 10. Dezember 1985 - festgestellt, daß der Kläger ab 1. Dezember 1985 dem Kreis der begünstigten Invaliden angehört. Das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 50 v.H. Eine Zustimmung des Invalidenausschusses beim Landesinvalidenamt für Tirol wurde vor Ausspruch der Kündigung bzw. vor dem Kündigungstermin nicht begehrt. Dem Antrag der Beklagten vom 9. Juli 1986 auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung des Klägers wurde nicht stattgegeben und vom Invalidenausschuß mit Bescheid vom 18. September 1986 ausgesprochen, daß der Kündigung des Klägers nicht zugestimmt werde. Über die von der Beklagten gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde noch nicht entschieden.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß das Dienstverhältnis der Prozeßparteien - ungeachtet der von der Beklagten am 28. Februar 1986 zum 30. Juni 1986 erklärten Kündigung - aufrecht und die Kündigung der Beklagten vom 28. Februar 1986 rechtsunwirksam sei.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wandte ein, daß der Kläger auf Grund seiner politischen Funktionen seine Aufgabe als Filialleiter stark vernachlässigt habe. Er habe den Kunden Zusagen gemacht, die seine Kompetenzen überschritten hätten und wiederholt Reifen und Felgen ohne Belege an Kunden ausgefolgt. Diese Gründe hätten ausgereicht, den Kläger zu entlassen, doch habe sich die Beklagte auf Grund der langjährigen Mitarbeit des Klägers entschlossen, lediglich die Kündigung auszusprechen. Erst am 27. Juni 1986, 3 Tage vor Ablauf der Kündigungsfrist, habe die Beklagte vom Kläger den Bescheid des Landesinvalidenamtes für Tirol vom 20. Juni 1986 erhalten. Die Beklagte sei vom Kläger nicht informiert worden, daß er beim Landesinvalidenamt für Tirol einen Antrag auf Feststellung seiner Invalideneigenschaft gestellt habe. Sie habe daher die nachträglich Zustimmung zur Kündigung des Klägers beantragt.

Das Erstgericht gab der Klage statt und vertrat die Rechtsauffassung, daß für den Kündigungsschutz nach dem InvEG nur maßgeblich sei, ob der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung dem Kreis der begünstigten Invaliden angehört habe. Da die Invalideneigenschaft des Klägers mit Wirkung ab 1. Dezember 1985 rechtskräftig festgestellt worden sei, sei ihm bei Ausspruch der Kündigung am 28. Februar 1986 der Kündigungsschutz nach § 8 Abs 2 InvEG zugestanden. Der Kündigung sei vom Invalidenausschuß auch nicht nachträglich zugestimmt worden, sodaß sie rechtsunwirksam sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 30.000,-- übersteige. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß auch dann, wenn der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung rückwirkend als begünstigter Invalider eingestuft werde, § 2 Abs 1 InvEG zum Tragen komme und die Kündigung als unwirksam anzusehen sei. Auch bestehe der Schutz des InvEG unabhängig von der Kenntnis des Arbeitgebers von der Begünstigung. Den Antrag der Beklagten, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung des Klägers zu unterbrechen, wies das Berufungsgericht ab, weil eine endgültige Entscheidung nicht abzusehen sei. Es sei daher zweckmäßig, das vorliegende Verfahren nach der derzeitigen Sach- und Rechtslage abzuschließen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Unterbrechungs- und ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt nicht vor.

Gemäß § 190 Abs 1 ZPO kann das Gericht das Verfahren unterbrechen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreites ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, welches in einem anhängigen Verwaltungsverfahren festzustellen ist. Da das InvEG - anders als etwa § 11 AHG - die Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens nicht zwingend vorschreibt, bleibt es bei der allgemeinen Regelung des § 190 Abs 1 ZPO, wonach die Unterbrechung angeordnet werden kann, aber nicht zwingend anzuordnen ist (vgl. Floretta-Strasser ArbVG 827). Daraus folgt, daß die Ablehnung der Unterbrechung gemäß § 192 Abs 2 ZPO unanfechtbar ist.

Die Rechtsrüge ist ebenfalls verfehlt. Bei der im § 8 Abs 2 Satz 2 InvEG vorgesehenen nachträglichen Zustimmung des Invalidenausschusses handelt es sich um einen rechtsgestaltenden Bescheid, der selbst eine neue Rechtslage und damit ein das Gericht bindendes Sachverhaltselement schafft. Die Frage, ob die nachträgliche Zustimmung zu erteilen ist, ist daher vom Gericht nicht als Vorfrage zu beurteilen, sondern es hat den Umstand, daß die vom Gesetz geforderte nachträgliche Zustimmung des Invalidenausschusses im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch nicht vorlag, als Sachverhaltselement der Entscheidung zugrundezulegen (vgl. SZ 53/67 = Arb. 9.872 = EvBl 1980/217 = RdA 1983, 98 mit insoweit zustimmender Besprechung von Löschnigg = SozM II B 1153 = ZAS 1981, 104 zustimmend Wachter; Arb 10.185; zuletzt 4 Ob 168/85; vgl. auch Floretta-Strasser ArbVG 826). Für den Fall, daß im Verwaltungsverfahren die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung gemäß § 8 Abs 2 Satz 2 InvEG erteilt werden sollte, läge in erweiternder, die Grundsätze des § 69 Abs 1 lit c AVG übernehmender Auslegung des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO ein Grund zur Wiederaufnahme dieses Verfahrens vor (Fasching ZPR 2058; Arb. 10.584 sowie zuletzt 9 Ob A 13/87).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E13645

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00020.88.0316.000

Dokumentnummer

JJT_19880316_OGH0002_009OBA00020_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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