Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Hofmann, Dr.Schlosser und Dr.Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Bianca S***, geboren 17. August 1978, und Rene S***, geboren 22.Feber 1980, infolge Revisionsrekurses des Unterhaltssachwalters M*** DER L*** ST.P***, Jugendhilfe, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgerichtes vom 7.Oktober 1987, GZ R 520/87-21, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 10.September 1987, GZ 2 P 152/78-17 abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 4.11.1986, 2 Sch 63/86-3, einvernehmlich geschieden. Mit Vergleich vom selben Tag wurde das Sorgerecht (§ 144/ABGB) an beiden Kindern der Mutter zuerkannt, der Vater verpflichtete sich ab 15.11.1986, einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 1.000 je Kind zu bezahlen. Dieser Unterhaltsvereinbarung lag ein Nettoeinkommen des Vaters von ca. S 9.000 und der Mutter von ca. S 6.500 monatlich zugrunde. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 26.1.1987, ON 10, wurde dieser Vergleich pflegschaftsbehördlich genehmigt; gleichzeitig wurde die Jugendhilfe des Magistrates der Stadt St.Pölten zum Unterhaltssachwalter bestellt.
Am 23.6.1987 beantragte der Unterhaltssachwalter die Erhöhung des vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhaltsbetrages ab 1.7.1987 auf S 1.500 je Kind. Die Bedürfnisse der Kinder hätten sich erhöht, die Mutter sei Hausfrau und beziehe kein Einkommen. Der Vater sprach sich gegen die beantragte Erhöhung aus. Das Erstgericht erhöhte den vom Vater zu leistenden Unterhaltsbetrag antragsgemäß. Es stellte fest, daß der Vater in der Zeit vom 1.7.1986 bis 30.6.1987 insgesamt S 145.001,88 verdient habe, sein monatliches Einkommen betrage S 12.083, das Einkommen sei wesentlich höher als die beim Abschluß des Unterhaltsvergleiches angegebene Bemessungsgrundlage.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und wies den Erhöhungsantrag ab. Jeder Festsetzung einer Unterhaltspflicht wohne die Umstandsklausel inne. Nur unter der Voraussetzung einer wesentlichen Änderung der für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Verhältnisse der Beteiligten könne eine rechtskräftige Unterhaltsfestsetzung geändert werden. Die für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Komponenten seien die Unterhaltsbedürfnisse der Kinder und die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Bei Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung vorliege, seien die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Unterhaltsfestsetzung (bzw. des Vergleichsabschlusses) und der neuen Beschlußfassung einander gegenüberzustellen. Weder die finanzielle Situation des Vaters noch die Bedürfnisse der Kinder hätten seit Abschluß des Unterhaltsvergleiches eine Änderung erfahren. Aus der Lohnauskunft ergebe sich, daß der Vater während des ganzen mitgeteilten Zeitraumes (und somit auch zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses) S 12.083 monatlich verdient habe. Die Mutter habe sich bei Abschluß der Unterhaltsvereinbarung mit relativ geringfügigen Unterhaltsbeiträgen für die beiden Kinder zufrieden gegeben. Damit sei offenbar berücksichtigt, daß der Vater erhebliche finanzielle Belastungen aus der Ehe weiter zu tragen habe. Die Unterhaltsvereinbarung sei pflegschaftsbehördlich genehmigt worden, so daß das Gericht bei seiner Entscheidung über den Unterhaltserhöhungsantrag jedenfalls so lange an diese Unterhaltsvereinbarung gebunden sei, als nicht eine entsprechend spürbare Erhöhung der Bedürfnisse der Kinder oder eine ins Gewicht fallende Steigerung des Nettoeinkommens des Vaters eine Erhöhung rechtfertigten. Eine allfällige Verschlechterung der finanziellen Situation der Mutter seit der Scheidung durch Aufgabe ihres Arbeitsplatzes und Geburt eines weiteren Kindes habe auf den Unterhaltsanspruch der Kinder gegen ihren Vater keinen Einfluß.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters ist zulässig, weil die Frage zu beurteilen ist, ob und inwieweit die Bemessung des gesetzlichen Unterhaltsanspruches von der Wirksamkeit oder Auslegung einer vertraglichen Regelung abhängig ist (Jud.60 neu Punkt IV; zuletzt EFSlg.49.361). Er ist auch berechtigt.
Auch Kinder sind an eine pflegschaftsbehördlich genehmigte, im Wissen um die beiderseitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse getroffene Vereinbarung ihrer Eltern über den vom primär unterhaltspflichtigen Vater zu leistenden Unterhaltsbetrag so lange gebunden, als dadurch ihr gesamter Unterhalt nicht geschmälert und das Kindeswohl nicht gefährdet wird (EFSlg.40.107, 35.783, 7 Ob 670/86; vgl. EFSlg.40.623, SZ 55/193). Im Gegensatz zur Rechtsansicht des Rekursgerichtes ist es daher sehr wohl für die Frage, ob auch das Kind noch an den Unterhaltsvergleich gebunden ist, von Bedeutung, ob die Mutter derzeit ein Einkommen bezieht. Schon im Erhöhungsantrag des Unterhaltssachwalters wurde vorgebracht, daß es der nicht mehr berufstätigen Mutter nun unmöglich sei, für die Bedürfnisse der Kinder aufzukommen. Feststellungen darüber trafen die Vorinstanzen, von ihren jweils vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansichten ausgehend, nicht. Solche Feststellungen sind aber zur Beurteilung der Frage der Bindung des Kindes an den von seinen Eltern geschlossenen Unterhaltsvergleich erforderlich. Auch die im Revisionsrekurs erstmals angeschnittene Frage, ob die Festsetzung der Bemessungsgrundlage im Unterhaltsvergleich auf unrichtige (listig abgegebene) Erklärungen des Vaters zurückzuführen sei, könnte bei Verneinung einer Gefährdung des Kindeswohles von Bedeutung werden:
War die Mutter in unverschuldeter Unkenntnis des wahren Einkommens des Vaters, könnte eine bindende Willenserklärung zum Abschluß eines Verzichtsvertrages nicht angenommen werden (EFSlg.35.783, vgl. EFSlg.28.381).
Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben, die Beschlüsse der Vorinstanzen sind aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung in der aufgezeigten Richtung aufzutragen.
Anmerkung
E13726European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00532.88.0316.000Dokumentnummer
JJT_19880316_OGH0002_0010OB00532_8800000_000