Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Ing. Walter Holzer und Dr. Franz Zörner als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margarete K***, Studentin, 3314 Strengberg Nr. 106, vertreten durch Dr. Manfred G***, Referent der Handelskammer Niederösterreichs, 1014 Wien, Herrengasse 10, dieser vertreten durch Dr. Leander Schüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*** DER G*** W***,
1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Waisenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. September 1987, GZ 31 Rs 143/87-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien vom 10. Oktober 1986, GZ 11 C 43/86-5 (32 Cgs 9/87 des Landesgerichtes St. Pölten), abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 24. April 1958 geborene Klägerin bezog von der beklagten Partei eine Waisenpension nach ihrer Mutter, ihr Vater bezieht von der beklagten Partei eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Die Beklagte bezahlte ihm hiezu für die Klägerin einen Kinderzuschuß.
Mit Bescheid vom 26. März 1984 entschied die beklagte Partei, daß der Klägerin ab 1. Mai 1984 die Waisenpension nicht gebührt. Außerdem setzte sie mit einem Bescheid vom selben Tag die Pension des Vaters der Klägerin mit Ende April 1984 um den Kinderzuschuß herab. Mit Bescheid vom 13. November 1985 stellte sie schließlich einen Überbezug des Vaters der Klägerin an Vorschuß für die Ausgleichszulage in der Höhe von 13.647,20 S fest, den sie mit der zu erbringenden Leistung durch Abzug von monatlichen Raten von 300 S verrechnete.
Mit Beziehung auf den zuletzt genannten Bescheid schrieb der Vater der Klägerin der beklagten Partei in einer am 11. Dezember 1985 eingelangten Eingabe vom Vortag, daß ihne diese Rückzahlung äußerst schwer treffe, weil er ein kleiner Pensionist sei und noch für zwei studierende Kinder zu sorgen habe. Die Klägerin sei zwar schon 27 Jahre alt, habe aber in den Jahren 1977, 1978 und 1979 ihr Studium unterbrechen müssen, weil ihre am 26. Feber 1978 verstorbene Mutter schwer krank gewesen sei, fast ein Jahr im Krankenstand verbracht habe und zwischendurch pflegebedürftig gewesen sei. Die Klägerin habe damals die vorgeschriebenen Prüfungen nicht einhalten können, weil er sie ständig im Haushalt und Geschäft benötigt habe. Sie habe daher alle Prüfungen bis Ende 1986 nachzuholen. Der Vater der Klägerin ersuchte, diese Sachlage nochmals zu überdenken und ihm die Rückzahlung zu erlassen.
Die beklagte Partei wertete dieses Schreiben als Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der Waisenpension und als Antrag ihres Vaters auf Weitergewährung des Kinderzuschusses für die Klägerin und wies mit zwei Bescheiden je vom 11. Feber 1986 beide Anträge ab. Die Klägerin begehrt in ihrer Klage, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr die Waisenpension über das 26. Lebensjahr hinaus zu gewähren.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin eine Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß vom 11. September 1985 bis 25. Juni 1986 zu bezahlen. Das Mehrbegehren wurde nicht ausdrücklich abgewiesen.
Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Mutter der Klägerin erkrankte an Brustkrebs. Im Juli 1976 wurde ihr eine Brust entfernt. Von April bis August 1977 und von November 1977 bis Februar 1978 war sie mit kurzfristigen Unterbrechungen im Spital. Sie litt während der gesamten Zeit unter schweren Depressionen und war körperlich so schwach, daß ihr die Klägerin das Essen zubereiten und ihr beim An- und Ausziehen sowie beim Aufsuchen der Toilette helfen mußte. Am 26. Februar 1978 starb sie.
Die Klägerin, die ursprünglich zwei Semester Biologie studiert hatte, begann im Wintersemester 1977/78 mit dem Studium der Pharmazie. Sie mußte ihre Mutter pro Semester neben den Samstagen und Sonntagen und den Ferien in einer Zeit von etwa sechs Wochen pflegen. Nach dem Tod der Mutter mußte sie ihren Vater und ihren Bruder wiederholt betreuen und sich um die Begräbnisformalitäten kümmern. Die notwendige Pflege der Mutter, ihr Tod, ihr Begräbnis und die Pflege des Vaters und Bruders hinderten sie im Wintersemester 1977/78, ihr Studium durchzuführen. Ab dem Sommersemester 1978 konnte sie wieder lernen. Die Mindestdauer des Studiums der Pharmazie beträgt zehn Semester, der Durchschnitt liegt bei 14 oder 16 Semestern.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß die Pflege und Betreuung, welche die Klägerin ihren Verwandten habe angedeihen lassen, ein unüberwindbares Hindernis im Sinn des § 128 Abs 2 Z 1 GSVG bilde. Da sie deshalb bis Ende des Sommersemesters 1978 im Studium behindert gewesen sei und die Durchschnittsdauer höchstens 16 Semester betragen habe, wäre zu erwarten gewesen, daß sie ihr Studium mit dem Ende des Sommersemesters 1986 beenden hätte können. Über diese Zeit hinaus könne ihr eine Waisenpension nicht zuerkannt werden. Die Pension gebühre ihr überdies gemäß § 64 Abs 1 GSVG erst ab 11. September 1985, weil sie ihren Antrag am 11. Dezember 1985 gestellt habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies den Teil des Klagebegehrens, über den das Erstgericht im stattgebenden Sinne entschieden hatte, ab. Gemäß § 128 Abs 2 Z 1 GSVG bestehe die Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr hinaus für einen der Dauer der Behinderung durch ein unüberwindbares Hindernis angemessenen Zeitraum. Zum Begriff des unüberwindbaren Hindernisses habe die Rechtsprechung wiederholt ausgeführt, daß es sich hiebei um vom Willen des Betroffenen unabhängige und in dessen Person gelegene Hindernisse handeln müsse, die trotz aller Bemühungen nicht hätten beseitigt werden können. Bei einer Krankheit sei ein solches Hindernis nur dann als gegeben erachtet worden, wenn sie das "Kind" selbst betroffen habe. Die sittliche Verpflichtung zur Pflege der Mutter, die familienrechtlich überdies in erster Linie den Ehemann treffe, könne daher nicht als Hinderungsgrund im Sinn der angeführten Gesetzesstelle angesehen werden. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts abzuändern oder es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof führte schon in seiner Entscheidung vom 26. Jänner 1988, 10 Ob S 165/87, die den Anspruch des Vaters der Klägerin auf Kinderzuschuß betraf, aus, dem § 128 Abs 2 Z 1 GSVG sei zu entnehmen, daß sich der der Dauer der Behinderung angemessene Zeitraum nur unmittelbar an die Vollendung des 26. Lebensjahres anschließen könne. Selbst wenn man die Rechtsansicht vertrete, daß das im Wintersemester 1977/78 begonnene Pharmaziestudium der (hier klagenden) Tochter wegen der schweren Krankheit und des Todes der Mutter im Sinn des § 128 Abs 2 Z 1 Satz 2 GSVG bis zum Ende des Sommersemesters 1978 behindert gewesen sei, hätte die Kindeseigenschaft über das am 23. April 1984 vollendete 26. Lebensjahr der Tochter hinaus nur für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum von höchstens einem Jahr bestanden, also höchstens bis 23. April 1985. Der Kinderzuschuß hätte daher allenfalls vom Mai 1984 bis längstens April 1985 gewährt werden können, wenn der Anspruch im Sinn des § 64 Abs 1 GSVG rechtzeitig angemeldet worden wäre. Auch wenn man das am 11. Dezember 1985 bei der beklagten Partei eingebrachte Schreiben als früheste Anmeldung des Anspruchs werte, hätte der Kinderzuschuß nach der zuletzt angeführten Gesetzesstelle nur längstens bis zu drei Monaten vor der Anmeldung, also ab 11. September 1985, gewährt werden können, wenn die Voraussetzungen hiefür ab diesem Zeitpunkt erfüllt gewesen wären. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, weil die Kindeseigenschaft der Tochter höchstens bis 23. April 1985 bestanden habe.
Diese Ausführungen gelten für den hier zu behandelnden Fall entsprechend, weil die Voraussetzungen dafür, daß die Waisenpension über das 26. Lebensjahr hinaus zu gewähren ist, dieselben wie für den Kinderzuschuß sind. Insbesondere ist auch § 64 Abs 1 GSVG anzuwenden. Selbst dann, wenn man die vom Vater der Klägerin bei der beklagten Partei am 11. Dezember 1985 eingebrachte Eingabe als wirksam in ihrem Namen gestellten Antrag auf Weitergewährung der Waisenpension ansieht, könnte ihr diese somit erst ab 11. September 1985 gewährt werden. Da aber ihre Kindeseigenschaft höchstens bis 23. April 1985 bestanden haben kann, muß auch hier die vom Berufungsgericht und in der Revision behandelte Rechtsfrage, ob die schwere Krankheit und der Tod der Mutter der Klägerin im Sinn des § 128 Abs 2 Z 1 letzter Satz GSVG ein unüberwindbares Hindernis für die Schul- oder Berufsausbildung der Klägerin waren, nicht erörtert werden; eine Waisenpension wäre ihr nämlich auch dann nicht zu gewähren, wenn dies zuträfe.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E13666European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00162.87.0322.000Dokumentnummer
JJT_19880322_OGH0002_010OBS00162_8700000_000