Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ilse K***, im Haushalt, Mutters,
Burgstall 16, vertreten durch Dr. Wolfgang Walser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Balduin U***, Geschäftsmann, und 2.) Marianne U***, Geschäftsfrau, beide wohnhaft in Mutters, Burgstall 12, beide vertreten durch Dr. Hubert Tramposch und Dr. Paul Bauer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert S 25.000,--), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 13. März 1987, GZ 2 a R 149/87-10, womit das zu 18 C 217/86 des Bezirksgerichtes Innsbruck durchgeführte Verfahren als nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird stattgegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme von der Annahme des Prozeßhindernisses der Streitanhängigkeit aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Die Beklagten sind Eigentümer einer Liegenschaft, zu deren Gutsbestand ein Weggrundstück gehört, an welchem der Klägerin als Eigentümerin eines Nachbargrundes eine grundbücherlich einverleibte Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens zusteht. Die Beklagten betreiben auf der an das Weggrundstück angrenzenden Fläche ein gastgewerbliches Unternehmen.
Im April 1984 hatte die Klägerin gegen die Beklagten eine Servitutsklage angebracht. Nach ihrem damaligen Klagsvorbringen sei sie in der letzten Zeit wiederholt dadurch an der Ausübung ihrer Dienstbarkeit behindert gewesen, daß der Weg durch geparkte Fahrzeuge - vor allem durch solche von Pensionsgästen der Beklagten - verstellt gewesen sei. Die Beklagte stellte das Begehren, "jegliche Störung des Geh- und Fahrrechtes auf der Grundparzelle ..., insbesondere des Verstellens dieses Weges durch PKW und ähnliches zu unterlassen".
Diese Unterlassungsklage aus dem Jahre 1984 war den beiden Beklagten in der zweiten Hälfte des Monates Mai 1984 zugestellt worden. Zu der für 28. August 1984 anberaumten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung war ungeachtet gehörig ausgewiesener Ladung der Parteienvertreter niemand erschienen. Seither ruht dieser Rechtsstreit.
Im Juni 1986 brachte die Klägerin gegen die beiden Beklagten mit der Behauptung, im vorerwähnten Rechtsstreit sei ewiges Ruhen vereinbart worden, neuerlich eine Dienstbarkeitsklage an. Nach den Tatsachenbehauptungen dieser neuen Klage sei die Klägerin an der Ausübung des Fahrrechtes in letzter Zeit häufig dadurch verhindert gewesen, daß der Weg durch geparkte Fahrzeuge gänzlich verstellt gewesen sei. Bei diesen Fahrzeugen habe es sich um solche von Gästen der Beklagten, aber auch um solche von Lieferanten der Beklagten gehandelt. Beispielsweise führte die Klägerin dazu fünf Störfälle in der Zeit zwischen 21. und 30. Mai 1986 an. Überdies brachte die Klägerin vor, daß die Beklagten am 23. Mai 1986 ein Fassadengerüst aufgestellt hätten, das ungefähr 1,5 m in das Weggrundstück hineinrage und damit eine unzumutbare Behinderung der Zufahrt darstelle. Das Unterlassungsbegehren richtete sich gegen "jegliche Störung des Geh- und Fahrrechtes der Klägerin auf der Grundparzelle ..., insbesondere das Verstellen dieses Weges durch PKW, LKW und Busse sowie das Aufstellen eines Gerüstes, welches das Geh- und Fahrrecht der Klägerin beeinträchtigt".
Das Erstgericht wies das Unterlassungsbegehren ab.
Das Berufungsgericht griff von Amts wegen das prozessuale Verhältnis des ruhenden Verfahrens aus dem Jahre 1984 zu dem im Jahre 1986 anhängig gemachten Rechtsstreit auf, nahm Streitanhängigkeit an, hob aus diesem Grunde das in erster Instanz mit Sachentscheidung beendete Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000,-- übersteigt.
Die Klägerin ficht den berufungsgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß mit dem Antrag auf dessen ersatzlose Aufhebung an.
Die Beklagten streben die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an. In ihrer Rekursbeantwortung gestehen sie zu, daß im vorangegangenen Prozeß ewiges Ruhen vereinbart wurde.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
Das Berufungsgericht hat in Ansehung der 1986 anhängig gemachten Unterlassungsklage der Wegeberechtigten gegen die Belasteten wegen des zwei Jahre zuvor anhängig gemachten, aber seit August 1984 ruhenden Unterlassungsstreites, ohne die von der Klägerin bereits in der Klage aufgestellte Behauptung der Vereinbarung immerwährenden Ruhens vorher mit den Parteien erörtert zu haben, bloß aufgrund der Aktenlage von Amts wegen das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit angenommen.
Die Beklagten haben die Klagsbehauptung über die Vereinbarung immerwährenden Ruhens des vorangegangenen Rechtsstreites in ihrer Rekursbeantwortung ausdrücklich zugestanden. Damit liegen übereinstimmende Erklärungen der Parteien zum immerwährenden Ruhen des vorangegangenen Rechtsstreites im nachfolgenden Rechtsstreit vor, die aber auch als Mitteilungen an das Prozeßgericht im früher anhängig gemachten Rechtsstreit wirken.
Die für die Beurteilung des vom Berufungsgericht von Amts wegen wahrgenommenen Prozeßhindernisses erheblichen Umstände unterliegen der amtswegigen Erhebungspflicht. Die von den Prozeßparteien erst nach der angefochtenen Beschlußfassung im dargelegten Sinne bewirkte übereinstimmende Anzeige des immerwährenden Ruhens im vorangegangenen Rechtsstreit ist daher bei der gegen den berufungsgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß zu fällenden Rechtsmittelentscheidung zu beachten.
Läßt man zunächst bewußt die unterschiedlichen Formulierungen der beiden Unterlassungsbegehren außer acht ("Verstellen des Weges durch PKW und ähnliches" einerseits und "Verstellen des Weges durch PKW, LKW und Busse sowie durch das Aufstellen eines Gerüstes" andererseits), hängt das Vorliegen der Streitanhängigkeit von der inhaltlichen Bestimmung des Streitgegenstandes in den beiden Verfahren ab.
Zur Ableitung des klagbaren Anspruches des aus einer Dienstbarkeit Wegeberechtigten gegen den belasteten Grundeigentümer, künftig gewisses Eingriffsverhalten zu unterlassen, ist es - im materiellrechtlichen Sinn - wesentlich, Umstände darzulegen, aus denen der Anspruchswerber mit dem von ihm bezeichneten künftigen Eingriffsverhalten des Anspruchsgegners (ohne gerichtliches Verbot) rechnen müßte. Erst dies aktualisiert die sich aus der gegebenen Rechtslage (Wegedienstbarkeit) ergebenden Verhaltenspflichten. Den Befugnissen des Dienstbarkeitsberechtigten entsprechen Duldungspflichten des Belasteten. Dieser schuldet Duldung gegenüber jedem Rechtsausübungsakt des Berechtigten. In diesem Sinne verpflichtet die Dienstbarkeit zu einem Verhalten auf Dauer. Ein klagbarer Anspruch auf Unterlassung von Behinderungen der Rechtsausübungsakte (= Duldung) erwächst dem Berechtigten erst, wenn ihm Behinderungen seitens des Belasteten (das heißt solche die er dem Berechtigten gegenüber zu vertreten hat) für die Zukunft drohen. Eine solche Wahrscheinlichkeit künftigen Eingriffsverhaltens ist als Voraussetzung des klagbaren Unterlassungsanspruches wie jede sonstige Anspruchsvoraussetzung (ähnlich dem Eintritt einer aufschiebenden Bedingung) vom Anspruchswerber zu behaupten und gegebenenfalls auch zu beweisen.
Als Prognose künftiger Möglichkeiten kann sie sich nur auf konkrete, in der Vergangenheit gelegene, im Rechtsstreit festzustellende und hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit für eine schlüssige Vorhersage zu bewertende Sachverhalte gründen. Regelmäßig, aber nicht ausschließlich, wird die - dem Recht des Klägers gefährliche - Neigung des Beklagten zu künftigem Eingriffsverhalten aus derartigen tatsächlich bereits in der Vergangenheit gesetzten Akten dargetan (daher der gängige Ausdruck: "Wiederholungsgefahr").
Aus dieser Sicht wird erkennbar, daß das gesamte in der Vergangenheit gelegene Eingriffsverhalten des Unterlassungsverpflichteten materiellrechtlich nur den sich aus der zwischen den Streitteilen bestehenden Rechtsbeziehung ergebenden Anspruch auf bestimmtes künftiges Verhalten aktualisiert und klagbar macht. Es kann immer nur einen Anspruch auf Unterlassung eines bestimmten Verhaltens geben, auch wenn sich in der Vergangenheit eine Vielzahl von Eingriffsakten ereignete, einerlei ob diese als fortgesetztes Verhalten oder als Wiederholungen angesehen werden mögen.
Jeder klagbare Unterlassungsanspruch ist nicht Sanktion für begangene Rechtsverletzungen, sondern Vorsorge gegen künftig drohende.
In der rein verfahrensrechtlichen Beurteilung des Streitgegenstandes einer Unterlassungsklage ist auf der dargelegten materiellrechtlichen Grundlage zu berücksichtigen, daß zur Eignung des der gerichtlichen Würdigung unterworfenen Sachverhaltes zur Ableitung des gestellten Begehrens unter allen rechtlich in Betracht kommenden Gesichtspunkten auch der Teil des Sachverhaltsvorbringens in bestimmender Weise zählt, aus dem das für die Aktualisierung des Anspruches und damit seine Klagbarkeit erhebliche, in Zukunft drohende Eingriffsverhalten abgeleitet werden soll. Verfolgt derselbe Kläger gegen denselben Beklagten dasselbe Unterlassungsbegehren in zwei verschiedenen Klagen, müßte dennoch die Gleichheit des Streitgegenstandes verneint werden, wenn sich die für die Klagbarkeit des Anspruches vorgetragenen Sachverhalte von einander wesensmäßig unterschieden.
Die für diese Unterscheidung maßgebenden Kriterien (Zeit, Ort und Art betreffend) mögen in manchen Fällen schwer zu bestimmen und zu ermitteln sein.
Unzweifelhaft ist aber, daß das einer wertenden Beurteilung unterzogene Gesamtverhalten des Beklagten in einer abgeschlossenen Zeitspanne gegenüber dem Verhalten des Beklagten in einer nachfolgenden Zeitspanne als Grundlage für die prognostische Beurteilung eines in der Zukunft wahrscheinlichen Eingriffsverhaltens etwas neues und anderes darstellt. Das leuchtet im Falle einer klagsabweisenden Entscheidung in einem vorangegangenen Unterlassungsstreit ohne weiteres ein, muß aber auch in anderen Fällen gelten, in denen zwischen den Parteien als bindend festgestellt zu gelten hat, daß dem in einem anhängig gemachten Rechtsstreit zur Darlegung der Klagbarkeitsvoraussetzung des Unterlassungsanspruches vorgetragenen Sachverhalt die materielle Aktualisierungseignung nicht zukommen soll.
In der Vereinbarung immerwährenden Ruhens eines Unterlassungsstreites ist eine solche materiellrechtliche Vereinbarung zu erblicken. Darüber hinaus enthält aber die Vereinbarung immerwährenden Ruhens auch einen Verzicht auf Rechtsschutzgewährung im Sinne der klageweise geltend gemachten Ansspruchsableitung.
Im Falle immerwährenden Ruhens eines Unterlassungsstreites gilt der Beklagte nicht nur in Ansehung künftigen Eingriffsverhaltens nicht mehr als "gefährlich", der Kläger hat sich auch verfahrensrechtlich der Möglichkeit begeben, sein Unterlassungsbegehren im Hinblick auf eine "Gefahrenableitung" abermals auf die im ruhenden Rechtsstreit geltend gemachten Umstände zu gründen.
Ein dem immerwährenden Ruhen nachfolgendes Verhalten des Beklagten, aus dem nach dem Standpunkt des Klägers die Wahrscheinlichkeit künftigen Eingriffsverhaltens ableitbar sei, aktualisiert den Unterlassungsanspruch neu, macht ihn neuerlich klagbar und hebt die neuerliche klageweise Anspruchsverfolgung inhaltlich (zur sogenannten "Wiederholungsgefahr") von der vorangegangenen ab.
Aus diesen Erwägungen, deren Ergebnis sich mit dem der Entscheidung JBl 1976, 148 deckt, liegt die vom Berufungsgericht angenommene Streitanhängigkeit nicht vor.
Der angefochtene Beschluß war deshalb aufzuheben. Das Berufungsgericht wird sich einer Entscheidung über die Berufung der Klägerin, ohne vom Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit auszugehen, zu unterziehen haben.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf dem § 52 ZPO.
Anmerkung
E14460European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0060OB00592.87.0324.000Dokumentnummer
JJT_19880324_OGH0002_0060OB00592_8700000_000