Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6.April 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schumacher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Harald M*** und andere wegen des versuchten Verbrechens nach §§ 15, 12 Abs 1 SGG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Ingrid K*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5.November 1987, GZ 6 e Vr 7337/87-48, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, der Angeklagten und des Verteidigers Dr. Zatlasch zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde (u.a.) die am 7.März 1954 geborene Ingrid K*** (A) des versuchten Verbrechens nach §§ 15 StGB, 12 Abs 1 SGG und (B) des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG schuldig erkannt. Das bezeichnete Verbrechen (Punkt A) liegt ihr zur Last, weil sie am 26.Juni 1987 in Wien mit - den im selben Verfahren bereits rechtskräftig abgeurteilten - Harald M***, Regina S*** und Roland V*** dadurch, daß sie im bewußten und gewollten Zusammenwirken insgesamt 47 Gramm Heroin an zwei unbekannt gebliebene Ausländer verkaufen wollte, versucht hat, den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr zu setzen.
Rechtliche Beurteilung
Der Sache nach nur diesen Punkt des Schuldspruchs bekämpft die Angeklagte Ingrid K*** mit einer auf die Z 4, 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.
Den Verfahrensmangel (Z 4) erblickt die Beschwerdeführerin in der Abweisung ihres Antrags auf zeugenschaftliche Vernehmung des Fritz H***, durch dessen Aussage nachgewiesen werden sollte, daß sie sich um 14 Uhr des 26.Juni 1987 noch in Neulengbach aufgehalten habe (vgl S 271, 275). Zu Recht wurde dieses Beweismittel jedoch vom Erstgericht laut der im Urteil nachgeholten Begründung (vgl S 288) für nicht geeignet erachtet, die auf den Angaben der Mitangeklagten Regina S*** fußende Annahme zu widerlegen, daß S*** das von Ingrid K*** beschaffte Heroin (25 Gramm) in deren Wohnung auf 47 Gramm gestreckt habe. Die Tatrichter sind nämlich ohnedies davon ausgegangen, daß die Angeklagte, die bei ihrer um 16,00 Uhr erfolgten Festnahme im Besitz des in Rede stehenden Suchtgifts war, erst gegen 15 Uhr in ihre Wohnung in Wien 15., Clementinengasse 18, gefahren ist, wo sie von S*** erwartet wurde (vgl S 283 f). Der behauptete Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.
Begründungsmängel (Z 5) haften dem Urteil nach Ansicht der Beschwerdeführerin an, weil das Erstgericht den sie betreffenden Schuldspruch (wegen §§ 15 StGB, 12 Abs 1 SGG) ausschließlich auf die Angaben der Mitangeklagten S*** stütze, gegenteilige Verfahrensergebnisse unberücksichtigt lasse und erhebliche Widersprüche zwischen den Angaben der Regina S*** im Vorverfahren und ihrer Verantwortung in der Hauptverhandlung mit Stillschweigen übergehe.
Das Schöffengericht hat indes den bezüglichen Schuldspruch nicht nur auf die (belastenden) Angaben der Mitangeklagten S***, sondern (beweiswürdigend) auch auf das - vor dem Untersuchungsrichter dann widerrufene - Geständnis der Beschwerdeführerin vor dem Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien (vgl S 69 f) gestützt, wobei es deren widersprüchliche Darstellung vor dem Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung keineswegs unerörtert ließ und im übrigen auch noch auf die Bestätigung der Angaben der Regina S*** durch deren Lebensgefährten (den Mitangeklagten) Roland V*** wie auch auf die ein falsches Geständnis unter polizeilichem Druck ausschließende Zeugenaussage des Bezirksinspektors Konrad H*** hingewiesen hat (vgl S 286 ff). Bei der Feststellung, wonach Regina S*** das von der Angeklagten K*** zur Verfügung gestellte Heroin in deren Wohnung - und nicht, wie S*** vor dem Untersuchungsrichter offenbar irrtümlich meinte, in ihrer eigenen Wohnung (vgl S 106) - gestreckt hat, stützte sich das Gericht gemäß § 258 Abs 2 StPO auf die bezügliche Darstellung der Regina S*** vor Beamten des Sicherheitsbüros der Bundespolizeidirektion Wien und in der Hauptverhandlung (vgl S 74, 248, 285). Dabei ging das Schöffengericht den Beschwerdeausführungen zuwider auch ausdrücklich auf die die Beschwerdeführerin entlastende Aussage der Zeugin Ursula F*** ein, lehnte diese jedoch als unglaubwürdig ab (vgl S 288); der in § 270 Abs 2 Z 5 StPO verankerten Begründungspflicht wurde sohin auch insoweit entsprochen. Von einer bloßen Scheinbegründung kann nicht die Rede sein, soweit in den Urteilsgründen ausgeführt wird, es sei "nicht einzusehen, aus welchem Grund Regina S*** zur Wohnung der Ingrid K*** fährt, dort auf sie wartet und sie dann ersucht mitzugehen und sie in den Plan, das Heroin zu verkaufen, einweiht" (vgl S 287). Kommt doch - alles im Zusammenhang gelesen - damit nur die Überzeugung des Schöffengerichtes zum Ausdruck, daß auch die innere Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Darstellung der Mitangeklagten S*** spricht.
Der Beschwerdeeinwand schließlich, es bestehe der Verdacht eines von der Polizei provozierten Vorgehens, stellt - von seiner rechtlichen Unerheblichkeit ganz abgesehen (vgl SSt 54/67, 50/30 u.a) - eine bloße Spekulation dar, für die der Akteninhalt keinerlei Anhaltspunkte bietet.
Es versagt aber auch die Subsumtionsrüge (Z 10), mit welcher die Beschwerdeführerin - mit dem Hinweis, die Tat sei nicht in bezug auf eine "große Menge" begangen worden - eine Tatbeurteilung (bloß) nach § 16 Abs 1 SGG anstrebt. Nach den vom Schöffengericht aus dem Gutachten des Instituts für gerichtliche Medizin der Universität Wien (S 226) abgeleiteten Urteilskonstatierungen wiesen die zur Weiterverbreitung bestimmten und bei der Angeklagten K*** sichergestellten 47 Gramm Heroin einen Reingehalt von insgesamt 2,7 Gramm auf. Wenn die Beschwerde - und ihr folgend die Stellungnahme der Generalprokuratur - von dieser Menge (reinen Heroins) ausgehend unter Bezugnahme auf die im Gutachten des Beirates zur Bekämpfung des Mißbrauchs von Alkohol und anderen Suchtmitteln vom 10.Mai 1985 (in der Folge kurz: Suchtgift-Beirat) bezüglich Heroin empfohlenen "Grenzmenge" von 5 Gramm das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der "großen Menge" (§ 12 Abs 1 SGG) negiert, ist ihr folgendes zu erwidern:
Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung vom 24. März 1987, 11 Os 18/87 (= EvBl 1988/3 = RZ 1987/48), von welcher abzugehen der vorliegende Fall keinen Anlaß bietet, zum Ausdruck brachte, ist bei Heroin die Grenzmenge - abweichend von der Empfehlung des Suchtgift-Beirates - mit 1,5 Gramm (Reinsubstanz) anzunehmen.
Die Empfehlungen des Suchtgift-Beirates - die nach dem Gutachten selbst nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen - stellen zwar im allgemeinen ein geeignetes Hilfsmittel zur Beantwortung der Rechtsfrage nach der großen (und übergroßen) Suchtgiftmenge dar. In Ansehung von Heroin erachtet jedoch der Oberste Gerichtshof (weiterhin) die vom Suchtgift-Beirat mit 5 Gramm ermittelte Grenzmenge für die Anwendbarkeit des § 12 Abs 1 SGG nicht für vertretbar.
Schon in der zuvor zitierten Entscheidung wurde ausführlich dargelegt, daß die Mengenangabe für Heroin in der letzten Spalte der vom Suchtgift-Beirat erstellten Tabelle (vgl Foregger-Litzka SGG2 111; Leukauf-Steininger Strafrechtliche Nebengesetze2 2. ErgH 1985,
50) seiner Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Opiaten entsprechen mag, aber nicht der besonderen Gefährlichkeit Rechnung trägt, die darin zu erblicken ist, daß gerade bei Heroin in 80 bis 90 % der Fälle schon die erste Dosis süchtig macht (G.Hofmann, Die Persönlichkeit des Süchtigen und die Praxis der Behandlung von Drogenabhängigen, Tagung des Bundesministeriums für Inneres, Abteilung II/8, am 27. und 28.Feber 1979 in Attersee; Broschüre des Bundesministerums für Inneres "9. Arbeitstagung für Suchtgiftreferenten und -sachbearbeiter vom 8. bis 9.Oktober 1985 in Mayrhofen/Tirol, S 112 und 114). Im Hinblick auf diese besondere Gefährlichkeit von Heroin ist es - entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur - erforderlich, die Werte, welche für die an das Suchtgift bereits Gewöhnten gelten, bei Berechnung der Grenzmenge zu vernachlässigen, dafür aber den Wert für die Wahrscheinlichkeit einer Suchtauslösung einzubeziehen. Geht man dabei von dem für den Standpunkt des Rechtsbrechers günstigsten Wert, nämlich der höchsten Tagesdosis für Ungewöhnte (0,03 Gramm) aus und berücksichtigt man den Umstand, daß (zumindest) vier von fünf der eine solche Dosis erstmals Konsumierenden suchtgiftabhängig werden, ergibt sich unter Einbeziehung des - mit Bedacht auf die bisherige Judikatur (Gefährdung von 30 bis 50 Personen) mit einem mittleren Wert von 40 angenommenen (vgl Leukauf-Steininger aaO, S 45) - Gefährdungsfaktors ein Wert von 1,5 Gramm. In diesem Zusammenhang ist abermals auf die Ausführungen von Maurer anläßlich der 9. Arbeitstagung für Suchtgiftreferenten und -sachbearbeiter zu verweisen, wonach es vom rein medizinischen Standpunkt vorzuziehen wäre, im Fall Heroin bei dem bisher als Grenzmenge angenommenen Wert (von 0,5 Gramm) zu verbleiben; jedenfalls sei aber ausdrücklich und entschieden der Auffassung zu widersprechen, Mengen zwischen 1 und 3 Gramm Heroin (Reinsubstanz) als groß im Sinn des § 12 Abs 1 SGG noch in Frage zu stellen (vgl die hiezu veröffentlichte Broschüre des Bundesministeriums für Inneres, Abteilung II/8, 1985, 112 f). Entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur hält der Oberste Gerichtshof demnach daran fest, daß bei gebührender Berücksichtigung der zuvor dargelegten Umstände die verbrechensqualifzierende Grenzmenge für das Suchtgift Heroin nicht höher als mit 1,5 Gramm anzunehmen ist.
Dies bedeutet auf den vorliegenden Fall bezogen, daß die der Beschwerdeführerin zur Last liegende Menge von 2,7 Gramm Heroin (Reinsubstanz) die Grenzmenge des § 12 Abs 1 SGG jedenfalls deutlich überschreitet.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verurteilte die Angeklagte nach § 28 StGB, § 12 Abs 1 SGG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten.
Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, hingegen den Umstand, daß es beim Versuch blieb, und die "sehr schlechte Qualität des Suchtgifts" als mildernd.
Mit ihrer Berufung strebt die Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe oder aber die Verhängung einer Geldstrafe, jedenfalls aber die Gewährung bedingter Strafnachsicht an. Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Die Vorverurteilungen der Angeklagten hat das Schöffengericht nicht (als Erschwerungsgrund) herangezogen. Eine (bloß) "relative" Unbescholtenheit, wie sie der Berufung offenbar vorschwebt, stellt aber keinen (besonderen) Milderungsgrund dar. Im übrigen wären drei (der insgesamt sechs) Vorstrafen, nämlich jene wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw fahrlässiger Tötung - weil gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet - als Erschwerungsgrund zu berücksichtigen gewesen. Der Umstand, daß es (in Ansehung des Verbrechens) beim Versuch blieb - und das in Rede stehende Suchtgift sichergestellt werden konnte - wurde ausdrücklich als Milderungsgrund herangezogen. Von einem "vollkommen dillettantischen Versuch eines (Suchtgift-)Handels" hinwieder kann vorliegend keine Rede sein. Die Behauptung schließlich, "daß die Polizei auf den Einsatz vorbereitet war", stellt eine reine Spekulation dar.
Ausgehend von den sohin tatsächlich gegebenen Strafzumessungsgründen hat das Schöffengericht die über die Angeklagte verhängte Freiheitsstrafe nach ihrer tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) mit neun Monaten keineswegs zu hoch ausgemessen.
Geht man aber davon aus und mißt man namentlich dem belasteten Vorleben der Angeklagten die gebührende Bedeutung bei, dann mangelt es an den erforderlichen Anhaltspunkten für eine günstige Verhaltensprognose und damit an den spezialpräventiven Erfordernissen für die Gewährung bedingter Strafnachsicht nach § 43 StGB.
Dem (weiteren) Begehren der Angeklagten auf Verhängung einer Geldstrafe ist schon wegen des Fehlens einer der Grundvoraussetzungen des § 37 (Abs 1) StGB ("... statt auf eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Monaten ...") der Boden entzogen.
Es war daher auch der Berufung - eine (aufzugreifende) Gesetzesverletzung im Sinn der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO nF liegt nicht vor - ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E14097European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0140OS00029.88.0406.000Dokumentnummer
JJT_19880406_OGH0002_0140OS00029_8800000_000