Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rupert Dollinger (Arbeitgeber) und Franz R*** (Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Parteien 1.) Sabine P***,
2.) Robert P***, beide Kohlgasse 42, 1050 Wien, beide vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich
Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Waisenpension und Kinderzuschuß infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.Oktober 1987, GZ 31 Rs 162/87-16, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24.Juni 1987, GZ 18 b Cgs 248/86-10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 11.Mai 1966 geborene Erstklägerin Sabine P*** bezog bis 31.7.1986 eine Waisenpension nach ihrer Mutter Rita P***. Ihr Vater, der Zweitkläger Robert P***, erhielt einen Kinderzuschuß zur vorzeitigen Alterspension. Ihre Anträge, die Waisenpension und den Kinderzuschuß zur vorzeitigen Alterspension auch über den 31.7.1986 hinaus weiterzugewähren, wurden von der beklagten Partei abgewiesen. Die Erstklägerin hat das Schuljahr 1985/86 mit der Matura abgeschlossen und besuchte vom 27.8.1986 bis 5.11.1986 einen Büropraxiskurs für Maturanten, der vom Arbeitsamt veranstaltet wurde. Die Unterrichtszeit des viermonatigen Kurses erstreckte sich jeweils von Montag bis Freitag von 8,30 Uhr bis 15,30 Uhr. Die Erstklägerin erhielt während des Kursbesuches eine AMFG-Beihilfe von monatlich 5.131 S. Sie hat den Kurs am 5.11.1986 vorzeitig abgebrochen; mit diesem Datum wurde auch die Beihilfe eingestellt. Danach besuchte die Erstklägerin das Konservatorium für Musik und dramatische Kunst. Sie ließ sich vom 1.11.1986 bis 30.6.1987 für das Hauptfach Jazzklavier einschreiben. Die Unterrichtszeit an dieser mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule betrug 7 Wochenstunden. Daneben mußte die Erstklägerin zu Hause auch üben. Seit dem Wintersemester 1987 ist die Erstklägerin an der Universität Wien inskribiert (Biologie) und bezieht seit 1.3.1987 wieder die Waisenpension. Der Zweitkläger erhält seit diesem Zeitpunkt den Kinderzuschuß.
Die Kläger begehrten, die beklagte Partei zur Gewährung der Waisenpension und des Kinderzuschusses über den 31.7.1986 hinaus zu verpflichten. Durch den Besuch des Kurses im Rahmen der Arbeitsmarktförderung wie auch durch das Studium am Konservatorium für Musik und dramatische Kunst seien die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht gab dem Begehren der Kläger teilweise statt und verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung der Waisenpension und des Kinderzuschusses je in der gesetzlichen Höhe für die Zeit vom 6.11.1986 bis 28.2.1987; das Begehren für den davorliegenden Zeitraum wies es ab. Die Klägerin habe während des Besuches des Kurses im Rahmen der Arbeitsmarktförderung eine Beihilfe von monatlich 5.131 S erhalten, die deshalb gewährt werde, um dem Bezieher den Verdienstentgang, den er durch die Weiterbildung oder Umschulung erleide, zumindest zum Teil zu ersetzen. Durch diese Beihilfe sei der Lebensunterhalt der Klägerin gesichert gewesen. Diese Leistung stelle ein Surrogat für einen Arbeitsverdienst dar und sei einem solchen bezüglich der Kindeseigenschaft gleichzusetzen. Eine Berufsausbildung, während welcher eine einem Arbeitsentgelt angenäherte Beihilfe bezogen werde, verlängere die Kindeseigenschaft nicht. Ab 6.11.1986 sei die Klägerin nicht mehr im Bezug der Beihilfe gestanden. Berücksichtige man den neben dem Besuch der Unterrichtsstunden am Konservatorium erforderlichen Aufwand an Übungszeit, so sei davon auszugehen, daß die Arbeitskraft der Klägerin durch die Musikausbildung überwiegend in Anspruch genommen worden sei. Ab 6.11.1986 seien daher die Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Leistungen erfüllt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge und änderte über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Erstgerichtes im Sinne einer vollen Klagsabweisung ab. Bei Bezug eines die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernden Ausbildungsbeitrages könne von einer Beihilfe nicht mehr gesprochen werden. Die Kindeseigenschaft werde in diesem Fall nicht verlängert, wobei es unerheblich sei, ob der Bezug im Rahmen eines Dienstverhältnisses gewährt werde oder aus einer anderen Quelle fließe. Die Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 2 ASVG seien auch für den Zeitraum der Ausbildung am Konservatorium nicht erfüllt. Von einer überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Ausbildung könne bei einem wöchentlichen Zeitaufwand von nur
7 Unterrichtsstunden auch dann nicht gesprochen werden, wenn die zusätzlich erforderliche Übungszeit berücksichtigt werde. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Parteien aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Bei der unter dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit gerügten Wendung handelt es sich nur um Erwägungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung. Das Berufungsgericht ging dabei nicht von einer zeitlichen Beanspruchung der Klägerin in der dort dargestellten Dauer aus, sondern führte lediglich aus, daß selbst wenn die Klägerin durch ihr Studium im dargestellten Ausmaß in Anspruch genommen worden wäre, eine überwiegende Inanspruchnahme durch diesen Ausbildungsgang nicht angenommen werden könnte. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt jedoch nur dann vor, wenn der Akteninhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig wiedergegeben wurde. Dies trifft hier nicht zu.
Auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.
Gemäß § 19 Abs 1 lit b ArbeitsmarktförderungsG können zur Erlangung eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes oder zur Sicherung einer Beschäftigung oder Ausbildung Beihilfen gewährt werden, um eine Ein-, Um- oder Nachschulung oder eine unter lit a (Lehrberuf) nicht erfaßte berufliche Ausbildung zu erleichtern; gemäß § 26 leg cit kann die Durchführung der Maßnahmen gemäß § 19 Abs 1 lit b von den Dienststellen der Arbeitsmarktverwaltung nach Anhörung des Beirates für Arbeitsmarktpolitik geeigneten Betrieben und Einrichtungen mit deren Zustimmung übertragen werden, sofern durch diese der mit den Maßnahmen angestrebte Erfolg gewährleistet erscheint. Im Rahmen dieser Bestimmung finden die Büropraxiskurse für Maturanten am Wirtschaftsförderungsinstitut und am Berufsförderungsinstitut statt, deren Kosten aus Mitteln der Arbeitsmarktverwaltung getragen werden. Gemäß § 20 Abs 2 ArbeitsmarktförderungsG können den Teilnehmern an diesen Kursen Zuschüsse ua auch zur Deckung des Lebensunterhaltes gewährt werden. Aufgrund dieser Bestimmung bezog die Klägerin während des Besuches des Ausbildungskurses eine Beihilfe im Betrag von 5.131 S monatlich. Diese Beihilfe erreicht damit eine Höhe, die über dem Ausgleichszulagenrichtsatz (§ 293 ASVG) liegt, sodaß davon auszugehen ist, daß sie auch zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten ausreicht.
Zur Fortsetzung der Kindeseigenschaft über das 18.Lebensjahr hinaus wird eine die Arbeitskraft überwiegend beanspruchende Schul- oder Berufsausbildung verlangt. Wenn sich jemand einer solchen unterzieht, dann ist seine Arbeitskraft so in Anspruch genommen, daß eine die Selbsterhaltung garantierende Berufstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Auf ähnlicher Erwägung beruht auch die Entscheidung des Gesetzgebers bereits in der Stammfassung des ASVG, die Ruhensbestimmungen auf Waisenpensionen wegen gleichzeitig erzielten Erwerbseinkommens nicht anzuwenden. Man war der Meinung, es könnten ohnedies nur kleine Verdienste anfallen (599 BlgNR 7.GP 43). Wer sich also "hauptberuflich" ausbilden lasse, brauche nebenbei nicht zu arbeiten, und wenn er es trotzdem tue, so mindere dies nicht seinen Anspruch auf Waisenpension. Diese Wertung trifft aber auf Fälle nicht zu, wo eine Erwerbstätigkeit gleichzeitig der Ausbildung dient. Wenn der Gesetzgeber von einer die Arbeitskraft überwiegend ausfüllenden Ausbildung spricht, so ist dies im Sinne einer Subsidiarität der Pensionsgewährung gegenüber der Arbeitskraftbetätigung zu verstehen. Es besteht hier eine Funktionsüberlagerung von Erwerbstätigkeit und Ausbildung. Anders als sonst schließt hier die Ausbildung die gleichzeitige Betätigung der Arbeitskraft nicht aus. Im Sinn der erwähnten Subsidiarität muß die Betätigung der Arbeitskraft vorrangig Berücksichtigung finden (Migsch, ZAS 1979, 68 f). Kritisch zu diesem Ergebnis äußert sich Binder (ZAS 1979, 232 ff). Er führt dagegen ins Treffen, daß ein derart detailliertes, die einzelnen Falltypen jeweils gesondert ausfaltendes und strikt durchnormierendes Gesetz, wie es das ASVG darstelle, beim Rückgriff auf die Figur der "teleologischen Reduktion", die Migsch und die von ihm besprochene Judikatur heranziehen, besondere Vorsicht geboten erscheinen lasse und daß zum anderen auf diese Weise - quasi über die Hintertür - wieder das durch die 29.ASVG-Novelle ausdrücklich aus dem Gesetzeswortlaut eliminierte Merkmal der "Selbsterhaltungsfähigkeit" aktiviert werde. Rechtsverhältnissen, die klar vom Ausbildungszweck geprägt seien, sei ausgehend vom Gesetzeswortlaut unabhängig von der Höhe der daraus fließenden Bezüge die Qualität der Verlängerung der Kindeseigenschaft zuzuerkennen.
Die Ansicht von Binder würde zu dem kaum vertretbaren Ergebnis führen, daß ein im Rahmen einer Arbeitstätigkeit bezogenes Erwerbseinkommen je nach dem Zweck der Tätigkeit unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen würde. Ein Einkommen aus einer überwiegend ausgeübten Arbeitstätigkeit würde grundsätzlich den Wegfall der Kindeseigenschaft nach sich ziehen; würde jedoch ein gleich hohes Einkommen aus einem Arbeitsverhältnis bezogen, das der Ausbildung dient - gewöhnlich steht am Beginn jedes Arbeitsverhältnisses eine gewisse Zeit der Einschulung und Ausbildung - so würde dies den Weiterbestand der Kindeseigenschaft bewirken. Der erkennende Senat schließt sich daher der von Migsch vertretenen Auffassung an. Das Tatbestandsmerkmal einer die Kindeseigenschaft verlängernden Berufsausbildung im Sinne § 252 Abs 2 Z 1 ASVG ist nur dann gegeben, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen wird. Die gleichen Grundsätze haben auch dann Anwendung zu finden, wenn eine die Arbeitskraft überwiegend beanspruchende Ausbildung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses erfolgt, sofern allein die Ausbildung die Grundlage für den Bezug eines den Lebensunterhalt sichernden Einkommens darstellt. In gleicher Weise wie in Fällen, in denen im Zug eines Arbeitsverhältnisses eine Ausbildung erfolgt, stehen hier die Ausbildung und der Bezug der Leistung in einem untrennbaren Sachzusammenhang. Eine von der Beurteilung eines Erwerbseinkommens aus einer Tätigkeit, die der Ausbildung dient, verschiedene Behandlung wäre nicht vertretbar. Bezieht jemand, der für einen Beruf ausgebildet wird, als Gegenleistung dafür, daß er sich der Ausbildung unterzieht, eine die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernde Gegenleistung, so sind die Voraussetzungen des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG nicht mehr gegeben.
Im vorliegenden Fall bezog die Klägerin während des Besuches des Kurses eine Beihilfe zur Deckung ihres Lebensunterhaltes, die an den Kursbesuch gebunden war und eine die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernde Höhe erreichte. Damit bestanden die Voraussetzungen für die begehrten Leistungen für die Dauer des Kursbesuches nicht. Auch für den Zeitraum ab 6.11.1986 liegen die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor. Ob das Tatbestandsmerkmal der überwiegenden Beanspruchung des Leistungswerbers erfüllt ist, wird durch Inbeziehungsetzen der konkret gegebenen Auslastung der Arbeitskraft infolge des Ausbildungsvorganges zu dem von der geltenden Arbeits- und Sozialordnung für vertretbar gehaltenen Gesamtbelastungsausmaß zu ermitteln sein, wobei für die letztbezeichnete Größe die im AZG bzw. einzelnen Kollektivverträgen festgelegten und entsprechend den unterschiedlichen beruflichen Anforderungen differenzierenden Höchstarbeitszeiten eine wertvolle Leitlinie bilden (Binder, ZAS 1979, 234). Eines Eingehens auf die Frage, wie weit bei Überprüfung der Inanspruchnahme des Leistungswerbers durch die Ausbildung eine "konkretisierende Betrachtungsweise", wie sie von Binder (aaO) gefordert wird, vorzunehmen ist, bedarf es im vorliegenden Fall nicht. Der Vergleich der wöchentlichen Unterrichtszeit von lediglich 7 Stunden mit der an Lehranstalten sonst üblichen Unterrichtsdauer - neben der regelmäßig noch eine weitere Aufarbeitung des Lehrstoffes erforderlich ist - zeigt die geringe Intensität dieses von der Klägerin gewählten Ausbildungsganges. Selbst wenn berücksichtigt wird, daß die Klägerin zu Hause üben mußte, kann nicht davon ausgegangen werden, daß diese Ausbildung ihre Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nahm. Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E13665European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00018.88.0412.000Dokumentnummer
JJT_19880412_OGH0002_010OBS00018_8800000_000