TE OGH 1988/4/12 2Ob621/87

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Veröffentlicht am 12.04.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Orhan C***, Arbeitsloser, 1210 Wien, Plankenbüchlergasse 2, vertreten durch Dr. Friedebert Kollmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Saniye C***, Hausfrau, Cumhuriet Muhallesi Kayalik Sok, Nr. 11 Kars, Türkei, vertreten durch Dr. Helmut König, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29. April 1987, GZ 18 R 88/87-119, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 24. Jänner 1985, GZ 4 Cg 248/80-83, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 24. Jänner 1985, 4 Cg 248/80-83, unter Abstandnahme von dem Zurückweisungsgrund aufgetragen. Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.

Text

Begründung:

Mit Urteil vom 24. Jänner 1985 sprach das Erstgericht die Scheidung der Ehe der Streitteile aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers aus.

Dieses Urteil wurde der Beklagten am 17. Juni 1985 zugestellt. Am 19. Juni 1985 gab die Beklagte bei der Staatsanwaltschaft ihres Heimatortes in der Türkei einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe sowie eine Berufung zu Protokoll. Beides langte auf diplomatischem Weg erst am 8. Jänner 1986 beim Erstgericht ein. Das Erstgericht leitete über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ein Verbesserungsverfahren ein, worauf der nunmehrige Beklagtenvertreter als Verfahrenshelfer bestimmt wurde. Der Beschluß betreffend die Bewilligung der Verfahrenshilfe samt Bescheid über seine Bestellung zum Verfahrenshelfer wurde ihm am 16. Jänner 1987, das Urteil am 21. Jänner 1987 zugestellt. Die von ihm verfaßte Berufung wurde am 13. Februar 1987 bei Gericht überreicht.

Das Gericht zweiter Instanz wies die Berufung als verspätet zurück und führte zur Begründung aus, gemäß § 464 Abs 3 ZPO beginne für die Partei, welche innerhalb der vierwöchigen Berufungsfrist die Beigebung eines Rechtsanwaltes beantrage, diese Frist erst mit Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Ausfertigung an ihn. Voraussetzung hiefür sei aber die rechtzeitige Stellung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwaltes. Rechtzeitig sei ein solcher Antrag dann, wenn er zumindest am letzten Tag der Frist zur Post gegeben wurde, weil in einem solchen Fall die Tage des Postlaufes in die Frist nicht eingerechnet werden (§ 89 GOG). Diese Voraussetzungen seien in diesem Fall nicht erfüllt, weil die Beklagte die Berufung nicht fristgerecht zur Post, sondern bei einer unzuständigen ausländischen Behörde zu Protokoll gegeben habe. In einem solchen Fall hätte der Antrag noch innerhalb der Berufungsfrist beim Erstgericht einlangen müssen. Die Bestimmung des § 89 GOG sei streng auszulegen. Sie beziehe sich nur auf Fälle, in denen das an das zuständige Gericht gerichtete Schriftstück mit der Post befördert werde. So lasse die Rechtsprechung eine Wahrung der Frist nicht einmal dann zu, wenn ein an das Verlassenschaftsgericht zu richtender Rekurs beim zuständigen Gerichtskommissär zu Protokoll gegeben werde, obgleich dieser im Verlassenschaftsverfahren in einem besonderen Naheverhältnis zum Gericht stehe. Die Berufung sei daher schon in nichtöffentlicher Sitzung als verspätet zurückzuweisen gewesen, weil es bei Prüfung der Rechtzeitigkeit lediglich auf die objektiven Umstände ankomme. Subjektive Momente, wie etwa mangelnde Rechtskenntnis der Beklagten, könnten in diesem Verfahren - im Gegensatz etwa zu demjenigen auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - nicht berücksichtigt werden.

Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes wendet sich der Rekurs der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund aufzutragen; hilfsweise wird der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Die Beklagte führt in ihrem Rechtsmittel aus, sie habe den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und auf Beigebung eines Rechtsanwaltes bereits zwei Tage nach Zustellung des Urteiles des Erstgerichtes bei der zuständigen Behörde, nämlich der Staatsanwaltschaft ihres Heimatortes in der Türkei, gestellt. Es sei aktenkundig, daß sie ständig in der Türkei lebe, der deutschen Sprache nicht mächtig sei, und keinen geeigneten Vertreter besitze, der ihre Rechtsangelegenheiten vor dem österreichischen Gericht wahrnehmen könne. Es sei weiters gerichtsbekannt, daß sie aufgrund ihres Einkommens- und Vermögensverhältnisse außerstande sei, sich eines gewählten und honorierten Rechtsvertreters zu bedienen, um ihre rechtlichen Angelegenheiten in dem gegenständlichen, vom Kläger anhängig gemachten Verfahren wahrzunehmen. In Ermangelung entsprechenden Vermögens, der erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache und der räumlichen Distanz sei sie außerstande gewesen, vor dem österreichischen Gericht aufzutreten, und dort ihre Anträge zu Protokoll zu geben, oder diese auf schriftlichem Wege dem österreichischen Gericht zukommen zu lassen. Da einer Partei, der Verfahrenshilfe zugebilligt werde, in jedem Fall die Antragstellung bei der örtlich zuständigen Behörde ihrer Heimatgemeinde zustehe, müsse dieses Prinzip umsomehr einem Ausländer zustehen, der seinen Wohnsitz im Ausland habe und der Gerichtssprache nicht mächtig sei. Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Hat eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei innerhalb der vierwöchigen Berufungsfrist die Beigebung eines Rechtsanwaltes beantragt, so beginnt für sie gemäß § 464 Abs 3 ZPO die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn.

Gemäß Art. 1 des Europäischen Übereinkommens vom 27. Jänner 1977 über die Übermittlung von Anträgen auf Verfahrenshilfe, BGBl. Nr. 190/1982, das für Österreich am 16. März 1982 und für die Türkei am 23. April 1983 (BGBl. Nr. 282/1983) in Kraft getreten ist, kann jede Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei hat und im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei Verfahrenshilfe in Zivil-, Handels- oder Verwaltungssachen beantragen will, ihren Antrag in dem Staat einreichen, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dieser Staat übermittelt den Antrag dem anderen Staat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes hat die Beklagte daher ihren Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwaltes, den sie zwei Tage nach der Zustellung des Urteiles des Erstgerichtes bei der zuständigen türkischen Behörde zu Protokoll gegeben hat, innerhalb der Frist des § 464 Abs 1 ZPO gestellt, so daß der Lauf der Berufungsfrist für sie gemäß § 464 Abs 3 ZPO mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn am 27. Jänner 1987 begann. Die von dem als Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt am 13. Februar 1987 erhobene Berufung ist daher nicht verspätet. Der angefochtene Beschluß mußte somit aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung aufgetragen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E13732

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00621.87.0412.000

Dokumentnummer

JJT_19880412_OGH0002_0020OB00621_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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