TE OGH 1988/4/13 1Ob568/88

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Veröffentlicht am 13.04.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei STADT WIEN, vertreten durch Dr. Peter Rudeck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Erna S***, Versicherungsvertreterin, Wien 15., Hütteldorferstraße 16-22/13/13, und Hochwolkersdorf 62,

2.) mj. Barbara S***, Schülerin, 3.) mj. Stefan S***, Schüler, beide Hochwolkersdorf 62, beide vertreten durch die erstbeklagte Partei, diese vertreten durch Dr. Hans Bichler, Dr. Daniel Charim und Dr. Wolfgang Spitzy, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 25. September 1987, GZ 48 R 380/87-48, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 22. Mai 1987, GZ 6 C 1737/86-44, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 5.835,90 S bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren (darin enthalten 505,26 S Umsatzsteuer und 278 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Walter S*** war Hauptmieter der aufgekündigten Wohnung. Er verstarb am 11. Dezember 1981. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 17. Dezember 1982, A 1423/81-17, wurde der Nachlaß seiner Witwe (der Erstbeklagten) und seinen beiden ehelichen Kindern (der Zweit- und dem Drittbeklagten) je zu einem Drittel eingeantwortet.

Die klagende Partei kündigte die Wohnung auf. Die vermietete Wohnung diene nach dem Tod des bisherigen Hauptmieters nicht mehr dem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen. Die Beklagten wendeten ein, es bestehe ein dringendes Wohnbedürfnis der Erstbeklagten. Sie habe in Wien eine Arbeit annehmen müssen und sei dadurch gezwungen, sich in Wien aufzuhalten. Im ersten Rechtsgang wurde durch den Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 1. Oktober 1986, 1 Ob 593/86, auf dessen nähere Begründung verwiesen wird, abschließend geklärt, daß ein dringendes Wohnbedürfnis der Erstbeklagten an der aufgekündigten Wohnung besteht und bereits zum Zeitpunkt des Todes des Hauptmieters bestanden hat. Es könnte nur noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die Erstbeklagte zum Zeitpunkt des Todes ihres Gatten mit diesem in der aufgekündigten Wohnung im gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Gemeinsamer Haushalt bestehe in der Dauer berechnetem gemeinsamen Wohnen und Wirtschaften. Der eintretende nahe Angehörige müsse zum Todeszeitpunkt seinen Lebensschwerpunkt in der Wohnung gehabt haben (MietSlg. 35.555, 34.485, 33.368, 32.378 uva; Würth in Rummel, ABGB, Rz 8 zu § 14 MRG). Entsprechend der besonderen familiären Situation können auch zwei Haushalte im Sinne des § 14 MRG selbständige Schwerpunkte der Wirtschaftsführung gebildet haben (MietSlg. 26.291).

Im zweiten Rechtsgang erklärte das Erstgericht die Aufkündigung für rechtsunwirksam und wies das Räumungsbegehren ab. Es stellte fest, Walter S*** sei Lehrer gewesen. Er habe bis 1972 ausschließlich an der Bundeslehranstalt in Wien 17, später an der HTL Wiener Neustadt unterrichtet, habe aber weiterhin regelmäßig Kurse am Wirtschaftsförderungsinstitut in Wien abgehalten. Ing. Walter S*** sei gemeinsam mit der Erstbeklagten Hälfteeigentümer einer Liegenschaft in Hochwolkersdorf mit einem Einfamilienhaus, das aus einer Küche, einem Schlafzimmer, Wohnzimmer, Kinderzimmer und Nebenräumen besteht, gewesen. Nach der Geburt der Kinder habe die Erstbeklagte vor allem in Hochwolkersdorf gewohnt. Sie sei nicht jedes Mal mit Ing. Walter S***, der zwischen Wien und Hochwolkersdorf hin- und hergependelt sei, in die Stadtwohnung gefahren, dies sei mit den Kindern zu beschwerlich gewesen. Als die Kinder dann aber die Volksschule in Hochwolkersdorf besucht hätten, sei die Erstbeklagte in der Regel mit Ing. Walter S*** nach Wien gefahren; beide hätten ab diesem Zeitpunkt in der aufgekündigten Wohnung einen gemeinsamen Haushalt geführt. Die Kinder seien während dieser Zeit von einer Schwester der Erstbeklagten, die in Hochwolkersdorf wohne, versorgt worden. Ing. Walter S*** habe dreimal wöchentlich Kurse am Wirtschaftsförderungsinstitut in Wien abgehalten. Er habe dann mit der Erstbeklagten in der aufgekündigten Wohnung übernachtet, die Erstbeklagte habe in der Wohnung gekocht, die Eheleute hätten das Essen gemeinsam eingenommen. Die Erstbeklagte habe die Einkäufe in Wien erledigt und die Wohnung zusammengeräumt. Kleine Wäsche sei in der Wohnung mit der Hand gewaschen, größere außer Haus gegeben worden. Im August 1981 sei Ing. Walter S*** schwer erkrankt und von Hochwolkersdorf, wo er die Ferien verbracht habe, in das zunächst gelegene Krankenhaus Wiener Neustadt gebracht worden. Dort sei er bis zu seinem Tod verblieben. Während dieser Zeit sei die Erstbeklagte mit den Kinder in Hochwolkersdorf geblieben, um ihren Mann besuchen zu können.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß die Erstbeklagte in den letzten Jahren vor dem Tod ihres Mannes ihren Lebensschwerpunkt zwischen den beiden Haushalten aufgeteilt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Aufkündigung für wirksam erklärte und dem Räumungsbegehren stattgab. Es sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige. Die Revision erklärte es nicht für zulässig. Es übernahm die vom Erstgericht aufgrund eines mängelfreien Verfahrens getroffenen Feststellungen. Diese ließen eindeutig den Schluß zu, daß sämtliche Beklagten den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemeinsam mit ihrem verstorbenen Gatten bzw. Vater in Hochwolkersdorf gehabt hätten. Die von Walter S*** abgehaltenen Kurse am Wirtschaftsförderungsinstitut hätten am Lebensschwerpunkt der Beklagten nichts geändert, auch wenn die Erstbeklagte in den letzten Jahren vor dem Tod ihres Gatten ihn bei seinen Wienaufenthalten begleitet habe. Wesentlich seien vielmehr die vielfach aus den Feststellungen sich ergebenden Nahebeziehungen der Beklagten zu Hochwolkersdorf, wo die Erstbeklagte ihre Eltern gepflegt habe und die Kinder in die Schule gingen. Der gemeinsame Haushalt, den § 14 Abs. 3 MRG als eine der Voraussetzungen für die Eintrittsberechtigung nenne, sei jedoch nur dort gegeben, wo der Eintrittswerber auch seinen Lebensschwerpunkt gehabt habe. Dieser Lebensschwerpunkt sei nicht in Wien gewesen, die Beklagten seien nicht eintrittsberechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seinem Beschluß vom 1. Oktober 1986, 1 Ob 593/86, ausgeführt hat, besteht gemeinsamer Haushalt in auf Dauer berechnetem gemeinsamem Wohnen und Wirtschaften. Der eintretende nahe Angehörige muß seinen Lebensschwerpunkt in der Wohnung gehabt haben. Entsprechend der besonderen familiären Situation können auch zwei Haushalte selbständige Schwerpunkte der Wirtschaftsführung gebildet haben. Diese Voraussetzungen waren aber hier entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes gegeben. Nach den Feststellungen war Ing. Walter S*** nicht nur Lehrer an der HTL Wiener Neustadt, sondern hielt auch weiterhin regelmäßig dreimal wöchentlich Kurse am Wirtschaftsförderungsinstitut in Wien ab. Übte Ing. Walter S*** seine Berufstätigkeit in Wien aus, übernachteten er und die Erstbeklagte in der aufgekündigten Wohnung. Die Erstbeklagte führte an diesen Tagen den Haushalt. Sie bereitete die Mahlzeiten, ging einkaufen und versorgte die Wäsche. Der Lebensschwerpunkt von Ing. Walter S*** und seiner Ehegattin, der Erstbeklagten, war daher zwischen Hochwolkersdorf und Wien nahezu gleichmäßig aufgeteilt. Die aufgekündigte Wohnung wurde nicht aus beruflichen, sondern auch aus familiären Gründen gemeinsam genutzt, so daß entsprechend der besonderen familiären Situation die aufgekündigte Wohnung und das Haus in Hochwolkersdorf zwei selbständige Schwerpunkte der Wirtschaftsführung gebildet haben. Die Erstbeklagte ist daher in das bestehende Mietverhältnis eingetreten, sie ist weiterhin aufrechte Mieterin. Die Zweit- und der Drittbeklagte als Erben nach Ing. Walter S*** sind dann aber passiv nicht legitimiert.

Der Revision ist Folge zu geben, die Entscheidung des Erstgerichtes ist wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Bemessungsgrundlage war gemäß § 10 Z 2 lit. c RAT der Betrag von 6.000 S.

Anmerkung

E13918

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00568.88.0413.000

Dokumentnummer

JJT_19880413_OGH0002_0010OB00568_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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