Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21.April 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Friedrich, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Legradi als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Petar J*** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Petar J*** und Andjelka F*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3.Dezember 1987, GZ 3 e Vr 13.347/84-59, sowie über den Antrag der Genannten auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden sowie der Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens werden zurückgewiesen. Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten gemäß § 285 i StPO nF dem Oberlandesgericht Wien zugemittelt. Gemäß § 390 a StPO fallen beiden Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Petar J*** und Andjelka F*** (zu 1.) des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 StGB, (zu 2.) des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB und (zu 3.) des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 und Z 3 StGB schuldig erkannt.
Darnach haben sie am 24.Oktober 1984 in Wien im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter den Dr.Otto A*** (zu 1.) widerrechtlich gefangengehalten und ihm auf andere Weise die persönliche Freiheit entzogen, wobei die Freiheitsentziehung auf solche Weise erfolgte, daß sie dem Festgehaltenen besondere Qualen bereitete und unter solchen Umständen begangen worden ist, daß sie für ihn mit besonders schweren Nachteilen verbunden ist, indem Andjelka F*** die Türe eines Lokals (im Hause Montleartstraße 74) von innen versperrte, Petar J*** ihn niederschlug und fesselte, wobei er ihm teilweise den Mund zuhielt, sodann neuerlich auf ihn einschlug, wodurch Dr.A*** die unter Punkt 2. angeführten (schweren) Verletzungen erlitt, ihm ein Elektrokabel um den Hals wickelte und leicht zuzog, wobei er ihn aufforderte, den Mietvertrag und andere Unterlagen zu unterfertigen, widrigenfalls er zuziehen würde, worauf Andjelka F*** ihm den Mietvertrag und andere Unterlagen zur Unterfertigung vorlegte und er nach teilweiser Entfesselung diese Schriftstücke unterschrieb;
(2.) am Körper (vorsätzlich) verletzt, wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung, nämlich einen Abrißbruch des unteren Pols der linken Kniescheibe und eine Kompressionsfraktur des ersten Lendenwirbels samt einer Blutunterlaufung im Bereich der Nase, eine Hautabschürfung am linken Mundwinkel, eine Lockerung des linken unteren Eckzahnes und ein Hautabschürfung über der Außenseite des linken Kniegelenks, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, zur Folge hatte, indem Petar J*** ihm die unter Punkt 1. angeführten Schläge versetzte, wodurch Dr.A*** auch zu Sturz kam;
(zu 3.) mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, nämlich zur Unterfertigung des Mietvertrages und anderer Schriftstücke, genötigt, wobei besonders wichtige Interessen des Genötigten verletzt wurden, indem ihn Petar J*** unter den im Punkt 1. angeführten Umständen zur Unterschriftsleistung aufforderte.
Rechtliche Beurteilung
Die beiden Angeklagten bekämpfen diesen Schuldspruch mit (gemeinsam ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden, in welchen sie die Gründe der Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO sowie - ersichtlich im Vorgriff auf das im Zeitpunkt der Rechtsmittelausführung (§§ 284, 285 StPO) noch nicht in Kraft getretene Strafrechtsänderungsgesetz 1987 - auch der Z 5 a der zitierten Gesetzesstelle geltend machen.
Was zunächst die auf die unterbliebene Einvernahme der Zeugen Günther R*** (richtig: R***) und Fritz F*** gestützte Verfahrensrüge (Z 4) betrifft, so übersehen die Beschwerdeführer, daß sie (bzw ihr Verteidiger) in der (gemäß § 276 a StPO neu durchgeführten) Hauptverhandlung am 3.Dezember 1987, in welcher das angefochtene Urteil gefällt wurde, Anträge auf Aufnahme dieser Beweise nicht gestellt haben (vgl ON 58, insb S 307, 308 d.A). Daß derartige Anträge in einer früheren Hauptverhandlung gestellt worden waren, genügt nicht. Ist nämlich die Hauptverhandlung aus einem der im § 276 a StPO genannten Gründe neu durchzuführen, so müssen in der neuen Hauptverhandlung die in einer früheren Verhandlung gestellten Beweisanträge, um rechtswirksam zu bleiben, wiederholt werden (Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr 31 zu § 281 Z 4); die Verlesung der Protokolle über die frühere Hauptverhandlung in der neu durchgeführten Verhandlung ersetzt nicht die Wiederholung der seinerzeit gestellten Beweisanträge (Mayerhofer-Rieder aaO ENr 32, 33 zu § 281 Z 4). Mangels entsprechender Antragstellung in der Hauptverhandlung am 3.Dezember 1987 fehlt es somit (schon) an den formalen Voraussetzungen für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO, sodaß auf das bezügliche Beschwerdevorbringen nicht einzugehen ist. Die Mängelrüge (Z 5) hinwieder, mit welcher sich die Beschwerdeführer (ausschließlich) dagegen wenden, daß das Erstgericht dem Zeugen Dr.A*** uneingeschränkt Glauben geschenkt und dessen Bekundungen den Feststellungen zugrunde gelegt hat, läuft der Sache nach im wesentlichen lediglich auf eine - auch unter dem von der Beschwerde ins Treffen geführten neuen Nichtigkeitsgrund der Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO (vgl hiezu 14 Os 41/88, 11 Os 16/88) - unzulässige und damit unbeachtliche Bekämpfung der Beweiswürdigung des erkennenden Schöffensenates hinaus. Die Tatrichter sind aufgrund des ausgezeichneten persönlichen Eindrucks, den sie von diesem Zeugen in der Hauptverhandlung gewonnen hatten, zur Überzeugung gelangt, daß ihm Glauben zu schenken ist, zumal seine Tatschilderung - die übrigen Zeugen haben die Geschehnisse im Lokal selbst nicht beobachtet und konnten daher diesbezüglich keine Angaben machen - widerspruchsfrei ist, mit den Expertisen der beigezogenen Sachverständigen in Einklang gebracht werden können und im übrigen auch, soweit es die von ihm geschilderte Verwendung eines Elektrokabels betrifft, durch das Auffinden eines solchen Kabels am Tatort (unter anderen als den vom Erstangeklagten behaupteten Umständen) bestätigt wird (vgl hiezu die Aussage des Zeugen Rev.Insp.A*** in ON 39/S 203 f in Verbindung mit dessen Meldung S 12 d.A). Dabei mußte sich das Gericht im Urteil nicht eigens damit auseinandersetzen, daß am Tatort jene Schnur, mit welcher Dr.A*** seinen Angaben zufolge gefesselt wurde, nicht vorgefunden wurde; ebensowenig bedurfte es einer Erörterung des Umstands, daß im Befund keine Hinweise auf Fesselungsspuren bei Dr.A*** vorhanden waren, hat doch der medizinische Sachverständige dargelegt (ON 39/S 195 d.A), daß bei einer Fesselung über der Bekleidung, wie sie Dr.A*** schilderte (ON 39/S 195 d.A), derartige Spuren nicht zu sehen sein müssen. Der von der Beschwerde behauptete "offensichtliche Widerspruch" zwischen dem medizinischen Sachverständigengutachten und den Bekundungen des Zeugen Dr.A*** in Ansehung der Entstehung des Kompressionsbruches des ersten Lendenwirbelkörpers ist nicht ersichtlich; schließen doch die Angaben des genannten Zeugen (vgl insb S 15, 39 ff, 192 d.A) keineswegs aus, daß die in Rede stehende Verletzung des Zeugen auf die vom Sachverständigen als wahrscheinlich bezeichnete Art (Fallen auf das Gesäß) entstanden sein kann, wovon ersichtlich auch das Erstgericht ausgegangen ist (US 14).
Mit den Aussagen der Zeugen MAK und J*** hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem die Genannten den Zeugen Dr.A*** bei Betreten bzw Verlassen des Lokals beobachtet haben wollen, hat sich das Gericht ohnehin im Urteil auseinandergesetzt, wobei es diesen Angaben im Hinblick auf die davon abweichende, insgesamt als glaubwürdig beurteilte Aussage des Dr.A*** nicht zu folgen vermochte (US 16 f). Nur der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang beigefügt, daß der Erstangeklagte vor dem Untersuchungsrichter angegeben hatte, Dr.A*** sei "in der Früh" zu ihm ins Lokal gekommen (ON 7/S 59 d.A), was mit der bezüglichen Zeitangabe des Genannten (ON 6/S 40, ON 39/S 199, 201 d.A), nicht aber mit jener des Zeugen MAK (ON 22/S 142 d.A) im Einklang steht. Die Verurteilung des Zeugen Dr.A*** im Jahre 1973 durch ein italienisches Gericht wegen Verbreitung falscher Nachrichten hat das Erstgericht bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen ohnedies erwogen; daß es ihr nicht jene Bedeutung beigemessen hat, die ihr die Beschwerdeführer beimessen, stellt einen Akt tatrichterlicher Beweiswürdigung dar, der aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO nicht angefochten werden kann. Das gilt gleichermaßen auch für jene weiteren Beschwerdeeinwände, wonach das Gutachten des Schriftsachverständigen "nicht restlos von der Täterschaft der Angeklagten überzeugen" könne, wird doch auch damit bloß versucht, die Beweiskraft dieser Expertise in Zweifel zu ziehen, ohne daß ein formaler Begründungsmangel aufgezeigt wird. Die Mängelrüge entbehrt daher überwiegend einer prozeßordnungsgemäßen Ausführung; im übrigen ist sie offenbar unbegründet.
Soweit die Beschwerdeführer ihr bezügliches Vorbringen auch als Rüge aus der Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO verstanden wissen wollen, so sind sie zum einen (abermals) darauf zu verweisen, daß der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher einer Anfechtung aus dem in Rede stehenden Nichtigkeitsgrund entzogen ist; zum anderen zeigen sie mit ihren Einwänden keine konkreten aktenkundigen Umstände auf, aus welchen sich für den Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen ergeben. Die Nichtigkeitsbeschwerden waren demnach teils nach der Z 2, teils nach der Z 1 (in Verbindung mit § 285 a Z 2) des § 285 d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
Der von den Angeklagten im Anschluß an die Ausführung ihrer Nichtigkeitsbeschwerden zugleich gestellte Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens war gemäß § 362 Abs 3 StPO a limine zurückzuweisen (vgl 11 Os 149/86 ua). Die Zumittlung der Akten an den Gerichtshof zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen der beiden Angeklagten fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E13905European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0120OS00040.88.0421.000Dokumentnummer
JJT_19880421_OGH0002_0120OS00040_8800000_000