TE OGH 1988/4/21 8Ob521/88

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Veröffentlicht am 21.04.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch, Dr.Huber, Dr.Schwarz und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*** Organisation für internationale technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit, Budapest V., Rosenberg, Hazaspar u. 21, Ungarische Volksrepublik, vertreten durch Dr.Georg Kahling, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei prot. Firma S*** & C***, Alleininhaber Herbert C***, Wien 21., Lohnergasse 2, vertreten durch Dr.Robert Hyrohs, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 591.175,-- s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23.Oktober 1987, GZ 3 R 117/87-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 31.Dezember 1986, GZ 25 Cg 699/83-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 16.110,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 1.464,60) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Bezahlung des Betrages von S 591.175,-- s.A. für Montagearbeiten, die sie über deren Auftrag in Budapest durchgeführt habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie bestritt nicht die Richtigkeit der Klageforderung, wendete jedoch Gegenforderungen bis zur Höhe des Klagebetrages aufrechnungsweise ein. Die Beklagte habe die Klägerin mit der Durchführung von Installationsarbeiten in Bagdad beauftragt; die Klägerin habe vertragswidrig die im Irak anfallenden Personalsteuern nicht entrichtet, wodurch der Beklagten ein Schaden von S 2,8 Mill. entstanden sei. Überdies habe die Beklagte die Klägerin mit einer weiteren Schadenersatzforderung von S 222.225,40 belastet, die ebenfalls aus dem genannten Bauauftrag resultiert. Auch die M*** Chemiegesellschaft mbH habe aus ihrer Tätigkeit auf der Baustelle in Bagdad eine Schadenersatzforderung gegen die Klägerin von S 1,188.915,--, die sie der Beklagten abgetreten habe. Hinsichtlich dieser Forderung habe die Beklagte bereits außergerichtlich die Aufrechnung erklärt.

Die Klägerin bestritt die Berechtigung der Gegenforderungen. Sie verwies darauf, daß es nach Punkt 4.1. des zwischen den Parteien abgeschlossenen Werkvertrages dem Auftraggeber unter keinem Titel gestattet sei, Abzüge aus dem fakturierten Betrag vorzunehmen. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im ersten Rechtsgang statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es lägen Anhaltspunkte dafür vor, daß das Rechtsverhältnis der Parteien ausländischem Recht unterliegt. Diese Frage sei zu klären.

Auch im zweiten Rechtsgang erkannte das Erstgericht im Sinne des Klagebegehrens. Es stellte die Forderung der Klägerin mit S 591.175,-- als zu Recht bestehend fest, wies die Aufrechnungseinrede der Beklagten ab und verurteilte diese zur Bezahlung des Klagebetrages samt Anhang. Es legte seiner Entscheidung folgenden (unbekämpften) Sachverhalt zugrunde:

Nach dem zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossenen Werkvertrag übernahm die Klägerin mit eigenen Fachkräften die Ausführung der Montagearbeiten am Hotel B.A.H. Karolina Budapest. Gemäß Punkt 4.1. dieses Werkvertrages ist der Auftragnehmer berechtigt, alle 30 Tage eine Teilrechnung aufgrund der erbrachten Leistungen auszustellen. Der Rechnungsbetrag ist jeweils 30 Tage nach Eingang der Rechnung zu bezahlen. Bei einer Zahlungsverzögerung des Auftraggebers werden ihm Zinsen von 1 % p.m. berechnet. Dem Auftraggeber ist es unter keinem Titel gestattet, Abzüge aus dem fakturierten Betrag vorzunehmen. Mit Schreiben vom 22.März 1982 fügte die Beklagte dem Artikel 4 (Zahlungsbedingungen) lediglich hinzu, daß als Zahlungstermin das Aufgabedatum einer österreichischen Bank gelte. Die Klägerin hat Leistungen in Höhe des Klagebetrages erbracht und hierüber die in der Klage zitierten Fakturen gelegt.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß in Ermangelung einer Rechtswahl der Parteien gemäß § 36 IPRG vorzugehen sei: die "vertragstypische Leistung" sei von der Klägerin, die ihren Sitz in Ungarn habe, erbracht worden; das österreichische IPR verweise damit auf das Recht der Volksrepublik Ungarn. Gemäß den §§ 24 und 26 Abs 2 des ungarischen Internationalen Privatgesetzbuches sei nach der Rechtsauskunft des Ministeriums für Justiz der Ungarischen Volksrepublik das Recht jenes Staates in Anwendung zu bringen, auf dessen Gebiet die Tätigkeit des Unternehmens im Sinne des Vertrages auszuüben sei. Das ungarische Recht nehme daher die Verweisung an. Die materiell-rechtliche Beurteilung der Rechtssache habe somit nach den Bestimmungen der ungarischen Rechtsordnung zu erfolgen. Die Aufrechnung regle § 296 des ungarischen Zivilgesetzbuches. Bei dieser Bestimmung handle es sich im Sinne des § 200 Abs 1 des ungarischen Zivilgesetzbuches um dispositives Recht, weshalb die Aufrechnung vertraglich ausgeschlossen werden könne. Die Vertragsauslegung regle § 207 des ungarischen Zivilgesetzbuches, welcher laute:

"Eine Vertragserklärung ist im Streitfall so zu interpretieren, wie sie der andere Teil unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Erklärenden und der Umstände des Falles entsprechend der allgemein anerkannten Bedeutung der Worte verstehen mußte. Wenn jemand ganz oder teilweise auf sein Recht verzichtet, darf die Erklärung nicht extensiv interpretiert werden."

Das vereinbarte "Abzugsverbot" bringe den mutmaßlichen Willen der Klägerin zum Ausdruck, zunächst die Bezahlung ihrer Rechnungen zu erwirken und die Beklagten mit allfälligen Gegenforderungen auf den Rechtsweg zu verweisen. Es liege auf der Hand, daß die Klägerin auch Abzüge aus allfälligen Forderungen der Beklagten, die mit den von der Klägerin gelegten Rechnungen in keinem Zusammenhang stehen, nicht akzeptieren wollte. Dies habe der Beklagten wegen der Formulierung, daß ihr aus "keinem Titel" gestattet sein solle, Abzüge aus dem fakturierten Betrag vorzunehmen, klar sein müssen. Auch die Aufrechnung mit Gegenforderungen stelle rein rechnerisch einen Abzug von den Forderungen der Klägerin dar. Die strittige Vertragsbestimmung enthalte daher ein Aufrechnungsverbot. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es vertrat rechtlich im wesentlichen die gleiche Auffassung wie das Erstgericht. Die im Werkvertrag enthaltene Bestimmung, es sei aus keinem Titel gestattet, Abzüge aus dem fakturierten Betrag vorzunehmen, sei unter Berücksichtigung der Regelungen des ungarischen Rechtes als Aufrechnungsverbot zu verstehen, weil bei der Aufrechnung (mit einer niedrigeren Forderung) "aus dem Titel" der Aufrechnung ein "Abzug" vom fakturierten Betrag vorgenommen wird. Aus § 207 Abs 2 des ungarischen Zivilgesetzbuches sei für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen. Die Auslegung sei entweder ausdehnend (extensiv) oder einschränkend (restriktiv) vorzunehmen, je nach dem, ob sie die Bedeutung eines von den Parteien verwendeten Wortes oder eines Satzes dem äußerst möglichen Wortsinn oder den Begriffskern annähern will. "Abzug" bedeute nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, daß ein Betrag um einen anderen Betrag vermindert wird. Eine solche Rechenoperation sei aber auch bei Vornahme der Aufrechnung durchzuführen. Es könne daher keine Rede davon sein, daß der Begriff "Abzug" bei Vereinbarung eines Aufrechnungsverbotes in seinem äußerst möglichen Wortsinn (extensiv) verwendet würde. Da Abzüge "aus keinem Titel" gestattet werden sollten, sei auch für die Beklagte klar zu erkennen gewesen, daß die Klägerin auch die Aufrechnung ausschließen wollte.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil "hinsichtlich der Abweisung der Aufrechnungseinrede und Zuspruch des Betrages von S 591.175,-- s.A. an die Klägerin aufzuheben" und an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Anknüpfungsfrage wurde von den beiden Vorinstanzen richtig beantwortet: Da keine Rechtswahl im Sinne des § 35 IPRG vorliegt, ist nach § 36 IPRG vorzugehen. Die danach "vertragstypische Leistung" wurde von der Klägerin erbracht, die ihren Sitz in Ungarn hat. Das IPR der Volksrepublik Ungarn (§§ 24 und 26 Abs 2 des Internationalen Privatgesetzbuches) nimmt die österreichische Verweisung, die eine Gesamtverweisung ist, an, so daß das maßgebliche Sachrecht dieses Staates anzuwenden ist, wenn es gilt, die strittige Vertragsklausel Punkt 4.1. auszulegen, wonach es dem Auftraggeber (Beklagter) unter keinem Titel gestattet ist, Abzüge aus dem fakturierten Betrag vorzunehmen.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, daß nach § 207 Abs 2 des ungarischen Zivilgesetzbuches die Auslegung des strittigen Vertragspunktes nicht extensiv erfolgen dürfe und daher ein Aufrechnungsverbot von der Textierung des Punktes 4.1. des Werkvertrages nicht umfaßt sein könne.

Die von den Vorinstanzen übereinstimmend vorgenommene Auslegung ist jedoch keine extensive im Sinne des § 207 zweiter Satz des ungarischen Zivilgesetzbuches, weil sie der Bedeutung der Worte folgt und demnach die Begriffswahl "Abzüge sind unter keinem Titel gestattet" wegen des Ausschlusses jeder anderen Bedeutung keine andere Interpretation zuläßt. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß der Begriff Abzug nur die Verminderung eines Betrages um einen anderen bedeuten kann und die umfassende Anführung des Abzugsausschlusses ("aus keinem Titel") zwingend zur Ablehnung jeglicher Aufrechnung führen muß. Der Sinn des Aufrechnungsverbotes ist es, den mit diesem Verbot belegten Schuldner zur Vorleistung zu zwingen, wenn er aufrechenbare Gegenforderungen behauptet. Liquide Gegenforderungen der Beklagten bestehen nicht, so daß nicht darauf einzugehen ist, inwieweit nicht doch eine prozessuale Aufrechnung stattfinden könnte.

Aus den dargelegten Erwägungen mußte die Revision des Beklagten erfolglos bleiben.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E14252

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0080OB00521.88.0421.000

Dokumentnummer

JJT_19880421_OGH0002_0080OB00521_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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