TE OGH 1988/4/21 8Ob544/88

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Veröffentlicht am 21.04.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch, Dr.Huber, Dr.Schwarz und Dr.Graf als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Gerd Z***, geboren 13.Februar 1971, infolge Revisionsrekurses des Vaters Gerhard Z***, 1120 Wien, Murlingengasse 27/3/4, vertreten durch Dr.Karl Bollmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien, als Rekursgerichtes vom 18.Februar 1988, GZ 44 R 3055/88-251, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 3.Dezember 1987, GZ 8 P 415/87-239, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Beschluß vom 22.März 1987, 8 P 415/87-209, des ersten Rechtsganges wies das Erstgericht die elterlichen Rechte hinsichtlich des Minderjährigen der Mutter zu. Den entgegenstehenden Antrag des Vaters wies es ab. Das Rekursgericht hob diesen Beschluß mit seiner Entscheidung vom 22.April 1987, 44 R 3227/87-214, auf und trug dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens und die neuerliche Entscheidung auf. Im zweiten Rechtsgang erkannte das Erstgericht mit dem Beschluß vom 3.Dezember 1987, 8 P 415/87-239, im gleichen Sinn wie im ersten Rechtsgang. Es traf folgende Feststellungen:

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde im Jahre 1977 geschieden. Der Minderjährige befand sich zunächst in Pflege und Erziehung der Mutter. Am 6.November 1984 vereinbarten die Eltern, daß die elterlichen Rechte künftighin allein dem Vater zustehen sollten. Der Minderjährige lebte vom Jahr 1980 bis zum 21. November 1986 im Haushalt der Großmutter väterlicherseits. Im Haushalt seines Vaters, der ebenso wie seine Lebensgefährtin berufstätig ist, lebte er nicht.

Am 21.November 1986 verließ der Minderjährige ohne Wissen der Großmutter oder des Vaters völlig überraschend die Wohnung der Großmutter und übersiedelte nach Obsteig zur Mutter. Seither lebt er in deren Haushalt. Dieser Übersiedlung waren schulische Probleme und solche der Berufsausbildung vorangegangen: Zu Beginn des Schuljahres 1986/87 besuchte der Minderjährige zunächst die Höhere Technische Lehranstalt. Er wünschte eine Ausbildung "in Richtung EDV", eine entsprechende Schule konnte jedoch nicht gefunden werden. Ende September 1986 verließ er die Höhere Technische Lehranstalt. Dem Vater gelang es dann unter Schwierigkeiten, eine Lehrstelle für den Minderjährigen zu finden. Er wählte für ihn den Beruf eines Friseurs. Dem Minderjährigen gefiel dieser Beruf jedoch absolut nicht. Nach ca. 5 Wochen brach er die Lehre ab. Er fühlte sich vom Vater bei seinen Berufswünschen unverstanden und nicht unterstützt. Dies führte zu einer Störung des Verhältnisses zum Vater. Deshalb entschied sich der Minderjährige, zur Mutter zu übersiedeln. Er erhoffte von ihr eine Unterstützung und Förderung seiner Berufswünsche. Er traf diese Entscheidung unbeeinflußt.

Die Mutter suchte mit dem Minderjährigen den Beratungsdienst des Landesschulrates für Tirol auf. Aufgrund dieser Beratung besuchte der Minderjährige zunächst einen EDV-Kurs. Seit dem Schuljahr 1987/88 besucht er die Handelsakademie in Imst. Seit dem Auszug des Minderjährigen besteht kein Kontakt zwischen ihm und dem Vater. Das Verhältnis zwischen ihnen ist gestört. Er lehnt den Vater derzeit ab.

Der Minderjährige ist im Haushalt der Mutter, die in zweiter Ehe mit einem Postbediensteten verheiratet ist, gut integriert. Er hat im Haus ein eigenes Zimmer. Die Mutter lebt in geordneten Verhältnissen und betreibt in Obsteig eine Fremdenpension und ein Heurigenlokal. Von seinem Wohnort in Obsteig bis zum Schulort Imst fährt der Minderjährige mit dem Postbus ca. 35 Minuten. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß die Berufsausbildung des Minderjährigen für dessen weiteren Lebensweg von besonderer Bedeutung sei. Diese werde nur dadurch in geordnete und vom Minderjährigen selbst akzeptierte Bahnen gelenkt, wenn die elterlichen Rechte der Mutter zugewiesen werden, weil der Vater für den berechtigten Berufswunsch seines Sohnes kein Verständnis habe. Die starre Haltung des Vaters habe zu einem gänzlich zerrütteten Verhältnis zwischen diesem und seinem Sohn geführt. Das Wohl des Minderjährigen erfordere daher die Übertragung der elterlichen Rechte an die Mutter.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Die vom Erstgericht gesetzte Maßnahme diene dem Wohl des Kindes. Der Minderjährige sei 17 Jahre alt. Es wäre nicht zielführend, ihn gegen seinen Willen bei einem von ihm abgelehnten Elternteil zu halten. Die Wiederherstellung der früheren Lebensumstände führten mit Sicherheit zu einer Gefährdung des Kindeswohles. Das Berufsproblem habe der Minderjährige nur durch die "Flucht" zur Mutter lösen können, weil der Vater nicht bereit war, ihm eine weitere Schulausbildung zu gewähren, sondern nur daran Interesse hatte, ihm eine Lehrstelle zu verschaffen. Dies habe zu einer echten Vertrauenskrise zum Vater geführt.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters gemäß § 16 AußStrG, in welchem er Nichtigkeit und offenbare Gesetzwidrigkeit geltend macht und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Antrag der Mutter, ihr die elterlichen Rechte zu übertragen, abgewiesen werden möge. Der außerordentliche Revisionsrekurs ist unzulässig. Der Revisionsrekurswerber stellt sich auf den Standpunkt, daß die Entscheidungen der Vorinstanzen nichtig seien, weil der Minderjährige nur im Rechtshilfeweg vernommen und dem Vater dadurch die Gelegenheit genommen wurde, seinen Sohn zu hören. Es hätte sich herausgestellt, daß der Minderjährige das Jahr 1986/87 vertrödelt habe. Es werde der Versuch des Sohnes, vor seinen Aufgaben zu fliehen, in erzieherisch verfehlter Weise unterstützt. Damit wird jedoch keine Nichtigkeit im Sinne des § 16 AußStrG aufgezeigt:

Es ist zwar richtig, daß nach dem zweiten Satz des § 177 Abs 2 ABGB vor der Entscheidung über die Zuweisung der elterlichen Rechte und Pflichten ein mindestens 10jähriges Kind zwingend zu hören ist; dies muß aber nicht vor dem erkennenden Gericht selbst und keinesfalls der vom Rechtsmittelwerber ins Auge gefaßten Weise erfolgen, daß das Kind einem regelrechten Verhör unter Beiziehung des Vaters unterzogen würde. Der Minderjährige hat im vorliegenden Fall seinen durchaus ernst zu nehmenden Wunsch, nicht Friseur zu werden, sondern eine weitere schulische Ausbildung zu absolvieren, klar zum Ausdruck gebracht. Sein Standpunkt ist umso gewichtiger, als er bald großjährig sein wird und dann selbstverantwortlich seine konkreten Berufsvorstellungen verwirklichen muß.

Als offenbar gesetzwidrig bekämpft der Rechtsmittelwerber die Ansicht der Vorinstanzen, daß unter den festgestellten Umständen das Wohl des Minderjährigen die Übertragung der Elternrechte erfordere. Es kommt aber hiebei nicht darauf an, daß der Vater in gutem Glauben vermeint, seien Sohn erzieherisch "zur Vernunft bringen" zu müssen, sondern ausschließlich darauf, ob in den angefochtenen Entscheidungen der Vorinstanzen auf das nach § 176 ABGB maßgebliche Wohl des minderjährigen Kindes im Sinne des § 178 a ABGB Bedacht genommen wurde (5 Ob 776/80 ua). Das Rekursgericht hat eingehend dargestellt, aus welchen Gründen es für notwendig hielt, dem Minderjährigen zu ermöglichen, einen seinen Neigungen und Möglichkeiten entsprechenden Beruf anzustreben. Es gelangte in Übereinstimmung mit dem Erstgericht zur Ansicht, daß dies nur bei der Mutter des Minderjährigen möglich und sinnvoll sei. Die gegenteiligen Argumente des Rechtsmittelwerbers vermögen eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht aufzuzeigen; diese läge nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die zur Beurteilung gestellte Frage im Gesetz so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (SZ 44/180; 5 Ob 776/80 uza). Das ist aber hier nicht der Fall. Der außerordentliche Revisionsrekurs mußte deshalb zurückgewiesen werden.

Anmerkung

E14255

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0080OB00544.88.0421.000

Dokumentnummer

JJT_19880421_OGH0002_0080OB00544_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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