Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Meches (Arbeitgeber) und Renate Csörgits (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helene B***, Burggasse 9, 6130 Schwaz, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier und Dr. Hubertus Schumacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien (Landesstelle Salzburg, Faberstraße 20), vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 1987, GZ 5 Rs 1162/87-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 24. Juli 1987, GZ 44 Cgs 1014/87-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht wies das Begehren der am 18. Oktober 1910 geborenen Klägerin auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses ab 26. August 1986 ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei keine Folge. Es traf nach Beweisergänzung zusammenfassend im wesentlichen folgende Feststellungen:
Die Klägerin kann selbständig das Essen einnehmen, sich an- und ausziehen und die Toilette aufsuchen. Damit sie sich beim Anziehen der Schuhe nicht so tief bücken muß (Schwindelanfälle), kann sie einen langen Schuhlöffel oder Schlüpfschuhe benützen. Den Oberkörper und das Gesicht kann sie sich selbst waschen. Für die Reinigung der Füße bedarf sie mit Rücksicht auf die Schwindelneigung und das Wirbelsäulenleiden fremder Hilfe. Aus den gleichen Gründen ist auch eine Hilfeleistung und Aufsicht beim Baden notwendig. Die Klägerin ist imstande, selbständig warme Mahlzeiten zuzubereiten, wobei sie sich nach einer Viertelstunde Stehen vorübergehend niedersetzen muß. In der warmen Jahreszeit und der Übergangszeit kann sie außer Hauses Wegstrecken von einer viertel bis zu einer halben Stunde zurücklegen und dabei 1/2 bis 1 kg tragen. In der kalten Jahreszeit tut sie sich dabei schwerer und leidet eher unter Schmerzen und Atemnot. Bei großer Kälte muß sie überhaupt zu Hause bleiben. In der kalten Jahreszeit kann die Klägerin außer Hauses auch keine Lasten mehr tragen. Es kann vorkommen, daß die Klägerin gelegentlich schwindlig wird und dann zu Sturz kommt. Beim Stiegensteigen zu ihrer Wohnung muß die Klägerin zwischenzeitig stehen bleiben und rasten. Das Waschen kleiner Wäsche ist möglich. Die Klägerin kann auch staubwischen und staubsaugen, wenn sie sich dabei nicht bücken muß. Das Herbeischaffen von Heizmaterial sowie die Beheizung eines Holz- oder Kohleofens ist ihr ebensowenig möglich wie das Waschen der großen Wäsche oder die gründliche Wohnungsreinigung. Der Umgang mit Geld ist nicht eingeschränkt. Im Haus der Klägerin befindet sich ein Geschäft, in dem die Bedarfsgegenstände des täglichen Lebens eingekauft werden können. Die Wohnung wird mittels einer Ölheizung gewärmt.
Aus diesem Sachverhalt leitete das Berufungsgericht rechtlich ab, Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG liege nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (JBl 1988, 64) nicht vor. Im wesentlichen sei die Klägerin nur nicht mehr in der Lage, die gründliche Wohnungsreinigung und die Erledigung der großen Wäsche sowie größere Einkäufe selbst vorzunehmen. Dabei handle es sich um Tätigkeiten, die nur fallweise zu erledigen seien und damit auch einen entsprechend niedrigen Aufwand erforderten. Die Beaufsichtigung der Klägerin bei der Ganzkörperreinigung könne auch während der gründlichen Reinigung der Wohnung erfolgen, so daß diese nicht mit besonderen Kosten verbunden sei. Im Wohnhaus der Klägerin befinde sich ein Geschäft, in welchem die kleinen täglichen Einkäufe erledigt werden könnten. Kosten für die Heizung eines Ofens mit festen Brennstoffen fielen nicht an, da die Klägerin über eine Ölheizung verfüge. Nach der konkreten Lebenssituation der Klägerin erfordere die fremde Hilfe daher jedenfalls keinen Aufwand, der die Höhe des Mindesthilflosenzuschusses erreiche (§ 273 ZPO). Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt nur vor, wenn die Fassung des Urteiles so mangelhaft ist, daß dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, nicht aber, wenn die Entscheidungsgründe nur unvollständig geblieben sind (Fasching LB Rz 1760). Davon kann aber hier keine Rede sein. Das Berufungsverfahren ist aber auch nicht mangelhaft geblieben. Im Urteil sind alle gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin und jene Verrichtungen, zu deren Vornahme sie fremder Hilfe bedarf, im einzelnen dargelegt. Die Einschätzung nach § 273 ZPO, welcher Kostenaufwand hiefür erforderlich ist aber, stellt rechtliche Beurteilung dar. Dazu reichen die Feststellungen des Berufungsgerichtes aus, ohne daß es einer Ermittlung und Feststellung der genauen Stundenanzahl für die benötigte fremde Hilfe bedurft hätte, weil schon nach der richterlichen und allgemeinen Lebenserfahrung beurteilt werden kann, daß der erforderliche Kostenaufwand für die von der Klägerin benötigte fremde Hilfe nach ihrer konkreten Lebenssituation die Höhe des Hilflosenzuschusses auch nicht annähernd erreicht.
Die Unfähigkeit, lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen, begründet nur in dem Umfang Hilflosigkeit, als der Ausfall der erforderlichen Wartung und Hilfe dazu führen würde, daß der Rentner oder Pensionist in absehbarer Zeit sterben oder verkommen oder gesundheitliche Schäden erleiden würde. Das Erfordernis fremder Hilfe, oder wie hier, nur der Beaufsichtigung bei der Körperreinigung kann daher nur insoweit berücksichtigt werden, als die Klägerin sonst der Gefahr gesundheitlicher Schäden ausgesetzt wäre (JBl 1988, 64, 10 Ob S 146/87). Zu Recht aber hat das Berufungsgericht auch darauf verwiesen, daß die Beaufsichtigung der Klägerin bei der Ganzkörperreinigung auch während der gründlichen Wohnungsreinigung möglich und daher nur fallweise mit besonderen Kosten verbunden ist. Zum Waschen der Füße, das wegen eines allenfalls beim Bücken auftretenden Schwindels eingeschränkt ist, kann überdies eine Stielbürste verwendet werden. Weil sich im Wohnhaus der Klägerin ohnedies ein Geschäft befindet, in welchem sie sich mit den Dingen des täglichen Bedarfes, ohne das Haus verlassen zu müssen, versorgen kann und, wie im Sachverständigengutachten ON 4 festgehalten, Bestellungen ins Haus gebracht werden, verursachen auch die festgestellten Einschränkungen beim Einkaufen und Tragen von Lasten keine Kosten. Das Warmhalten der Wohnung ist durch eine Ölheizung sichergestellt. Die Erledigung der großen Wäsche und die gründliche Reinigung der Wohnung aber sind nur fallweise, in größeren Zeitabständen erforderlich, so daß die dafür auflaufenden üblichen Kosten ohne Zweifel nicht die Höhe des Hilflosenzuschusses erreichen.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E14273European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00092.88.0426.000Dokumentnummer
JJT_19880426_OGH0002_010OBS00092_8800000_000