TE OGH 1988/4/27 2Ob28/88

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Veröffentlicht am 27.04.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erwin W***, Maschinenschlosser, 8162 Passail, Unterneudorf 46, vertreten durch Dr. Gottfried Eisenberger und Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) Ingrid Z***, Lehrerin, 8102 Semriach, Marktviertel 64, 2.) G*** W***

V***, 8010 Graz, Herrengasse 18-20, beide vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Erich Allmer, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 620.137,34 s.A. und Feststellung (S 75.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 13. Jänner 1988, GZ 2 R 255/87-84, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 10. Oktober 1987, GZ 13 Cg 64/87-80, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 20.406,61 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 2.400,-- und die Umsatzsteuer von S 1.636,96) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21. August 1981 ereignete sich im Gemeindegebiet von Semriach, Bezirk Graz-Umgebung, auf der Landesstraße 386 bei Straßenkilometer 2,09 auf der Kreuzung der Landesstraße mit der Gemeindestraße in Richtung Kambegg ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger mit seinem Motorrad Honda 750 CD, St 47.607, und die Erstbeklagte als Lenkerin und Halterin des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW VW Golf GLS, St. 101.319, beteiligt waren. Der Kläger fuhr die L 386 in Süd-Nord-Richtung, während die Erstbeklagte aus der Richtung Osten einmündenden Gemeindestraße nach links, Richtung Süden, in die Landesstraße einbog.

Der Kläger begehrte von den Beklagten die Bezahlung von S 894.000,-- s.A. und beantragte die Feststellung, daß sie ihm gegenüber für zukünftige Schäden zur Gänze zu haften haben. Die Erstbeklagte treffe das alleinige Verschulden am Unfall, weil sie unter Mißachtung ihrer Wartepflicht bzw. Verletzung des dem Kläger zukommenden Vorranges in die Landesstraße einbog und mit dem vom Kläger auf der Landesstraße gelenkten Motorrad zustammenstieß. Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Das Alleinverschulden treffe den Kläger. Das negative Vorrangzeichen der Gemeindestraße habe für den von der Erstbeklagten befahrenen Fahrbahnteil keine Gültigkeit gehabt; diese sei daher als von rechts kommende Lenkerin bevorrangt gewesen. Gegen das Klagebegehren werde außerdem eine Gegenforderung von S 58.592,-- aufrechnungsweise eingewendet.

Im rechsten Rechtsgang erkannte das Erstgericht die Klageforderung mit S 670.000,--, die Gegenforderung mit S 14.648,-- als zu Recht bestehend und gab dem Klagebegehren - ausgehend von einer Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 3 zugunsten des Klägers - mit S 655.852,-- samt Anhang sowie dem Feststellungsbegehren unter Zugrundelegung der gleichen Verschuldensteilung statt. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichtes erhobene Revision des Klägers hatte keinen, die von den Beklagten erhobene hatte Erfolg. Der Oberste Gerichtshof änderte die Urteile der Vorinstanzen durch Teilurteil dahin ab, daß er das Klageteilbegehren von S 273.862,66 s.A. und das Feststellungsteilbegehren von 1/4 abwies. Im übrigen (restliches Leistungsbegehren S 620.137,34, Gegenforderung S 58.592,-- und Feststellungsbegehren zu 3/4) hob er die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Die bisher getroffenen Feststellungen reichten nicht aus, um beurteilen zu können, ob das negative Vorrangzeichen für das Verkehrsverhalten der Erstbeklagten gegenüber dem auf der Landesstraße fahrenden Kläger bedeutsam gewesen sei oder nicht. Zur Beurteilung dieser Frage sei es notwendig, genaue Feststellungen über die Beschaffenheit der Kreuzung zu treffen.

Im zweiten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Feststellungsbegehren im Ausmaß von 3/4 statt. Es erkannte die Klageforderung mit S 620.137,34, die Gegenforderung mit S 14.648,-- als zu Recht bestehend und veruteilte die Beklagten zur Bezahlung von S 605.489,34 s.A. Das Mehrbegehren wies es ab. Das Erstgericht traf - in Zusammenfassung der Feststellungen des ersten und zweiten Rechtsganges dargestellt - nachstehende Feststellungen:

Die Unfallstelle befindet sich im Bereich der Einmündung der Gemeindestraße aus Kambegg in die Landesstraße Nr. 386. Die L 386 verläuft im Unfallbereich annähernd in Süd-Nord-Richtung. Die Gemeindestraße aus Kambegg mündet aus Nord-Ost kommend in zwei Armen in die Landesstraße ein. Die Gemeindestraße selbst und deren Fortsetzung im südlichen Einmündungsast schließen einen Winkel von ca. 30 mit der Längsachse der Landesstraße ein.

Als Bezugslinie (BL) wurde eine Normale zur Fahrbahnlängsachse der Landesstraße auf Höhe der südlichen Begrenzung des südlichen Einmündungstrichters der Gemeindestraße gewählt.

Der südliche Einmündungstrichter der Gemeindestraße erstreckt sich von der BL bis in einen Bereich 8 m nördlich derselben. Daran schließt sich die westliche Begrenzung einer dreieckigen wald- und strauchbewachsenen Fläche an, die im Bereich der östlichen Begrenzung der Landesstraße eine Länge von 24 m aufweist. Ab der Position 32 m nördlich der BL erstreckt sich der Einmündungstrichter des nördlichen Einmündungsarmes der Gemeindestraße mit einer Breite von ebenfalls 8 m. Die Landesstraße weist im näheren Unfallbereich eine asphaltierte Fahrbahnbreite von 4,9 bis 5 m auf. Der südliche Einmündungsarm der Gemeindestraße besitzt außerhalb der Erweiterungen im Bereich der Trichter eine Breite von 2,7 m, während der nördliche Arm eine Breite von ca. 2,9 m aufweist. Nördlich des nördlichen Einmündungsarmes weist die Gemeindestraße eine Breite von ca. 3 m auf.

Ab einer Position rund 50 m nördlich der Bezugslinie besteht auf der Gemeindestraße bei einer Fahrlinie in Fahrbahnmitte die erste Möglichkeit des Erkennens des Einmündungsbereiches der beiden Einmündungsarme der Gemeindestraße in die Landesstraße. Die Dreiecksfläche zwischen der Landesstraße und den beiden Einmündungsarmen der Gemeindestraße weist eine Fläche von ca. 175 m2 auf. Auf dieser Fläche befinden sich insgesamt ca. 20 Bäume (Lärchen, Fichten, Föhren) und Strauchwerk. Die Höhe der Bäume läßt sich zwischen 5 und 15 m abschätzen.

Nach dem Erlaß der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom 29. März 1983 wurde allen Gemeinden des Bezirkes Graz-Umgebung ua. wieder in Erinnerung gerufen, daß auf jenen Kreuzungen, wo eine Gemeindestraße bzw. ein öffentlicher Interessentenweg in einem Kreuzungsbereich mit mehreren Ästen in eine Landes- bzw. Bundesstraße einmündet, vor jeder derartigen Einmündung unbedingt ein Vorschriftszeichen "Vorrang geben" aufzustellen sei. Mit dem Schreiben vom 20. Juni 1983 teilte das Marktgemeindeamt Semriach der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung mit, daß eine entsprechende Vollzugsmeldung bereits im Frühsommer 1976 erfolgt sei. Diese Meldung war bezogen auf die gegenständliche Kreuzung. Der Kläger lenkte sein Motorrad in einem Seitenabstand von 1 m zum rechten Fahrbahnrand auf der Landesstraße in Richtung Norden, wobei er bei Annäherung an die spätere Unfallstelle eine Fahrgeschwindigkeit im Bereich von 100 km/h einhielt. Aus einer Posisiton ca. 74 m südlich der BL bemerkte er erstmals die aus dem südlichen Einmündungsast der Gemeindestraße fahrende Erstbeklagte, als diese gerade die Verschneidungslinie überfuhr, und leitete daraufhin ein Bremsmanöver ein.

Die Erstbeklagte, die ihren PKW vor der Einmündung nicht angehalten hatte, fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 8 km/h nach links, Richtung Süden, in die Landesstraße ein. Aus einer Sitzposition 2 m nordwestlich der Verschneidungslinie bemerkte sie erstmals den herannahenden Kläger, als dieser sich bereits in einer Position 44 m südlich der BL befand. Auf das Ansichtigwerden des Klägers leitete sie jedoch kein Bremsmanöver ein, sondern fuhr mit der eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit von 8 km/h, in der Meinung, noch kollisionsfrei auf den westlichen Fahrbahnteil der Landesstraße zu gelangen, weiter in die Landesstraße ein.

Ein vom Kläger auf die Weiterfahrt der Erstbeklagten hin eingeleitetes Linksauslenkmanöver konnte die Kollision der Fahrzeuge im Bereich 5 m südlich der BL, als sich die Front der Fahrzeuge der Beklagten ca. 8 m südlich der Verschneidungslinie befand, nicht mehr verhindern.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß die beiden Straßenäste nur eine Straßengabelung im Sinne einer einheitlichen Kreuzung bildeten; das vor der Teilung der Gemeindestraße aufgestellte Zeichen "Vorrang geben" habe daher für die gesamte folgende Kreuzung, also für beide in die Landesstraße einmündenden Äste, Geltung gehabt. Die Erstbeklagte habe somit eine Vorrangverletzung zu verantworten. Es sei eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten der Erstbeklagten - ein Viertel Mitverschulden des Klägers sei schon im ersten Rechtsgang durch den Obersten Gerichtshof berücksichtigt worden - dem Verschulden beider Fahrzeuglenker angemessen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Unter Bezugnahme auf die vom Obersten Gerichtshof im ersten Rechtsgang dargelegte Rechtsauffassung, wonach der Umstand, daß eine dreieckige Landfläche den Einmündungstrichter einer Straße in zwei selbständige Äste teile, an dem Vorliegen einer einheitlichen Kreuzung dann nichts ändere, wenn diese für den sich dem negativen Vorrangzeichen nähernden Verkehrsteilnehmer als Kreuzung erkennbar und überschaubar ist und ihre tatsächliche Beschaffenheit oder bauliche Ausgestaltung die Annahme einer einheitlichen Kreuzung nicht ausschließt, führte es aus:

Wenn auch hier die zwischen den Ästen liegende Landfläche mit zum Teil größeren Bäumen bewachsen ist, sei sie nicht so beschaffen, daß sich die Annahme einer einheitlichen Kreuzung aus der Sicht des sich der Einmündung nähernden Fahrzeuglenkers verbietet. Die festgestellten örtlichen Verhältnisse - die auch aus den Lichtbildern und der Skizze zu entnehmen seien - sprächen klar dafür, daß das im Unfallszeitpunkt aufgestellte Zeichen "Vorrang geben" sich für die Erstbeklagte erkennbar auf beide in die Landesstraße einmündenden Äste beziehen mußte. Die hier vorhandene Insel sei als eine straßenbauliche Anlage zur Ordnung und Sicherung des Verkehrs, insbesondere zur Teilung der Verkehrsrichtungen zu werten und dem Einmündungstrichter der Gemeindestraße zuzuordnen. Die Einheitlichkeit der Straße bleibe hiedurch aufrecht, die beiden Äste bildeten eine Straßengabelung, die eine Kreuzung im Sinne des § 2 Abs 1 Z 17 StVO darstellt. Das im Unfallszeitpunkt aufgestellte Zeichen "Vorrang geben" habe daher für die gesamte folgende Kreuzung gegolten.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das gesamte Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagten wenden sich gegen die von den Vorinstanzen auf der Grundlage der vom Obersten Gerichtshof in seinem Aufhebungsbeschluß dargelegten Grundsätze gezogenen Schlußfolgerungen, wonach die Erstbeklagte klar erkennen konnte und mußte, daß das Zeichen "Vorrang geben" sich auf beide in die Landesstraße einmündende Äste bezog. Dem kann die Revision der Beklagten nichts Stichhältiges entgegensetzen. Die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften zur Beurteilung der hier relevanten Rechtsfrage wurden bereits im Beschluß des Obersten Gerichtshofes des ersten Rechtsganges 8 Ob 57/86 ausführlich dargestellt; die Subsumtion des nunmehr vollständig erhobenen Sachverhaltes unter die dargestellten Grundsätze durch die Vorinstanzen geht zutreffend vom gesamten Erscheinungsbild der Straßengabelung aus. Danach kann kein Zweifel bestehen, daß sich der auf der Gemeindestraße der Kreuzung mit der Landesstraße nähernden Erstbeklagten das Abzweigen zweier gleichwertiger Einmündungsarme, von denen der rechte 14 m und der linke (befahrene) 25 m maß (siehe Sachverständigengutachten Bd. II, AS 21) klar erkennbar war. Aus dieser als Tatsachenfeststellung zu wertenden Annahme der Vorinstanzen folgt die Verpflichtung der Erstbeklagten, in verkehrsgerechter Fahrweise das Zeichen "Vorrang geben" als für beide Einmündungsäste wirksam zu beachten, wie dies auch von der Behörde im konkreten Fall (siehe die Feststellungen des Erstgerichtes über die Vollzugsmeldung zur Aufstellung dieses konkreten Verkehrszeichens) aufgrund der Verhältnisse an der Unfallstelle nicht anders verstanden wurde. Sie hat daher dadurch, daß sie in der festgestellten kontinuierlichen Fahrweise von der Gemeindestraße in die Landesstraße einfuhr, den Vorrang des Klägers verletzt. Dies hat zur Folge, daß ihr Verschulden - da Vorrangverletzungen in der Regel schwerer wiegen als andere Verkehrswidrigkeiten - als bedeutend gravierender beurteilt werden muß, als der in der Einhaltung einer relativ geringfügig überhöhten Geschwindigkeit liegende Verkehrsverstoß des Klägers. Darauf hat der Oberste Gerichtshof schon in seinem Beschluß des ersten Rechtsganges hingewiesen. Auch die Verschuldensteilung der Vorinstanzen ist daher zu billigen.

Der Revision der Beklagten war somit der Erfolg zu versagen. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E13935

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00028.88.0427.000

Dokumentnummer

JJT_19880427_OGH0002_0020OB00028_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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