TE OGH 1988/4/27 3Ob521/88

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Veröffentlicht am 27.04.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** I***,

vertreten durch Dr. Albert Tachezy, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Erna G***, Geschäftsfrau,

Stiftgasse 2, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Hanns Forcher-Mayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert S 80.000,--), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 30. Oktober 1986, GZ 5 R 270/86-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28. April 1986, GZ 5 Cg 258/85-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.243,80 (darin S 385,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Grundstücke 1042 (Hofgasse) und 1049 (Stiftgasse) in der EZ 716 KG Innsbruck sind Eigentum der klagenden Stadtgemeinde und befinden sich innerhalb der Fußgängerzone der Altstadt in Innsbruck. Die 100 Meter lange und etwa 7 Meter breite Hofgasse verbindet als wichtigster Fußgängerweg den Rennweg mit dem Kern der Altstadt. An der Hofgasse liegen mehrere Gaststätten und Andenkengeschäfte. Die rund 8 Meter breite Stiftgasse mündet im rechten Winkel unmittelbar nach dem Hofburgdurchgang vom Rennweg in die Hofgasse ein. Die Beklagte führt ihr Reiseandenkengeschäft im Eckhaus Stiftgasse 2 mit einer 9 Meter breiten Geschäftsfront in der Hofgasse und einer 10 Meter breiten Front in der Stiftgasse. An jeder Front befinden sich zwei rund 2 Meter breite Auslagen. Eine der Auslagen ist Geschäftseingang; dort stellt die Beklagte zur Erweiterung der Ausstellung ihres Warenangebotes auf der im Eigentum der klagenden Partei stehenden Fläche der Hofgasse drei bewegliche Warenständer auf. Die Genehmigung der Aufstellung von vier Warenständern wurde der Beklagten vom Stadtsenat nach § 82 Abs 1 StVO rechtskräftig mit dem Hinweis erteilt, daß sie auch noch um die weitere Bewilligung nach § 19 Tiroler Straßengesetz ansuchen müsse.

Der Stadtsenat hatte am 30. Mai 1979 für die nach § 19 Tiroler Straßengesetz erforderliche Bewilligung die Richtlinie festgesetzt, daß sich die Anpreisung von Waren aller Art auf öffentlichen Verkehrsflächen (zB durch Aufstellen von Warenkörben, Ständern udgl) auf eine Einrichtung dieser Art je Geschäft zu beschränken hat und die Größe im Grundriß 0,5 m2 nicht übersteigen darf. Die klagende Partei genehmigte der Beklagten auf ihr Ansuchen vom 20. Dezember 1984 um Bewilligung zur Aufstellung von vier Warenständern nur die Aufstellung eines Warenständers im Höchstausmaß von 0,5 m2, weil nach § 19 Tiroler Straßengesetz nicht nur auf die Verkehrsverhältnisse, sondern auch auf die Interessen des Denkmalschutzes und der Erhaltung des Altstadtbildes Rücksicht zu nehmen sei und diese Interessen durch eine vermehrte Aufstellung von Warenständern auch durch andere Unternehmer beeinträchtigt würden.

Die klagende Partei erhob am 27. Juni 1985 die Klage mit dem Begehren, die Beklagte habe das Aufstellen von Warenständern über das angeführte zugelassene Ausmaß vor ihrem Geschäftslokal zu unterlassen. Die Beklagte halte sich nicht an den Umfang der ihr erteilten Genehmigung zur Aufstellung eines Warenständers, sondern stelle gegen den Willen der klagenden Partei auf deren dem Gemeingebrauch gewidmeten Straßenflächen zwei weitere Warenständer ohne Genehmigung auf.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die klagende Partei sei wegen der ihr zukommenden Monopolstellung und des Kontrahierungszwanges verpflichtet, der Beklagten das Aufstellen von vier Warenständern zu gestatten. Der Denkmalschutz sei nach der Kompetenzregelung in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache und nicht vom Land oder der Gemeinde wahrzunehmen. Die klagende Partei verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sie ungleiche Sachverhalte gleich behandle, wenn sie jedem Geschäftsinhaber unabhängig von der Geschäftsgröße nur die Aufstellung eines Warenständers gestatte. Die wirtschaftliche Existenz der Beklagten sei gefährdet. Der Rechtsweg sei unzulässig, weil die Übertretung des Straßengesetzes im Verwaltungsweg zu ahnden sei. Das Erstgericht verwarf - rechtskräftig - die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges und gab dem Unterlassungsbegehren statt. Die Beklagte wolle die im Gemeingebrauch stehende Gemeindestraße mit öffentlichem Verkehr zum Aufstellen von Verkaufsständern benützen und nehme damit einen Sondergebrauch in Anspruch, den der Grundeigentümer als Einschränkung seines Eigentums nur ausnahmsweise gestatten müsse, nämlich dort, wo die Ausnützung der Monopolstellung der öffentlichen Hand zu einer den Billigkeitsgrundsätzen widersprechenden Knebelung einer anderen Person führen oder der Gleichheitsgrundsatz bedeutsam verletzt würde. In solchen Fällen sei ein Kontrahierungszwang der öffentlichen Hand zugunsten der benachteiligten Person anzunehmen. Davon könne aber nicht die Rede sein, wenn die Beklagte zur Ausstellung ihrer Verkaufsware über vier Schaufenster des Geschäftes verfüge und ihr überdies die klagende Partei noch gestattet habe, einen nach ihrem Belieben auffällig gestalteten Verkaufsständer auf der Straße vor dem Geschäft aufzustellen. Die klagende Partei habe auf die Gesamtinteressen Rücksicht zu nehmen und nicht auf das Erwerbsstreben Einzelner. Der Vorwurf der unbilligen Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten sei unberechtigt, wenn sich die Klägerin im Interesse der Erhaltung des historischen Altstadtbildes bemühe, die Anzahl der Verkaufsständer außerhalb von Geschäftsräumen in der Altstadt zu beschränken. Es liege in dem durch das Verbot des Mißbrauchs eingeschränkten freien Ermessen der klagenden Stadtgemeinde als Eigentümer des Straßengrundes, ob sie Bewilligungen zur Sondernutzung erteile, und es sei ihr nicht untersagt, dabei auch auf die Belange des Denkmalschutzes Bedacht zu nehmen. Es widerspreche auch nicht auf unsachliche Weise dem Gleichbehandlungsgebot, wenn für jedes Geschäftslokal nur ein Verkaufsständer auf öffentlichem Straßengrund zugelassen werde. Ebenso wie die Ansicht der Beklagten, die Zahl der Verkaufsständer habe sich proportional zur Geschäftsgröße zu verhalten, lasse sich die Gegenmeinung vertreten, daß ein Kaufmann mit einem großen Geschäft und viel Schaufensterfläche weniger als der Inhaber eines kleinen unauffälligen Lokals die Werbung mit einem zusätzlichen Verkaufsständer benötige.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,-- nicht aber S 300.000,-- übersteigt und daß die Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht setzte sich mit allen in Betracht kommenden Rechtsfragen eingehend auseinander, teilte aber im Ergebnis die Rechtsmeinung des Erstgerichtes. Es erachtete die Vorschrift des § 19 Abs 1 Tiroler Straßengesetz für verfassungsgesetzlich unbedenklich, weil es dem Landesgesetzgeber zustehe, bei der Regelung einer Materie alle öffentlichen Zwecke und daher auch die Anliegen des Bundes zu berücksichtigen. Es dürfe diese Befugnis nur nicht dazu mißbraucht werden, in die Regelungskompetenz der anderen Gebietskörperschaft einzugreifen. Aus dem Berücksichtigungsprinzip ergebe sich sogar ein Berücksichtigungsgebot. Die Beklagte strebe nicht eine mit dem bestimmungsgemäßen Gebrauch der Straße übereinstimmende Sondernutzung, sondern eine Gebrauchserlaubnis zu einem "Sondergebrauch" an, die durch den Gemeingebrauch nicht gedeckt sei. Der Sondergebrauch sei ein Eingriff in das Eigentumsrecht und müsse auch von der Stadtgemeinde als Eigentümer der Grundlächen nur dann gestattet werden, wenn ein Kontrahierungszwang angenommen werde. Sonst könne die klagende Partei durchaus auch andere Richtlinien für die Bewilligung eines Sondergebrauches beachten, etwa auch Interessen an der Erhaltung des Altstadtbildes. Die Verweigerung eines Vertragsabschlusses stelle eine sittenwidrige Ausnutzung der Monopolstellung der öffentlichen Hand nur dar, wenn dafür keine oder mißbilligenswerte Gründe ausschlaggebend seien. Die klagende Partei habe der Beklagten aber nicht die Bewilligung für die Aufstellung von Warenständern in Ausnützung einer Monopolstellung verweigert, sondern sie in Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes und der dafür bestimmten Richtlinien so behandelt wie ihre Mitbewerber und ihr wie allen anderen Geschäftsleuten nur den Sondergebrauch für einen Warenständer gestattet. Dieses Vorgehen widerspreche weder einem Kontrahierungszwang noch dem Gleichbehandlungsgebot, ohne daß das Gericht zu prüfen hätte, inwieweit tatsächlich durch das Aufstellen einer größeren Zahl von Verkaufsständern das Ortsbild der Altstadt leide oder denkmalschützerische Interessen verletzt werden. Wegen der Einzelfallbezogenheit liege keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vor. Zum Kontrahierungszwang bestehe eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig, weil der zu lösenden Rechtsfrage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt, kann doch das Interesse an der Gebrauchserlaubnis am öffentlichen Gut und der damit auftretende Konflikt mit dem Eigentümer öffentlichen Straßengrundes auch in anderen Fällen auftreten.

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Auch der Oberste Gerichtshof sieht keinen Anlaß, den Verfassungsgerichtshof wegen Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 19 Tiroler Straßengesetz zu befassen. Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, daß es weder dem Landesgesetzgeber noch einer Gebietskörperschaft noch sonst jemandem verwehrt ist, Anliegen des Denkmalschutzes zu fördern und bei seinen Maßnahmen zu berücksichtigen. Wenn der Landesgesetzgeber diese Rücksicht anordnet, greift er nicht in die Regelungskompetenz des Bundes ein.

Verfahrensmängel in erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneint hat, können nicht einmal mit Vollrevision und daher schon gar nicht mit außerordentlicher Revision, die nur aus dem im § 503 Abs 2 ZPO bezeichneten Grund begehrt werden kann, mit Erfolg geltend gemacht werden.

Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes wird beigetreten. Die klagende Partei darf bei Wahrung ihres Eigentumsrechtes nicht willkürlich vorgehen; sie hat auch bei der Entscheidung über die für den Sondergebrauch am Straßengrund erforderliche Genehmigung die Interessen aller Bürger zu beachten und bei einem Widerstreit dieser Interessen eine ausgewogene Entscheidung zu treffen. Die Revisionswerberin verkennt aber, daß gerade die Beschränkung des Sondergebrauches auf einen Verkaufsständer für jeden Geschäftsinhaber diesem Anliegen entspricht und in besonderem Maße den Interessen der Allgemeinheit an der Stadtbild- und Denkmalpflege, an der für den Fremdenverkehr gebotenen Bedachtnahme auf Hintanhaltung von das historische Stadtbild beeinträchtigenden Mißständen und dem zu beachtenden Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung trägt und daß gegenüber diesen Anforderungen das Gewinnstreben des Einzelnen zurückzustehen hat. Es kann nicht ernstlich behauptet werden, daß die Existenz der Beklagten gefährdet sei, wenn sie vor ihrem Geschäft nicht mehr als einen Verkaufsständer auf der dem Gemeingebrauch gewidmeten Straßenfläche aufstellen darf. Ein Anspruch auf eine weitergehende Benützung fremden Eigentums steht der Beklagten nicht zu.

Zur Frage des Kontrahierungszwanges der öffentlichen Hand findet sich eine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, mit der die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichtes in Einklang steht (Rummel in Rummel, ABGB, Rz 10 zu § 861; Krejci in Rummel, ABGB, Rz 83 zu § 879; Ehrenzweig-Mayrhofer, Schuldrecht AT3 159; Bydlinski in FS Klecatzky 129; SZ 44/138 mwH; SZ 52/52 ua). Die klagende Partei hat der Beklagten nicht etwa ohne sachlichen Grund die Genehmigung verwehrt; sie hatte vielmehr wegen der sie treffenden Pflicht zur Gleichbehandlung das Rechtsgeschäft zu den Bedingungen abzuschließen, zu denen sie mit anderen Interessenten und Mitbewerbern der Beklagten abzuschließen bereit ist (vgl. Koziol-Welser, Grundriß8 I 111). Deshalb hatte die klagende Partei die Richtlinien beschlossen, die diesem Gebot entsprechend vorsehen, daß für jedes Geschäft nur ein Verkaufsständer aufgestellt werden darf.

Die Beklagte irrt auch, wenn sie meint, Ungleiches werde hier gleich behandelt. Dies ist nicht geschehen, wenn jeder Geschäftsinhaber einen Verkaufsständer bewilligt erhält; die vermeintliche Ungleichheit kann nicht aus der Nutzfläche der Geschäftsräumlichkeit, der Fassadenfläche, der Bedeutung des Geschäftes oder etwa gar dem subjektiven Bedarf nach zusätzlicher Werbung abgeleitet werden. Es ist keine sachfremde Entscheidung darin zu erblicken, daß jedem Geschäftsinhaber im gleichen Umfang die Werbung außerhalb der Geschäftsräumlichkeiten auf Straßengrund ermöglicht wird.

Schließlich steht auch für Zwecke der Werbung nicht uneingeschränkt dem Gemeingebrauch gewidmetes öffentliches Gut zur Verfügung. Vielmehr trifft die klagende Partei ebenso die Pflicht zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit, die eine übermäßige Inanspruchnahme durch Sondergebrauchsrechte ablehnt. Mit dem Schutz der Meinungsfreiheit hat die Beschränkung der Gebrauchsbewilligung auf einen statt auf vier Ständer nichts zu tun, denn die Revisionswerberin ist nicht etwa in diesem verfassungsgesetzlich geschützten Recht verletzt, wenn sie sich wie andere Geschäftsinhaber mit der Möglichkeit des Anbietens von Waren auf einem einzigen auf der Straße aufgestellten Verkaufsständer begnügen muß. Ein schrankenloser Nutzungsanspruch von dem Gemeingebrauch gewidmeten Flächen zu geschäftlicher Werbung kann mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. März 1987, G 158-160/86, nicht begründet werden.

Da der Beklagten kein Anspruch darauf zusteht, daß ihr eine weitergehende Benützung der öffentlichen Straße für ihre Geschäftszwecke bewilligt wird, und sie das Eigentum der klagenden Partei in weiterem Umfang benützt, als ihr erlaubt wurde, ist ihr zutreffend die Unterlassung des Eingriffs aufgetragen worden (vgl. SZ 52/62).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E13943

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0030OB00521.88.0427.000

Dokumentnummer

JJT_19880427_OGH0002_0030OB00521_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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