Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter A***, geboren am 22. Februar 1926, Pensionist, 1030 Wien, Radetzkystraße 24/7, vertreten durch Dr. Edwin Morent, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Alice A***, geboren am 24. April 1919, Hausfrau, 1090 Wien, Boltzmanngasse 22/1/1/6, vertreten durch Dr. Gottfried Korn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18. Dezember 1987, GZ 13 R 244/87-86, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 24. August 1987, GZ 1 Cg 320/83-81, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 2.059 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von 308,85 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger und die Beklagte schlossen am 27. Juni 1953 vor dem Standesamt Wien-Alsergrund die Ehe; es war für beide die zweite Eheschließung. Aus ihrer Ehe stammen keine Kinder. Beide Ehegatten sind österreichische Staatsbürger. Sie lebten gemeinsam in Wien, wo sie auch jetzt noch - allerdings voneinander getrennt - leben. Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe keine Eheverfehlungen begangen. Der vom Kläger beantragten Trennung stimmte sie zu. Am 16. April 1975 trat Ruhen des Verfahrens ein. Am 2. April 1981 wurde das Verfahren vom Kläger wieder fortgesetzt. Er begehrte die Scheidung der Ehe nur mehr gemäß § 55 Abs 3 EheG, weil die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit 20. Februar 1975 aufgehoben sei.
Die Beklagte bestritt nicht, daß die häusliche Gemeinschaft mit dem Kläger seit Februar 1975 nicht mehr besteht; sie beantragte aber, gemäß § 61 Abs 3 EheG das alleinige Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen, weil er sie lieblos behandelt, beschimpft, verletzt und sich um sie nicht gekümmert habe, eine Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau unterhalte und ihren Unterhalt gröblich vernachlässigt habe.
Der Kläger machte demgegenüber geltend, daß die Beklagte ihn beschimpft, lieblos behandelt, sich während seiner Krankheit nicht um ihn gekümmert und ihn grundlos mit Anzeigen, Klagen und Exekutionen verfolgt habe.
Mit dem am 17. Jänner 1984 verkündeten Teilurteil schied das Erstgericht die Ehe gemäß § 55 Abs 3 EheG, weil die Ehegatten schon seit 30. April 1975 nicht mehr zusammen gelebt hatten. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft.
Mit Endurteil sprach das Erstgericht schließlich aus, daß den Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft. Es traf folgende Feststellungen:
Der Kläger war im März 1961 als Kraftfahrer der Firma TB R***, Teppich-Möbelhandel beschäftigt. Am 13. März 1961 sollte er mit einem VW-Bus Teppiche in den Messepalast bringen. Diese wurden auch tatsächlich dort ausgeladen, allerdings wurden vier andere Teppiche wieder in den VW-Bus verladen. Unter Vorgabe, einen Parkplatz suchen zu müssen, fuhr der Kläger zu einer Zweigstelle des Dorotheums, wo er einen der Teppiche im Werte von 2.400 S versetzte und dafür ein Darlehen von 800 S ausbezahlt bekam. Die angeblich lange Parkplatzsuche fiel dem Dienstgeber des Klägers auf, welcher diesen daraufhin zur Rede stellte. Der Kläger wurde noch am selben Tag von der Polizei einvernommen; es erfolgte auch eine Hausdurchsuchung in der damaligen gemeinsamen Ehewohnung, bei der die Beklagte zugegen war.
Seit 14. März 1961 war der Kläger dann abgängig, weshalb die Beklagte eine Abgängigkeitsanzeige erstattete. Erst zu Weihnachten 1961 schickte der Kläger, der von April 1961 bis Jänner 1965 auf einem englischen, einem norwegischen und einem schwedischen Schiff sowie in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt war, der Beklagten eine Ansichtskarte aus Montevideo. Ungefähr 1 1/2 Jahre nach seinem Verschwinden schickte er der Beklagten über die norwegische Botschaft in regelmäßigen Abständen Geldbeträge. Die beiden Streitteile standen ab diesem Zeitpunkt in Briefkontakt. Der Kläger kehrte im Jahr 1964 nach Wien zurück, stellte sich der Polizei und wurde wegen des strafbaren Verhaltens bezüglich der Teppiche rechtskräftig verurteilt.
Seit der Rückkehr des Klägers nach Wien wohnten die Streitteile gemeinsam in der Ehewohnung. Die Beklagte bekam vom Kläger monatlich 3.300 S Wirtschaftsgeld, wovon sie auch Zins, Gas und Koks bezahlen mußte. Die Streitteile fuhren gemeinsam auf Urlaub. 1967 fuhr der Kläger einen Monat lang zu Freunden nach Amerika, ohne die Beklagte mitzunehmen, weil die Freunde des Klägers nur ihm den Flug nach Amerika bezahlten.
Aufgrund der mehrjährigen Abwesenheit des Klägers und wegen Gegensätzlichkeiten über das Wirtschaftsgeld kam es immer wieder zu Streitigkeiten.
Am 12. Oktober 1974 erlitt der Kläger einen Herzinfarkt. Er wurde 4 Wochen in der Poly-Klinik in Wien behandelt, anschließend begab er sich 3 Monate zur Erholung nach Bad Tatzmannsdorf. Als der Arzt des Klägers Dr. Karl W*** die Beklagte vom Herzinfarkt des Klägers verständigte, antwortete sie, sie hätte auch Herzschmerzen und könne nicht kommen. In der Poly-Klinik besuchte die Beklagte den Kläger an jedem Besuchstag. In Bad Tatzmannsdorf besuchte die Beklagte den Kläger nicht, weil es inzwischen zu Streitigkeiten gekommen und die Beklagte mit der Versorgung ihrer damaligen 85jährigen Mutter beschäftigt war.
Im Jänner 1975 brachte der Kläger die Ehescheidungsklage ein; er beantragte auch die Bewilligung der abgesonderten Wohnsitznahme. Diesem Antrag stimmte die Beklagte zu. Dem Kläger wurde vom Gericht aufgetragen, bis längstens 20. Februar 1975 die Ehewohnung zu verlassen. Tatsächlich zog der Kläger erst am 30. April 1975 aus der Ehewohnung aus.
Vor dem Auszug des Klägers kam es zu heftigen Streitigkeiten zwischen dem Kläger und der Beklagten, bei denen sich die Streitteile gegenseitig beschimpften, wobei u.a. die Worte "Dieb", "Gauner" und "Betrüger" fielen.
Am 28. April 1975 versetzte der Kläger der Beklagten drei Fußtritte in den Oberschenkel, die drei Blutergüsse etwa in der Größe von 1 S-Stücken nach sich zogen, weswegen der Kläger strafgerichtlich verurteilt wurde.
In dem zu 25 C 205/75 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien anhängigen Unterhaltsprozeß schlossen die Streitteile am 5. November 1975 einen Vergleich dahin, daß sich der Kläger u.a. verpflichtete, der Beklagten ab 1. Dezember 1975 einen monatlichen Unterhalt von 33 % seines jeweiligen Nettoeinkommens zu bezahlen. Die Beklagte führte gegen den Kläger auch einige Male Exekution. Im März 1977 entzog der Kläger zugunsten der Beklagten behördlich gepfändete Sachen, einen Ventilator, einen Staubsauger und eine Vase, der Exekution; er wurde hiefür strafgerichtlich verurteilt. Von einem Strafantrag wegen Unterhaltsverletzung gegenüber der Beklagten wurde der Kläger freigesprochen.
Bis April 1976 bekam die Beklagte vom Kläger, der bis zu diesem Zeitpunkt bei der österr. Automobilfabrik AG als Lastwagenverkäufer beschäftigt war, regelmäßig Unterhaltszahlungen. Bis Oktober 1984 konnte die Beklagte trotz eines Exekutionstitels und mehrerer Exekutionen keine Unterhaltszahlungen erlangen. Erst seit diesem Zeitpunkt bezieht die Beklagte wieder aufgrund einer Exekutionsführung auf die Pension des Klägers Unterhalt. Der Kläger betrieb während der Zeit, in der er keine Unterhaltszahlungen an die Beklagte leistete, Gastwirtschaften, mit denen er allerdings keine wirtschaftlichen Erfolge zu verzeichnen hatte.
Der Kläger lernte 1975 Gertrude R***, nunmehr vereheliche G***, kennen, die er zunächst in dem von ihm in der Radetzkystraße betriebenen Lokal als Angestellte beschäftigte. Später arbeitete sie in einem Lokal des Klägers, welches sich in der Heiligenstädterstraße befand. Gertrude R*** zog bald darauf in die Wohnung des Klägers, richtete das Essen für ihn an, wusch ihm die Wäsche und fuhr auch mehrmals gemeinsam mit dem Kläger auf Urlaub. Der Kläger und Gertrude R*** führten mehrere Jahre lang eine Lebensgemeinschaft.
Im März 1983 lernte der Kläger Ingeborg S*** kennen, mit der er sich im Jänner 1984 näher anfreundete. Im August 1984 fuhren der Kläger und Ingeborg S*** gemeinsam auf Urlaub nach Mallorca, wo es zu sexuellen Kontakten kam. Beide beschlossen, eine Lebensgemeinschaft einzugehen und verlobten sich noch im August 1984. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe wesentlich schwerer wiege als jenes der Beklagten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Auch das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß der Kläger entscheidend dazu beigetragen habe, die Ehe der Streitteile unmittelbar zu zerrütten. Es verwies auf die mehrjährige Abwesenheit des Klägers, auf seine tätlichen Angriffe gegen die körperliche Integrität seiner Ehegattin und auf seine gravierenden Unterhaltsverletzungen. Im übrigen sei ein Ausspruch, daß die Beklagte überwiegend oder gleichteilig die Ehe zerrüttet habe, im § 61 Abs 3 EheG nicht vorgesehen.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das überwiegende Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung der Ehe oder zumindest ihr gleichteiliges Verschulden daran festgestellt werden möge; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Schon das Berufungsgericht hat darauf verwiesen, daß der Antrag des Klägers, das überwiegende bzw. gleichteilige Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung der Ehe festzustellen, bei der Scheidung der Ehe nach § 55 Abs 3 EheG nicht in Betracht kommt (8 Ob 621/85 ua). Dem Antrag und den diesem zuzuordnenden Ausführungen der Revision ist jedoch zu entnehmen, daß der Kläger den von den Vorinstanzen vorgenommenen Ausspruch seines überwiegenden Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe bekämpft und ihn beseitigt wissen will, was den Antrag auf Abweisung des von der Beklagten gemäß § 61 Abs 3 EheG gestellten Verschuldensantrages impliziert. Im Gegensatz zu den Ausführungen des Klägers, wonach auf angeblich verziehene oder verfristete Eheverfehlungen seinerseits nicht hätte Bedacht genommen werden dürfen, entspricht es einhelliger Literatur und ständiger Judikatur, daß bei der Beurteilung, ob der die Scheidung der Ehe nach § 55 EheG begehrende Kläger die Zerrüttung der Ehe allein oder überwiegend verschuldet hat, das Gesamtverhalten beider Ehegatten während der ganzen Dauer der Ehe einschließlich verziehener oder verjährter Eheverfehlungen zu berücksichtigen ist (Schwind, Eherecht2 235, 284; Schwind-Ehrenzweig, Familienrecht3 68 f; EFSlg. 43.690, 41.291, 41.288 ua). Geht man von diesen Grundsätzen aus, erweist sich das Verhalten des Klägers als gravierender Verstoß gegen die eheliche Gesinnung. Der Kläger hat nicht nur einzelne bis zu Tätlichkeiten ausartende Eheverfehlungen zu verantworten, sondern eine Vielzahl verschiedentlicher Verstöße, worunter jene gegen die eheliche Treue und gegen seine Verpflichtung, für den Unterhalt seiner Ehegattin zu sorgen, besonders ins Gewicht fallen. Dazu kommt die Permanenz seines ehewidrigen Verhaltens, das seinen Anfang mit einer Straftat nahm und zu jahrelanger Trennung der Ehegatten führte, ohne daß der Kläger durch längere Zeit auch nur ein Lebenszeichen von sich gegeben hätte.
Auch im Falle eines Verschuldensausspruches nach § 61 Abs 3 EheG ist ein überwiegendes (Zerrüttungs-)Verschulden zwar nur dann anzunehmen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile ganz augenscheinlich hervortritt (Schwind, Eherecht2 256; Schwind-Ehrenzweig, Familienrecht3 69, EFSlg. 43.698, 43.699, 41.291 ua); berücksichtigt man jedoch alle von den Vorinstanzen erhobenen Umstände dieses Falles in ihrem Zusammenhang und stellt man der oben dargelegten Verhaltensweise des Klägers die wenigen, relativ geringfügigen Eheverfehlungen der Beklagten gegenüber, dann kann in der Ansicht der Vorinstanzen, daß das Verschulden des Klägers augenscheinlich hervortritt und somit als überwiegend im Sinne des § 61 Abs 3 EheG zu beurteilen ist, kein Rechtsirrtum erblickt werden.
Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E14003European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0080OB00548.88.0428.000Dokumentnummer
JJT_19880428_OGH0002_0080OB00548_8800000_000