Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Klinger, Dr. Schwarz und Dr. Graf als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** ST. P***,
wider die beklagte Partei mj. Eva S***, geboren am 29. Oktober 1984, Neuhofen an der Ybbs, Schloßsiedlung 62, vertreten
durch den Prozeßkurator B*** A***, diese
vertreten durch Dr. Georg Krasser und Dr. Hannes Krasser, Rechtsanwälte in Wien, wegen Bestreitung der ehelichen Geburt infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgerichtes vom 23. Dezember 1987, GZ R 718/87-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Amstetten vom 24. September 1987, GZ C 254/86-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Im Zeitpunkt der Geburt der mj. Eva S*** am 29. Oktober 1984 war die von ihrer Mutter Hedwig S***, jetzt L***, am 9. Februar 1974 vor dem Standesamt
St. Pölten mit Alfred S*** geschlossene Ehe aufrecht. Die Scheidung dieser Ehe erfolgte mit Urteil des Kreis-(jetzt: Landes-)gerichtes St. Pölten vom 26. August 1985, 6 Cg 259/85-3. Bezüglich des Kindes galt somit die Ehelichkeitsvermutung gemäß § 138 Abs 1 ABGB.
Über Anregung der Bezirkshauptmannschaft Amstetten brachte die S*** ST. P*** am 6. November 1986 beim Erstgericht
wider die mj. Eva S*** die Klage auf Bestreitung der ehelichen Geburt ein.
Die Beklagte beantragte Klageabweisung und wendete ein, Alfred S*** sei sehr wohl ihr Vater, weil er ihrer Mutter
innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist beigewohnt habe. Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Mutter Hedwig L*** und deren Ehemannes Franz L*** als Zeugen
hat das Erstgericht mit Urteil vom 24. September 1987 ausgesprochen, daß die mj. Eva S*** kein eheliches Kind des Alfred S*** aus der zwischen diesem und Hedwig L*** am 9. Februar 1974 geschlossenen Ehe ist. Es ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß Hedwig L*** am 22. März 1982 von ihrem damaligen Ehemann Alfred S*** weggezogen ist und mit ihm seither keine geschlechtlichen Beziehungen mehr unterhalten hat. Daraus ergebe sich, daß die Beklagte nicht von Alfred S*** abstamme.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten aus nachstehenden Erwägungen nicht Folge:
Es sei zwar richtig, daß nach dem Beweisbeschluß des Erstgerichtes vom 16. Dezember 1986 die Einvernahme des Alfred S*** als Zeugen und die Einholung eines serologischen Gutachtens beabsichtigt gewesen seien. Tatsächlich habe das Erstgericht auch mit Beschluß vom 17. Dezember 1986 Prof. Dr. S*** zum Sachverständigen bestellt und beauftragt, ein Gutachten darüber zu erstatten, ob aufgrund der Verteilung der Blutgruppen Alfred S*** von der Vaterschaft zur Beklagten auszuschließen sei. In der Folge habe es jedoch Alfred S*** abgelehnt, sich einer Untersuchung zu unterziehen bzw. beim Sachverständigen oder bei Gericht zu erscheinen. Anläßlich einer Vorführung am 27. Juli 1987 habe er neuerlich die Blutabnahme verweigert und angegeben, daß bereits einige Protokolle vorhanden seien, in denen der richtige Vater angegeben werde. Daraufhin habe das Erstgericht von einer weiteren Beweisaufnahme Abstand genommen. Im Verfahren zur Bestreitung der ehelichen Geburt herrsche der Untersuchungsgrundsatz. Das Gericht habe von Amts wegen dafür zu sorgen, daß alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände vollständig aufgeklärt werden. Es habe dabei auch solche Tatsachen zu berücksichtigen, die von den Parteien nicht vorgebracht worden sind (§ 6 Abs 1 Z 1 Familienrechtsangleichungsverordnung). Gemäß § 7 Abs 1 FamRAnglV hätten sich Parteien, Beteiligte und Zeugen, soweit es zur Feststellung der Abstammung in einem Rechtsstreit oder einem außerstreitigen Verfahren erforderlich sei, erbkundlichen Untersuchungen zu unterwerfen, insbesondere die Entnahme von Blutproben zum Zweck der Blutgruppenuntersuchung zu dulden. Bei einer Weigerung ohne triftigen Grund könne gemäß § 7 Abs 2 FamRAnglV unmittelbarer Zwang angewendet werden. Der Untersuchungsgrundsatz und die Möglichkeit, gegen in die Begutachtung einzubeziehende Personen unmittelbaren Zwang anzuwenden, bedeuteten aber noch nicht, daß in jedem Verfahren zur Bestreitung der ehelichen Geburt ein serologisches Gutachten eingeholt werden müsse. Gelange das Gericht aufgrund der übrigen Beweisergebnisse zu der Überzeugung, daß innerhalb der Frist von nicht mehr als 302 und nicht weniger als 180 Tagen vor der Entbindung der Ehemann der Mutter nicht beigewohnt habe, so sei es nämlich durchaus möglich, auch ohne Einholung eines serologischen Gutachtens eine Entscheidung zu fällen.
Hier sei sowohl im Scheidungsverfahren zu 6 Cg 259/85 des Kreis-(jetzt: Landes-)gerichtes St. Pölten bei der Parteienvernehmung des Alfred S*** als auch bei dessen (durch die Klägerin vor Erhebung der gegenständlichen Klage veranlaßten) Vernehmung durch das Bezirksgericht St. Pölten am 21. Juli 1986 als Zeugen hervorgekommen, daß ihn seine frühere Ehefrau, die Mutter der Beklagten, im Frühjahr 1982 verlassen habe und seither zwischen ihnen keine geschlechtlichen Beziehungen bestanden hätten, sodaß die Zeugung der Beklagten durch den früheren Ehemann ihrer Mutter nicht möglich sei. Zudem habe Franz L***, der nunmehrige Ehemann der Mutter der Beklagten, bei seiner (durch die Klägerin vor Erhebung der gegenständlichen Klage veranlaßten) Vernehmung am 23. Mai 1986 beim Erstgericht angegeben, seit Oktober 1983 mit seiner nunmehrigen Ehefrau im gemeinsamen Haushalt zu leben und der leibliche Vater der mj. Eva zu sein. Aus diesen Gründen habe das Erstgericht zu Recht von einer Einbeziehung des Alfred S*** in die Begutachtung Abstand genommen.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sowie das Ersturteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt die Beklagte, daß Alfred S*** im gegenständlichen Rechtsstreit nicht als Zeuge vernommen und zum Zweck der Erstellung des beschlossenen serologischen Gutachtens zwangsweise zur Blutabnahme vorgeführt worden sei. Eine unrichtige rechtliche Beurteilung liegt nach Meinung der Beklagten darin, daß das Erstgericht das mangelhaft gebliebene Ergebnis der Beweisaufnahme als für die Anwendbarkeit des § 138 Abs 1 letzter Satz ABGB ausreichend angesehen und das Berufungsgericht offenbar § 163 ABGB vor Augen gehabt habe, als es in seiner Urteilsbegründung die Vaterschaft des Franz L*** bzw. die daraus resultierende Nichtvaterschaft des Alfred S*** betont habe; es stelle einen erheblichen und rechtlich bedeutsamen Unterschied dar, ob die eheliche Abstammung kraft Gesetzes oder die Vermutung der unehelichen Vaterschaft gerichtlich zu beurteilen sei.
Was zunächst die Verfahrensrüge betrifft, so ist zwar nach ständiger Rechtsprechung in Streitigkeiten über die eheliche Abstammung im Hinblick auf den diese Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatz die neuerliche Geltendmachung der schon vom Berufungsgericht verneinten Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens im Revisionsverfahren zulässig, jedoch liegt in der berufungsgerichtlichen Billigung der Unterlassung von weiteren Beweisaufnahmen durch das Erstgericht in diesen Verfahren nur dann eine revisible Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, wenn dabei die Grenzen des pflichtgemäßen richterlichen Ermessens zur amtswegigen Wahrheitsforschung verkannt worden sind; auch bei Anlegung des gebotenen strengen Maßstabes geht der Untersuchungsgrundsatz nicht so weit, daß sämtliche erdenklichen Beweise aufgenommen werden müßten (EFSlg 26.736, 46.703, 49.394, 52.245 ua). Im gegenständlichen Fall hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf die im vorliegenden Rechtsstreit sowie zu dessen Vorbereitung und im vorangegangenen Scheidungsstreit aufgenommenen Beweise ohne Verkennung der vorerwähnten Grenzen des pflichtgemäßen richterlichen Ermessens dargelegt, warum es die Unterlassung weiterer Beweisaufnahmen durch das Erstgericht gebilligt hat. Der gerügte Verfahrensmangel ist mithin nicht gegeben. Im übrigen ist festzuhalten, daß auch in Streitigkeiten über die eheliche Abstammung die Bekämpfung der Beweiswürdigung durch die Vorinstanzen mit Revision unzulässig ist (EFSlg 46.700 ua).
Auf die Rechtsrüge ist nicht einzugehen, weil die Beklagte den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht gesetzmäßig ausgeführt hat und auch in Streitigkeiten über die eheliche Abstammung der Grundsatz gilt, daß die rechtliche Beurteilung in einem solchen Fall im Revisionsverfahren nicht mehr angefochten werden kann (EFSlg 49.408 ua). Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Vermutung der Ehelichkeit der Beklagten sei durch den Beweis widerlegt worden, daß Alfred S*** der Mutter der Beklagten innerhalb der Empfängniszeit nicht beigewohnt hat, keine Bedenken bestehen (vgl. Pichler in Rummel, ABGB, Rz 4 z § 138; SZ 47/45, EFSlg 51.245).
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.
Anmerkung
E14188European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0050OB00539.88.0510.000Dokumentnummer
JJT_19880510_OGH0002_0050OB00539_8800000_000