TE OGH 1988/5/11 9ObA79/88

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Veröffentlicht am 11.05.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Stefan Seper und Anton Tauber als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Patrick M***, kaufmännischer Angestellter, Deutschlandsberg, Holleneggerstraße 29, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Erik W***, Kaufmann, Graz,

Herrengasse 7-9, vertreten durch Dr. Herbert Jürgens, Rechtsanwalt in Graz, wegen 30.839,32 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 1987, GZ 7 Ra 1122/87-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14. September 1987, GZ 36 Cga 1143/87-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 30.839,32 S samt 4 % Zinsen seit 19. Juli 1987 zu zahlen, wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.416,85 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 583,35 S Umsatzsteuer), die mit 4.357,85 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 2.000 S Barauslagen und 214,35 S Umsatzsteuer) sowie die mit 5.329,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 2.500 S Barauslagen und 257,25 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger absolvierte vom 9. Juli 1984 bis 8. Juli 1987 beim Beklagten die Lehre zum Einzelhandelskaufmann. Danach war der Kläger bis zur Entlassung am 18. Juli 1987 als kaufmännischer Angestellter beim Beklagten beschäftigt.

Der Kläger begehrt restliche Lehrlingsentschädigung, restliches Gehalt, Urlaubsentschädigung, Urlaubszuschuß, Weihnachtsremuneration und Kündigungsentschädigung im Gesamtbetrag von 30.839,32 S sA. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Entlassung sei gerechtfertigt, weil der Kläger mehrfach, zuletzt am Entlassungstag, aufgetragene Arbeiten nicht ausgeführt habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Der Kläger war beim Beklagten überwiegend als Dekorateur beschäftigt. Er hatte in der Früh die Auslage zu reinigen und je nach Erfordernis neu zu gestalten. Zu den Arbeiten, die der Kläger meist schlampig ausführte, gehörte auch die Vorbereitung der Auslagen für den Sommerausverkauf 1987. Diese Tätigkeit wurde vom Kläger nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Der Vorgesetzte des Klägers, Helmut U***, trug dem Kläger auf, die Arbeit am nächsten Morgen neuerlich durchzuführen. Das hiefür benötigte Material wurde vom Kläger nicht sofort herbeigeschafft, worauf Helmut U*** den Kläger wegen Arbeitsverweigerung verwarnte. Weiters hatte der Kläger Preiszettel zu kleben. Der Kläger stellte an einem Vormittag nur 20 nicht formgemäß ausgeschnittene, schief zusammengeklebte und damit unbrauchbare Preiszettel her. Eine Person stellt an einem Vormittag durchschnittlich etwa 100 bis 150 Preiszettel her. Der Kläger wurde wegen seiner schlechten Leistung verwarnt und ihm freigestellt, die fehlenden Preiszettel in seiner Freizeit herzustellen oder eine Meldung wegen Arbeitsverweigerung beim Beklagten zu gewärtigen. Der Kläger zog es vor, die Preiszettel i seiner Freizeit herzustellen. Weiters hatte der Kläger ausgebrannte Glühbirnen in den Auslagen auszuwechseln. Er trug jede defekte Glühbirne einzeln in die Arbeitsräumlichkeiten im zweiten Stock, statt vorher die Gesamtzahl der defekten Glühbirnen zu bestimmen und Ersatz in einem zu beschaffen. Weisungen des Vorgesetzten beachtete er nicht. Im Rahmen der Auslagendekoration wurden die Stoffe, die sich in der Auslage befanden, dort zusammengelegt und dann abtransportiert. Während der Wintermonate gestattete Helmut U*** seinen Mitarbeitern, die Stoffe aus den Auslagen in Räumlichkeiten des ersten Stocks zu schaffen und sie erst dort zusammenzulegen, weil in den Auslagen Kälte herrschte. Obwohl diese Anordnung nur für die Wintermonate galt, brachte der Kläger auch im Frühjahr die Stoffe zusammengeknüllt in den ersten Stock. Eine Weisung des Vorgesetzten hatte keinen Erfolg. Der letzte diesbezügliche Vorfall ereignete sich am 17. Juli 1987; auch bei dieser Gelegenheit wurde der Kläger verwarnt.

Der Kläger hatte in der Früh vor Öffnung des Geschäftes in den Auslagen Staub zu wischen. Die Arbeiten wurden von ihm insoweit mangelhaft durchgeführt, als er lediglich auf den leicht zugänglichen Flächen, nicht jedoch in den Ecken Staub wischte. Auch wegen dieser schlampigen Arbeit wurde der Kläger ermahnt. Der Beklagte selbst hatte den Kläger wegen mangelnder Arbeitswilligkeit innerhalb der letzten eineinhalb Jahre mindestens 20mal ermahnt. Am 18. Juli 1987 mußte der Kläger wieder in den Auslagen Staub wischen. Bei einer nach eineinhalb Stunden durchgeführten Kontrolle wurden von Helmut U*** geringe Staubmengen auf den Leisten festgestellt; dies war auf die nachlässige Durchführung der Arbeit durch den Kläger zurückzuführen. Im Zuge einer diesbezüglichen Ermahnung schrie der Kläger seinen unmittelbaren Vorgesetzten mit den Worten an: "Da müßte ich die Leiste ja polieren." Helmut U*** meldete diesen Vorfall dem Beklagten. Dieser rief den Kläger ins Büro und erklärte ihm, daß er entlassen sei.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Beklagte die schlampige Arbeit des Klägers eineinhalb Jahre hingenommen und sich lediglich mit Ermahnungen begnügt habe. Dem Beklagten sei daher die Weiterbeschäftigung des Klägers während der Kündigungsfrist zumutbar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsauffassung, daß mit dem Ende des Lehrverhältnisses alle gegenseitigen Rechte und Pflichten endeten, sodaß nur ein Fehlverhalten nach dem Ende des Lehrverhältnisses zu berücksichtigen sei. Das einmalige Fehlverhalten des Klägers - Transport von Stoffen im zusammengeknüllten Zustand - sei kein Entlassungsgrund nach § 27 Z 4 AngG. Die mangelhafte Reinigung des Schaufensters am 18. Juli 1987 sei eine geringfügige Nachlässigkeit, die eine Entlassung nicht gerechtfertigt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zu Recht wendet sich der Revisionswerber aber gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes. Zunächst kann dem Berufungsgericht nicht darin beigepflichtet werden, daß das Verhalten des Klägers während der beim Beklagten zurückgelegten Lehrzeit und die in diesem Zeitraum erteilten Ermahnungen bei der Beurteilung, ob der Entlassungstatbestand des § 27 Z 4 AngG während der Behaltezeit des § 18 Abs 1 BAG, die im engen Zusammenhang mit dem Lehrverhältnis steht und zwingend vorgeschrieben ist, erfüllt wurde, außer Betracht zu lassen wären. Zwar ist grundsätzlich bei der Beurteilung, ob ein Entlassungsgrund vorliegt, nur der letzte zur Entlassung führende Vorfall zu berücksichtigen, doch ist bei der Wertung dieser Tatsachen auch auf das Gesamtverhalten des Arbeitnehmers, insbesondere auf dessen langjährige tadellose Dienstleistung Rücksicht zu nehmen (vgl. Martinek-Schwarz, AngG6 606). Ebenso wie zugunsten des Arbeitnehmers auf sein pflichtgemäßes Verhalten während der Lehrzeit Bedacht zu nehmen ist, sind bei der Beurteilung, ob eine beharrliche Pflichtverweigerung vorliegt, auch vorangegangene geflissentliche Pflichtverletzungen unter Mißachtung von Verwarnungen während des Lehrverhältnisses zu berücksichtigen. Dies läßt nämlich ebenfalls den Schluß auf die in § 27 Abs 4 AngG zweiter Tatbestand geforderte Beharrlichkeit der Pflichtverweigerung zu. Darunter ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Pflichtenvernachlässigung zum Ausdruck gelangenden, auf die Verletzung der Pflichten gerichteten Willens zu verstehen (vgl. Kuderna, Entlassungsrecht 72).

Da der Kläger auch nach Ablauf der Lehrzeit mit einem unveränderten Pflichtenkreis betraut war, zu dem auch die Säuberung der Auslagen gehörte - der Angestellte ist gemäß § 1 Abs 1 AngG lediglich vorwiegend mit den dort genannten Diensten zu beschäftigen, im übrigen richten sich Art und Umfang der Dienstleistungen gemäß § 6 Abs 1 AngG in erster Linie nach der Vereinbarung, die auch schlüssig durch die Verrichtung und Entgegennahme bestimmter Arbeiten zustandekommen kann -, macht es für die Beurteilung der Willenshaltung des Klägers keinen Unterschied, ob die wegen einer diese Arbeiten betreffenden Pflichtenverletzung ausgesprochene Verwarnung noch während der Lehrzeit oder nach deren Beendigung erfolgte. Würdigt man daher das Gesamtverhalten des Klägers - er wurde während der Lehrzeit sowohl wegen des Transportes von Stoffen in zerknülltem Zustand als auch wegen des schlampigen Staubwischens in den Auslagen wiederholt ermahnt - dann kann die neuerliche Mißachtung der erteilten Weisungen beim Abtransport des Stoffes aus der Auslage am 17. Juli 1987 nicht als geringfügige Ordnungswidrigkeit qualifiziert werden. Das gleiche gilt für das nachlässige Staubwischen am 18. Juli 1987, zumal der Kläger auf die Ermahnung des Vorgesetzten in der Weise reagierte, daß er diesen anschrie und dabei besonders nachhaltig zum Ausdruck brachte, daß er nicht bereit sei, die Arbeit ordnungsgemäß durchzuführen. Da dieses Fehlverhalten des Klägers nicht etwa eine einmalige Entgleisung war, der Kläger vielmehr auch am Vortag wegen Mißachtung einer Weisung des Vorgesetzten ermahnt worden war, ist sein Verhalten unter Bedachtnahme auf die vorangegangenen Verfehlungen als beharrliche Dienstverweigerung im Sinne des § 27 Z 4 AngG zweiter Tatbestand zu qualifizieren, die es dem Arbeitgeber unzumutbar machte, den Kläger auch nur für die Behaltefrist weiterzubeschäftigen. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß entgegen der Ansicht des Erstgerichtes ein widerspruchsloses Tolerieren des Fehlverhaltens des Klägers nicht angenommen werden kann, weil der Beklagte den Kläger immer wieder ermahnt und am 17. Juli 1987 verwarnt hat.

Der Revision war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E14266

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00079.88.0511.000

Dokumentnummer

JJT_19880511_OGH0002_009OBA00079_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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