TE OGH 1988/5/19 7Ob574/88

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Veröffentlicht am 19.05.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Egermann, Dr. Angst und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*** S***, Elektrizitätswerke, Wien 9, Mariannengasse 4, vertreten durch Dr. Konrad Kuderna, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei L*** Gesellschaft mbH, Wien 6, Gumpendorferstraße 96, vertreten durch Dr. Thomas Ebner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 100.000,-- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 15. Jänner 1988, GZ 4 R 243/87-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 8. September 1987, GZ 1 Cg 15/86-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 100.000,-- samt 4 % Zinsen seit 10. Jänner 1985, sowie die mit S 25.770,15 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 5.490,-- Barauslagen und S 1.843,65 Umsatzsteuer), und die mit S 11.109,90 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 4.038,-- Barauslagen und S 642,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei auch die mit S 9.243,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 5.000,-- Barauslagen und S 385,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Auftrage der Valerie H***, Pächterin eines bahneigenen Grundstückes in Wien 21, Thayagasse Nr. 29, hat die Beklagte am 1. Juni 1984 auf diesem Grundstück durch einen ihrer Angestellten mit einem Bagger Aushubarbeiten vornehmen lassen. Der Geschäftsführer der Beklagten hat sich vor Beginn der Arbeiten bei keiner Stelle nach dem Vorhandensein von Kabeln erkundigt; auch andere in dem Unternehmen tätige Personen haben dies nicht getan. Im Zuge der Aushubarbeiten wurde ein der Klägerin gehöriges Kabel, dessen Vorhandensein der Beklagten nicht bekannt war, beschädigt. Hiedurch ist der Klägerin ein Schaden von S 100.000,-- entstanden. Die Vorinstanzen haben das auf Zahlung von S 100.000,-- gerichtete Schadenersatzbegehren mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei zwar als Sachverständige im Sinne des § 1299 ABGB, wegen der Beschädigung von Fernmelde- und Stromkabel als verantwortlicher Bauführer haftpflichtig, doch hätten im konkreten Fall keine Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber der Klägerin bestanden, weil es sich bei dem Grundstück um ein "Schrebergartengrundstück" gehandelt habe, weshalb mit dem Vorhandensein von Erdkabeln nicht gerechnet habe werden müssen. Es gehe zu weit, von einem Bauunternehmen in jedem Fall eine Nachforschungspflicht zu fordern, auch dann, wenn keinerlei konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein von irgendwelchen Erdeinbauten vorlägen. Von einem "bewohnten Gebiet" könne bei einem Schrebergartengrundstück nicht die Rede sein. Der Umstand, daß dieses Grundstück im Stadtgebiet von Wien liegt, rechtfertige für sich allein noch nicht die Annahme des Vorhandenseins von Erdkabeln. Der Beklagten könne daher die Unterlassung der Nachforschung hinsichtlich des Vorhandenseins irgendwelcher Erdeinbauten nicht vorgeworfen werden.

Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist gerechtfertigt.

Vorerst muß dem Berufungsgericht entgegengehalten werden, daß die Klägerin nicht nur behauptet hat, das Grundstück stehe im Eigentum der Bundesbahnen, was für sich allein nicht allzuviel besagen würde, sondern auch, bei der Unfallstelle handle es sich um ein Bahngrundstück, das nur mangels derzeitiger Inanspruchnahme für Bahnzwecke verpachtet werde. Es müsse daher mit dem Vorhandensein von Einbauten und insbesondere Kabeln gerechnet werden. Zum Beweis für dieses Vorbringen hat sich die Klägerin auf den Plan Beilage ./B berufen, dessen Echtheit und Richtigkeit von der Beklagten anerkannt wurde (S. 47 des Aktes). Richtig ist, daß, wer eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen Vorkehrungen treffen muß, um eine Schädigung nach Tunlichkeit abzuwenden (SZ 55/180, JBl. 1981, 206 u.a.). Ihn trifft also eine Sorgfaltspflicht gegenüber denjenigen Personen, bezüglich derer er damit rechnen muß, daß sie mit der Schadensquelle in Berührung kommen. Verletzt er die Verpflichtung zur entsprechenden Absicherung, so muß er gemäß § 1298 ABGB beweisen, daß ihn daran kein Verschulden trifft. Richtig weist die Revision darauf hin, daß die Vornahme von Erdaushubarbeiten auch eine Gefahrenquelle für fremdes Eigentum, insbesondere für in Erdreich verlegte Kabel, sein kann. Man kann allerdings nicht so weit wie die Revisionswerberin gehen und grundsätzlich jeden Erdaushub als Schaffung einer Gefahrenquelle für die Eigentümer von verlegten Kabeln ansehen. Vielmehr wird das nur dann der Fall sein, wenn nach der Art des Aushubes und der Lage des Grundstückes, auf dem der Aushub vorgenommen werden soll, mit Kabeln gerechnet werden muß. Muß der Unternehmer in einem solchen Fall mit Kabeln rechnen, so hat er die entsprechenden Vorkehrungen zur Abwehr von Beschädigungen der Kabeln zu treffen, wozu auch eine Erkundigung bei Stellen gehört, von denen er auf Grund seiner beruflichen Erfahrungen annehmen muß, daß sie über die Lage von Kabeln informiert sind. Verletzt er diese Verpflichtung, so haftet er für die Beschädigung der Kabel (JBl. 1973, 35, SZ 46/78, 7 Ob 635/85 u.a.).

Ob mit dem Vorhandensein von Kabeln gerechnet werden muß, wird stets von den Verhältnissen des Einzelfalles abhängen. Nach der Judikatur wird dies insbesondere der Fall sein, wenn die Aushubarbeiten im verbauten Ortsgebiet vorgenommen werden sollen (siehe die bereits zitierte Judikatur). Dies heißt aber nicht, daß eine Sorgfaltspflicht schlechthin ausscheidet, wenn Aushubarbeiten in unverbautem Gebiet geplant sind. Vor allem auf dem Gebiet einer Großstadt wird man mit größerer Vorsicht vorzugehen haben, weil allgemein bekannt ist, daß unter ihrer Eroberfläche ein weitverzweigtes Netz von der Allgemeinheit dienenden Einrichtungen liegt. Ob dies auch für eindeutig außerhalb des eigentlichen Siedlungsgebietes liegende Schrebergartengebiete der Fall ist, muß hier nicht erörtert werden. Aus dem Plan Beilage ./B, dessen Richtigkeit auch von der Beklagten außer Streit gestellt worden ist, ergibt sich nämlich, daß die Schadensstelle nicht nur in der Nähe einer Bahntrasse, sondern auch an der Zufahrtsstraße zum Gaswerk liegt. Es ist allgemein bekannt, daß sowohl bei öffentlichen Verkehrsmitteln dienenden Anlagen, als auch bei großen technischen Komplexen, wie den einer Großstadt dienenden Gaswerken, mit allen möglichen Zuleitungen zu rechnen ist. Das bloße Eigentum der Bundesbahnen an einem Grundstück mag, wie bereits dargelegt, für sich allein über die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins von Kabeln nichts besagen. Liegt dieses Grundstück aber in der Nähe einer Bahntrasse, so legt dies den Schluß nahe, daß es selbst einmal dem Eisenbahnverkehr gedient hat, was im übrigen von der Klägerin auch behauptet worden ist. In einem solchen Fall wird man im allgemeinen die Möglichkeit des Vorhandenseins unterirdischer Kabel nicht ohne weiters von sich schieben dürfen.

Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen waren also die Umstände des konkreten Falles derart, daß die Beklagte mit dem Vorhandensein unterirdischer Kabel zu rechnen hatte, was sie zur Einholung von Erkundigungen bei jenen Stellen, die erfahrungsgemäß über den Verlauf von unterirdischen Anlagen Bescheid wissen, verpflichtet hätte. Hiebei ist zu beachten, daß grundsätzlich Grundstücke in einer Großstadt erhöhte Vorsicht erfordern, soferne sie nicht, wie bereits dargelegt wurde, eindeutig vom verbauten Gebiet abgesondert sind.

Da sohin feststeht, daß die Beklagte einen objektiven Sorgfaltsverstoß begangen hat, wäre ihr der Beweis für ihre Schuldlosigkeit oblegen. Einen solchen Beweis hat sie nicht erbracht. Von der Unzumutbarkeit der Einholung entsprechender Auskünfte kann keine Rede sein. Solche Auskünfte sind nämlich nicht bei jeder entferntest in Frage kommenden Person, sondern nur bei jenen Stellen einzuholen, die nach der Erfahrung eines Bauunternehmers im allgemeinen über die Lage unterirdischer Anlagen informiert sind. Hiebei handelt es sich nur um relativ wenige Stellen, wozu allerdings auch die Klägerin gehört. Kontaktaufnahmen mit diesen wenigen Stellen können aber einem Bauunternehmer zugemutet werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO, wobei der Klägerin für das erstgerichtliche Verfahren ebenfalls nur Kosten auf der Basis des eingeschränkten Streitwertes von S 100.000,-- zuzusprechen waren (§ 43 Abs. 2 ZPO).

Anmerkung

E14230

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00574.88.0519.000

Dokumentnummer

JJT_19880519_OGH0002_0070OB00574_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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