Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka (Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Zivorad D***, Hilfsarbeiter, 2401 Fischamend, Dr. Karl Rennerstraße 40, vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U***, 1200 Wien, Adalbert Stifter
Straße 65, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. November 1987, GZ 34 Rs 143/87-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. April 1987, GZ 13 Cgs 1027/87-9, in der Fassung des Beschlusses vom 22. Juni 1987, GZ 13 Cgs 1027/87-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 16. April 1985 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 25 % der Vollrente für die Zeit vom 11. Mai 1985 bis 18. Februar 1986 und ab 5. Mai 1986 zu gewähren, und wies das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger für die angeführte Zeit eine Versehrtenrente im Ausmaß von weiteren 15 % zu gewähren, ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Kläger erlitt bei dem Unfall vom 16. April 1985 durch einen Holzsplitter eine perforierende Verletzung des rechten Auges. Als Folge dieses Unfalls besteht bei ihm am rechten Auge eine Hornhauttrübung und postoperative Linsenlosigkeit sowie ein mittelgradig eingeschränktes Sehvermögen bei hochgradiger Über- und Stabsichtigkeit. Das Sehvermögen des rechten Auges beträgt: +11,5 sph = +1,0 cyl 45o 6/24, +15,0 sph = ..... Jäger 5 (Z). Der Kläger ist im stereoskopischen Sehen beeinträchtigt. Das periphere Gesichtsfeld ist dabei nicht, das zentrale Gesichtsfeld ist hingegen eingeschränkt.
Rechtlich kam das Erstgericht unter Zugrundelegung der Einschätzung des von ihm vernommenen Sachverständigen für Augenheilkunde zur Ansicht, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers wegen der Folgen des Arbeitsunfalles um 25 % gemindert sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es vertrat die Meinung, daß bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit vor allem darauf abzustellen sei, welche Betätigungsmöglichkeiten dem Versicherten vor dem Unfall auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt offengestanden und welche ihm nach dem Unfall noch verblieben seien. Hiezu sei die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen für Berufskunde nicht notwendig. Gerade im Bereich geringerer, in der Nähe des rentenbegründenden Ausmaßes befindlicher Einschränkungen des Leistungskalküls des Versehrten und damit der Erwerbschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt komme der an der einschlägigen Literatur orientierten rein medizinischen Einschätzung des Leistungskalküls besondere Bedeutung zu. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen oder allenfalls das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.
Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Kläger vertritt in der Revision im wesentlichen unter Hinweis auf Tomandl, Probleme bei der Ermittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, JBl 1977, 169 ff, die Ansicht, daß der Prüfung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht der gesamte Arbeitsmarkt zugrunde gelegt werden dürfe, sondern daß berücksichtigt werden müsse, welches Segment des Arbeitsmarktes dem Versehrten vor Eintritt des Unfalles offen gestanden sei und welches Segment ihm unter Berücksichtigung der Unfallsfolgen (abstrakt) noch verbleibe. Selbst wenn man von der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht ausgehe, hätte aber die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht bloß auf Grund der Einschätzung eines medizinischen Sachverständigen beurteilt werden dürfen, sondern es hätte das Gutachten eines Sachverständigen für Berufskunde eingeholt werden müssen. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit all diesen Argumenten schon in seiner grundlegenden Entscheidung vom 2. Dezember 1987, JBl 1988, 259, ausführlich beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß mit dem Begriff der Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit eines Menschen, sich auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens einen Verdienst zu verschaffen, umschrieben werde, wobei grundsätzlich der allgemeine Arbeitsmarkt das Verweisungsfeld bilde. Grundlage für die Ermittlung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei dabei regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Unfallfolgen und deren Auswirkungen, wobei der Gutachter auch über seine Meinung zum Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu befragen sei. Zu prüfen sei allerdings, ob im Hinblick auf die besondere Situation im Einzelfall die Ausbildung und die bisherigen Berufe des Unfallverletzten zur Vermeidung unbilliger Härten angemessen zu berücksichtigen seien. Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, von der Rechtsansicht, die der Oberste Gerichtshof in der angeführten Entscheidung vertrat und in mehreren Entscheidungen wiederholte (zuletzt etwa 9 Ob S 43/87), abzugehen. Da hier kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß ein Härtefall vorliegen könnte, der ein Abgehen von der medizinischen Einschätzung rechtfertigen würde, haben die Vorinstanzen zutreffend die dem Kläger gebührende Versehrtenrente unter Zugrundelegung der ärztlichen Einschätzung mit 25 % der Vollrente bemessen.
Soweit der Kläger die Revision darauf stützt, daß das Gutachten eines Sachverständigen für Berufskunde eingeholt werden hätte müssen, ist ihm entgegenzuhalten, daß schon das Berufungsgericht zur Auffassung kam, im Unterbleiben dieser Beweisaufnahme liege kein Verfahrensmangel. Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, können aber nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch in Sozialrechtssachen mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (JBl 1988, 196 ua).
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E14515European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00029.88.0531.000Dokumentnummer
JJT_19880531_OGH0002_010OBS00029_8800000_000