Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert P***, Fotografenmeister, Wien 8., Josefsgasse 5/18, vertreten durch Dr. criedrich Weber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*** Zeitschriften-Verlags-Gesellschaft mbH, Wien 5., Krongasse 6, vertreten durch Dr. Christoph Leon, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Veröffentlichung und Zahlung (Streitwert im Provisorialverfahren S 300.000,--), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 14. Jänner 1988, GZ 3 R 215/87-13, womit die einstweilige Verfügung des Handelsgerichtes Wien vom 10. September 1987, GZ 39 Cg 59/87-7, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig, die beklagte Partei hingegen ihre Kosten endgültig selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Der Kläger nahm ein Lichtbild (Porträt) des Architekten Rudi K*** auf, das mit Zustimmung des Klägers zur Herstellung eines Wahlplakates für die "Alternative Liste" im Nationalratswahlkampf 1983 verwendet wurde. Dieses Wahlplakat enthielt eine Vergrößerung des Lichtbildes. Am oberen Rand stand unter dem Namen "Gloria" - dem Pseudonym Rudi K*** - die Parole: "Popolitik ist mehr"; am unteren Rand des Wahlplakates war die wahlwerbende Gruppe angeführt. Der Kläger hat keine Zustimmung zur Veröffentlichung des von ihm hergestellten Lichtbildes in einem Druckwerk erteilt. Die Beklagte brachte in der Nr. 5/87 der von ihr herausgegebenen Monatszeitschrift "B***" unter dem Titel "Rosa Widerstand" eine Reportage über Homosexuelle. Zur Illustration dieses Artikels wurde unter anderem eine Fotografie eines des genannten Plakates verwendet, das noch immer im Flur der "Rosa-Lila-Villa" in Wien 6., in der Rudi K*** lebt, affichiert ist. Diese Fotografie des Wahlplakates hatte ein Mitarbeiter des Pressefotografen Hubert S*** im Auftrag der Beklagten angefertigt. In dem Zeitungsartikel wurde auch auf die Kandidatur Rudi K*** für den Nationalrat im Jahr 1983 hingewiesen. Neben der Abbildung des Plakates war in dem Artikel die unrichtige Herstellerbezeichnung "Fotostudio F***" angegeben.
Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches beantragte der Kläger, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, Lichtbilder, an denen die Urheberrechte und/oder Leistungsschutzrechte dem Kläger zustehen, zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten, und zwar insbesondere dann, wenn dies ohne rechtmäßige Herstellerbezeichnung erfolgt; dieses Verbot erstrecke sich insbesondere auf die Porträtaufnahme von "Gloria", welche in der Monatszeitschrift "B***" in der Ausgabe Nr. 5/87 auf S.34 veröffentlicht wurde. Die Beklagte habe das vom Kläger hergestellte Lichtbild "Gloria: Popolitik ist mehr, Alternative Liste" ohne dessen Zustimmung veröffentlicht und dabei einen falschen Hersteller genannt. Alle vom Kläger hergestellten Lichtbilder trügen den Hinweis auf ihn als Hersteller. Die Beklagte habe damit in die dem Kläger zustehenden Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte eingegriffen und auch dessen Recht auf die Herstellerbezeichnung verletzt.
Die Beklagte sprach sich gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung aus. Das von ihr veröffentlichte Lichtbild, das ein an einer Hauswand affichiertes Wahlplakat zeige, sei nicht vom Kläger, sondern auf Wunsch des Abgebildeten im Auftrag der Beklagten von einem Pressefotografen zum Zweck der Illustration des Artikels hergestellt worden. Das Original des von ihr veröffentlichten Lichtbildes habe keine Herstellerbezeichnung getragen. Die bei der Veröffentlichung angegebene Herstellerbezeichnung sei allerdings unrichtig.
Das Erstgericht verbot der Beklagten für die Dauer des Rechtsstreites, Lichtbilder, an denen die Urheberrechte und/oder Leistungsschutzrechte dem Kläger zustehen, insbesondere die Porträtaufnahme von "Gloria", zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten. Das Herstellen einer fotografischen Abbildung des Plakates, welches das vom Kläger angefertigte Lichtbild zeige, sowie dessen Veröffentlichung in einer Zeitschrift seien ein Eingriff in das Vervielfältigungs- und das Verbreitungsrecht des Klägers. Ob der Abgebildete zugestimmt habe, sei bei dieser Beurteilung unerheblich, weil keine Anhaltspunkte dafür bestünden, daß dieser aus der vom Kläger eingeräumten Werknutzungsbewilligung berechtigt wäre. Das Verbreitungsrecht des Klägers sei auch nicht etwa im Sinne des § 16 Abs 3 UrhG erschöpft.
Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab und sprach aus, daß der Wert des "Streitgegenstandes" S 15.000, nicht aber S 300.000 übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei. Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt gehe über das Sachvorbringen in der Klage und im Sicherungsantrag hinaus; das Erstgericht hätte diese "überschießenden" Feststellungen seiner rechtlichen Beurteilung nicht zugrunde legen dürfen. Davon abgesehen, ergebe sich auch aus dem festgestellten Sachverhalt keine Verletzung der Rechte des Klägers als Lichtbildhersteller. Gegenstand des Lichtbildschutzes nach § 74 Abs 1 UrhG sei nur die konkrete Aufnahme, nicht aber ein unter zulässiger Verwendung dieser Aufnahme geschaffenes Plakat. Daß das vom Kläger hergestellte Lichtbild Werkcharakter habe und Urheberrechtsschutz genieße, sei nicht behauptet worden; nur Lichtbildwerke könnten aber einen von der körperlichen Darstellung unabhängigen, abstrakten Formungsschutz genießen.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die Beklagte beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Die Ansicht des Rekursgerichtes, daß der festgestellte Sachverhalt im Vorbringen des Klägers keine Deckung finde und deshalb der rechtlichen Beurteilung nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen, trifft nicht zu. "Überschießende Feststellungen" der ersten Instanz sind Sachverhaltsfeststellungen, die durch ein entsprechendes Prozeßvorbringen nicht gedeckt sind; sie können nach der Rechtsprechung bei der rechtlichen Beurteilung zumindest dann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn sie in den Rahmen eines geltend gemachten Klagegrundes oder einer bestimmten Einwendung fallen (ZVR 1973/7; MietSlg 27.432; JBl 1986, 121), mögen sie auch nachträglich nicht durch entsprechende Behauptungen ausdrücklich gedeckt worden sein. Im vorliegenden Fall hat der Kläger behauptet, daß die Beklagte ein von ihm produziertes Lichtbild veröffentlicht habe. Der festgestellte Sachverhalt, wonach der Kläger das von ihm angefertigte Lichtbild zur Herstellung eines Wahlplakates zur Verfügung gestellt hatte, von dem die Beklagte eine dann veröffentlichte fotografische Abbildung herstellen ließ, weicht aber von diesen Behauptungen des Klägers nicht so weit ab, daß seine Berücksichtigung einen Verstoß gegen § 405 ZPO bedeuten würde; er besagt über das Prozeßvorbringen des Klägers hinaus nur, daß die Beklagte dabei nicht ein vom Kläger hergestelltes Werkstück als solches veröffentlicht, sondern ein mit Zustimmung des Klägers veröffentlichtes Werkstück fotografiert und diese Aufnahme sodann veröffentlicht hat. Ob dieses Vorgehen gegen die dem Kläger nach dem UrhG zustehenden Rechte verstößt, ist daher Gegenstand der rechtlichen Beurteilung.
Ob das vom Kläger angefertigte Porträtlichtbild ein Werk der Lichtbildkunst im Sinne des § 3 Abs 1 UrhG ist, braucht nicht näher geprüft zu werden, weil alle hier in Betracht kommenden Bestimmungen des ersten Hauptstückes des UrhG auch für die Leistungsschutzrechte des Lichtbildherstellers nach § 74 UrhG entsprechend gelten. Wie der Oberste Gerichtshof in der im Revisionsrekurs zitierten Entscheidung ÖBl 1987, 28 ausgeführt hat, ist das Fotografieren eines - in Form einer Fototapete veröffentlichten - Lichtbildes eine "Vervielfältigung" im Sinne des § 15 Abs 1 UrhG; daß die Veröffentlichung eines durch Vervielfältigung gewonnenen Werkstückes in einer Monatszeitschrift als "Verbreiten" im Sinne des § 16 Abs 1 UrhG anzusehen ist, kann nicht zweifelhaft sein. Durch den Auftrag zur Herstellung einer Vervielfältigung eines Werkstückes der vom Kläger angefertigten Fotografie und durch dessen Veröffentlichung in der Zeitschrift "B***" hat daher die Beklagte in diese dem Kläger zustehenden Verwertungsrechte eingegriffen. Selbst wenn man das Wahlplakat wegen der darauf befindlichen Parolen als Bearbeitung des Lichtbildes des Klägers ansehen wollte, wäre für die Beklagte nichts gewonnen; soweit nämlich ein Urheberrecht an einem bearbeiteten Werk besteht, ist zur Verwertung der Bearbeitung die Zustimmung des Originalwerkurhebers erforderlich (Peter, Urheberrecht 47, Anm. 2 zu § 5 UrhG). Auch § 5 UrhG gilt gemäß § 74 Abs 7 UrhG für Lichtbilder entsprechend.
Die Beklagte hat sich nicht darauf berufen, daß sie vom Kläger oder einer nach § 13 UrhG als berechtigt anzusehenden Person die Zustimmung zur Benützung des Lichtbildes erhalten habe; sie hat nur behauptet, daß das in ihrer Monatszeitschrift veröffentlichte Lichtbild des Wahlplakates auf ausdrücklichen Wunsch des Abgebildeten hergestellt worden sei. Der auf einem Wahlplakat Abgebildete genießt aber weder den Lichtbildschutz nach § 74 UrhG, noch ist er - ohne gegenteilige Anführung auf dem Plakat - dessen Herausgeber oder Verleger. Er gilt daher nicht als gemäß § 13 UrhG mit der Verwaltung des Urheberrechts betrauter Bevollmächtigter des auf einem erschienenen Werk nicht bezeichneten Urhebers (Lichtbildherstellers).
Auch aus § 16 Abs 3 UrhG ist für die Beklagte nichts zu gewinnen. Nach dieser Bestimmung unterliegen dem Verbreitungsrecht solche Werkstücke nicht, die mit Einwilligung des Berechtigten durch Übertragung des Eigentumsrechtes in Verkehr gebracht worden sind; das ausschließliche Vervielfältigungsrecht des Urhebers (Lichtbildherstellers) nach § 15 Abs 1, § 74 Abs 1 UrhG wird dadurch nicht berührt.
Die Beklagte könnte sich aber auch nicht mit Erfolg auf § 42 a UrhG berufen. Nach dieser dem Gesetz durch die UrhG-Nov 1980 eingefügten und durch die UrhG-Nov 1982 erweiterten Bestimmung dürfen zur Berichterstattung über Tagesereignisse Werke, die bei Vorgängen, über die berichtet wird, öffentlich wahrnehmbar werden, in einem durch den Informationszweck gerechtfertigten Umfang vervielfältigt, verbreitet, durch Rundfunk gesendet und zu öffentlichen Vorträgen, Aufführungen und Vorführungen benutzt werden. Unter "Tagesereignis" ist dabei ein Ereignis zu verstehen, das wegen seiner Aktualität Interesse findet (EB zur UrhG-Nov 1980, 385 BlgNR 15.GP, abgedruckt in Dillenz, Materialien zum Österreichischen Urheberrecht, 341 ff 362). Ein solcher Fall freier Werknutzung liegt jedoch nicht vor: Das im Flur der "Rosa-Lila-Villa" angebrachte Plakat ist nicht bei einem Bericht über Vorgänge in diesem Haus öffentlich wahrnehmbar geworden; es wurde vielmehr gezielt fotografiert und dann als Illustration des genannten Artikels in der Zeitschrift "B***", der keine "Tagesereignisse" betroffen hat, verwendet.
Auch ein Fall freier Werknutzung an Werken der bildenden Künste nach § 54 Z 5 UrhG (Freiheit des Straßenbildes) liegt nicht vor:
Nach dieser Bestimmung ist es (ua) zulässig, Werke der bildenden Künste nach Werkstücken, die sich an einem dem öffentlichen Verkehr dienenden Ort bleibend befinden, zu vervielfältigen, zu verbreiten. Das Plakat befand sich jedoch nicht "bleibend an einem dem öffentlichen Verkehr dienenden Ort" (siehe dazu Peter aaO 148, Anm 24 zu § 54 UrhG; ebenso die EB zu § 54 UrhG, abgedruckt bei Peter aaO 580).
Aus den dargelegten Gründen war daher die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Da das Erstgericht den auf das Fehlen der Herstellerbezeichnung gestützten Anspruch - von der Klägerin ungerügt - nicht erledigt hat, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, darüber zu entscheiden; auch der Revisionsrekursantrag ist nur auf die Wiederherstellung der einstweiligen Verfügung des Erstgerichtes gerichtet. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich hinsichtlich der Kosten des Klägers auf § 393 Abs 1 EO, hinsichtlich der Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 EO, §§ 40, 50, 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E14425European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00023.88.0531.000Dokumentnummer
JJT_19880531_OGH0002_0040OB00023_8800000_000