TE OGH 1988/6/7 15Os73/88

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Veröffentlicht am 07.06.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Juni 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof.Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Forsthuber als Schriftführer, in der Auslieferungssache Dragomir P*** über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 30. März 1988, AZ 9 Ns 22/88, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, des von der Auslieferung Betroffenen Dragomir P*** und der Verteidigerin Dr. Simma zu Recht erkannt:

Spruch

Durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 30. März 1988, AZ 9 Ns 22/88, wurde insoweit, als damit die Auslieferung des Dragomir P*** auch wegen der im Punkt c/ des Haftbefehls des Zivil- und Strafgerichtes in Triest vom 16. September 1987, Nr 54/87 (des Registers für Haftbefehle = Nr 5506/84 des Registers des Untersuchungsrichters), angeführten Straftaten für zulässig erklärt wurde, das Gesetz im Vorbehalt der Republik Österreich zum Zweiten Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (BGBl. 1983/297) verletzt.

Der Beschluß, welcher im übrigen unberührt bleibt, wird in dem bezeichneten Ausspruch aufgehoben; gemäß §§ 292, 288 Abs. 2 Z 3 StPO wird in der Sache selbst erkannt:

Die Auslieferung des Dragomir P*** wegen der im Punkt c/ des Haftbefehls des Zivil- und Strafgerichtshofes in Triest vom 16. September 1987, Nr 54/87 des Registers für Haftbefehle, angeführten Straftaten ist unzulässig.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Im Auslieferungsverfahren AZ 17 Vr 3649/87 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz erklärte das Oberlandesgericht Graz mit Beschluß vom 30. März 1988, AZ 9 Ns 22/88, gemäß § 33 ARHG die Auslieferung des jugoslawischen Staatsangehörigen Dragomir P*** an Italien zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des Zivil- und Strafgerichtes in Triest vom 16. September 1987, Nr 54/87 des Registers für Haftbefehle, angeführten Straftaten für zulässig. Bei den betreffenden Delikten handelt es sich um Bildung einer kriminellen Vereinigung (Punkt a/ des Haftbefehls), unerlaubten Verkauf von Kriegsmaterial (Punkt b/ des Haftbefehls) und unerlaubte Gründung ausländischer Gesellschaften sowie damit zusammenhängende unerlaubte Kapitalausfuhr (Punkt c/ des Haftbefehls). Die Zulässigkeit der Auslieferung wegen der letztgenannten, durch Verletzung von Devisenvorschriften begangenen strafbaren Handlungen leitete das Oberlandesgericht Graz aus dem Zweiten Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (BGBl. 1983/297) ab, wobei es von der unzutreffenden Annahme ausging, daß "in bezug auf Italien die Ratifizierung 1985 ohne Vorbehalte" erfolgt sei.

Die Beurteilung, daß auf Grund des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen die Auslieferung einer Person aus Österreich zur Strafverfolgung (auch) wegen einer Devisenstrafsache zulässig ist, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Der eine Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (BGBl. 1969/320) darstellende, als Zweites Zusatzprotokoll zu diesem Übereinkommen bezeichnete Staatsvertrag (BGBl. 1983/297) ersetzt insoweit in Kapitel II Artikel 2 die Bestimmung des Artikels 5 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens. Darnach wird (nunmehr) in Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen die Auslieferung zwischen den Vertragsparteien wegen Handlungen bewilligt, die nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei einer strafbaren Handlung derselben Art entsprechen. Zu Kapitel II hat aber die Republik Österreich unter Inanspruchnahme der von Artikel 9 Abs. 2 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen eingeräumten Möglichkeit den (vom Oberlandesgericht Graz offenkundig übersehenen) Vorbehalt erklärt, das genannte Kapitel nur hinsichtlich Abgaben-, Steuer- und Zollstrafsachen anzunehmen. Mit dieser eingeschränkten Annahmeerklärung wurde gezielt eine Verpflichtung Österreichs zur Auslieferung auch wegen Devisenstraftaten ausgeschlossen (siehe hiezu die RV, Beil. 1233 zu den StProt des NR XV. GP S 10). Dieser Vorbehalt der Republik Österreich ist gegenüber allen damaligen und später beigetretenen Vertragspartnern wirksam und hat zur Folge, daß insoweit im Verhältnis zu Italien mangels der im Artikel 5 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (BGBl. 1969/320) weiterhin vorgesehenen gesonderten Vereinbarung die Auslieferung zur Strafverfolgung wegen Devisenstrafsachen nach wie vor nicht zulässig ist. Die Kundmachung des Bundeskanzlers vom 21. Mai 1985 betreffend den Geltungsbereich des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (BGBl. 1985/209) bezieht sich nicht auf die österreichische Ratifikation dieses Zusatzprotokolls, sondern auf den Beitritt Italiens sowie anderer Staaten zu diesem Vertrag und hat auf Geltung sowie Umfang des erwähnten österreichischen Vorbehalts keinen Einfluß.

Die Gesetzesverletzung wirkte sich zum Nachteil der auszuliefernden Person aus. Mit der Feststellung der Gesetzesverletzung war somit die Aufhebung des davon betroffenen Teiles des ansonsten unberührt bleibenden Beschlusses des Oberlandesgerichtes Graz vom 30. März 1988, AZ 9 Ns 22/88, zu verknüpfen und auszusprechen, daß die Auslieferung des Dragomir P*** in Ansehung des Punktes c/ des Haftbefehls des Zivil- und Strafgerichtes in Triest vom 16.September 1987, Nr 54/87 des Registers für Haftbefehle, unzulässig ist.

Anmerkung

E14115

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0150OS00073.88.0607.000

Dokumentnummer

JJT_19880607_OGH0002_0150OS00073_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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