TE OGH 1988/6/14 2Ob9/88

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Veröffentlicht am 14.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ottilie S***, Hausfrau, Neilreichgasse 113/23/30, 1100 Wien, vertreten durch Dr. Manfred Lampelmayer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien

1) W*** S*** W*** V***,

Schottenring 30 (Ringturm), 1011 Wien, 2) Josef D***, Angestellter, Rooseveltplatz 4-5/19, 1090 Wien, und 3) Elfriede D***, Reisebüroangestellte, ebendort wohnhaft, alle vertreten durch Dr. Othmar Slunsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 450.000,-- s. A. (Revisionsstreitwert S 126.000,-- hinsichtlich der klagenden Partei und S 184.000,-- hinsichtlich der beklagten Parteien), infolge Revision der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23. September 1987, GZ 17 R 268/86-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 30. Juni 1986, GZ 36 Cg 772/84-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Revision der beklagten Parteien Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt wie folgt zu lauten hat:

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 140.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 40.000,-- von 1. Jänner 1984 bis 12. Dezember 1984 aus S 90.000,--, von 13. Dezember 1984 bis 20. Jänner 1986 und aus S 140.000,-- seit 21. Jänner 1986 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das Mehrbegehren der klagenden Partei auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 310.000,-- samt 4 % Zinsen aus S 110.000,-- von

l. Jänner 1984 bis 12. Dezember 1984, aus S 210.000,-- von 13. Dezember 1984 bis 20. Jänner 1986 und aus S 310.000,-- seit 21. Jänner 1986 wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien an Kosten des Verfahrens in erster Instanz den Betrag von S 16.428,23 (darin Barauslagen von S 1.480,88 und Umsatzsteuer von S 1.358,85), an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von S 11.707,24 (darin Barauslagen von S 1.716,84 und Umsatzsteuer von S 908,22) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von S 10.384,75 (darin Barauslagen von S 1.920,-- und Umsatzsteuer von S 769,53) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall am 27. Mai 1978 verletzt. Die Schadenersatzpflicht der Beklagten ist dem Grunde nach nicht strittig. Die Erstbeklagte hat die Schadenersatzansprüche der Klägerin aus dem Titel des Schmerzengeldes bis 31. Dezember 1981 mit einer Zahlung von S 430.000,-- und für das Jahr 1982 mit einer Zahlung von S 130.000,-- abgegolten.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines weiteren Schmerzengeldes von S 450.000,-- s A; sie verlangte den Zuspruch von je S 150.000,-- für die Jahre 1983 bis einschließlich 1985. Die Klägerin stützte dieses Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, sie leide nach wie vor unter den Unfallfolgen. Ihr Zustand habe sich insoweit verschlechtert, als an ihr bis auf weiteres keine Operationen mehr durchgeführt werden könnten und sie ihren verschlechterten Allgemeinzustand ertragen müsse. 1984 sei eine weitere Verschlechterung eingetreten. Die Klägerin erleide praktisch bei jeder Nahrungsaufnahme schwere Schmerzen, die nur mit Injektionen ertragen werden könnten. Sie sei von ständiger ärztlicher Betreuung abhängig und könne nicht ihren normalen Verrichtungen nachgehen.

Die Beklagten wendeten im wesentlichen ein, mit den Zahlungen der Erstbeklagten von S 430.000,-- und S 130.000,-- seien alle Schmerzengeldansprüche der Klägerin ungeachtet einer fortdauernden Gesundheitsbeeinträchtigung abgegolten worden. Das Schmerzengeld sei in Form einer Globalentschädigung und nicht als Rente bemessen. Ein weiteres Schmerzengeld könne nur verlangt werden, wenn durch nicht vorhersehbare Zwischenursachen Schmerzen über das erwartete gewÄhnliche Ausmaß aufträten. Folgte man der Auffassung der Klägerin, stünde ihr für jedes Jahr ein Schmerzengeld von S 150.000,-- zu. Sie erhielte damit in kürzester Zeit mehr als bei einer Querschnittlähmung. Die Zahlung von S 560.000,-- Schmerzengeld stellte eine nicht zu geringe Globalentschädigung dar. Weitere Schmerzengeldansprüche der Klägerin bestünden nicht. Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 324.000,-- s A und wies das Mehrbegehren auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 126.000,-- s A ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die 1925 geborene Klägerin machte 1941 eine Wurmfortsatzoperation durch. 1944 wurde die Gebärmutter entfernt, 1959 eine Magenoperation durchgeführt. Bis zum Jahr 1966 folgten zahlreiche Operationen mit Eröffnung der Bauchhöhle, die durch Darmverschlüsse notwendig wurden. 1966 wurde dann durch eine sogenannte Noble'sche Operation durchgreifende Besserung geschaffen. Beim Unfall vom 27. Mai 1978 erlitt die Klägerin eine Schädel- und Brustkorbprellung, einen Bauchwandbruch und Gewebszerreißungen im Bauchraum. Seither besitzt die Klägerin praktisch keine funktionsfähige Bauchdecke mehr. Dies und der Zustand der Baucheingeweide bringt es mit sich, daß man Operationen, die ihre Beschwerden vielleicht lindern könnten, nun nicht mehr riskieren darf. Die Beschwerden der Klägerin bestehen in Krämpfen der Baucheingeweide, die praktisch jede Nahrungsmittelaufnahme begleiten, in einer ausgeprägten Neigung zu Bauchwandbrüchen, die jegliche stärkere Muskelanspannung unzulässig macht, und letztlich auch in jenen seelischen Schmerzen, die sich aus solchen Behinderungen ergeben müssen. Der Krankheitsverlauf läßt eine Verschlechterung, insbesondere eine Zunahme der Krampfneigung der Baucheingeweide, erkennen.

Die Klägerin hatte 1982 etwa 5 Tage starke, etwa 20 Tage mittelstarke und etwa 60 Tage leichte Schmerzen zu ertragen. Für das Jahr 1983 gelten etwa die gleichen Sätze; lediglich die leichten Schmerzen erhöhten sich auf etwa 65 Tage. Für das Jahr 1984 ist mit 8 bis 9 Tagen starken, 25 bis 27 Tagen mittelstarken und 68 bis 70 Tagen leichten Schmerzen zu rechnen. Auch für das Jahr 1985 ist keine wesentliche Änderung zu veranschlagen.

Der weitere Verlauf ist ungewiß. Man wird am wahrscheinlichsten etwa jene Schmerzperioden, die 1985 gelten, auch für jedes weitere Lebensjahr anzunehmen haben. Von einem nicht mehr besserungsfähigen Defektzustand bzw. überhaupt von einem Defektzustand kann bei der Klägerin nicht gesprochen werden, da ein stationärer Endzustand ihrer Beschwerden nicht vorliegt. Gewichtsmäßig kommt die unfallsbedingte Schädigung der Klägerin einer Querschnittlähmung gleich.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß das Schmerzengeldbegehren der Klägerin berechtigt sei. Durch die ihr geleisteten Zahlungen seien ihre später aufgetretenen Schmerzen nicht abgegolten werden. Der Zuspruch eines globalen Schmerzengeldes sei nicht möglich, weil die künftige Entwicklung des Leidenszustandes der Klägerin nicht absehbar sei. Für das Jahr 1983 sei ein Schmerzengeld von S 100.000,-- angemessen, für die Jahre 1984 und 1985 stünden der Klägerin Schmerzengeldbeträge von je S 112.000,-- zu. Diese Entscheidung des Erstgerichtes wurde von beiden Streitteilen mit Berufung bekämpft.

Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil beiden Berufungen keine Folge.

Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, daß durch die Zahlungen der Erstbeklagten die Schmerzengeldansprüche der Klägerin nur bis einschließlich 1982 abgegolten worden seien. Es sei zu prüfen, ob der weitere Teilzuspruch angemessen sei und damit mehr zugesprochen worden sei, als bei einer Globalbemessung gebührt hätte. Von einer Globalbemessung sei nur abzugehen, wenn die Folgen der Körperbeschädigung nicht vorhersehbar seien. Dies treffe hier zu, weil im Zeitpunkt der vorangegangenen Bemessungen die weiteren Schmerzen noch nicht verläßlich abschätzbar gewesen seien. Dies gelte auch für den Abschnitt der Schmerzen bis 1985. Ab 1985 sei der weitere Verlauf ungewiß. Damit sei eine Globalbemessung noch nicht möglich. Die für den strittigen Teilabschnitt bis 1985 mit S 324.000,-- vorgenommene Teilbemessung sei angemessen. Damit werde auch jene Globalsumme zumindest nocht nicht überschritten, die bei vergleichbaren Körperbeschädigungen als abschließende Gesamtbemessung für berechtigt angesehen werde und die Grenze für den Ersatz bilde.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen beider Streitteile. Die Klägerin bekämpft sie in ihrem klagsabweisenden Teil aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Die Beklagten bekämpfen die Entscheidung des Berufungsgerichtes insoweit, als der Klägerin ein den Betrag von S 140.000,-- übersteigendes Schmerzengeld zugesprochen wurde, gleichfalls aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie beantragen die Abänderung des angefochtenen Urteils dahin, daß das über den Betrag von S 140.000,-- hinausgehende Schmerzengeldbegehren der Klägerin abgewiesen werde.

Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Rechtsmittelgründe zulässig.

Sachlich erweist sich die Revision der Beklagten als berechtigt, nicht jedoch jene der Klägerin.

Wegen des engen sachlichen Zusammenhanges kann zu beiden Rechtsmitteln gleichzeitig Stellung genommen werden. Das Schmerzengeld stellt grundsätzlich eine Globalabfindung für alle eingetretenen und nach dem gewÄhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch die Unfallsfolgen dar. Für seine Bemessung ist das Gesamtbild der Verletzungsfolgen maßgebend. Hiebei müssen auch künftige, nach dem gewÄhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einbezogen werden. Ausgenommen von der Globalbemessung bleiben nur solche künftige Schmerzen, deren Eintritt noch nicht vorhersehbar ist oder deren Ausmaß auch nicht so weit abgeschätzt werden kann, daß eine Globalbeurteilung möglich ist. Jedoch darf auch in solchen Fällen eine ergänzende Schmerzengeldbemessung nicht dazu führen, daß der Verletzte insgesamt mehr zugesprochen bekommt als bei einer einmaligen Globalbemessung (ZVR 1970/77; 8 Ob 11/85; 8 Ob 22/87 uva). Im vorliegenden Fall sind nach diesen Grundsätzen die Voraussetzungen für eine Teilbemessung gegeben, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Entwicklung des Leidenszustandes der Klägerin über das Jahr 1985 hinaus nicht mit der erforderlichen Sicherheit abgeschätzt werden kann. Wie aber bereits oben ausgeführt, darf die Bemessung des Schmerzengeldes in Teilbeträgen nicht dazu führen, daß der Verletzte mehr erhält als bei einer einmaligen Globalbemessung. Es ist nicht zu vernachlässigen, daß die Klägerin durch die Zahlungen der Erstbeklagten bereits ein Schmerzengeld von S 560.000,-- erhalten hat, sodaß ihr mit dem nunmehrigen von den Beklagten nicht bekämpften Zuspruch von S 140.000,-- zur Abgeltung ihrer Verletzungsfolgen bis einschließlich 1985 ein Schmerzengeld von insgesamt S 700.000,-- zukommt. Die bei der Klägerin festgestellten Verletzungsfolgen sind gewiß schwerwiegend, doch kann nicht übersehen werden, daß die Klägerin durch sie weder in ihrer Bewegungsfreiheit derart behindert ist noch etwa in ihrer Persönlichkeit so beeinträchtigt wurde, daß es gerechtfertigt erschiene, das ihr zustehende Schmerzengeld in einer Höhe zu bemessen, die sich den bisher in der Judikatur erfolgten Höchstzusprüchen annähert. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen die durch die Unfallsverletzung bedingten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen der Klägerin im derzeit überschaubaren Ausmaß, also bis einschließlich 1985, durch ein Schmerzengeld von S 700.000,-- ausreichend abgegolten. Es war der Revision der Klägerin ein Erfolg zu versagen. Hingegen waren in Stattgebung der Revision der Beklagten die Entscheidungen der Vorinstanzen wie im Spruch ersichtlich abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens auf den §§ 41, 43 Abs 1, 50 ZPO.

Anmerkung

E14619

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00009.88.0614.000

Dokumentnummer

JJT_19880614_OGH0002_0020OB00009_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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