Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Roberta B***, geboren am 21. März 1940 in Wien, Hausfrau, Liebeneggstraße 14, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Harald Heinrich Josef B***, geboren am 11. März 1921 in Bozen, Pensionist, Liebeneggstraße 14, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Hermann Holzmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 29.September 1987, GZ 1 R 161/87-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 27.März 1987, GZ 14 Cg 43/86-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 308,85, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile haben am 19.9.1959 vor dem Standesamt Innsbruck die Ehe geschlossen. Es handelte sich bei der Klägerin um die erste, beim Beklagten um die zweite Ehe. Aus dieser Ehe stammen drei bereits volljährige Kinder, nämlich die Töchter Claudia, geboren am 14.9.1960, und Beatrix, geboren am 24.3.1962, und der Sohn Thomas, geboren am 5.6.1965. Beide Streitteile sind österreichische Staatsangehörige. Sie haben ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Innsbruck.
Die Klägerin begehrte mit ihrer am 8.4.1982 eingebrachten Klage die Scheidung ihrer Ehe mit dem Beklagten aus dessen Verschulden im wesentlichen mit der Begründung, daß der Beklagte durch mehrfache schwere Eheverfehlungen die Ehe schuldhaft tiefgreifend und unheilbar zerrüttet habe. Er gebärde sich als Despot, beschimpfe und bedrohe die Klägerin, trinke übermäßig Alkohol und nehme keinerlei Rücksicht auf die Klägerin. So lasse er den Fernseher bis gegen 2 Uhr morgens laufen. Am 31.3.1982 habe er die Klägerin bewußtlos geschlagen. Er versorge sie nur unzureichend mit Wirtschaftsgeld. Am 21.5.1982 trat Ruhen des Verfahrens ein. Im Februar 1986 stellte die Klägerin einen Fortsetzungsantrag, in dem sie im wesentlichen ausführte, daß ihr Versuch, die Ehe mit dem Beklagten fortzusetzen, gescheitert sei. Es sei keine Besserung im Verhalten des Beklagten eingetreten. Er bedrohe und beschimpfe die Klägerin weiterhin und spreche nach wie vor übermäßig dem Alkohol zu. Er habe eheliches Gebrauchsvermögen, nämlich einen für die gesamte Familie benützten Campingbus, trotz mangelnder Zustimmung der Klägerin verschenkt. Das habe der Beklagte offenbar in der Absicht getan, dafür zu sorgen, daß die Klägerin im Fall der Scheidung nichts erhalte.
Der Beklagte beantragte in erster Linie die Abweisung des Klagebegehrens im wesentlichen mit der Begründung, daß die in der Ehescheidungsklage erhobenen Vorwürfe nicht begründet seien. Soweit der Beklagte ein ehewidriges Verhalten gesetzt habe, sei es verziehen und verjährt. Der Beklagte trinke wohl zwei bis drei Halbe Bier täglich, jedoch keinesfalls Alkohol im Übermaß. Lediglich wegen der im Jahr 1982 vorgefallenen Streitigkeiten habe er wegen der damit verbundenen Belastung einen höheren Alkoholkonsum gehabt, den er jedoch mittlerweile reduziert habe. Eine Störung der Klägerin durch spätes Fernsehen des Beklagten erfolge nicht, weil sie nunmehr getrennte Schlafzimmer bewohnten. Er sei auch gegenüber der Klägerin nicht lieblos, sondern habe sie nur getadelt, wenn sie zuviel eingekauft habe und die Waren dann im Kühlschrank verdorben seien. Er habe auch nicht eheliches Vermögen verschleudert. Den Campingbus habe er mit Zustimmung der Klägerin an die Zeugen Jehovas verschenkt. Dieser Bus sei zudem geringwertig gewesen und sei nicht aus dem Einkommen des Beklagten, sondern aus einer ihm zugefallenen Erbschaft erworben worden.
Für den Fall der Scheidung der Ehe stellte der Beklagte einen Mitschuldantrag mit der Begründung, daß die Klägerin sich ihm verweigere und ihn fortwährend beschimpfe und an ihm herumnörgle. Sie schlafe manchmal außer Haus; an diesen Tagen koche sie auch für den Beklagten nicht. Überdies habe sie im Jahr 1965 einen Ehebruch begangen, von dem der Beklagte erst sieben Jahre später erfahren habe.
Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem Verschulden, wobei es ausspruch, daß die Schuld des Beklagten überwiegt.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Beklagte war zum Zeitpunkt der Eheschließung Mieter einer im Haus Innsbruck, Liebeneggstraße 14, gelegenen Wohnung, welche von den Streitteilen zur Ehewohnung bestimmt und seither als Ehewohnung benutzt wurde. Diese Wohnung hat eine Wohnfläche von ca 65 m2 und besteht neben einer Küche aus einem Wohn-Schlafzimmer, einem Kinderzimmer, Bad, WC, Vorraum und Balkon sowie einem Kellerabteil. Es handelt sich um eine Mieterschutzwohnung mit sehr geringem Mietzins. Die Mietzinse für diese Wohnung und die laufenden Betriebskosten in durchschnittlicher Höhe bezahlte während der ganzen Ehe der Beklagte.
Die Klägerin war zur Zeit der Eheschließung als zahnärztliche Assistentin tätig, welchen Beruf sie etwa bis zur Geburt des ersten Kindes weiter ausübte. Seither ist die Klägerin nicht mehr berufstätig. Die Führung des ehelichen Haushaltes oblag während der ganzen Ehe der Klägerin. Die Haushaltsführung der Klägerin war stets sparsam und ordnungsgemäß.
Der Beklagte ist seit etwa 3 Jahren in Pension und bezieht seither eine der Höhe nach nicht näher erhobene, wahrscheinlich aber etwa durchschnittliche Pension. Zuvor war der Beklagte etwa 10 oder 11 Jahre lang bei den I*** S*** beschäftigt, durch
welche Tätigkeit er ein etwa durchschnittliches Einkommen in nicht näher erhobener Höhe (wahrscheinlich etwa im Rahmen von ca S 10.000,-- bis ca S 12.000,-- netto, 14mal jährlich) verdiente. In der Zeit vor seiner Tätigkeit bei den I*** S***
wechselte der Beklagte seit der Eheschließung wiederholt den Arbeitsplatz, wobei er zumeist selbst das Dienstverhältnis kündigte, vorwiegend deswegen, weil es dem Beklagten kaum gelang, sich in erforderlichem Ausmaß am Arbeitsplatz einzuordnen. Für die Dauer von etwa 3 Jahren betrieb der Beklagte, allerdings mit nur geringem Erfolg, selbständig einen Einzelhandel für Obst und Gemüse, in welchem Geschäft zu dieser Zeit auch die Beklagte mitarbeitete. Die Obsorge über die Kinder und ihre Erziehung oblag vorwiegend der Klägerin. Sie kam dieser Aufgabe stets ordentlich nach. Der Beklagte verbrachte zwar häufig seine Freizeit mit den Kindern, schob aber ihnen gegenüber eine Entscheidung in anstehenden Problemen häufig von sich und verwies die Kinder in derartigen Belangen an die Klägerin. Der Beklagte setzte die Klägerin den Kindern gegenüber mit derben Ausdrücken wie "Feldwebel", "General" und "die Alte" und ähnlichen Ausdrücken herab. Die Tochter Claudia zog etwa im 19.Lebensjahr auf Grund der beengten Wohnverhältnisse aus der elterlichen Wohnung aus. Ihre Schwester Beatrix verließ die elterliche Wohnung etwa im 21.Lebensjahr, wobei Anlaß für diesen Schritt sowohl die beengten Wohnverhältnisse als auch der Umstand waren, daß der Beklagte ihr zu verstehen gegeben hatte, sie solle aus der Wohnung ausziehen. Der Sohn Thomas zog im Mai 1986 aus der Wohnung aus.
Der Beklagte ist alkoholsüchtig. Er konsumierte während der ganzen Ehe, unterbrochen lediglich von relativ kurzen Zeiten der Abstinenz, regelmäßig und teilweise übermäßig Alkohol. Dieser Alkoholkonsum erfolgte zumeist in der Ehewohnung. Der Beklagte trank und trinkt nahezu tagtäglich einige Flaschen Bier, gelegentlich auch Wein und stärkere Alkoholika. Die Klägerin forderte den Beklagten mehrfach auf, sich einer Alkoholentwöhnungskur zu unterziehen. Obwohl der Beklagte den Sinn dieser Aufforderung und den Zweck einer Alkoholentwöhnungskur erkannte, unternahm er bisher keine wirksamen Maßnahmen gegen seine Alkoholsucht.
Insbesondere die Alkoholsucht des Beklagten führte zu häufigen Störungen des ehelichen Zusammenlebens. In Fällen stärkerer Alkoholisierung des Beklagten kam es gelegentlich vor, daß er die Klägerin grob beschimpfte. In einigen Fällen wurde er auch tätlich gegen die Klägerin, indem er sie schlug. Der Alkoholkonsum des Beklagten führte aber vorwiegend regelmäßig dazu, daß es weder für die Klägerin noch für die Kinder möglich war, mit dem Beklagten ein vernünftiges Gespräch zu führen, weil sich der Beklagte in alkoholisiertem Zustand solchen Gesprächen zumeist entzog und seine Familie mit überlangen Monologen traktierte.
Der Beklagte kritisierte wiederholt die ohnehin sparsame Haushaltsführung der Klägerin als zu aufwendig, was die Klägerin insbesondere deswegen als besonders verletzend empfand, weil ihr der Beklagte regelmäßig zu geringes Wirtschaftsgeld zur Verfügung stellte. Der Beklagte erwies sich seiner Familie gegenüber häufig als geradezu geizig und rechnete der Klägein wiederholt in verletzender Weise vor, mit wie wenig Geld sie den Haushalt führen müsse.
Das Zimmer, das von der Familie als Wohnzimmer benützt wurde, war während der Nachtstunden zugleich das gemeinsame Schlafzimmer der Streitteile. In diesem Zimmer stand stets ein Fernsehgerät. Dieses Fernsehgerät benützte der Beklagte regelmäßig übermäßig, indem er es nahezu allabendlich bis in die späten Abendstunden, häufig bis nach Mitternacht, in Betrieb ließ. Dadurch wurde das Zusammenleben der Streitteile ständig erheblich beeinträchtigt, weil die Klägerin durch diesen übermäßigen Fernsehkonsum des Beklagten regelmäßig in ihrer Nachtruhe gestört wurde. Die Klägerin war mit dieser überlangen Betriebsdauer des Fernsehgerätes nicht einverstanden und erklärte dem Beklagten wiederholt, daß sie durch sein langes Fernsehen erheblich gestört würde. Der Beklagte setzte dennoch seine störende Fernsehgewohnheit ohne Rücksichtnahme auf die Klägerin fort.
Etwa im Jahr 1963 oder 1964 beging die Klägerin im Rahmen eines insgesamt nur kurze Zeit andauernden ehewidrigen Verhältnisses mit einem anderen Mann zweimal Ehebruch, wovon der Beklagte zu dieser Zeit keine Kenntnis erlangte. Zu dieser Zeit war die eheliche Harmonie der Streitteile wegen des beschriebenen Verhaltens des Beklagten bereits erheblich gestört. Von diesem ehewidrigen Verhältnis der Klägerin und ihrem Ehebruch erfuhr der Beklagte erstmals etwa erst 7 Jahre später. Als er Kenntnis von diesen Eheverfehlungen der Klägerin erlangte, empfand er diese Eheverfehlungen seiner Frau als für die Ehe sehr störend. Er machte seiner Frau damals heftige Vorwürfe wegen dieser Eheverfehlungen. Diese Eheverfehlungen der Klägerin trugen in nicht unerheblicher Weise zur weiteren Zerrüttung der Ehe bei.
Der Beklagte setzte sodann sein beschriebenes Verhalten weiterhin fort. Dies führte schließlich etwa zu Beginn des Jahres 1982 zur völligen Zerrüttung der Ehe. Der Beklagte konsumierte damals in erheblicher Weise Alkohol, wodurch das Zusammenleben beträchtlich gestört wurde. Im März 1982 schlug der Beklagte die Klägerin, worauf diese für einige Zeit die Ehewohnung verließ, weil sie sich in ihrer körperlichen Sicherheit bedroht fühlte. Aus Anlaß dieser weiteren Eheverfehlungen des Beklagten brachte die Klägerin schließlich am 8.4.1982 die vorliegende Klage ein. Binnen weniger Wochen kam es sodann zu einer Versöhnung der Streitteile, wobei beide Ehegatten einander die bisherigen Eheverfehlungen des jeweils anderen Ehegatten vollständig verziehen. Die Klägerin fand sich zu dieser Versöhnung auf Grund des damaligen Versprechens des Beklagten, er werde sich bessern, insbesondere seinen Alkoholkonsum einschränken und insgesamt mehr Rücksicht auf die Familie nehmen, bereit.
Der Beklagte hielt sein zur Versöhnung gegebenes Versprechen aber nur wenige Monate ein, danach setzte er alle seine bisherigen Eheverfehlungen wiederum fort. So konsumierte er weiterhin regelmäßig und teilweise übermäßig Alkohol, wodurch das eheliche Zusammenleben wiederum erheblich beeinträchtigt wurde. Der Beklagte setzte auch seine unmäßigen Fernsehgewohnheiten wiederum fort, wodurch die Klägerin weiterhin in ihrer Nachtruhe gestört wurde. Der Beklagte gab auch weiterhin der Klägerin regelmäßig kein hinreichendes Wirtschaftsgeld und überließ ihr nur selten Geld zur Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse. Der Beklagte beschimpfte auch weiterhin die Klägerin wiederholt in grober Weise. Auf Grund dieser weiteren Eheverfehlungen des Beklagten ist die Ehe der Streitteile seit Dezember 1985 endgültig und unheilbar zerrüttet. Die Geschlechtsgemeinschaft der Streitteile ist seit Dezember 1985 aufgelöst. Im Dezember 1985 zog die Klägerin aus dem ehelichen Schlafzimmer aus, weil sie nicht bereit war, die übermäßigen Fernsehgewohnheiten ihres Mannes und die dadurch bewirkte Störung ihrer Nachtruhe weiterhin auszuhalten. Seit der Sohn den elterlichen Haushalt verlassen hat, verwendet nunmehr die Klägerin das bisherige Kinderzimmer als ihr Schlafzimmer. Auf Grund der weiter andauernden Eheverfehlungen des Beklagten ist die Klägerin nicht bereit, in das eheliche Schlafzimmer zurückzukehren, obwohl der Beklagte eine derartige Rückkehr verlangt. Im Sommer 1986 verschenkte der Beklagte, ohne zuvor das Einverständnis der Klägerin einzuholen, einen gebrauchten Campingbus, den er kurze Zeit vorher zum Preis von S 35.000,-- zum Verkauf über eine Autohandelsfirma angeboten hatte. Dieses Fahrzeug gehörte zum ehelichen Gebrauchsvermögen.
Im März 1986 verließ der Beklagte für die Dauer von etwa 14 Tagen die Ehewohnung, ohne der Klägerin seinen Verbleib mitzuteilen. Den Aufenthalt des Beklagten mußte die Klägerin damals von dritter Seite in Erfahrung bringen.
Die Klägerin erledigt weiterhin die wesentlichen Belange der Haushaltsführung. Seit etwa Mitte Dezember 1986 bereitet die Klägerin dem Beklagten kein Essen mehr, weil der Beklagte ihr weiterhin kein ausreichendes Wirtschaftsgeld für die Haushaltsführung zur Verfügung stellt.
Seit der Sohn aus der elterlichen Wohnung ausgezogen ist, verbrachte die Klägerin einige Male die Nacht in der Wohnung ihres Sohnes. Bei solchen Gelegenheiten hielt sich die Klägerin deswegen in der Wohnung ihres Sohnes auf, um diesem beim Einrichten der Wohnung behilflich zu sein oder für ihn Belange der Haushaltsführung zu erledigen. Bei solchen Gelegenheiten klärte die Klägerin dem Beklagten gegenüber ihren Verbleib jeweils durch Hinterlassen einer entsprechenden schriftlichen Mitteilung in der ehelichen Wohnung auf. Es trifft nicht zu, daß die Klägerin ununterbrochen am Beklagten herumnörgelt. Wohl kam es gelegentlich vor, daß die Klägerin dem Beklagten Vorwürfe wegen seiner schwerwiegenden Eheverfehlungen machte. Dabei kam es gelegentlich vor, daß sich die Klägerin dazu hinreißen ließ, den Beklagten zu beschimpfen.
Die Ehe der Streitteile ist nunmehr tiefgreifend und unheilbar zerrüttet. Es besteht keine Aussicht auf Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß das festgestellte Verhalten des Beklagten in mehrfacher Hinsicht eine schwere Eheverfehlung darstelle. Er habe es an einer anständigen Begegnung im Sinne des § 90 ABGB und an der erforderlichen Rücksichtnahme aufeinander im Sinne des § 91 ABGB fehlen lassen. Durch regelmäßigen und teilweise übermäßigen Alkoholkonsum über lange Zeit hin sei das eheliche Zusammenleben gestört worden. Gleichfalls sei eine solche Störung durch unmäßigen Fernsehkonsum eingetreten. Hiezu kämen grobe Lieblosigkeiten wie Beschimpfungen und gelegentliche Tätlichkeiten, weiters mangelnde Rücksichtnahme auf die Klägerin und die gemeinsamen Kinder. Belastend sei auch, daß der Beklagte der Klägerin kein hinreichendes Wirtschaftsgeld gegeben habe, wodurch er ständig seine Unterhaltspflicht verletzt habe. Diese Eheverfehlungen habe der Beklagte bis Dezember 1985 fortgesetzt. Der Grund für die endgültige Zerrüttung der Ehe sei insbesondere das Fehlverhalten des Beklagten. Eine Verjährung oder Verfristung der Eheverfehlungen des Beklagten liege nicht vor, sodaß die Klägerin zu Recht die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten begehre.
Zum Ausspruch eines Mitverschuldens der Klägerin gelangte das Erstgericht deshalb, weil diese, wenn auch vor vielen Jahren, ein ehewidriges Verhältnis zu einem anderen Mann unterhalten und hiebei zweimal Ehebruch begangen habe. Trotz Versöhnung der Streitteile entspreche es der Billigkeit, diese Eheverfehlungen der Klägerin bei Abwägung des beiderseitigen Verschuldens zu berücksichtigen. Dies erscheine deshalb gerechtfertigt, weil es sich beim Ehebruch um eine der schwersten Verfehlungen handle, zumal auch dieser Ehebruch in nicht unerheblicher Weise zur weiteren Zerrüttung der Ehe nach Kenntnisnahme durch den Beklagten beigetragen habe. Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge.
Das Berufungsgericht führte, ausgehend von den übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes, rechtlich im wesentlichen aus, verfristete und verziehene Eheverfehlungen seien dann bei der Verschuldensabwägung zu berücksichtigen, wenn dies der Billigkeit entspreche. Im vorliegenden Fall erscheine es gerechtfertigt, trotz Verjährung und Verzeihung den Ehebruch der Klägerin aus dem Jahr 1963/64 zu berücksichtigen und damit die Schuld nicht nur dem Beklagten aufzuerlegen, weil nach den getroffenen Feststellungen dieser Ehebruch in nicht unerheblicher Weise zur weiteren Zerrüttung der Ehe beigetragen habe. Allerdings seien verziehene und verfristete Eheverfehlungen geringer zu werten als sonstige, die noch als Scheidungsgrund geltend gemacht werden könnten. Die in der Verschuldensteilung des Ersturteils zum Ausdruck kommende Wertung der Eheverfehlungen der Streitteile sei gerade im Hinblick auf die lange verstrichene Zeit seit Begehung des Ehebruchs durch die Klägerin und unter Bedachtnahme auf den Umstand, daß der Beklagte trotz Kenntnis dieses Ehebruchs seit dem Jahr 1970 die Ehe durch etwa eineinhalb Jahrzehnte weiterhin fortgesetzt habe, durchaus zu billigen.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten. Er bekämpft sie aus den Reviisonsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision des Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO). Aber auch der Rechtsrüge kommt keine Berechtigung zu. Wenn der Beklagte hier darzutun versucht, daß der festgestellte Ehebruch der Klägerin (im Jahr 1963 oder 1964) die alleinige Ursache für die Zerrüttung der Ehe der Streitteile sei, geht er nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen aus. Insbesondere übersieht er, daß sich nach den getroffenen Feststellungen die Streitteile nach der im April 1982 erfolgten Einbringung der vorliegenden Klage wieder versöhnten, wobei sie einander die bisher begangenen Eheverfehlungen (der Beklagte hatte damals längst Kenntnis von dem Ehebruch der Klägerin) verziehen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war das festgestellte fortgesetzte grob ehewidrige Verhalten des Beklagten, das dieser Versöhnung folgte, die ausschlaggebende Ursache für die im Dezember 1985 eingetretene endgültige und unheilbare Zerrüttung der Ehe. Den Versuch, darzutun, daß dieses sein festgestelltes grob ehewidriges Verhalten nach der im Jahr 1982 erfolgten Versöhnung der Streitteile nicht der Bestimmung des § 49 EheG zu unterstellen sei und die Scheidung der Ehe nicht rechtfertige, unternimmt der Beklagte in seiner Rechtsrüge gar nicht. Diesbezüglich genügt der Hinweis auf die zutreffende rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen.
Was aber die Entscheidung über den vom Beklagten im Sinne des § 60 Abs 3 EheG gestellten Mitschuldantrag anlangt, ist davon auszugehen, daß es bei der Verschuldensabwägung im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von den Ehegatten begangenen Verfehlungen ankommt, sondern auf ihr Gesamtverhalten in seinem Zusammenhang (EFSlg 43.684, 46.231, 51.642 uva). Dabei sind auch verfristete und verziehene Eheverfehlungen zu berücksichtigen (EFSlg 46.240, 48.826, 51.657 ua). Maßgebend ist letztlich, welcher Ehegatte die Zerrüttung der Ehe schuldhaft einleitete und wie weit spätere Eheverfehlungen des einen Ehegatten Folge der bereits durch das Verschulden des anderen heraufbeschworenen Zerrüttung der Ehe waren (EFSlg 46.234, 51.645 ua). Wenn auch der Ehebruch als schwerste Eheverfehlung gegen die eheliche Treuepflicht grundsätzlich besonders schwer wiegt (EFSlg 51.652 ua), kommt es auch bei seiner Beurteilung darauf an, ob und inwieweit er zur Zerrüttung der Ehe beigetragen hat und welches Gewicht ihm im Vergleich zu den Eheverfehlungen des anderen Ehepartners zukommt; hier kommt es letztlich auf die Umstände des Einzelfalles an.
Im vorliegenden Fall hatte nach den Feststellungen der Vorinstanzen der im Jahr 1963 oder 1964 begangene Ehebruch der Klägerin Einfluß auf die bis April 1982 erfolgte - nicht unheilbare - Zerrüttung der Ehe. Wenn aber der Beklagte der Klägerin zumindest im Rahmen der im Jahr 1982 erfolgten vollständigen Versöhnung diesen Ehebruch verziehen hat, dann kann dieser Eheverfehlung der Klägerin kein Einfluß auf die nach dieser Versöhnung wieder erfolgte neuerliche Zerrüttung der Ehe, die schließlich Ende 1985 unheilbar wurde und ausschließlich auf das nach der Versöhnung erfolgte ehewidrige Verhalten des Beklagten zurückzuführen ist, zuerkannt werden. Unter diesen im vorliegenden Fall gegebenen Umständen wird vielmehr das Gewicht der der Klägerin angelasteten Eheverfehlung und ihr Einfluß auf die eingetretene unheilbare Zerrüttung der Ehe durch das festgestellte grob ehewidrige Verhalten des Beklagten derart überwogen, daß sich dieser durch den Ausspruch seines überwiegenden Verschuldens nicht für beschwert erachten kann.
Der Revision des Beklagten muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E14597European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00504.88.0614.000Dokumentnummer
JJT_19880614_OGH0002_0020OB00504_8800000_000