TE OGH 1988/6/14 4Ob533/88

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Veröffentlicht am 14.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Walter Rudolf R***, geboren am 30. Juli 1919 in Bozen, Pensionist, Graz, Laimburggasse 10, vertreten durch Dr. Hans Lehofer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Hermine Agnes R***, geboren am 12. Dezember 1943 in Graz, Hausfrau, Graz, Krenngasse 32, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch und Dr. Klaus Kollmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 10. Dezember 1987, GZ 6 R 220/87-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 23. Juli 1987, GZ 16 Cg 230/85-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei, die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 4. August 1982 vor dem Standesamt Graz die - beiderseits zweite - Ehe geschlossen, welche kinderlos blieb. Beide Parteien sind österreichische Staatsbürger; der Kläger ist evangelisch A.B., die Beklagte ohne religiöses Bekenntnis. Ehepakten wurden nicht errichtet.

Der Kläger begehrte mit der am 1. August 1985 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten. Er brachte vor, die Beklagte habe entgegen ihrer Zusage und trotz mehrfacher Aufforderungen nach der Eheschließung die Wohnung des Klägers in Graz, Laimburggasse 10, nicht bezogen; es bestehe daher bis heute kein gemeinsamer Haushalt. Die Beklagte habe auch ihre hausfraulichen Pflichten total vernachlässigt und weder Wäsche gewaschen noch den Kläger verpflegt. Ebenso habe sie sich geweigert, die Pflege des mehrmals kranken und bettlägrigen Klägers zu übernehmen. Sie habe ihn immer wieder grundlos mit Ausdrücken wie "Schwein", "Depp", "seniler Trottel" beschimpft. Im März 1985 sei die Beklagte entgegen ihrer Angabe nicht nach Leibnitz zu einer Modeschau, sondern mit einem dem Kläger namentlich bekannten Mann nach Jugoslawien gefahren. Sie unterhalte seit über einem Jahr ehewidrige Beziehungen zu Rudolf N***; sie nächtige bei diesem und verbringe gemeinsame Wochenenden und gemeinsame Urlaube mit ihm in St. Wolfgang, Portorocz und Lignano. Schließlich habe die Beklagte verschiedene, im Alleineigentum des Klägers stehende Einrichtungsgegenstände aus seinem Wochenendhaus entfernt. Die Beklagte bestritt die ihr zur Last gelegten Eheverfehlungen; für den Fall der Scheidung stellte sie den Antrag, das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen. Bis zum Herbst 1984 habe es einen gemeinsamen Haushalt der Streitteile in der Wohnung der Beklagten bzw. im Wochenendhaus des Klägers in Lebring gegeben. Über eine gemeinsame Wohnungnahme beim Kläger sei zwar gesprochen, eine solche aber offengelassen worden, weil möglicherweise die beiden Töchter des Klägers dessen Wohnung haben wollten. Die Wohnung sei überdies nicht eingerichtet, und der Kläger habe der Beklagten bereits im Jahre 1982 die Wohnungsschlüssel entzogen. Auch sei der Kläger zur Vornahme irgendwelcher Investitionen in seiner Wohnung - insbesondere zur erforderlichen Herstellung eines Badezimmers - nicht bereit gewesen; dafür habe er kein Geld ausgeben wollen. Der Kläger habe der Beklagten von Anfang an keinen entsprechenden finanziellen Beitrag zur gemeinsamen Wirtschaftsführung geleistet und ihr auch kein regelmäßiges Wirtschaftsgeld gegeben. Er habe seine Unterhaltspflicht gröblich vernachlässigt, was zu einer Unterhaltsklage der Beklagten geführt habe. Seither sei sie auch nicht mehr bereit, für den Kläger die Wäsche zu besorgen. Seit dem Unterhaltsprozeß werde die Beklagte vom Kläger vernachlässigt und lieblos behandelt; er besuche sie immer seltener in ihrer Wohnung. Der Kläger habe die Beklagte gröblich beschimpft; er sei gegen sie sogar tätlich vorgegangen und habe sie verletzt. Zwischen den Streitteilen sei für den 13. November 1983 ein gemeinsamer Konzertbesuch in Wien vereinbart worden; der Kläger sei dann aber mit Traude F*** nach Wien gefahren. Er habe im Mai 1985 mit Heidi T*** einen Urlaub in Rhodos verbracht; auch unterhalte er ehewidrige Beziehungen mit Anna R***, möglicherweise auch mit Elfriede P***.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Verschulden beider Teile und sprach aus, daß den Kläger das überwiegende Verschulden treffe.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger trat als Abteilungsleiter im Institut für Serologie und Bakteriologie an der Universität Graz mit 31. Juli 1984 in den Ruhestand. Die Beklagte betrieb in Graz, Grabenstraße 17, einen Teppichhandel, den sie mit 1. Mai 1986 einstellte.

Zum Zeitpunkt der Eheschließung besaßen beide Parteien eine Wohnung. Jene der Beklagten befand sich in Graz, Krenngasse 32, und die Fünfzimmerwohnung des Klägers in der Laimburggasse 10. Letztere war (bis auf ein Zimmer) vollständig möbliert. Der Kläger wohnte bereits ca. 2 1/2 Monate vor der Eheschließung bei der Beklagten. Die Streitteile hatten jedoch vereinbart, nach der Heirat in die Wohnung des Klägers zu ziehen. Allerdings sollten dort vor dem Einzug noch verschiedene Adaptierungsarbeiten vorgenommen werden. So war insbesondere die Einrichtung eines Badezimmers geplant, weil in der Küche der Wohnung des Klägers nur eine Abteilung mit einem mannshohen Sichtschutz samt Waschbecken und Sitzbadewanne bestand. Das Vorhaben scheiterte jedoch daran, daß der Kläger die dafür nötigen Kosten von S 60.000,-- bis S 80.000,-- nicht auslegen wollte. Ursprünglich war auch geplant, das in der Wohnung des Klägers vorhandene Ehebett zu entfernen und durch das Ehebett aus der Wohnung der Beklagten zu ersetzen. Weil aber dieses nicht zu den vorhandenen Möbeln paßte, sollte schließlich ein neues Bett angeschafft werden. Für den Ankauf eines solchen Bettes konnten jedoch die Streitteile zunächst keinen gemeinsamen Termin finden. Der Kläger war auch deshalb an einer Übersiedlung beider Parteien in seine Wohnung interessiert, weil es sich dabei um eine Parterrewohnung handelt, die er auf Grund seines Gesundheitszustandes bequemer erreichen konnte.

Auch die Beklagte betrieb zunächst den Wohnungswechsel; sie gab ein Zeitungsinserat über ihre Wohnung auf und brachte ein Sofa und ein Bild in die Wohnung des Klägers. Teils wegen der noch ausstehenden Adaptierungsarbeiten, vor allem aber wegen ihrer Befürchtung, die Töchter des Klägers könnten Ansprüche auf seine Wohnung stellen, und weil sie über die gelegentlich von den Töchtern des Klägers vorgenommenen Möbelumstellungen verärgert war, stand sie einem Wohnungswechsel mit zunehmender Ablehnung gegenüber. So wohnten die Streitteile ab ihrer Eheschließung zunächst rund drei Monate gemeinsam in der Wohnung der Beklagten. Die Beklagte bereitete das Frühstück für beide; zu Mittag hatte der Kläger eine Eßgelegenheit an seiner Arbeitsstelle. Das Abendessen nahmen die Streitteile meist auswärts oder auch im Wochenendhaus des Klägers ein, wo die Beklagte die Mahlzeiten zubereitete. Sie versorgte auch die gesamte Wäsche. Während dieser Zeit leistete der Kläger für die gemeinsame Wirtschaftsführung einen Beitrag von monatlich S 5.000,-- und zahlte überdies die genauen Rechnungsbeträge für die Lebensmitteleinkäufe.

Gegen Ende dieser ersten drei Monate der Ehe kam es - vor allem wegen der Forderung der Beklagten nach einem höheren Wirtschaftsgeld - zu einer Auseinandersetzung. Als Folge dieser Zwistigkeiten zog der Kläger aus der Wohnung der Beklagten aus. Seither wohnen die Streitteile getrennt in ihren Wohnungen. Der Kläger besuchte aber die Beklagte weiterhin regelmäßig und übernachtete auch bei ihr. Auch das gesellschaftliche Leben der Streitteile (Einladung von Gästen) spielte sich weiterhin teils in der Wohnung der Beklagten und teils im Wochenendhaus der Klägers ab. Der Kläger trug die Auslagen für diese gemeinsamen Unternehmungen (vor allem für die gemeinsamen Aufenthalte in seinem Wochenendhaus und für gemeinsame Urlaube) und für gelegentliche gemeinsame Lebensmitteleinkäufe. Er schenkte der Beklagten mitunter auch Schmuck und Kleidung, leistete aber seit seinem Auszug aus der Wohnung der Beklagten keine regelmäßigen Unterhaltszahlungen mehr. Er brachte auch jetzt noch einige Male seine Wäsche zur Beklagten, welche sie dann versorgte. Dieser Zustand dauerte im wesentlichen bis zur Jahresmitte 1985 an, wenngleich die Kontakte zwischen den Streitteilen im Jahr 1984 immer geringer wurden. Bei Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen fielen wechselseitig Schimpfwörter.

In der Zeit zwischen Jahresende 1982 und Jahresbeginn 1985 bat der Kläger die Beklagte um den Schlüssel zu seiner Wohnung, weil er diesen für seine auf Besuch weilende Tochter benötige. Danach hinterlegte der Kläger den Wohnungsschlüssel bei einer Bekannten, von wo ihn aber die Beklagte nicht mehr abholte. Sie äußerte vielmehr gegenüber dem Kläger in diesem Zusammenhang, wenn sie den Schlüssel zu seiner Wohnung nicht habe, dann benötige er auch keinen für ihre Wohnung. Der Kläger händigte ihr daraufhin den Schlüssel zu ihrer Wohnung aus.

Um die Beklagte zu ärgern, weil sie vorher eine Verabredung mit ihm nicht eingehalten hatte, lud sie der Kläger zu einem Konzert in Wien am 13. November 1983 ein, beabsichtigte aber von vornherein, dieses Konzert nicht mit ihr, sondern mit einer Schulfreundin seiner Tochter zu besuchen. Die Beklagte, die vergeblich auf den Kläger gewartet hatte, fuhr mit ihrem eigenen PKW nach Wien und traf dort den Kläger mit der Schulfreundin seiner Tochter im Kaffeehaus eines Hotels, wo es zu einer Auseinandersetzung kam; in der Folge besuchten dann aber die Streitteile das Konzert gemeinsam. Den Silvester 1983/84 wollten beide bei der Tochter des Klägers in Scheifling verbringen. Die Beklagte erkrankte aber um Weihnachten und ersuchte den Kläger vergeblich, nicht wegzufahren. Dieser erkundigte sich dann telefonisch nach dem Befinden der Beklagten. Sie bat ihn nochmals darum, wegen ihrer Erkrankung nach Graz zurückzukehren, worauf er erwiderte, sie solle den Notarzt verständigen.

Im Jahre 1984 schenkte der Kläger die Möbel im Speisezimmer und Wohnzimmer seiner Wohnung seinen Töchtern. Er meldete die Beklagte im Jänner oder Februar 1984 aus seiner Wohnung behördlich ab. Im Februar 1985 verbrachten die Streitteile einen gemeinsamen Urlaub auf den Kanarischen Inseln. Die Beklagte hatte zuvor noch gegenüber einer Bekannten geäußert, sie fahre dem Kläger (in den Urlaub) nach, weil es ihr lieber sei, sie bekomme etwas geschenkt als andere. Schon während des Urlaubs und in verstärktem Maße danach litt die Beklagte unter einer nervösen Erkrankung. Sie äußerte gegenüber Elisabeth R***, daß ihr schon alles auf die Nerven gehe und es das beste sei, wenn der Kläger "einschaue".

An einem Donnerstag im März 1985 fühlte sich der Kläger plötzlich schlecht und bekam Schüttelfrost. Der herbeigerufene Hausarzt riet ihm, sofort ein Sanatorium aufzusuchen. Auf sein Ersuchen rief eine Wohnungsnachbarin im Geschäft der Beklagten an und teilte einer Angestellten mit, daß der Kläger erkrankt sei und in ein Sanatorium gebracht werden müsse; zu diesem Zeitpunkt stand ein bestimmtes Sanatorium noch nicht fest. Die Beklagte wollte daraufhin dem Kläger am folgenden Samstag durch ihren Sohn einen Brief und ein Essenspaket zukommen lassen. Der Kläger verweigerte aber die Annahme; er wollte das Paket nur von der Beklagten selbst übernehmen. Am darauffolgenden Tag wurde der Kläger in das Sanatorium Hoff gebracht, wo er rund eine Woche verblieb. Von dort aus versuchte er noch einmal, die Beklagte zu erreichen, unterließ dann aber weitere Versuche, weil er meinte, "sie müsse sich selbst darum kümmern, wo er liege". Der Beklagten war zunächst nicht bekannt, in welches Sanatorium der Kläger gebracht worden war. Sie unternahm zwar einige Versuche, ihn ausfindig zu machen, dachte aber nicht an das Sanatorium Hoff. Als sie dann aber seinen Aufenthaltsort und davon erfuhr, daß der Kläger sie zu sehen wünsche, lehnte sie dies ab.

Für Mai 1985 schlug der Kläger der Beklagten einen gemeinsamen Urlaub in Griechenland vor; er hatte aber ihr gegenüber die (bereits erfolgte) Buchung noch nicht als fix hingestellt. Die Beklagte lehnte zunächst deshalb ab, weil sie in diesem Jahr bereits einen Urlaub verbracht hatte und ihr Unternehmen nicht zu lange allein lassen wollte; sie war auch wegen der Vorfälle im Zusammenhang mit der Erkrankung des Klägers verärgert. Der Kläger lud daraufhin die mit ihm verschwägerte Heidi T*** ein, ihn bei seinem Urlaub zu begleiten. Ein Grund für diese Einladung war auch, daß Heidi T*** damals familiäre Probleme hatte; sie bezahlte sich den Urlaub selbst. Es kam zu keinen ehewidrigen Beziehungen zwischen ihr und dem Kläger. Während des Urlaubs lernte der Kläger Elfriede P*** und deren Lebensgefährten kennen. Der Kontakt mit diesem Paar hielt danach noch bis Juni 1985 in Form einiger gesellschaftlicher Einladungen an. Zwischen dem Kläger und Elfriede P*** kam es zu keinen ehewidrigen Beziehungen.

Bald nach der Rückkehr des Klägers aus Griechenland fand in der Wohnung der Beklagten eine - vor allem heftige

wörtliche - Auseinandersetzung zwischen den Streitteilen statt, in deren Verlauf der Kläger die Beklagte auch an den Händen festhielt. Von da an besuchte der Kläger die Beklagte nur noch fallweise, übernachtete aber nicht mehr bei ihr. Einen Entschuldigungsversuch des Klägers nahm die Beklagte nicht mehr an.

Ab Frühjahrsende/Frühsommerbeginn 1986 intensivierte der Kläger seinen Kontakt zu Anna R***. Die beiden kannten einander schon seit rund 11 Jahren, vor allem aus der Zeit der beruflichen Tätigkeit des Klägers, als dieser häufig in jenem Postamt zu tun hatte, wo Anna R*** beschäftigt war. Im Rahmen dieser Bekanntschaft kam es gelegentlich zu gemeinsamen Essen; die beiden waren einander von Anfang an sympathisch. Die Kontakte wurden in der zweiten Jahreshälfte 1986 häufiger; sie gingen gemeinsam essen und besuchten kulturelle Veranstaltungen. Anna R*** wurde auch in das Wochenendhaus des Klägers eingeladen, wo die beiden jedoch nicht allein waren.

Im September 1986 unternahmen der Kläger und Anna R*** auf Einladung gemeinsamer Verwandter einen Dreitagesausflug nach Vicenza, der sie auch nach Venedig führte. Ursprünglich sollten sie in Vicenza bei Verwandten untergebracht werden; sie verbrachten aber dann eine Nacht in einem Gasthof und die folgende in einem Hotel, wobei sie getrennte Schlafzimmer hatten.

Im November 1986 verbrachte Anna R*** einen dreiwöchigen Kuraufenthalt in Villach. Auch der Kläger befand sich zur selben Zeit dort auf Kur. Die beiden wohnten zuletzt in derselben Unterkunft, hatten jedoch getrennte Schlafzimmer.

Der Kläger besuchte ab dem Frühjahr 1986 Anna R*** auch in deren Wohnung, wobei die beiden dort allein waren; er übernachtete allerdings nicht in dieser Wohnung. Die Beziehungen zwischen den beiden waren "auch sexueller bzw. erotischer Natur". Die Beklagte hatte Rudolf N*** schon vor 20 Jahren kennengelernt, doch war der Kontakt dann 1970 abgebrochen. Sie traf ihn erst wieder anläßlich des gemeinsamen Urlaubes mit dem Kläger auf den Kanarischen Inseln und danach zufällig entweder auf der Straße oder in Kaffeehäusern. Am 27. Juni 1985 und 4. Juli 1986 schrieb sie an ihn je eine Karte mit folgenden Texten: "Ein kleines Danke für den schönen Morgen!! (Geht alles viel leichter)" und "Auch hier sind meine Gedanken bei Dir!" Es konnte nicht festgestellt werden, daß die Beziehungen der Beklagten zu Rudolf N*** "erotischer oder sexueller Natur" gewesen wären.

Ebensowenig konnte festgestellt werden, daß die Beklagte etwa Fahrnisse des Klägers widerrechtlich aus seinem Wochenendhaus an sich genommen hätte.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß die Ehe der Streitteile unheilbar zerrüttet sei und beide Parteien ein Verschulden daran treffe; jenes des Klägers wiege aber schwerer als das der Beklagten. Beiden Parteien sei vorzuwerfen, daß sie die tragenden Beziehungen einer Ehe - nämlich die geistige Gemeinschaft, das gemeinsame Fühlen und Denken, die gegenseitige Liebe und Achtung sowie das Verständnis und das Vertrauen - zunehmend hintangesetzt hätten, ohne daß auch nur einer von ihnen der Entfremdung entgegengetreten wäre. Der Beklagten müsse als schwere Eheverfehlungen angelastet werden, daß sie durch ihre latente Ablehnung die Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft in der Wohnung des Klägers verhindert und später auch den Schlüssel zu dieser Wohnung nicht mehr abgeholt, vielmehr den Kläger zur Herausgabe des Schlüssels zu ihrer Wohnung veranlaßt habe. Sie habe weiters ihre eheliche Beistandspflicht dadurch vernachlässigt, daß sie sich um den erkrankten Kläger nicht gekümmert und ihn auch nicht im Spital besucht habe. Dem Kläger hingegen müsse als besonders gravierend eine Verletzung der ehelichen Treuepflicht durch Aufnahme von Beziehungen erotischen bzw. sexuellen Charakters zu Anna R*** vorgeworfen werden. Auch sein Verhalten um Silvester 1983 und seine Urlaubsfahrt nach Griechenland seien weitere schwere Eheverfehlungen gewesen.

Der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und lehnte deren vom Kläger angestrebte Ergänzung - als durch die Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht gedeckt - ab. Es billigte im Ergebnis auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes in bezug auf die Annahme eines überwiegenden Verschuldens des Klägers an der Ehezerrüttung. Nach den Feststellungen sei die eheliche Gemeinschaft zwischen den Streitteilen erst seit Jahresmitte 1985 aufgehoben. Dies habe zur Folge, daß als Ehescheidungsgrund zunächst nur solche Umstände in Betracht kämen, die sich ab Jahresbeginn 1985 ereignet hätten oder als Dauerverhalten noch bis in das Jahr 1985 hineinreichten; Verfehlungen bis zum Jahresende 1984 könnten daher höchstens als "Illustrationsfakten" nach § 59 Abs 2 EheG herangezogen werden. Demnach könne zwar die vom Kläger der Beklagten vorgeworfene Eheverfehlung der Weigerung zur Wohnsitzfolge im Hinblick auf ihren Dauercharakter noch geltend gemacht werden, doch sei sie der Beklagten nicht vorwerfbar. Ihre Weigerung sei nämlich nicht grundlos erfolgt, sondern nicht zuletzt dadurch bedingt gewesen, daß der Kläger seine Zusage einer Adaptierung seiner Wohnung ohne triftigen Grund nicht eingehalten habe. Den Kläger treffe daher das einleitende Verschulden an der späteren Ehezerrüttung, weil er bereits in einem frühen Stadium der Ehe nicht zu seinem Wort gestanden und grundlos wieder in seine eigene Wohnung gezogen sei. In der Folge habe er der Beklagten keinen regelmäßigen Unterhalt mehr gereicht. Damit habe er aber einen Dauerzustand herbeigeführt, welcher den Keim für die Entfremdung der Streitteile gebildet habe und auch bis in das Jahr 1985 aufrecht erhalten worden sei. Dies hätte daher von der Beklagten mit Erfolg als Eheverfehlung geltend gemacht werden können, weshalb bei der wechselseitigen Verschuldensabwägung auch auf frühere, sonst bereits verfristete Eheverfehlungen zurückgegriffen werden könne. Als solche seien dem Kläger sowohl dessen Verhalten zu Silvester 1983 anzulasten, als er der Beklagten seinen Beistand im Krankheitsfall verweigert habe, als auch jenes im Zusammenhang mit dem Konzertbesuch am 13. November 1983. Schließlich habe er durch die Aufnahme von eindeutig ehewidrigen Beziehungen zu Anna R*** eine schwere Eheverfehlung begangen, auch wenn zum damaligen Zeitpunkt die Ehe bereits weitgehend zerrüttet gewesen sei. Hingegen erschöpfe sich der schuldhafte Beitrag der Beklagten zur Ehezerrüttung darin, daß sie den Kläger im Sanatorium Hoff nicht besucht und ihn gegenüber Elisabeth R*** beschimpft habe.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung durch Ausspruch des alleinigen Verschuldens des Beklagten, zumindest aber deren überwiegenden Verschuldens oder des gleichteiligen Verschuldens; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte stellt in ihrer Revisionsbeantwortung den Antrag, dem Rechtsmittel des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die gemäß § 60 Abs 3, letzter Satz, EheG entsprechend vorzunehmende Verschuldensabwägung im Sinne des Abs 2 dieser Gesetzesstelle. Der Kläger vertritt hiezu zusammenfassend die Rechtsansicht, daß die primäre Ursache für die Ehezerrüttung im schuldhaften Verhalten der Beklagten liege; er selbst habe überhaupt keine Eheverfehlung begangen. Bei diesen Ausführungen geht aber der Kläger weitgehend nicht von der festgestellten Sachverhaltsgrundlage aus. Insoweit ist auf sein Rechtsmittel - mangels gehöriger Ausführung der Rechtsrüge - nicht näher einzugehen. Im übrigen sind die von ihm erhobenen Vorwürfe aus nachstehenden Gründen nicht stichhältig:

Bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 Abs 2 EheG kommt es nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von den Ehegatten begangenen Verfehlungen an, sondern auf ihr Gesamtverhalten in seinem Zusammenhang (EFSlg 43.684, 46.231, 51.642 ua). Das überwiegende Verschulden eines Teiles ist nur auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer wiegt als das des anderen. Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile muß augenscheinlich hervortreten (EFSlg 41.281 f, 43.691, 46.243, 51.660 ua), sodaß es subtiler Abwägungen nicht bedarf (Schwind, Eherecht2, 251; EFSlg 51.662). Vor allem ist darauf Bedacht zu nehmen, welcher Ehegatte die Zerrüttung der Ehe schuldhaft eingeleitet hat und wie weit spätere Eheverfehlungen des einen Ehegatten Folge der bereits durch das Verschulden des anderen Gatten heraufbeschworenen Zerrüttung der Ehe waren (EFSlg 43.679, 46.234 f, 48.818 f, 51.645 ua).

Eheverfehlungen sind Handlungen und Unterlassungen, die sich gegen das Wesen der Ehe und die damit verbundenen Pflichten richten (EFSlg 33.398, 46.148, 51.576 ua). Eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG hat ein Verhalten zur Voraussetzung, das mit dem Wesen der Ehe als eine alle Lebensbereiche umfassenden Lebensgemeinschaft unvereinbar ist (EFSlg 29.494, 38.683, 46.149, 51.577 ua). Gemäß § 90 ABGB sind die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen sowie zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand verpflichtet. Gemäß § 91 ABGB sollen sie ihre eheliche Lebensgemeinschaft einverständlich gestalten, was dahin zu verstehen ist, daß sie sich um das Einverständnis zu bemühen haben (Schwimann in ÖJZ 1976, 365, 370; 2 Ob 652, 653/87). Die Pflicht zur Bemühung um das Einvernehmen impliziert auch die gesetzliche Verpflichtung zu einer solchen einverständlichen Gestaltung. Gegenstand der Gestaltungsbefugnis der Ehegatten sind die Einzelheiten der Durchführug des gemeinschaftlichen Lebens (Schwimann aaO 371; 2 Ob 652, 653/87). Eine Verletzung der Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen ist wie jede andere Eheverfehlung nur dann ein Scheidungsgrund, wenn sie schuldhaft gesetzt wird (EFSlg 51.600 ua). Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht entgegen der Meinung des Klägers zutreffend erkannt, daß er durch sein Gesamtverhalten die Zerrüttung der Ehe nicht bloß eingeleitet, sondern zu deren Eintritt auch den maßgeblichen Beitrag geleistet hat. Er hat nämlich nach den Feststellungen die ursprünglich vereinbarte Wohnsitzfolge der Beklagten schon am Beginn der Ehe dadurch verhindert, daß er nicht bereit war, die Kosten für die geplanten Adaptierungsarbeiten, insbesondere für die Einrichtung eines Badezimmers, auszulegen und auch den berechtigten Bedenken der Beklagten in bezug auf das Verhalten seiner Töchter in keiner Weise Rechnung trug. Wenn er daher aus Anlaß einer Auseinandersetzung über das Wirtschaftsgeld bereits nach rund dreimonatiger Ehedauer aus der Wohnung der Beklagten auszog und ab diesem Zeitpunkt nur noch die Auslagen für gemeinsame Unternehmungen und gelegentliche gemeinsame Lebensmitteleinkäufe trug, so hat er - und nicht die Beklagte - einleitend eine schwere Eheverfehlung gesetzt, die im wesentlichen bereits den Keim der späteren Ehezerrüttung in sich trug. Es ist auch richtig, daß dadurch der Dauerzustand einer faktisch getrennten Lebensführung der Ehegatten geschaffen wurde, welcher bis zur Einbringung der Ehescheidungsklage fortwirkte, weshalb auch die Beklagte auf Scheidung wegen Verschuldens hätte klagen können (§ 60 Abs 3 EheG). Gemäß § 59 Abs 2 EheG kann daher zur Stützung ihres Mitschuldantrages auch auf solche Vorfälle zurückgegriffen werden, die für sich allein bereits verfristet wären oder verziehen wurden. Danach hat aber der Kläger seine eheliche Beistandspflicht gröblich vernachlässigt, als er die erkrankte Beklagte zu Silvester 1983 entgegen ihrer Bitte in Graz allein zurückließ und nach Scheifling fuhr. Desgleichen liegt in seinem vorsätzlichen Verhalten im Zusammenhang mit dem vereinbarten gemeinsamen Konzertbesuch am 13. November 1983 ein schwerer Verstoß gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung. Dadurch, daß der Kläger schließlich ab Frühjahrsende 1986 seine Beziehungen zu Anna R*** auf die festgestellte Weise intensiviert hat und diese auch "sexueller bzw. erotischer Natur" waren, hat er jedenfalls gegen seine Verpflichtung, alles zu unterlassen, was geeignet war, einen objektiv begründeten Schein ehewidriger Beziehungen zu erwecken, verstoßen (EFSlg 43.617, 51.589 ua). Auch wenn eine Ehe schon einen gewissen Zerrüttungsgrad erreicht hat, müssen die Partner einander weiterhin anständig begegnen und die eheliche Treue einhalten (EFSlg 43.637 ua). Die Pflicht zur ehelichen Treue besteht grundsätzlich während der gesamten Dauer der Ehe und muß daher von den Ehegatten auch noch während des anhängigen Scheidungsverfahrens beachtet werden (EFSlg 41.197; 2 Ob 652, 653/87 ua). Demgegenüber ist nach den Feststellungen dem Kläger der Beweis der von ihm der Beklagten angelasteten Eheverfehlungen überwiegend nicht gelungen. Sie hat lediglich ihre Beistandspflicht im März 1985 verletzt, als der Kläger wegen einer akuten Erkrankung in ein Sanatorium gebracht wurde, worauf sie in keiner Weise angemessen reagiert hat. Hingegen fällt ihre Äußerung über den Kläger gegenüber Elisabeth R*** nicht so schwer ins Gewicht, weil sie zum damaligen Zeitpunkt nach den Feststellungen an einer nervösen Erkrankung litt. Bei Gegenüberstellung der den Streitteilen anzulastenden Eheverfehlungen waren daher diejenigen des Klägers für die negative Entwicklung der Ehe wesentlich bedeutsamer als diejenigen der Beklagten, die sich weitgehend (Erkrankung des Klägers März 1985 - Erkrankung der Beklagten Silvester 1983) nur als Folge seines ehewidrigen Verhaltens darstellen. Aus diesem Grund kann in der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß das Verschulden des Klägers gegenüber jenem der Beklagten weitgehend in den Hintergrund tritt und daher das überwiegende Verschulden des Klägers an der Scheidung der Ehe auszusprechen war, keine Fehlbeurteilung erblickt werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E14648

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00533.88.0614.000

Dokumentnummer

JJT_19880614_OGH0002_0040OB00533_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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