TE OGH 1988/6/16 6Ob583/88

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Veröffentlicht am 16.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Iris F***, geboren am 21. September 1980, infolge Revisionsrekurses des Kindes, in Unterhaltssachen vertreten durch den Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten-Jugendhilfe, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgerichtes vom 16.März 1988, GZ R 121,122/88-60, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 12. Februar 1988, GZ 1 P 185/80-55, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Iris F*** wurde am 21.9.1980 in St.Pölten als uneheliche Tochter der Marianne F*** geboren. Die Vaterschaft zu diesem Kind hat Werner A*** am 13.10.1980 vor dem Magistrat der Stadt St.Pölten-Jugendhilfe anerkannt. Die minderjährige Iris F*** wird durch ihre, vom Erstgericht mit Beschluß vom 17.11.1980 zum Vorstand bestellte Mutter (ON 2) betreut.

Werner A*** verpflichtete sich zunächst mit Vereinbarung vom 13.10.1980 vor dem Magistrat der Stadt St.Pölten-Jugendhilfe ab 21.9.1980 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von 1.150 S für das Kind. Über Antrag des Magistrats der Landeshauptstadt St.Pölten-Jugendhilfe als besonderer Sachwalter des Kindes gemäß § 9 Abs 2 UVG vom 8.9.1987 (ON 39) erhöhte das Erstgericht mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß vom 29.9.1987 den monatlich zu leistenden Unterhaltsbeitrag des Vaters mit Wirkung vom 16.9.1987 auf 2.240 S (ON 42). Am 10.2.1988 teilte der Magistrat der Landeshauptstadt St.Pölten-Jugendhilfe dem Erstgericht mit, daß Werner A*** seit 8.2.1988 und voraussichtlich bis 7.4.1989 Haftstrafen verbüße (ON 52). Über Antrag des Werner A*** enthob das Erstgericht diesen mit Beschluß vom 12.2.1988 ab 1.3.1988 von seiner Pflicht zur Leistung von Unterhalt gegenüber dem Kind und begründete dies damit, daß der Vater "seit 8.2.1988 bis voraussichtlich 7.4.1989 in Haft" sei (ON 55). Mit gesondertem Beschluß vom gleichen Tag sprach das Erstgericht aus, daß der dem Kind mit Beschluß vom 19.10.1987 (ON 44) für die Zeit bis 31.1.1990 gewährte Unterhaltsvorschuß mit Ablauf des Februar 1988 eingestellt werde (ON 56).

Das Rekursgericht bestätigte mit dem angefochtenen Beschluß beide vom Magistrat der Landeshauptstadt St.Pölten-Jugendhilfe angefochtenen Beschlüsse ON 55 und 56. Der Magistrat hatte eine Abänderung des Beschlusses ON 55 dahingehend verlangt, daß der Vater von seiner Unterhaltsverpflichtung ab 1.3.1988 "für die Dauer der Haft" enthoben werde. Demgegenüber billigte das Rekursgericht die Fassung des Spruches des erstgerichtlichen Beschlusses, wonach der Unterhaltspflichtige auf unbefristete Zeit seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind enthoben sei, und führte aus: Durch die vom Magistrat gewünschte Formulierung werde das Wiederaufleben der vorher mit 2.440 S monatlich festgesetzten Unterhaltsverpflichtung vom Eintritt einer Tatsache, nämlich der Beendigung der Haft des Vaters, abhängig gemacht. Danach müßte aber das unterhaltsberechtigte Kind den Eintritt dieser Tatsache gemäß § 7 Abs 2 EO mittels öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunde beweisen oder eine Klage gemäß § 10 EO erheben. Die Aufbürdung einer solchen Nachweispflicht widerspräche dem Kindeswohl. Überdies sei nicht vorhersehbar, wie sich die finanziellen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen nach Verbüßung einer langen Strafhaft überhaupt darstellten. Nach der vorliegenden Beschlußfassung stehe es dem Unterhaltssachwalter frei, zeitgerecht die Festsetzung eines Unterhaltsbeitrages zu beantragen, sobald der Vater seine finanzielle Leistungsfähigkeit wieder erlangt habe. Nur gegen die Bestätigung des erstgerichtlichen Beschlusses ON 55 durch das Rekursgericht wendet sich der Revisionsrekurs des Kindes vertreten durch seinen besonderen Sachwalter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß (sowie den erstgerichtlichen Beschluß) aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Gemäß § 14 Abs 2 AußStrG sind Rekurse gegen Entscheidungen der zweiten Instanz über die Bemessung gesetzlicher Unterhaltsansprüche überhaupt unzulässig. Diese Bestimmung hat Vorrang vor § 16 Abs 1 AußStrG (EFSlg.52.755), das heißt daß in Unterhaltsbemessungsfragen jede Anfechtungsmöglichkeit - selbst eine solche nach § 16 Abs 1 AußStrG - ausgeschlossen ist (EFSlg.44.602, 52.710 u.a.). Nach dem Judikat 60 neu (SZ 27/177 gehört zur Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes die Beurteilung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten, der zur Deckung dieser Bedürfnisse vorhandenen Mittel, die vor der Leistung des Unterhaltspflichtigen heranzuziehen sind, sowie die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Um eine bloße Unterhaltsbemessungsfrage handelt es sich demnach, wenn bei Streit nur das Ausmaß, das Mehr oder Weniger einer Unterhaltsverpflichtung, betroffen wird (SZ 51/110; EFSlg.47.152, 52.694; 6 Ob 608/87 u.a.). Dabei ist die Beurteilung dieser Umstände durch die zweite Instanz auch dann unanfechtbar, wenn es strittig ist, ob sie zur völligen Ablehnung eines Anspruches auf Unterhaltsleistung führt (Punkte II und III des Judikates 60 neu; EFSlg.47.170, 49.863 u.a.). Ob und inwieweit die angefochtene Entscheidung die Unterhaltsbemessung betrifft, ist dem Inhalt der Entscheidung zu entnehmen. Hingegen ist aus dem Inhalt des Rechtsmittels abzuleiten, inwieweit zum Bemessungskomplex gehörige Fragen bekämpft werden (EFSlg.44.573, 47.138, 49.861, 52.690 u.a.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, daß der Rechtsmittelwerber die dem Unterhaltsbemessungskomplex (Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen) zugehörige Lösung der angefochtenen Entscheidung, wonach durch die Strafhaft des Vaters eine Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, die seine Enthebung von der Unterhaltspflicht bewirkte, nicht in Zweifel zieht. Er fühlt sich vielmehr dadurch beschwert, daß durch die getroffene Entscheidung kein Unterhaltstitel geschaffen bzw. der vorher bestandene (ON 42) ohne Befristung beseitigt worden ist. Einer solchen Rüge steht der Rechtsmittelausschluß des § 14 Abs 2 AußStrG nicht entgegen, weil sie eine Verfahrensfrage und nicht den Unterhaltsbemessungskomplex betrifft (vgl. EFSlg.44.611). Zu den danach auch vom Obersten Gerichtshof zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen gehören nämlich nicht nur die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels, die Rechtsmittellegitimation, das Vorliegen der inhaltlichen Voraussetzungen der Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Rechtsweges (Fasching, Kommentar, IV, 272), sondern auch andere rein verfahrensrechtliche Fragen, soweit sie nicht unmittelbaren Einfluß auf das Ausmaß des zugesprochenen Unterhaltes haben (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1867; EFSlg.52.685). Da es sich im vorliegenden Fall aber um eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes handelt, kann eine solche Prüfung nur unter den Voraussetzungen des § 16 Abs 1 AußStrG stattfinden. Der Rechtsmittelwerber ist daher auf die Anfechtungsgründe der offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit und der Nullität beschränkt. Eine allfällige Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften kann im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses nur dann wahrgenommen werden, wenn der Verletzung dieser Bestimmung wegen ihrer besonderen Bedeutung im Einzelfall das Gewicht einer Nullität im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG zukommt (EFSlg.44.682, 50.002, 52.805 u.a.). Der dort nicht näher umschriebene Begriff der Nullität ist grundsätzlich der Zivilprozeßordnung zu entnehmen, so daß § 477 ZPO sinngemäß anzuwenden ist (EFSlg.37.368, 44.683, 49.997 u.a.). In ganz besonderen Fällen ist auch solchen Verahrensverstößen, die nicht dem § 477 ZPO unterstellt werden könnten, das Gewicht einer Nichtigkeit beizumessen (EFSlg.37.369, 37.370 u.a.). Verfahrensverstöße können aber immer nur dann Nichtigkeit begründen, wenn sie von einschneidender Bedeutung sind (EFSlg.49.981; 4 Ob 573/87 u.a.). Dies hat die Rechtsprechung jedoch nur bei Verletzung fundamentaler Grundsätze angenommen, so etwa dann, wenn ein Verfahrensmangel geradezu eine Rechtsverweigerung zur Folge hätte (EFSlg.47.265, 52.807; 4 Ob 573/87 u.a.). Ein derartiger Verstoß ist dem Rekursgericht aber keineswegs unterlaufen, wenn es im Falle einer längeren Strafhaft des Unterhaltspflichtigen den Ausspruch der Enthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung ohne zeitliche Begrenzung für gerechtfertigt hielt. Ebenso wie nämlich die materiellrechtliche Frage, ob und in welchem Umfang die Unterhaltspflicht des Vaters für sein nicht selbsterhaltungsfähiges Kind für die Dauer seiner Strafhaft fortbesteht, im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist, so daß insoweit für die Rechtsanwendung ein Spielraum bleibt (vgl. zum umgekehrten Fall der Untersuchungshaft des Kindes: EvBl 1979/235), fehlt auch jegliche verfahrensrechtliche Regelung darüber, ob das Ruhen des Unterhaltsanspruches des Kindes bzw. die Enthebung des Vaters von seiner Unterhaltsverpflichtung spruchmäßig zeitlich befristet werden kann, darf oder sogar muß. Ein Verfahrensverstoß vom Gewicht einer Nullität konnte somit im Revisionsrekurs nicht aufgezeigt werden. Soweit der Magistrat aber eine Nichtigkeit geltend macht, weil ihm vor der erstgerichtlichen Beschlußfassung keine Möglichkeit der Stellungnahme zum Antrag des Vaters gegeben wurde, so ist er darauf zu verweisen, daß von einer im außerordentlichen Revisionsrekurs geltend zu machenden Nichtigkeit durch Verletzung des rechtlichen Gehörs dann nicht mehr gesprochen werden kann, wenn diese Verletzung im erstinstanzlichen Verfahren erfolgt sein soll und - wie hier - die vom Magistrat auch ausgenützte Gelegenheit bestand, diese angebliche Nichtigkeit im Rekurs aufzuzeigen (EFSlg.30.388, 37.153, 47.266, 49.984, 49.999 u.a.). Zu dem im Rekurs vorgebrachten Standpunkt des Magistrates zum Antrag des Vaters hat das Gericht zweiter Instanz im Gegensatz zu dessen Meinung sehr wohl Stellung genommen. Damit ist aber der angebliche Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens jedenfalls behoben. Abgesehen davon, hat der Magistrat selbst dem Erstgericht noch vor der Antragstellung des Vaters dessen Stafhaft bekanntgegeben.

Da somit keiner der geltend gemachten Anfechtungsgründe des § 16 Abs 1 AußStrG vorliegt, war der außerordentliche Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

Anmerkung

E14689

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0060OB00583.88.0616.000

Dokumentnummer

JJT_19880616_OGH0002_0060OB00583_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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