Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei "N*** H***" Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft in Oberösterreich, Gesellschaft mbH, Linz, Gärtnerstraße 9, vertreten durch Dr. Ulf Gastgeb, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Herbert H***, Buchhalter, und 2.) Melitta H***, Näherin, beide Attnang-Puchheim, Kubinweg 10, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 51.216,88 s.A., infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom 23. November 1987, GZ R 964/87-64, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 12. August 1987, GZ 2 C 1/87-58, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin hat auf der EZ 1909 KG Attnang-Puchheim eine Wohnanlage errichtet, in der sich auch Reihenhäuser befinden. Eines dieser Reihenhäuser haben die Beklagten gekauft. Die Errichtung wurde zum Teil durch ein Förderungsdarlehen der Oberösterreichischen Landesregierung finanziert.
Nach der Kaufanwartschaftsvereinbarung sind die Beklagten verpflichtet, die zur Tilgung und Verzinsung der Baudarlehen und zur Deckung der Instandhaltungs-, Verwaltungs- und Betriebskosten jeweils kostendeckend nach den gemeinnützigkeitsrechtlichen Bestimmungen und den Richtlinien des Ö*** V***
G*** BAU-, W***- UND S*** zu
errechnenden Beträge bis zum Dritten eines jeden Monates mittels Abbuchungsauftrages zu leisten. Die zu leistenden Beträge sollten nach Fertigstellung des Baues den tatsächlichen Kosten angeglichen werden.
Die Beklagten haben das Reihenhaus bereits bezogen. Nach Bezug stellten sich eine Reihe von Mängel heraus, die von der Klägerin nur zum Teil behoben wurden, obwohl die Beklagten deren Behebung verlangten. Unter Hinweis auf die Baumängel verweigern die Beklagten die Zahlung der von der Klägerin verlangten laufenden Beträge. Außerdem haben sie bereits durch außergerichtliche Kompensation zugunsten von Schadenersatzansprüchen, die als Folge der Baumängel entstanden sind, eine Tilgung der klägerischen Forderung erlangt. Soweit diese Schadenersatzansprüche noch nicht befriedigt worden sind, werden sie im vorliegenden Fall ebenfalls geltend gemacht. Hiebei handelt es sich insbesondere um Stromkosten, Wasserverbrauch, Telefon- und Telegrammspesen, Kilometergeld, Bankspesen, Aufräumungs- und Säuberungsarbeiten und vor allem auch Ansprüche wegen geminderter Wohnqualität (auf die detaillierte Wiedergabe des beiderseitigen Parteivorbringens im Urteil des Berufungsgerichtes wird verwiesen).
Das Erstgericht hat der Klägerin unter nicht mehr bekämpfter Abweisung eines Mehrbegehrens S 51.216,88 samt Stufenzinsen zugesprochen. Es traf hiebei Feststellungen über bereits behobene und noch vorhandene Schäden, über Verbesserungsversuche der Klägerin und über das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der Frage der Verbesserung. Nach diesen Feststellungen hatte die Klägerin auf Grund des Vertrages für den Zeitraum April 1984 bis Dezember 1986 einen Gesamtanspruch von S 198.229,41. Dieser Anspruch verminderte sich durch Zahlungen der Beklagten und von der Klägerin anerkannte Schadenersatzansprüche auf S 80.672,73. Gegenüber den anerkannten Schadenersatzforderungen der Beklagten bestünden jedoch weitere Forderungen, und zwar noch ein offener Rest an Einbuße für Wohnqualität von S 5.278,25, ein zusätzlicher Zeitaufwand aus Urlaub und Freizeit von S 2.713,-- sowie Sanierungskosten der Außenfassade einschließlich Umsatzsteuer von S 18.403,05, die Umsatzsteuer von bereits anerkannten Sanierungskosten von S 764,-- und die Kosten für die Abdichtung eines Spaltes zwischen einen Schuppen und dem Nachbarhaus von S 1.000,--, insgesamt also S 28.158,30. Dieser Betrag müsse von der festgestellten Gesamtforderung zusätzlich in Abzug gebracht werden, so daß der nach Klagseinschränkung noch offene Klagsbetrag (von S 51.216,88) zuzusprechen sei. Ein Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten bestehe nicht mehr, weil sie durch ihr Verhalten zu erkennen gegeben hätten, daß sie nicht mehr auf Verbesserung bestünden, sondern nur mehr Ersatzansprüche haben (siehe auch hier die detaillierte Wiedergabe der erstgerichtlichen Feststellungen und der erstgerichtlichen rechtlichen Beurteilung durch das Berufungsgericht). Das Berufungsgericht hat die erstgerichtliche Entscheidung im klagsstattgebenden Teil (die Klagsabweisung ist in Rechtskraft erwachsen) unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben. Hiebei führte es im wesentlichen folgendes aus:
Grundsätzlich könne der Käufer gemäß §§ 1052, 1062 ABGB die ihm obliegende Gegenleistung solange zurückbehalten, bis der Vorleistungspflichtige seine Leistung ordnungsgemäß erbracht hat. Das Zurückbehaltungsrecht bestehe sowohl zugunsten von Gewährleistungsansprüchen als auch zugunsten von Schadenersatzansprüchen. Voraussetzung sei die wechselseitige Abhängigkeit von Leistung und Gegenleistung. Eine solche Abhängigkeit bestehe zwischen der Übergabe eines Kaufobjektes und dem dafür geforderten Preis auch dann, wenn der Verkäufer mit Hilfe des Kaufpreises ein Darlehen zurückzahlen müsse. Der Kaufpreis könne solange zurückbehalten werden, bis die Leistung einwandfrei erbracht sei. Ein solches Zurückbehaltungsrecht bestehe allerdings nicht mehr, wenn der Käufer Entgeltminderung verlangt und hiedurch zu erkennen gegeben habe, daß er auf eine Verbesserung nicht bestehe. Im vorliegenden Fall hätten die Beklagten im erstgerichtlichen Verfahren zwar auch eine Minderung des Preises verlangt, jedoch nach wie vor ihren Verbesserungsanspruch aufrechterhalten. Es sei daher nicht einwandfrei erkennbar, ob ihr Verlangen auf Verbesserung und damit ihr Recht auf Zurückbehaltung des Kaufpreises endgültig erloschen sei. Diesbezüglich bedürfe es noch einer Klärung vor dem Erstgericht. Sollte sich hiebei ergeben, daß die Beklagten weiterhin auf der Behebung der vorhandenen Mängel bestehen, so müsse geprüft werden, ob solche Mängel noch vorhanden sind und inwieweit die Klägerin ihrer Verbesserungspflicht nachgekommen ist. Diesbezüglich sei das erstgerichtliche Verfahren noch ergänzungsbedürftig. Sollten sich im Zuge der Verfahrensergänzung nach wie vor nicht behobene Mängel herausstellen, können die Beklagten die Kaufpreiszahlung verweigern, wobei der Kaufpreis in den auf den Zeitraum Juli 1983 bis September 1986 entfallenden Annuitäten bestehe. Hinsichtlich der für diesen Zeitraum von der Klägerin vorgeschriebenen Betriebskosten, Verwaltungskosten und Beiträge zum Instandhaltungsfonds bestehe ein Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten hingegen nicht, weil diese Kosten nicht Bestandteil des Kaufpreises seien, sondern im Zusammenhang mit der Benützung des Objektes durch die Beklagten stehen. Hier sei kein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne der §§ 1052, 1062 ABGB gegeben. Die Beklagten hätten jedoch im Falle einer durch die Klägerin schuldhaft herbeigeführten Schädigung gemäß § 932 ABGB einen Schadenersatzanspruch, den sie der Klagsforderung mit Erfolg entgegensetzen könnten. Im Hinblick auf die Tatsache, daß bereits mehrere Verbesserungsversuche erfolglos unternommen worden seien, könne von einer schuldhaften Verursachung allfälliger Schäden durch die Klägerin ausgegangen werden. Die Höhe eines Teiles dieser Schäden müsse jedoch noch einer eingehenderen Klärung zugeführt werden.
Hätten dagegen die Beklagten auf ihren Verbesserungsanspruch verzichtet, so könnten sie lediglich Preisminderung verlangen. Die Preisminderung sei nach der sogenannten relativen Berechnungsmethode zu ermitteln. Auch in einem solchen Fall hätten die Beklagten das Recht, ihre Schadenersatzansprüche der klägerischen Forderung entgegenzusetzen. Was die verminderte Gebrauchsmöglichkeit anlange, so werde die grundsätzliche Berechtigung dieser Forderung der Beklagten durch das Erstgericht ebenso gebilligt, wie deren konkrete Ermittlung nach § 273 ZPO.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs ist nicht gerechtfertigt. Grundsätzlich richtig hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß das im § 1052 ABGB festgesetzte Leistungsverweigerungsrecht auf alle zweiseitig verbindlichen entgeltlichen Verträge anwendbar ist, bei denen nicht Vorleistung vereinbart wurde (Aicher in Rummel Rz 1 zu § 1052 JBl 1974, 146 u.a.). Unstrittig ist, daß das Leistungsverweigerungsrecht auch zugunsten von Gewährleistungsansprüchen besteht (SZ 53/63, MietSlg. 32.142 u.a.). Die in der Revision vertretene Rechtsansicht, das Leistungsverweigerungsrecht des Käufers erlösche, wenn dieser die Kaufsache annimmt, findet weder im Gesetz noch in Lehre und Rechtsprechung seine Deckung. Wie das Berufungsgericht richtig ausführt, soll die Einrede des § 1052 ABGB nicht nur den Leistungsberechtigten sichern, sondern auch auf den Willen des Gegners Druck ausüben. Sie ist ein geeignetes Mittel, den Veräußerer zu einer umgehenden Verbesserung zu bestimmen und den Erwerber der undankbaren Aufgabe zu entheben, die Beseitigung der Mängel durch einen Dritten zu erreichen. Der Erwerber darf daher die gesamte Leistung bis zur gehörigen Erfüllung des Vertrages, somit bis zur Verbesserung der mangelhaften Ware verweigern (SZ 53/63, MietSlg. 35.127 u.a.). Diese Erwägungen müssen aber auch dann gelten, wenn der nachleistungspflichtige Käufer, vielleicht in Unkenntnis der bestehenden Mängel, die Kaufsache annimmt, ohne jedoch auf die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen zu verzichten. Auch in einem solchen Fall besteht das Bedürfnis einer Druckausübung auf den vorleistungspflichtigen Verkäufer. Diese Erwägungen sind nicht speziell auf Fragen des Wohnungseigentumes abgestellt, wenn auch einzelne der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen Wohnungseigentumsverträge zum Gegenstand hatten. Diese Entscheidungen argumentierten nicht mit dem Wohnungseigentumsgesetz, sondern mit den allgemeinen Bestimmungen des ABGB. Vor allem aber wurde in Entscheidungen, die mit dem Wohnungseigentum überhaupt nichts zu tun haben, ausdrücklich ausgeführt, daß gerade der Nachleistungspflichtige ein Leistungsverweigerungsrecht hat (Aicher in Rummel Rz 11 a, SZ 44/118, EvBl 1980/202 u.a.), ohne daß eine Annahme der Vorleistung als Grund für einen Verlust dieses Rechtes angeführt wurde. Darüber hinaus wird in der Lehre (Aicher in Rummel Rz 7 zu § 1052) die Rechtsansicht vertreten, daß der Vertragsgegner mit Einrede die eigene Leistung zur Gänze auch dann verweigern kann, wenn der Vertragspartner nur eine Teilleistung anbietet. In einer weiteren Entscheidung (SZ 53/63) hat der Oberste Gerichtshof die oben erwähnte Rechtsansicht gerade in einem Fall vertreten, in dem bereits die Vorleistung angenommen worden war.
Richtig hat also das Berufungsgericht erkannt, daß ein Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten nicht durch den Umstand ausgeschlossen wird, daß diese den Kaufgegenstand bereits übernommen haben.
Es trifft allerdings zu, daß das Leistungsverweigerungsrecht des Käufers dann erlischt, wenn dieser an seiner Stelle Preisminderung verlangt oder eine Verbesserung durch den vorleistungspflichtigen Verkäufer entweder ausdrücklich untersagt oder durch sein Verhalten unmöglich macht. Dies hat das Berufungsgericht ohnedies dargelegt. Seine Rechtsansicht ist in diesem Punkte richtig. Es hat lediglich den festgestellten Sachverhalt als nicht ausreichend zur abschließenden Beurteilung dieser Frage erachtet. Geht das Berufungsgericht von einer richtigen Rechtsansicht aus, vertritt es aber den Standpunkt, daß der festgestellte Sachverhalt zur abschließenden Beurteilung noch nicht ausreicht, so handelt es sich hiebei um einen Akt der Tatsachenfeststellung, in den der Oberste Gerichtshof nicht eingreifen kann (SZ 44/108, SZ 43/167 u.a.). Dem Obersten Gerichtshof ist demnach auch die Möglichkeit entzogen, der Ansicht des Berufungsgerichtes, bereits vorliegende Sachverständigengutachten seien keine ausreichende Feststellungsbasis, entgegenzutreten.
Dem Berufungsgericht muß auch dahin beigepflichtet werden, daß der Inhalt eines einzelnen Schreibens nicht unbedingt einen Verzicht auf das Leistungsverweigerungsrecht bedeuten muß. Vielmehr wird man die Bedeutung eines solchen Schreibens nur im Zusammenhang mit den gesamten Umständen des Falles beurteilen können. Auch hier handelt es sich aber um einen Akt der Tatsachenfeststellungen, weil darunter auch die Beurteilung fällt, ob die bisherigen Verfahrensschritte und deren Ergebnisse eine abschließende Beurteilung des Verhaltens der Parteien in der einen oder in der anderen Richtung zulassen oder nicht. Da das Berufungsgericht auch in diesem Punkte die Rechtssache grundsätzlich richtig beurteilt hat, gilt das oben Gesagte, nämlich, daß der Oberste Gerichtshof dem Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichtes nicht entgegentreten kann.
Die einzuhaltende Vorgangsweise bei Errechnung eines Preisminderungsanspruches im Falle eines Verzichtes auf das Leistungsverweigerungsrecht wurde vom Berufungsgericht ebenfalls richtig dargelegt. Bezüglich der einzelnen Schadenersatzansprüche enthält der Rekurs keine Ausführungen.
Das Berufungsgericht hat seinen Rechtskraftvorbehalt unter anderem auch damit begründet, daß keine eindeutige Judikatur bezüglich der Entschädigung für eine Minderung der Gebrauchsmöglichkeit durch verminderte Wohnqualität vorliegt. Auf diese Frage muß der Oberste Gerichtshof jedoch nicht eingehen. Diese Gegenforderung haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 23. Mai 1985 (ON 23) geltend gemacht. In der Tagsatzung vom 16. September 1985 (S. 110 d.A.) hat die Klägerin einen solchen Anspruch grundsätzlich anerkannt und lediglich die geltend gemachte Höhe bestritten. Das Erstgericht hat einen derartigen Anspruch der Beklagten grundsätzlich für berechtigt erachtet (S. 349 d.A.) und ihn unter Heranziehung des § 273 ZPO mit 30 % der jeweiligen Darlehensrückzahlungsquote bemessen. Der teilweisen Klagsabweisung lag auch ein solcher Anspruch zugrunde. In der Berufung haben die Beklagten diese Quote als zu gering erachtet (S. 363 d.A.). Die Berufungsmitteilung der Klägerin anerkennt diesen Anspruch wieder grundsätzlich und bezeichnete die durch das Erstgericht vorgenommene Ausmessung als richtig (S. 381 f d.A.). Schließlich enthält die Entscheidung des Berufungsgerichtes ausführliche Ausführungen zu dieser Frage, wobei ein Anspruch der Beklagten aus dem erwähnten Rechtstitel ausnahmsweise bejaht wird (S. 445 f d.A.). Der nunmehrige Rekurs nimmt zu diesem Punkt überhaupt nicht Stellung. Aus dem gesamten prozessualen Verhalten der Klägerin ergibt sich, daß der Anspruch der Beklagten wegen geminderter Gebrauchsmöglichkeit dem Grunde nach anerkannt worden ist. Die Klägerin ist auch mit der Ausmessung dieses Anspruches einverstanden. Dies erübrigt aber eine Behandlung der Frage, ob solche Schadenersatzansprüche im allgemeinen bestehen oder nicht. Der Rekurs erweist sich demnach als nicht gerechtfertigt. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E14699European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00592.88.0616.000Dokumentnummer
JJT_19880616_OGH0002_0070OB00592_8800000_000