TE OGH 1988/6/16 7Ob602/88

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Veröffentlicht am 16.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1.) Karl M***, ÖBB-Bediensteter, und 2.) Maria M***, Hausfrau, beide Lauterach, Austraße 13, vertreten durch Dr. Richard Kempf, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die Antragsgegner

1.)

Maria K***, Hausfrau, Wolfurt, Hofsteigstraße 14, und

2.)

Alfons L***, Pensionist, Wolfurt, Frühlingsstraße 9, beide vertreten durch Dr. Hans Werner Tarabochia und Dr. Walter Geisselmann, Rechtsanwälte in Bregenz, 3.) Walter M***, Angestellter, Wolfurt, Frühlingsstraße 10 und 4.) Barbara M***, Hausfrau, ebendort, die beiden letzten vertreten durch Dr. Wilhelm Winkler und Dr. Gebhard Winkler-Heinzle, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen Einräumung eines Notweges, infolge der Revisionsrekurse der Antragsgegner gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 30.März 1988, GZ 1 c R 63/88-57, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Bregenz vom 17.Dezember 1987, GZ 1 Nc 71/84-50, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Antragsteller sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 2020 KG Wolfurt mit dem Grundstück 118 Wiese. Die Antragsgegner sind Eigentümer angrenzender Liegenschaften, über die die Antragsteller die Einräumung eines Notweges begehren. Im ersten Rechtsgang wurde dieser Antrag mit der Begründung abgewiesen, die Antragsteller hätten ihre Notlage dadurch selbst verschuldet, daß sie ein Grundstück erworben haben, bezüglich dessen ihnen bekannt sein mußte, daß es keinen Zugang zum öffentlichen Wegenetz hat. Das Rekursgericht hatte diese Entscheidung mit der Begründung aufgehoben, die bloße Kenntnis des Fehlens eines Zuganges zum öffentlichen Wegenetz begründet keine auffallende Sorglosigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Notwegegesetz.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluß vom 5.März 1987, 7 Ob540/87-43 (RZ 1987/61), die Entscheidung des Rekursgerichtes im Ergebnis bestätigt, hiebei jedoch ausgeführt, es sei zwar richtig, daß die bloße Kenntnis des Fehlens eines Zuganges zum öffentlichen Wegenetz die im § 2 Abs. 1 Notwegegesetz geforderte auffallende Sorglosigkeit nicht begründe, doch könne der diesbezügliche Tatbestand dann erfüllt worden sein, wenn die Antragsteller die Liegenschaft in Kenntnis des Umstandes erworben hätten, daß ein Anspruch auf Einräumung eines Notweges bereits rechtskräftig abgewiesen worden sei. In diesem Zusammenhang müsse berücksichtigt werden, daß im vorliegenden Fall ein Antrag von Rechtsvorgängern der Antragsteller auf Einräumung eines Notweges im Jahre 1964 zu 1 Nc 18/63 des Bezirksgerichtes Bregenz mit der Begründung abgewiesen wurde, die Notlage sei durch auffallende Sorglosigkeit verursacht worden. Bezüglich der auffallenden Sorglosigkeit der Rechtsvorgänger der Antragsteller sei das Gericht an die Entscheidung des Vorverfahrens gebunden. Es müsse also geprüft werden, wie die Nachbarn ihre Weigerung auf Einräumung eines Notweges gegenüber den Klägern begründet hätten und inwieweit ein redlicher Kaufwerber aus dieser Begründung das Bestehen gesetzlicher Hindernisse für die Einräumung eines Notweges ableiten mußte. Allerdings sei zu beachten, daß unter "auffallender Sorglosigkeit" im Sinne des § 2 Abs. 1 Notwegegesetz nur grobe Fahrlässigkeit zu verstehen sei (im übrigen sei bezüglich des Akteninhaltes auf die erwähnte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes verwiesen). Im zweiten Rechtsgang hat das Erstgericht den Antrag auf Einräumung eines Notweges neuerlich wegen auffallender Sorglosigkeit bei Erwerb der Liegenschaft durch die Antragsteller abgewiesen, wobei es im wesentlichen folgendes feststellte:

Im Zuge von Gesprächen der Antragsteller mit dem Antragsgegner Alfons L*** hat dieser erklärt, jene Liegenschaft, die die Antragsteller zu erwerben gedenken, habe keine Zufahrt und auch er werde einer solchen Zufahrt nicht zustimmen. Diesbezüglich sei bereits ein Prozeß geführt und von den Rechtsvorgängern der Antragsteller verloren worden (in Berichtigung der erstgerichtlichen Feststellungen stellte das Rekursgericht fest, daß Alfons L*** damals nur von einem "Prozeß" beim Bezirksgericht Bregenz, nicht aber von einem Notwegeverfahren gesprochen hat. Von dem Verfahren 1 Nc 18/63 des Bezirksgerichtes Bregenz erlangten die Antragsteller erst nach Ankauf der Liegenschaft Kenntnis). Der Umstand, daß die Liegenschaft keine Zufahrt habe, wurde den Antragstellern auch von Rechtsvorgängern bestätigt.

Das Rekursgericht hob die erstgerichtliche Entscheidung neuerlich auf wobei es ausführte, aus dem Hinweis auf einen "Prozeß" hätten die Antragsteller noch nicht entnehmen müssen, daß die Frage der Einräumung eines Notweges bereits einmal Verfahrensgegenstand war. Diese Mitteilung für sich allein würde daher die Abweisung ihres Begehrens unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 Notwegegesetz nicht rechtfertigen. Es müsse vielmehr durch ergänzende Einvernahme des Alfons L*** und allenfalls der Antragsteller geklärt werden, ob die Antragsteller vor Abschluß des Kaufvertrages Kenntnis von einer Entscheidung hatten, mit der ein Antrag ihrer Rechtsvorgänger auf Einräumung eines Notweges abgewiesen worden ist.

Der von den Antragsgegnern gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist nicht gerechtfertigt. Bezüglich der rechtlichen Beurteilung kann auf die Ausführungen des bereits erwähnten Beschlusses des Obersten Gerichtshofes vom 5. März 1987, 7 Ob 540/87 (RZ 1987/61), verwiesen werden. Eine auffallende Sorglosigkeit der Antragsteller im Sinne des § 2 Abs. 1 Notwegegesetz würde also nur vorliegen, wenn diese bei Erwerb der Liegenschaft grob fahrlässig keine Kenntnis davon gehabt hätten, daß bereits eine gerichtliche Entscheidung den Anspruch ihrer Rechtsvorgänger auf Einräumung eines Notweges verneint hat bzw wenn sie, ungeachtet dieser Kenntnis, die Liegenschaft erworben hätten. Beim Grad der Fahrlässigkeit ist auf den Einzelfall abzustellen (SZ 56/166 ua). Als auffallende Sorglosigkeit (grobe Fahrlässigkeit) kann ein Versehen nur dann gewertet werden, wenn es sich über das Maß der alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt, wobei der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich voraussehbar ist (EvBl 1987/94, EvBl 1973/265 ua). Die grobe Fahrlässigkeit erfordert, daß ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (VersRdsch 1988, 100 ua).

Richtig hat das Rekursgericht erkannt, daß die bloße Mitteilung eines für die Rechtsvorgänger der Antragsteller negativ ausgegangenen Prozesses bezüglich eines Durchganges über die Liegenschaft eines Nachbarn noch nicht den Schluß auf ein stattgefundenes Notwegeverfahren nahelegt. Viel häufiger als derartige Verfahren sind Besitzstreitigkeiten zwischen Nachbarn und allenfalls Prozesse über behauptete Wegedienstbarkeiten. Hätten aber die Rechtsvorgänger der Antragsteller derartige Prozesse verloren, so würde dies keinen Schluß auf die Verneinung des Rechtes auf Einräumung eines Notweges zulassen, weil schließlich gerade das Fehlen eines Privatrechtstitels Voraussetzung für eine solche Einräumung wäre. Demnach würde die bloße Mitteilung über einen solchen "Prozeß", noch dazu ohne Bekanntgabe jener Daten, die den Antragstellern eine Prüfung der Rechtslage anhand der Verfahrensakten oder der in dem Verfahren ergangenen Entscheidungen ermöglichen könnten, noch keine grob fahrlässige Unkenntnis eines der Einräumung eines Notweges entgegenstehenden Hindernisses begründen. Eine allfällige Sorglosigkeit der Interessenten an einer Liegenschaft würde in einem solchen Falle das durchschnittliche Ausmaß noch nicht übersteigen.

Die Rechtsansicht des Rekursgerichtes ist demnach richtig. Ist aber das Rekursgericht, ausgehend von einer richtigen Rechtsansicht, zu dem Ergebnis gelangt, daß zur abschließenden Beurteilung noch zusätzliche Verfahrensschritte erforderlich sind, so handelt es hiebei im Rahmen der Tatsachenfeststellungen. Der Oberste Gerichtshof kann daher in derartigen Fällen der Ansicht des Rekursgerichtes, das erstgerichtliche Verfahren sei noch ergänzungsbedürftig, nicht entgegentreten (vgl SZ 44/108 ua). Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 25 Notwegegesetz iVm § 52 ZPO.

Anmerkung

E14695

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00602.88.0616.000

Dokumentnummer

JJT_19880616_OGH0002_0070OB00602_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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