TE OGH 1988/6/27 5Ob574/88

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Veröffentlicht am 27.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Pflegschaftssache der ehelich geborenen minderjährigen Kinder Ilse B***, geboren am 9. Juni 1972, Schülerin, und Hans-Georg B***, geboren am 16. November 1973, Schüler, beide Gärtnergasse 13, 2230 Gänserndorf, und beide vertreten durch die Mutter Ilse B***, Vertragsbedienstete, Gärtnergasse 13, 2230 Gänserndorf, diese vertreten durch Dr. Heide Strauss, Rechtsanwalt in Gänserndorf, infolge Revisionsrekurses des Vaters Johann B***, Landwirt, Baumgarten an der Mach 32, 2295 Oberweiden, vertreten durch Dr. Georg Stenitzer, Rechtsanwalt in Laa an der Thaya, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 3. Mai 1988, GZ 5 R 90/88-163, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 4. März 1988, GZ P 24/85-153, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die im 17. Lebensjahr und im 15. Lebensjahr stehenden Kinder entstammen der am 24. August 1971 geschlossenen und mit dem seit dem 4. Juli 1984 rechtskräftigen Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 10. Mai 1984 zu 1 Cg 33/84 geschiedenen Ehe ihrer Eltern. Schon am 29. Mai 1984 hatte das Pflegschaftsgericht entschieden, daß alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen den Eltern und den minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten künftig allein der Mutter zustehen. Die Ausübung des Rechtes des Vaters, mit seinen Kindern persönlich zu verkehren, war mit dem vor dem Erstgericht zustande gekommenen Vergleich am 6. März 1986 dahin geregelt, daß die Kinder vom Vater an jedem ersten und dritten Sonntag des Monats um 8 Uhr übernommen und bis 18 Uhr zur Mutter zurückgebracht werden.

In der Folge kam es im Zusammenhang mit der Ausübung dieses Besuchsrechtes zu Unstimmigkeiten. Streitigkeiten der geschiedenen Elternteile führten zu strafgerichtlichen Verfahren. Die Mutter beantragte, das Besuchsrecht auszusetzen. Das Erstgericht verfügte am 9. Dezember 1986, daß bis zur Erledigung dieses Antrages die Durchsetzung der Besuchsrechtsregelung vom 6. März 1986 ausgesetzt und dem Vater jeder Kontakt mit den Kindern untersagt werde. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß am 10. März 1987.

Ein am 16. Juli 1987 vor dem Erstgericht bedingt abgeschlossener Vergleich, wonach die Ausübung des Besuchsrechtes durch den Vater dahin beschränkt werden sollte, daß der Vater die Kinder an jedem letzten Samstag im Monat um 13 Uhr zu sich nehmen könne und sie um 19 Uhr zurückzubringen habe, wurde nicht wirksam, weil die Mutter den Widerruf erklärte.

Das Erstgericht entschied nach einer durch die Ablehnung des Richters bedingten Verzögerung mit dem Beschluß vom 4. März 1988 unter anderem, daß dem Vater das Besuchsrecht dahin eingeräumt wird, daß er berechtigt und verpflichtet ist, beide Kinder an jedem ersten und dritten Samstag im Monat um 14 Uhr in einem bestimmten Kaffeehaus in Gänserndorf abzuholen und um 19 Uhr des selben Tages dorthin zurückzubringen (Punkt 1). Der Antrag der Mutter, "das Besuchsrecht des Vaters auf ein weiteres Jahr zu unterbrechen", wurde abgewiesen. Das Erstgericht meinte, die Mutter habe die Kinder gegen den Vater, der seit seiner Haft die Aggressionen gegen die Mutter abgebaut und darauf beschränkt habe, daß ihm das Recht zum persönlichen Verkehr vorenthalten wurde, beeinflußt und es bedürfe eines eingeschränkten Besuchsrechtes, um trotz der Weigerung der Kinder ihre Beziehungen zum Vater wieder herzustellen. Das Rekursgericht änderte über den von der Mutter gegen diese Anordnungen erhobenen Rekurs den in anderen Punkten unangefochten gebliebenen Beschluß des Erstgerichtes nach ergänzenden Erhebungen, zu deren Ergebnis die Parteien Stellung nehmen konnten, ab und verfügte, daß dem Vater das Besuchsrecht aberkannt werde. Es ging dabei von den Feststellungen aus, die sich wie folgt zusammenfassend darstellen lassen:

Der Vater hat sich seit Anfang September 1986 nicht an die Regelung des Besuchsrechtes gehalten und die Kinder zu spät abgeholt oder zu früh oder zu spät heimgebracht. Er beschimpfte die Mutter am 7. September 1986 öffentlich vor den Kindern, nahm den Sohn außerhalb der Besuchszeit gegen den Willen der Mutter zu sich und nahm, wenn er den Personenkraftwagen des (verheirateten) Bekannten der Mutter vor deren Wohnung stehen sah, den Sohn auch über Nacht zu sich. Es kam wiederholt zu Beschimpfungen und schließlich auch Bedrohungen der Mutter der Kinder. Der Vater wurde vom Strafgericht rechtskräftig der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er die Mutter Ende 1986 und ihren Freund Anfang 1987 wiederholt gefährlich bedroht, am 2. Jänner 1987 der Mutter durch Schläge gegen den Kopf eine Schwellung und Schädelprellung und am 15. Feber 1987 ihrem Freund durch Faustschläge und Fußtritte Prellungen des Schädels und an der rechten Hüfte zugefügt hat.

Das Mädchen Ilse B*** besucht die sechste Klasse am neusprachlichen Gymnasium in Gänserndorf mit gutem bis sehr guten Erfolg. Nur in Deutsch droht die Note Genügend. Sie lehnt den Vater ab, weil sie sich für ihn geniert, wenn er Leute anredet, die ihm nicht zuhören. Sie läßt sich am Telefon verleugnen und will den Vater nicht sehen, weil er ihre Mutter mehrmals beschimpft hat. Der Knabe Hans-Georg B*** war zunächst seinem Vater sehr zugetan. Er schrieb dem Vater, bei dem er vom 19. November 1986 bis zum 1. Dezember 1986 lebte, bis er dem Vater abgenommen und im Rahmen der freiwilligen Erziehungshilfe im Landesjugendheim Matzen untergebracht wurde, zahlreiche Briefe, aus denen eine Zuneigung und ein Wunsch nach einem Zusammensein zu ersehen ist. Erst im Laufe des Jahres 1987 änderte er seine Einstellung und will nun den Vater nicht einmal für wenige Stunden sehen und ihn auch nicht anrufen. Auch er will mit dem Vater nicht mehr zusammenkommen. Auf dieser verbreiterten Sachverhaltsgrundlage kam das Rekursgericht zu dem Ergebnis seiner rechtlichen Beurteilung, daß auch bei der Regelung des allgemein anzuerkennenden Menschenrechts und Grundrechts der Eltern-Kind-Beziehung des persönlichen Verkehres des Kindes mit dem Elternteil, dem Pflege und Erziehung nicht zustehen, das Wohl und das Interesse des Kindes zu beachten und der Wille mündiger Kinder zu berücksichtigen sei. Bei Bestehen von Spannungen zwischen den Eltern und der Weigerung der über 14 Jahre alten Kinder sei es zum Wohl der Kinder und Förderung ihrer gedeihlichen Entwicklung in der Pubertät erforderlich, das Besuchsrecht abzuerkennen. Mündige Kinder gegen ihren, zwar durch Parteinahme für die Mutter und deren Beeinflussung teilweise erklärbaren, aber doch verfestigten Willen zur Duldung des Besuchsrechtes zu zwingen, liege nicht im Interesse der Kinder und diene nicht ihrem Wohl.

Gegen diesen abändernden Beschluß des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, die erstgerichtliche Regelung wieder herzustellen. Der Revisionsrekurswerber macht mit dem Hinweis auf die Bedeutung des persönlichen Kontakts zu seinen Kindern für deren Wohl und die nur auf die Aufhetzung durch die Mutter zurückzuführende Störung der guten Beziehung eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache durch das Rekursgericht geltend.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Die Vorinstanzen haben die Bedeutung des Rechtes auf persönlichen Verkehr (§ 148 Abs 1 ABGB) wohl erkannt und im ernsten Bemühen um eine ausreichende Feststellung aller für die richterliche Regelung bedeutsamen Umstände den Sachverhalt umfassend erhoben. Der vom Rekursgericht gewonnene Eindruck aus den Angaben der mündigen Minderjährigen, die zumindest zur Zeit jedes Beisammensein mit dem Vater ablehnen, zeigt, daß zu der bewußten Einstellung der Kinder nicht bloß die Beeinflussung durch die Mutter geführt hat, sondern vor allem das Verhalten des Vaters, das auch zu einem strafgerichtlichen Schuldspruch führte und für die Willensbildung der Heranwachsenden, die bei der Mutter leben und in der Lage sind, ihre Beziehung zum Vater selbständig zu beurteilen, von maßgebendem Einfluß sein mußte. Während das Erstgericht meinte, der Vater habe seither seine Aggressionen gegen die Mutter abgebaut und es sei daher angebracht, durch einen eingeschränkten Kontakt in wenigen Stunden des Monats die abgebrochene Beziehung der Kinder zum Vater wieder aufzubauen, hat das Rekursgericht auf Grund der eigenen Erhebungen befunden, daß es nötig wäre, den ausgeprägten Willen der Kinder zu brechen und sie dazu zu zwingen, zu den Besuchszeiten mit dem Vater zusammenzukommen, den sie derzeit ablehnen. Diese Willensbeugung widerspreche ihrem Wohl.

Spannungen zwischen den Eltern dürfen zu einer Entziehung des Besuchsrechtes nur dann führen, wenn das Wohl des Kindes, das oberster Grundsatz jeder Besuchsrechtsregelung ist

(EFSlg. 43.222 uva), gefährdet wird, etwa dann, wenn das Kind in das gespannte Verhältnis zwischen den Eltern einbezogen und seine psychische Entwicklung gefährdet wird, weil das Kind zu einer Parteinahme gezwungen und seine Einstellung zu einem Elternteil negativ geprägt wird (EFSlg. 38.283; EFSlg. 51.197 ua). Beide Elternteile trifft zwar das wesentliche Verhaltensgebot, die Liebe und Zuneigung des Kindes zu Vater und Mutter in gleicher Weise zu fördern. Gerade nach dem Scheitern der Ehe der Eltern kommt der Befolgung dieses Gebotes für das richtig verstandene Wohl des Kindes, seine Charakterbildung und sein seelisches Gleichgewicht besondere Bedeutung zu. Auch das Kind soll das Recht des Vaters, der getrennt lebt, auf den zur Pflege und Förderung der zwischenmenschlichen Beziehungen, des wechselseitigen Verständnisses, des Bandes der familiären Liebe und Zuneigung und der Charakterbildung unentbehrlichen und notwendigen persönlichen Verkehr achten. Während aber das unmündige Kind der verantwortungsbewußten und vernünftigen Leitung seines Verstandes durch den Elternteil, dem die Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten zukommt, bedarf (EFSlg. 45.736), muß mündigen Minderjährigen im 15. und 17. Lebensjahr eine verstandesmäßige Willensbildung zugestanden werden, die, wird sie durch Zwangsmaßnahmen gebrochen, die Kind-Vater-Beziehung nicht fördern kann. Es ist deshalb nicht sinnvoll, einen mündigen Minderjährigen zur Aufnahme des persönlichen Verkehrs zu zwingen, weil dadurch seine ablehnende Haltung nur noch vertieft und verstärkt würde (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 148; EFSlg. 45.737; EFSlg. 45.738; EFSlg. 45.739; 7 Ob 617/87 ua). Es darf nicht übersehen werden, daß es der Vater war, der sich an die vereinbarte Regelung der Ausübung des Rechtes auf persönlichen Verkehr nicht gehalten und Gewalttaten gegen die Mutter der Heranwachsenden gesetzt hat, die noch nicht zu lange zurückliegen und für die Willensbildung der Kinder neben der verständlichen ablehnenden Haltung der Mutter sehr wohl von Bedeutung waren. In ihrer charakterlichen Verselbständigung kann die festgestellte Ablehnung von Zusammenkünften mit dem Vater durch die mündigen Minderjährigen nicht unbeachtet bleiben. Diesen ihren Willen mit Gewalt zu beugen, müßte für ihre seelische Entwicklung gerade in der gegenwärtigen Entwicklungsphase nachteilige Auswirkungen zeigen, ohne das dadurch angestrebte Ziele näherzubringen, die Kind-Vater-Beziehung wieder herzustellen, zu festigen und zu fördern. Es liegt daher ein ausreichender Grund vor, die Ausübung des Rechtes nach den gegenwärtigen Verhältnissen ganz zu untersagen.

Anmerkung

E14670

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0050OB00574.88.0627.000

Dokumentnummer

JJT_19880627_OGH0002_0050OB00574_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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