Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §14 Abs1 Z5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des NM in P, vertreten durch Dr. Helfried Krainz, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Gesellenhausstraße 15, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. August 2003, Zl. 212.566/0-X/30/99, betreffend Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 14 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Dem Beschwerdeführer, einem aus dem Sandzak stammenden Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro, war mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. Juni 1992 Asyl gewährt worden.
Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 26. September 1997 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB, des Vergehens der Blutschande nach § 211 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach den §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 und 106 Abs. 1 Z 1 StGB sowie wegen des Vergehens der versuchten Bestimmung zur falschen Beweisaussage vor Gericht nach den §§ 15 Abs. 1, 12 2. Alternative und 288 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt. Gemäß den Urteilsfeststellungen hatte der Beschwerdeführer vom 11. Mai 1997 bis 2. Juli 1997 seine damals 15-jährige Tochter in zumindest sechs Fällen mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, ihr am 2. Juli 1997 angedroht, sie in Stücke zu schneiden, wenn sie jemandem etwas von den Vorfällen erzähle, und schließlich am 8. Juli 1997, in der Untersuchungshaft, seine Ehegattin dazu zu bestimmen versucht, auf die gemeinsame Tochter dahingehend einzuwirken, dass diese vor Gericht die Vergewaltigungen in Abrede stelle.
Der ab 2. Juli 1997 in Haft befindliche Beschwerdeführer verbüßte die über ihn verhängte zweijährige Haftstrafe zur Gänze; ein Antrag auf bedingte Entlassung gemäß § 46 Abs. 1 StGB war vom Landesgericht Linz, bestätigt durch das Oberlandesgericht Linz, im Hinblick auf dagegensprechende spezialpräventive Gründe abgewiesen worden.
Mit Bescheid vom 27. August 1999 wurde das dem Beschwerdeführer gewährte Asyl gemäß § 14 Abs. 1 Z 5 AsylG aberkannt und gemäß § 14 Abs. 2 leg. cit. festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme; weiters wurde seine Abschiebung "in die BR Jugoslawien" gemäß § 14 Abs. 3 AsylG für zulässig erklärt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 21. August 2003 gemäß § 14 Abs. 1 Z 5 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Außerdem stellte die belangte Behörde gemäß § 14 Abs. 3 leg. cit. iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien und Montenegro zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 14 Abs. 1 Z 5 AsylG ist Asyl von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Fremden aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik darstellen oder von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sind und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuten. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine solche durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.
Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat, müssen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit der eben zitierte Aberkennungstatbestand - in seiner fallbezogen in Betracht kommenden zweiten Alternative - erfüllt ist: Der Fremde müsse erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssten die Interessen des Zufluchtstaates jene des Fremden überwiegen (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 2002, Zl. 99/01/0449, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird; vgl. zu § 13 Abs. 2 AsylG auch zuletzt das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2003, Zl. 2001/20/0148).
Die belangte Behörde hat sich mit den dargestellten Voraussetzungen der Asylaberkennung nach § 14 Abs. 1 Z 5 AsylG beschäftigt. Sie gelangte dabei zu der Annahme, der Beschwerdeführer sei gemeingefährlich, weil von einer Wiederholungsgefahr betreffend die Verübung eines besonders schweren Verbrechens ausgegangen werden müsse. Einschränkend legte die belangte Behörde allerdings zugrunde, dass diese Wiederholungsgefahr gemäß dem von ihr im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie "nicht groß" sei.
In dem eben angesprochenen Gutachten, erstellt am 9. April 2002, hat die Sachverständige ua. ausgeführt, dass sich beim Beschwerdeführer "auf Grund der Entwicklung, Vorgeschichte und Tatumstände" derzeit keine Neigung im Sinne süchtigen Verhaltens zu weiteren Sexualdelikten ableiten lasse, und dass aus wissenschaftlichen Untersuchungen bekannt sei, dass Inzesttäter nur selten eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellten und bei Trennung von der Familie auch keine Wiederholungsgefahr bestehe. Als "ungünstig für die weitere Prognose" erachtete sie "die stark verleugnende Haltung" des Beschwerdeführers, den Umstand, dass bisher keine Auseinandersetzung mit der Tat stattgefunden habe und die äußerst brutale Vorgangsweise, mit der der Beschwerdeführer laut Gerichtsakt bei den Vergewaltigungen sowie bei den nachfolgenden Versuchen, die Tat zu verbergen, vorgegangen sei. In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 22. Oktober 2002 präzisierte die Sachverständige, dass die Gefahr eines Rückfalls nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne und dass eine Therapie dieses Restrisiko sicherlich minimieren würde.
Ist im Hinblick auf diese Äußerungen der Sachverständigen, denen sich die belangte Behörde klar erkennbar zur Gänze anschloss, die oben erwähnte "nicht große" Wiederholungsgefahr - insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass aus wissenschaftlichen Untersuchungen bekannt sei, dass Inzesttäter nur selten eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellten und bei Trennung von der Familie auch keine Wiederholungsgefahr bestehe - im Sinn eines "Restrisikos" zu verstehen, so kann nicht von einer für die Anwendung des Aberkennungstatbestandes des § 14 Abs. 1 Z 5 AsylG erforderlichen negativen Zukunftsprognose bezüglich des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Dies auch deshalb, weil die Verurteilung durch das Landesgericht Linz vom 26. September 1997 die einzige strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers darstellt und weil er sich somit bei Erlassung des bekämpften Bescheides bereits mehr als sechs Jahre (bezogen auf die seinerzeitige Tatbegehung) bzw. mehr als vier Jahre (bezogen auf die Haftentlassung) wohlverhalten hat (siehe auch die Hinweise auf die im gegebenen Zusammenhang vergleichbare deutsche Praxis zu Zurückweisungen bei Kälin, Grundriss des Asylverfahrens (1990), 230, wonach diese prinzipiell nur für Wiederholungstäter bzw. bei klarer Wiederholungsgefahr für ein besonders schweres Verbrechen zugelassen würden).
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Da lediglich EUR 908,-- an Schriftsatzaufwand angesprochen wurden, konnte unter diesem Titel auch nur dieser Betrag zuerkannt werden.
Wien, am 27. September 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003010517.X00Im RIS seit
28.10.2005